Nicht heilig, sondern katholisch I

Gefällt dem Geist, was uns gefällt?

„Es hat dem Heiligen Geist und uns gefallen“ (Apg 15,28). Dieser Schlüsselsatz stammt aus dem Jahr 48, als die ersten jüdisch-christlichen Gemeinden ihre ersten Inkulturationswehen durchstanden. Im Oktober 2023 wurde er beim Treffen der römischen Weltsynode neu entdeckt und von begeisterten Bischöfen häufig zitiert. Sie taten es wohl zu selbstgewiss und zu eindringlich, als ob aktuelle Synode vom Heiligen Geist garantiert, von der Kirchengemeinschaft schon akzeptiert sei und die Bedeutung des ersten Apostelkonzils erreichen könnte. In Rom ist solch sorglose Zuversicht nicht neu. Zwar denkt niemand an eine dogmatische Selbstbestätigung, wie es 1870 geschah, doch unerwartet schnell wurde das altehrwürdige Zitat aus der Apostelgeschichte zum unerwarteten Alleinstellungsmerkmal, dieses Mal für die runden Tische mit je zwölf Stühlen, an denen in der Audienzhalle des Vatikans drei Wochen lang ohne profilierte Ergebnisse diskutiert wurde.

1. Last einer selbstgewissen Vergangenheit

Die neue Gewissheit, mit der jetzt Neues gelingen sollte, berief sich auf die „neue Gesprächsmethode“, für die sich Papst Franziskus einsetzte. Er stellte die neuen Synodalverhandlungen säkularen Parlamentsdebatten gegenüber und erklärte, nur im römischen Vorgehen sei der Heilige Geist anwesend. Warum, so die Frage, nicht auch an anderen Orten, wo Menschen guten Willens zusammenkommen und in gesprächsfähigem Wort und Gegenwort neue Wege entwickeln? Zwar geht es in Staatsparlamenten oft hemdsärmelig zu, doch auch ihre Geschichte kennt rühmliche Momente. Nach demokratischem Wertekanon gelten auch bei ihnen Regeln der Menschenrechte und der Gewaltfreiheit, des argumentativen Diskurses, des gegenseitigen Respekts und des Schutzes von Minderheiten. Danach werden sie beurteilt; auch das Parlament der BRD hat immer wieder seine großen Stunden der Menschlichkeit erlebt.

Umgekehrt kennen kirchliche Synoden und Konzilien mehr als eine Versagerin. Das ephesinische Konzil von 449 etwa ging als unrühmliche „Räubersynode“ in die Geschichte ein und sattsam bekannt sind weitere erfolglose Kirchensynoden, auf denen sich der Heilige Geist als abwesend erwies. Das epochale Dekret Haec Sancta des Konstanzer Konzils (1415 veröffentlicht), welches das Papsttum den Konzilien unterordnet, wird bis heute ignoriert, bleibt selbst aus dem berühmten Denzinger verbannt. Dieses Schicksal hätte eher die Definitionen von päpstlichem Primat und päpstlicher Unfehlbarkeit (1870) treffen müssen, da an ihrem rechtsbeständigen Zustandekommen mehr denn je schwere Zweifel bestehen. Allgemeiner formuliert: Offensichtlich bedarf jedes Konzil einer späteren (gesamt)-kirchlichen Zustimmung („Rezeption“ genannt), bevor es als erhabenes geistliches Ereignis in das Kirchengeschehen eingehen kann. Diese Bedingung muss nach Abschluss auch für die aktuelle Weltsynode gelten, auch wenn ihr ein reformorientierter Papst mit den besten Intentionen seinen Stempel aufdrückt.

Neu ist auch, dass das Wirken des Geistes jetzt durch eine „Methode“, nicht durch bestimmte Inhalte garantiert werden soll. Weht der Geist aber nicht, wo er will? Erinnern wir uns: Einer ersten Rederunde, an der alle Tischnachbarn jeweils ohne Widerrede zu Wort kamen, folgten jeweils einige Schweigeminuten. Diese sollten das Hören intensivieren, den vorschnellen Widerspruchsgeist zähmen und die Debatten als geistliches Gespräch qualifizieren. Gewiss, der Freiraum, den jede Stimme zunächst unwidersprochen genießt und verordnete Minuten der Stille, Tiefenwirkungen des aktiven Zuhörens und eingeschobene Augenblicke des Gebetes haben eine besänftigende und öffnende Wirkung. Wer kennt sie nicht auch aus anderen nachdenklichen, empathischen, vielleicht auch geistlichen Gesprächen. Wenn Papst Franziskus diese Schweigeminuten aber schlicht zu den Zeiten erklärt, in denen der Heilige Geist wirke, geht er mit seinem Versprechen doch einen Schritt zu weit. Er unterstellt eine sozusagen sakramental geheiligte, amtlich garantierte Stille, die kraft ihres Vollzuges wirkt und unter deren Schutz der Gesprächsgang dann wieder unbeschädigt, von Egoismen und Klerikalismen gereinigt aufgenommen wird. Vorläufig würde ich lieber nicht vom Heiligen Geist sprechen, sondern von seiner typisch katholischen Inanspruchnahme, die ihre Feuerprobe erst noch bestehen muss. Erst an seinen Früchten werden wir das Unternehmen erkennen.

Die neue Methode, so Papst Franziskus, handle nicht einfach akzeptable Kompromisse aus, sondern schaffe Harmonie; das ist wohl ein neuer, ästhetisierender Sammelbegriff für den früher geforderten autoritätsgeschützten Konsens. Mehr noch, der Papst erklärte diese Gesprächsform zur Protagonistin der Mission, also der Botschaft, die die Kirche den Menschen in Wort, Tat und Verhalten zu übermitteln hat. Dahinter steckt, noch einmal gesagt, eine enorme Hoffnung auf die Macht christlicher Präsenz in unseren Gesellschaften, die sich doch endlich unverfälscht durchsetzen sollte. Doch eine Sehnsucht nach Erfüllung zwingt noch nicht Glaubwürdigkeit und geistlichen Erfolg herbei, schon gar kraft einer von oben verfügten Definition. Deshalb sollten sich die hohen Institutionen der römisch-katholischen Kirche angesichts ihres vielfachen Relevanzverlusts mehr in Zurückhaltung üben. Schließlich machten sie seit den mittelalterlichen Konzilien im Lateran, spätestens seit dem Konzil von Trient (1545-1563) in Reformfragen ernüchternde Erfahrungen. Die einen konnten keine Reformation in Gang bringen, das andere den Problemstau nicht auflösen.

Im Gegenteil, gerade der von Rom gesteuerte konfessionelle Katholizismus, der uns gut vierhundert Jahre lang prägte, ließ die Kluft zwischen Erwartung und Wirklichkeit dramatisch auseinanderklaffen. Amt und Sakrament, selbst die Heilige Schrift wurden zu einem objektiven, zumindest objektivierbaren und genau geregelten Heilsgeschehen verhärtet. Zugleich verfälschte ein dominantes Kirchenrecht die offene, weil narrative Erinnerungs- und Versprechenskultur der christlichen Botschaft. Sie gerann zu einem unbeugsamen Verhaltensreglement. Unter den Kirchenleitern und führenden Vatikanbeamten ist die Anzahl der Kanonisten verdächtig hoch und sie versuchen immer wieder, das Regiment an sich zu reißen. Unter diesen Vorzeichen kann die Stimme des Geistes nur schwer gedeihen.

Die großen Reformatoren, Martin Luther vor allem, hatten die Fehlentwicklungen aufs Korn genommen und theologisch reflektiert. Auch die Warnungen innerhalb der eigenen Kirche verstummten nie. Doch das Machtzentrum stellte sich weitgehend taub. Statt auf den Augustinermönch aus Wittenberg zu hören, wurde 1521 gegen ihn der Bann verhängt, nachdem man schon 1415 gegenüber Jan Hus wortbrüchig wurde und ihn kurzerhand verbrannte. Seit Jahrhunderten bezahlt die römische Kirche für solche schmählichen Anmaßungen die Rechnung, denn dogmatische Festlegungen lasteten unerbittlich, und dies bedingungslos. Diese Selbstverhärtung lässt sich auch heute von keiner Befreiungstheologie, keiner menschenfreundlichen Spiritualität und keinen emanzipatorischen Theologien auflösen, gleich aus welchem Lande sie kommen.

Diese Selbstlockaden sollten jetzt erkannt, der Dogmatismus in aller Form korrigiert werden. An ihre Stelle sollten endlich flexible Verstehenswege treten, die für die unterschiedlichen, oft gegensätzlichen Kontexte der Weltmenschheit sensibel sind; ich komme später darauf zurück. Bislang lassen sich führende Synodenmitglieder von der Überzeugung leiten, in einem zentral gesteuerten Gesprächsprozess von nur drei Jahren könne die Welt-Synode den epochalen Umbruch leisten, dies in einer Epoche, in der ungefähr alles auf dem Spiel steht. Diese Selbstüberschätzung kann nur in einer überstürzten und fruchtlosen Nabelschau enden. So bleibt der Eindruck, dass bislang das Ausmaß und die Tragweise des Projekts noch nicht erkannt sind.

2. Lazarett Kirche

Ist diese These anmaßend oder naiv? Jedenfalls würde uns allen mehr selbstkritische Demut helfen. Statt uns in ihm zu sonnen, sollten wir den biblischen Synodenbericht aus den Anfangszeiten als herausfordernde Messlatte verstehen. Zugegeben, ein Rückgriff auf neutestamentliche Zeiten ist verständlich und warum sollten wir nicht Anknüpfungspunkten suchen, denn heute stehen Kirche und Kirchen vor einem vergleichbaren Problem. Wir kämpfen mit überwältigend neuen Kontexten, politischen Herausforderungen und kulturellen Umschwüngen, wie sie unsere Geschichte seit damals wohl noch nie erlebt hat. Sie bedrängen uns massiv, rauben uns alle Sicherheit, schreien nach einem neuen Verhalten und einer erneuerten Sprache. Dabei beschleicht viele von uns die Angst, wir könnten dem überlieferten Glauben untreu werden. Was aber geschieht mit diesem Glauben in unserer Zeit?

Das neue, alles umfassende Schlüsselwort lautet Globalisierung. Doch täuschen wir uns nicht. Der Begriff ist zwar eingängig, aber seine konkreten Probleme, Konfliktpotentiale und Lösungserwartungen sind endlos komplex. In Wirklichkeit begegnet unsere westliche, im Christentum gewachsene Lebensform nicht einfach anderen parallelen Lebensformen und Kulturphänomenen, Symbolen oder Lebensdeutungen. Wir können sie nicht einfach Stück um Stück mit dem Überlieferten vergleichen, gar abgleichen. Das mag über Jahrhunderte hin ein eingängiger Ansatz der christlichen Mission gewesen sein, wird aber seit 60 Jahren schon problematisiert, denn heute stoßen asymmetrische, teils inkompatible Probleme und Positionen aufeinander, die häufig einander bekämpfen, weil ihre Lösungen noch nicht in Sicht sind. Kirche-sein ist weder ein erholsamer Spaziergang noch ein reich bestücktes Museum, schon gar nicht ein erbauliches Demonstrationsobjekt.

Franziskus verglich die Kirche schon zu Beginn seiner römischen Amtszeit mit einem Lazarett. Dies Bild hat eine ernüchternde, aber auch befreiende, biblisch gerechtfertigte zu Geltung erreicht. In diesem Lazarett trifft alles Elend zusammen, das Menschen einander antun, Dabei lassen sich die Krankheiten nicht säuberlich auf Kulturkreise verteilen, erst recht nicht mit Reparaturbetrieben in Ordnung bringen. Es spiegelt die Fülle und die Aggressivität unserer Kulturkreise wider. Oft können wir auch nicht mehr zwischen Tätern und Opfern, denn gerade Leidende wissen, wie sie den Mitleidenden helfen können. In dieser Situation nützt es ohnehin wenig, zwischen Erkennenden und Irrenden, den Zweifelnden und wirklich Glaubenden zu unterscheiden. Bei der Suche nach Hilfe wird nicht mehr genau untersucht, ob wir uns (um mit Ignatius zu reden) von guten oder von bösen Geistern leiten lassen. Gott ist dort, wo geholfen wird.

In einem weltweit geöffneten Lazarett ist auch nicht nur über unser christliches Erbe nachzudenken, sondern auch über die Lehrsätze und ethischen Grundregeln, die wir mit anderen Religionen teilen. Auch sie alle haben neben einer tief ausgebildeten Humanität ihre aggressiven und unbarmherzigen, selbstgerechten und überheblichen Haltungen gepflegt, denn keine Religionspraxis ist besser als ihre Praktikanten. Das Problem bilden in allen Religionen wohl tonangebende Grundprägungen, die sich in unseren Gesellschaften herausgebildet haben. Es sind (um es zunächst theoretisch zu sagen) „Dispositive“ (M. Foucault), in denen sich Wissen und antrainiertes Verhalten, archaische Reaktionen, gängige Ideologien und eigensüchtige Strategien miteinander vermischen. Sie sind auch im Christentum präsent, bei den Bevorteilten und Ausgenutzten gleichermaßen zu Hause. Sie werden teils direkt, teils nur indirekt verstanden, gleichgültig akzeptiert oder mit Leidenschaft bekämpft. Niemand von uns kann ihr Gewebe wirklich überschauen und erschöpfend analysieren.

Um das Lazarett Kirche (und das Lazarett Welt) von Grund auf zu verstehen, sollten wir mit den Krankheiten beginnen, die hier und anderswo das Leben vergiften; alles andere wäre Nabelschau. Ich erinnere an …
– die politischen Machtkonflikte zwischen militärisch hochgerüsteten und verletzlich wehrlosen Ländern, auch die vergifteten Machtbeziehungen innerhalb politischer Systeme, die immer noch wirksamen Nachwehen des Kolonialismus und Imperialismus, von denen Täter und Opfer gleichermaßen infiziert sind und die auch in den Kirchen nachwirken,
– das weltweite Auseinanderklaffen von arm und reich, einem tendenziell ungezügelten Kapitalismus und den sozial sensiblen Gegenstrategien, zwischen einzelnen Ländern sowie zwischen ihnen; es sind Abgründe, die auch die Kirchen bedrohen,
– die oft tödliche Arroganz von Antisemitismus und anderen Formen des Rassismus und Fremdenhasses, den kulturellen Überlegenheitswahn der Weißen (mit ihren nie überwundenen Vorurteilen, Geschichtsfälschungen und ideologischen Weltdeutungen), bis hin zu den öffentlich propagierten identitären Ideologien, parallel dazu die unerlösten, immer neu bedrohten Beziehungen zwischen Geschlechtern und sexueller Vielfalt, die frauen- und homofeindlichen Denk- und Verhaltensweisen, die gängige der Schändung und Ermordung von Frauen aus Gründen politischer Rache oder der Familienehre, dies alles auf allgemein ideologischer sowie auf einer existentiell persönlichen Ebene, die auch in die Kirchen hineinwirkt,
– die allgegenwärtige Instrumentalisierung der Wahrheit, deren unmerkliche Verkehrung zur Ideologie und eine interessengeleitete Mythenbildung, die durch die sozialen Medien weltweit eine neue Qualität erreicht hat,
– die kultur- und landbezogenen Besitzkämpfe zumal der übermächtigen Länder oder korrupter Gesellschaftsschichten, schließlich die Zerstörung der Natur und ihrer Ressourcen, für die uns unsere Nachkommen verfluchen werden,
– die vielfache Art und Weise, in der Kirchen als Teile in die genannten Konfliktebenen verwoben sind.

Alle diese Konfliktebenen durchdringen einander, haben – oft unsichtbar – ihre internationale und nationale, regionale oder je persönliche Präsenz. Sie wirken über Generationen hin traumatisch weiter. Wir wollen nicht auf unsere Vorteile verzichten oder schmollen als die ständig Benachteiligten der Wirklichkeit hinterher. Zur Aufarbeitung solcher Verwundungen kommen wir immer, geradezu definitionsgemäß zu spät.

Deshalb können wir die Weltkonflikte nicht einfach mit Klugheit, Empathie und einer universalen Spiritualität versöhnen. Die konfliktreiche Vielfalt, die auf uns einstürmt, erzeugt ja nicht einfach einen Garten der Möglichkeiten, gar der Lüste, nicht einfach eine bunte Vielfalt, sei sie kulturell oder intellektuell, sexuell oder genetisch, politisch oder sozial, moralisch oder ethnisch in ihrer Art. Zunächst schafft sie massive Bedrohungen und Ablehnungen. Deshalb müssen wir zunächst lernen, unsere eigenen sowie die fremden Aggressionen von Kulturen zu verstehen und anzunehmen.

Das ist ein äußerst mühsamer Prozess. Wie sollen wohlsituierte europäische Großstädter zu einem freudigen Einverständnis mit einer indigenen Gruppe aus dem Amazonas-Regenwald kommen, wie die farbige Zugehfrau aus Los Angeles die Überzeugungen des Scheichs von Abu Dhabi umarmen? Wie soll zwischen lesbischen Frauen aus Skandinavien mit ihren Glaubensgeschwistern aus Benin eine spontane Harmonie zustande kommen? Wie kann Bischof H. Dieser aus Aachen seinen Mitbischof, Kardinal R. Sarah aus Guinea, davon überzeugen, dass Homosexualität gottgewollt sei, wie Eugen Drewermann den Kardinal W. Müller von seinem Christusverständnis? Wie soll dies alles möglich sein, wenn sich nicht einmal Papst Franziskus mit den Schreib- und Lehrmethoden deutschsprachiger Theologie versöhnen will und uns auf dem Weg in den Protestantismus sieht?

So führt auch die Globalisierung – gerade in einer synodalen Kirche – zunächst statt zu Bewunderung und Bereicherung zu Konkurrenz und Rechthaberei, Missverständnissen und Infektionen, zu massiven Konflikten und Widersprüchen. Dabei können sich Spannungsebenen und konflikthafte Themen beliebig vermischen, summieren und potenzieren, einander unkenntlich machen, sich unlösbar ineinander verhaken, ganze Länder und Kontinente zerreißen. Man erinnere sich nur an die destruktiven politischen Auseinandersetzungen, die die USA in den vergangenen Jahren erleben mussten. Teils wurden sie mit bestem Wissen und Gewissen von christlich-evangelikalen Gruppen initiiert und geschürt. Auch vergesse man nicht, um ein aktuelles Beispiel zu nennen, die unselige Rolle, die der Patriarch von Moskau spielt, wenn er mit seinem altehrwürdigen Komplex vom „Dritten Rom“ keinen Respekt mehr vor dem Lebensrecht ukrainischer Menschen, vor ihrer Unantastbarkeit und Würde kennt.

3. Konflikte erkennen

Hier erst kommen wir an den entscheidenden thematischen Punkt: Weder der christliche Glaube noch andere Religionen sind über diese Konflikte erhaben; das Modell des Über-natürlichen (einer aus der Übernatur heraus agierenden Kirche) täuscht. Wir schweben nicht in höheren Versöhnungssphären über der Welt, sondern haben die Versöhnung hier und jetzt zu fördern. Auch wir können also keine souverän allheilsamen Antworten und Heilungen anbieten, solange wir uns nicht mit der Last dieser Konflikte identifizieren, sie schonungslos durcharbeiten. Alles andere gerät zu einem Opium, das die Wirklichkeit verfälscht.

Vor dieser Gefahr sind wir nicht gefeit und oft genug werden fromme Worte im Namen des Heils zu Brandbeschleunigern. Denn machen wir uns nichts vor: unsere religiösen Geltungsansprüche sind immer schon in konkrete Konfliktnetze, in machtvolle und tiefgreifende Dispositive verwoben; an ihrer Oberfläche gegen Kritik immunisiert. Wer sich nicht bewusst und nachhaltig gegen diese Mechanismen wappnet, wirkt an diesem Geltungs- und Wahrheitsgezerre mit. Oft wird ein banaler und destruktiver Streit zum Kampf für den wahren und allmächtigen Gott hochstilisiert. Nicht nur Karl der Große hat sich widerspenstige Volksgruppen im Namen ihrer Bekehrung unterworfen. „Gott will es!“ hörte man schon im Eroberungsgeschrei der Kreuzzugsritter und bis heute wird der altehrwürdige Ruf „Allahu akbar“ (Deus semper maior, „Gott ist groß“) für den fürchterlichsten Terrorismus missbraucht.

So sind in der Regel auch religiöse Konflikte mit ideologischen und interessegeleiteten Elementen verwoben. Politische und ethnische Konflikte werden religiös überhöht. Zumal das spätantike Christentum hat exemplarisch ein von Macht und Hoheit geprägtes Christus- und Gottesbild herausgebildet, das bis heute seine absolute Überlegenheit sowie seine imperialen Ideen legitimiert.

Deshalb gilt auch im Umkehrschluss: Vor Ort können keine allgemeinen, gegeneinander absetzbaren Lehren und Positionen für eine heilende Wirkung sorgen, sondern nur (in präzis abgegrenzten Kontexten) konkrete Anwendungen und Handlungen des gegenseitigen Respekts und ausgleichender und vergebungsbereiter Gerechtigkeit, die stets kontrolliert und justiert werden. Wenn etwa die ignatianische Unterscheidung der Geister heute gelingen soll, muss sie nicht als abstrakte Überlegung zur Erneuerung der Kirche beginnen, sondern als schonungslose Durchleuchtung der eigenen Interessen und Vorurteile, also der eigenen Überlegenheitskonstruktionen (Strukturen, Gewohnheiten, Mentalitäten) und –strategien. Erst nach dieser schwierigen selbstkritischen Arbeit, erst nach der Entlarvung der eigenen Versagensgeschichte ist auf das unerwartete Wirken des Geistes zu hoffen.

Zu früh und völlig undifferenziert setzen die Organisatoren der Weltsynode auf die Vision einer universalkirchlichen Harmonie, messen sie jedoch kaum an der unerschöpflichen Vielfalt synodal orientierter Kirchen, sondern vorrangig an den monokratischen Machtkonstellationen der römischen Kirche. Unsere Hierarchen verorten sich nach wie vor in einer sakramental qualifizierten Nachfolge der Apostel. Doch über die Fallgruben dieses Modells denken sie kaum nach. Seit Irenäus von Lyon (gest. um 200) verwechseln sie ihre Pflicht, das apostolische Erbe zu bewahren, mit der Garantie für eine kontinuierliche Wiedergabe der offiziellen Lehrtradition. Trotz synodaler Bekundungen, die das gesamte Gottesvolk in den Blick nehmen müsste, verschanzen sie sich hinter ein elitäres Privileg, das mit einer erdrückenden Mehrheit und mathematischen Sperrklauseln gegenüber den nicht ordinierten Frauen und Männern abgeschirmt ist.

Deshalb präsentieren sie keine Weltsynode, sondern den typischen Weltkatholizismus, der umfassende Gemeinschaft mit Loyalität gegenüber Rom verwechselt. Die päpstliche Parlamentskritik bleibt weit hinter demokratischen Parlamenten zurück. Zu meinem Erstaunen erklärten im Oktober 2023 zahlreiche Teilnehmer, in den stillen Minuten habe der Geist tatsächlich in ihnen gewirkt. Ich fürchte, sie haben den römisch-katholischen, nicht den Heiligen Geist gespürt. Diese formelhaften Bekundungen markierten nicht den Beginn einer neuen Synodalität, sondern gerieten zur römischen Vereinnahmung der kostbaren Synodenidee.

So unschuldig ist die neue Sprachregelung also nicht. Denn zum einen bleiben die bischöflichen Hirten und Amtsträger die entscheidenden Entscheider, ohne von den Be-Hirteten gewählt bzw. bestätigt zu sein. Zum anderen verlangen kontextuelle Konflikte immer offene und tolerante Lösungen, die sich an den unterschiedlichen Kontexten selbst orientieren. Fundamentale Meinungsunterschiede lassen sich nur befrieden, indem die Parteien die Subjekte ihrer Entscheidungen und ihres Gewissens bleiben. Das setzt voraus, dass die aktuelle katholische Kirche auch auf die kontextuellen Anteile ihrer ererbten Glaubensformen achtet und in die elementare Botschaft einordnet.

4. Unterscheidung der Geister

Vor diesem Hintergrund ist auch der neue Schlüsselbegriff der Unterscheidung zu klären, den Papst Franziskus in die Sprache der Kirchenleitung eingeführt hat. Was ist mit ihm gemeint?

Gestatten wir uns für die Interessierten einen zweiten Exkurs.
Wie bekannt, atmet das neue Wort den Geist des Ignatius von Loyola (gest. 1556), genauer seiner Regeln zur Unterscheidung der Geister, die in seinem Geistlichen Übungen (GÜ) zu finden sind. „Unterscheidung“ meint dort nicht eine besonders subtile oder scharfsinnige Reflexion über die Zusammenhänge von Kirche und Welt. Ihr unmittelbares Ziel sind nicht etwa theologisch, philosophisch oder wissenschaftlich begründete Sachentscheidungen, die eine Kirchenleitung etwa auf einer Synode oder bei Reformfragen zu treffen hat. Es wäre ja auch nicht ratsam, Reformfragen einem spezifisch geistlichen Sektor zuzuordnen, denn sie sollten immer einen ganzheitlichen Charakter tragen; in ihre Operationen müssen eine Menge von Sachfragen eingehen, soziologische und historische Überlegungen, Erkenntnisse aus der Schrift und der Kirchengeschichte, ein intensives Nachdenken über unterschiedlichste Kontexte und Kulturen, über Fehlentscheidungen der Vergangenheit und geglückte Entwicklungen in der Gegenwart, über die „Zeichen der Zeit“, wie der Kirchenjargon gerne sagt. Gerade eine Welt-Synode kann diesen breiten Ansatz nicht ignorieren.
Dagegen richtet sich die ignatianische Unterscheidung, die Papst Franziskus so gerne in Anschlag bringt, mit hoher Intensität auf persönliche und spirituelle, auf existentiell bedeutsame, für die „Lebenswahl“ entscheidende Personalentscheidungen. Nicht ohne Grund wurde sie am Beginn der Neuzeit entwickelt, die (auch innerhalb der Kirche) das selbstverantwortliche Subjekt entdeckte.
Folgen wir einigen Unterscheidungsregeln in ihrer dichten Anschaulichkeit. Zur Debatte steht der „böse Feind“, welcher sinnliche Genüsse und Lüste vorgaugelt (GÜ Nr. 314) und damit Gewissensangst, Trauer und innere Unruhe schafft (315). Die wählende Person soll geistlichen Trost suchen (316) sowie die innere Trostlosigkeit als Wirkung des bösen Geistes erspüren, Buße tun und in Geduld ausharren (317-320). Sie soll wissen: „der böse Feind benimmt sich wie ein Weib, das schwach ist an wirklicher Kraft und stark an bösem Willen“. (325) (Uralte Diskriminierung der Frau als Verführerin.) Er handelt wie ein falscher Liebhaber, der die Gattin eines braven Ehegatten zu verführen versucht; es geht darum, seine Verführungskünste aufzudecken (326). Dieser Feind der menschlichen Natur ist an seinem Schlangenschweif, also an seinen Taten zu erkennen (334). Selbst wenn eine innere Tröstung ohne vorausgehende Ursache, also direkt durch Gott erfolgt, ist sorgsam darauf zu achten, dass sich der böse Geist nicht in die guten Vorsätze einschleicht (338). Die hohe Anspannung dieser Regeln hat immer wieder zu einer verängstigten und skrupulösen Innenschau geführt.
Gemäß Ignatius unterscheiden die Hörenden und Betenden also in kompromissloser Schärfe zwischen geistlicher Unruhe und Beruhigung, zwischen guten und schlechten Visionen, die von guten oder bösen Geistern gesandt sind. Diese Schwarz-Weiß-Spiritualität hat den neuzeitlichen Katholizismus, seinen Antiprotestantismus, später seinen Antimodernismus, auch seine aggressive Attitüde gegenüber der „Welt“ tief geprägt. Zwar haben wir inzwischen gelernt, mit den Gefahren dieser dualistischen Vorstellungswelt umzugehen, dennoch verleiht die überhöhende Sprache dieser Regeln den getroffenen Lebensentscheidungen immer noch den Mythos des Geistgewirkten. Er kann eine große innere Freiheit erschließen, sie aber auch einengen oder rauben. Dann kann die persönliche „Unterscheidung“ zur Unterwürfigkeit führen, die innere Kreativität rauben und Lebenshorizonte einengen.

Gewiss, eine wachsam kritische Innenschau hat heute noch ihren Sinn, und Papst Franziskus weiß wohl aus eigener Erfahrung, wie sehr intensive Selbstanalysen und das Hören auf verborgene Stimmen der persönlichen „Therapie“, also der inneren Heilung und Klärung dienen können. Doch gehören sie auch zur Methodik einer großräumig kirchlichen, primär institutionellen Erneuerung? Bei der gegenwärtigen Weltsynode geht es ja gerade nicht um persönliche Selbsterkenntnis und Selbstwerdung (so sehr sie zu den Voraussetzungen gehören), sondern um die Suche nach neuen Strukturen, in der solche Selbstwerdung in modernen Kontexten wachsen kann.

Messen wir das Synoden-Projekt an den Erfordernissen einer zeitgemäßen Kirche, die für die Weltnöte sensibel ist. Dann zeigt sich die existentiell-spirituelle Übertönung des Synthesetextes als ein Grund dafür sein, dass er karg, mutlos und weltfern ausgefallen ist. Denn nehmen wir das Bild vom Feldlazarett beim Wort, also das Ideal einer weltsolidarischen Kirche, die sich der Geschundenen und Hilfsbedürftigen annimmt, dann versagt der vorliegende Text. Er zeugt eher von einem traditionell monokratischen Kirchenapparat. Seinen Rahmen (in der Einleitung skizziert) bildet das bekannte Einheitsschema, von dem sich eine synodal plurale Kirche gerade verabschieden sollte. Schon der erste Absatz beschwört den „einzigen Leib“, die „gemeinsame Gnade“, die „Einheit der Seelen“, die „Erfahrung der Harmonie“. Beschworen werden die Nähe zum „Nachfolger Petri“ in Rom, die Eintracht der versammelten „Brüder[!]“ am Petrusgrab. Der Weg soll sich nicht etwa in unerwarteten Bahnen, nicht im Wagnis des Neuen, sondern „im Licht des Lehramtes des [2. Vatikanischen] Konzils“ entfalten, das auch schon eine Geschichte von nahezu 60 Jahren kennt.

Erst nach diesen Einheitssignalen werden Zeichen der Beweglichkeit und Vielfalt genannt, so etwa das Unterwegssein zum Reich Gottes. Die Amtstriade von Diakonen, Priestern und Bischöfen“ wird hervorgehoben, bevor die „unbeamteten“ (K. Rahner) Frauen und Männer genannt werden. Nur in Andeutungen geht der Text auf die hochdramatische Weltsituation ein, so bleiben auch konkretere Vorschläge abstrakt. An wenigen Stellen wird der Text konkret (etwa in 4, b-g), doch auch sie bedienen sich der schon bekannten Begriffe, die die Befreiungstheologie schon vor Jahrzehnten entwickelt hat und die in Lateinamerika zu Hause sind. Auf die wirkliche Herausforderung, die unsere nicht-römischen Schwesterkirchen für die römische Synodalität bedeuten könnten, geht die Synthese nicht ein.

So bleibt es doch wieder bei einer autoritär verkürzten Synodalität. Im Kapitel zur Mission erscheint die Kirche faktisch noch immer als die überlegene Instanz, nicht als eine, die zu dienen und zu lernen hat. Auch das mit Kraft vorgetragene Kapitel über die Frauen überzeugt nur bedingt, weil ein männerdominiertes Lehramt sogar die Frage nach der Ordination von Frauen abschmettert (und den Begriff der Diakonin nicht präzisiert). Wie man weiß, wurden auch die Themen von Homosexualität und sexueller Diversität diskussionslos vom Tisch gewischt, die Genderthematik vorschnell und ohne Argumente als inakzeptabel verurteilt. Aus der Perspektive unseres Kulturraums (in dem ebenfalls aufrechte ChristInnen zu Hause sind) vermittelt die Lektüre des Textes gerade nicht den Eindruck, hier werde über die Probleme eines funktionalen und effektiven Krankenhauses diskutiert.

So denkt das Lazarett dieses Textes nicht daran, seine Methoden und Instrumente je nach Kranken- und Verletzten-Stand zu erweitern. Vielmehr gerät das vorliegende Instrumentarium zum Baukasten, nach dem sich die Kranken zu richten haben. Nach meinem Urteil hat man es versäumt, die neuen Zielsetzungen einer synodalen Kirche konsequent zu reflektieren und ihre vorläufigen Antworten an den Erwartungen derer zu messen, die auf Hilfe hoffen. An entscheidenden Schlüsselfragen blieb man am männerbündischen Klerikermodell hängen. So erstaunt es nicht, dass sich jetzt die Anzeichen einer wachsenden Ermüdung zeigen. Verschieden Gruppen rufen ihre engagierten Angehörigen inzwischen auf, im vorgesehenen Zeitpunkt den Bischöfen ihre konkretisierenden und weiterführenden Anregungen doch bitte mitzuteilen.

Man fragt sich schon erstaunt, wie diese Diskrepanz zwischen Absicht und Bearbeitung entstehen konnte. Warum bemerkte sie niemand und wird sie auch jetzt kaum thematisiert? Spielt da nur der Mangel an Überlegung, Konsequenz oder Empathie eine Rolle? Was hat für diese Blockade gesorgt? Ich vermute noch ein zweites Problem, das allerdings schwer wiegt. Ignatius von Loyola hat uns nicht nur die Regeln zur Unterscheidung der Geister, sondern auch die Regeln für die kirchliche Gesinnung hinterlassen. Doch ihr Ton und ihre Zielsetzung sind mit den Regeln zur Unterscheidung nicht einfach in Einklang zu bringen. Eigentlich müssten sie beim gegenwärtigen Jesuitenpapst zu unerwarteten Verwerfungen führen. Wie bringt er sie in Einklang?

5. Kirchliche Gesinnung

Kirchliche Gesinnung meint bei Ignatius ja mehr als ein grundlegendes Gefühl der Zugehörigkeit, etwas Handfesteres als eine innere, gut abgewogene, reflektierte Loyalität, die schließlich in jedem demokratischen Gemeinwesen erforderlich und möglich ist. Das ignatianische Konzept lautet: unmittelbare, höchst konkrete, sich bedenkenlos unterwerfende Loyalität gegenüber den kirchlichen Ämtern, Amtsträgern und Institutionen, zu den kirchlich akzeptierten theologischen Schulen, Frömmigkeitsübungen, Sitten und Gebräuchen, eingeschlossen die Verehrung von Heiligen und ihrer Reliquien, Kirchenschmuck und Kirchengebote. Entstehen soll ein einheitlich denkendes, einheitlich organisiertes, einheitlich gestyltes Haus, das von allen Seiten den Glanz einer sieghaften Institution ausstrahlt, den Triumph der göttlichen Gnade dokumentiert: „Ein Haus voll Glorie schauet weit über alle Land“, wie im Lieblingslied von Benedikt XVI. gesungen wird.

Diese Gesinnungsregeln sind also nicht der Ort, an dem kritisch-analytische Fragen zu Sinn oder Erneuerung kirchlicher Strukturen diskutiert werden. Im Gegenteil, hier wird ein göttlicher Bauplan bewundert, rundum und selbstvergessen akzeptiert. Nach Ignatius geht es darum, „jedes eigene Urteil beiseite zu lassen und …in allem der wahren Braut Christi, unseres Herrn, zu gehorchen, die da ist unsere heilige Mutter, die hierarchische Kirche“ (GÜ 353). „Zu loben“ seien deshalb die Beichte, die heilige Messe, Orden und Ordensgelübde, Reliquien und kirchliche Anordnungen, Kirchengebäude und Kirchengebote, die scholastische Lehre und schließlich alle offiziellen Auffassungen. Dann folgt die klassische Aufforderung, die bis heute (im römisch-katholischen Raum) für Glauben und Theologie eine ungeheure Wirkung entfaltet:

Wir müssen, um in allem sicher zu gehen, stets festhalten: was meinen Augen weiß erscheint, halte ich für schwarz, wenn die hierarchische Kirche so entscheidet, dies im festen Glauben, dass in Christus, unserm Herrn, dem Bräutigam, und in der Kirche, seiner Braut, derselbe Geist wohnt, der uns zum Heil unserer Seelen leitet und lenkt; denn durch denselben Geist, unseren Herrn, der die zehn Gebote gab, wird auch unsere heilige Mutter, die Kirche, gelenkt und geleitet. (365)

Natürlich provoziert dieses geschichtsferne, aber machtbewusste Kirchen- und Lehrverständnis seit dem 2. Vatikanum zahllose Diskussionen. Es wurde abgelehnt oder hat inhaltlich sympathische Umdeutungen, harte und beschwichtigende, erfahren. Allen neuen, liberal gestimmten Interpretationen innerhalb der Kirche scheint dies Eine gemeinsam zu sein: Kirchlichkeit meint weder Unterwürfigkeit noch sklavischen Buchstabengehorsam. Man wehrt sich gegen jedes „Opfer des Intellekts“ (sacrificium intellectus), fordert Einsicht in und Teilnahme an offiziellen Entscheidungen, sowie bei Lehrentwicklung die sichtbare Präsenz der Nur-Getauften. Doch bei konkreten Sachüberlegungen werden diese Regeln – auch von Papst Franziskus – einfach verschwiegen. Gleichwohl, bei denen, die besänftigen, und bei denen, die verdrängen, bleibt im Kern (auch dies oft unausgesprochen) ein strenges Gebot der letzten Hochachtung, eine letzte Treue zur Mutter[!] Kirche, in der wir schließlich alle leben.

Dies erinnert mich an ein Wort von Yves Congar an Hans Küng. Inhaltlich pflichtete er Küngs Kritik an der Hierarchie vollinhaltlich bei, fügt aber hinzu: „Trotz allem geht es um unsere Mutter“. Natürlich nannte man Gründe für diese Haltung. Man fand sie in der sakramentalen Grundstruktur der Kirche (Kirche als „Grund-“ oder „Ursakrament“), im unbestrittenen Vorrang von Hierarchie und Klerus (den übernatürlichen „Weiheämtern“) oder in der Angst vor einer Beliebigkeit, die nur ein unfehlbares Lehramt verhindern kann. Wie sich Papst Franziskus in diese Diskussion einordnet, ist umstritten. Bislang hat er sich als gewissenhafter Bewahrer der klassischen Lehre und der geltenden Kirchendisziplin erwiesen. Sein herabwürdigender Hinweis gegenüber dem Synodalen Weg, eine evangelische Kirche sei genug, lässt nichts Gutes erhoffen.

Erhellend scheint mir die Kritik des als liberal geltenden Kardinal Kasper, der sich in päpstlichem Einverständnis sieht. In populistischer und eminenter Überheblichkeit erklärte er im Juni 2022, beim Synodalen Weg Deutschlands werde die Kirche „zu einer Verfügungsmasse, die man situationskonform jeweils neu kneten und gestalten kann“. Das scheint mir ein banaler, aber hinterhältiger Vorwurf zu sein. Kasper warnt vor „ideologisch vorgegebenen Antworten“, ist aber nicht gewappnet gegen die ideologischen Elemente seines eigenen Kirchenbildes, das bis in die 1970er Jahre zurückreicht. Den ideologischen Kern seiner Verweigerung entlarvt eine Bemerkung vom Januar 2023. Er erklärte, es sei nicht zulässig, dass Bischöfe Teile ihrer Amtsgewalt an Gremien abtreten, die mit Laien besetzt sind. Das also ist des Pudels Kern, der schon in den 1970er Jahren in Hans Küngs Kollegen schlummerte. So führt der greise Kardinal vor, wie man sich ein liberales Image zulegen und in Sachen Synodalität dennoch unbelehrbar bleiben kann. Verwirrend ist zudem die Bemerkung des 2. Vatikanum, „die Gesamtheit der Gläubigen [könne] im Glauben nicht irren“, denn sie weist nicht daraufhin, dass zu dieser Gesamtheit auch die Gesamtheit der Bischöfe gehört.

Hat unser Papst, seinem Vorgänger vergleichbar, also doch eine (wenn auch unreflektierte) Angst vor jeder Relativierung und jedem Relativismus? Woher kommt die Unschärfe, mit der sich sein Handeln immer mehr umgibt? Wie geht er, als Befürworter der geistlichen Unterscheidung, mit den gegenläufigen Regeln über die kirchliche Gesinnung um?

Papst Franziskus, so meine Vermutung, lässt sich von der Zuordnung leiten, die den Regeln schon bei Ignatius zukommt. Im Zentrum des Interesses stehen die Unterscheidungsregeln. Ihre spirituelle Ausrichtung ist auf Einzelpersonen gerichtet, die dazu bereit sind, „das ganze Land der Ungläubigen zu erobern“ (GÜ 93). Von diesem Eroberungsmodell hat Franziskus gewiss Abstand genommen, wiewohl er das ignatianische Sendungsbewusstsein nicht einfach aufgegeben, sondern eher sublimiert hat. An diesem Punkt treten die Gesinnungsregeln auf den Plan. Denn ihnen ordnet Ignatius eine vorgeordnete Funktion zu. Deshalb sind sie für ihn auf unsichtbare Weise allgegenwärtig. Sie stellen klar, wie entschieden, umfassend und abstrichlos dieser Kampf für Gottes Reich als Kampf der Kirche unter dem Banner Christi (GÜ 136-148) zu leisten ist. Die spirituelle Selbstklärung und Selbstdisziplinierung, vorbehaltlos dieser real existierenden Kirchenleitung zu dienen, gegebenenfalls bis hin zum Verzicht auf eigenes Urteil und eigene Freiheit. Die mythisch überfrachtete Romfrömmigkeit der Barockzeit wirkt nach. Ach die aktuelle Programmatik fordert hingebungsvollste, vom Geist geleitete Entschiedenheit, doch ihr Rahmen und ihre Ziele bleiben diffus.

An diesem Punkt zeigt sich das entscheidende Defizit der synodalen Programmatik. In den ignatianischen Übungen war über diese Kirche nicht weiter nachzudenken, denn ihre Grundlagen, ihre Struktur und ihr Weg waren eindeutig vorgegeben und diese Eindeutigkeit war zu bestätigen. Doch die Pracht einer Stadt, die von einem triumphalen, eurozentrischen Katholizismus gesättigt ist, gibt die Antworten für eine polarisierte Welt nicht mehr her. Umso mehr sind Gestalt, Zielsetzung und Struktur der (römisch-katholischen) Kirche zum Problem geworden. Genau dieses Problem bleibt wie in den vorliegenden Synodenpapieren (wie bei Ignatius) ausgeklammert. Die autoritär vorgegebene Kirche war weder sein Problem noch sein Thema.

Wie aber soll eine neue Spiritualität heute die Kirchenstrukturen ersetzen oder kann sie aus sich heraus eine kirchliche Erneuerung leisten? Vieles deutet daraufhin, dass Papst Franziskus an den dogmatischen Grundentscheidungen festhalten will, weil er in ihnen kein Problem sieht. Doch das ist ein verhängnisvoller Irrtum. Mindestens eine grundlegend neue Kontextualisierung ist uns im Blick auf die ungeheure komplexe und konfliktgeladene Gegenwart aufgegeben. So kann Ignatius von Loyola nicht mehr das Modell für eine aktuelle Kirchenreform sein. Sein Weg führt allenfalls zu Verdrängungen, weil die neuralgischen Punkte von Lehre und Praxis dem Vergessen anheimfallen. Dieser Weg führt nur zu einer erneuten Monotonie, weil er nicht mit der neuen Vielfalt umgehen, ihre Dynamik nicht bearbeiten kann. Der neuzeitliche, an Unveränderlichkeit orientierte Ansatz führt schließlich zu keiner Be-Geisterung, weil der Aufruf zum Mut, zum Wagnis und zum Risiko fehlt.

Man lese nur den (im besten Wortsinn) begeisternden Artikel, den Karl Rahner schon 1962 veröffentlicht hat und wofür er damals „geprügelt“ wurde: „Löschet den Geist nicht aus!“ (Schriften VII, 77-90). Schon damals warnt er davor, der Geist könne ausgelöscht werden. Er verlangt, „im Mut zum Neuen und Unerprobten bis zur äußersten Grenze zu gehen“ (85). Wir sollen uns, so K. Rahner, nicht leiten lassen von der Angst, das Falsche zu tun. Vielmehr können wir bis zum wirklichen Beweis des Gegenteils von unserem rechten Glauben und von unserem guten Willen ausgehen (87). Wir sollten nicht hinter einen Diskussionsstand zurückfallen, der vor über 60 Jahren schon einmal erreicht war. Verwechseln wir den Heiligen Geist nicht mit der vorherrschenden römisch-katholischen Mentalität.