Widerspruch ja, aber wogegen? Die römische Instruktion fordert eine „pastorale Umkehr der Pfarreien“

Unerwartet hat die römische Instruktion zur „pastoralen Bekehrung“ (29.06.2020) viele Bischöfe und die Reformkräfte im Widerspruch vereint. Diese römische Pfarrei-Instruktion hat zu einer breiten Protestwelle geführt. Dass Reformgruppen ihren Widerspruch einlegten, war zu erwarten. Neu war, dass sich 14 von den 27 deutschen Diözesanbischöfen dem Widerspruch anschlossen. Sind Bischöfe und Reformkräfte jetzt einer Meinung? Das ist unwahrscheinlich, und besser wäre es gewesen, man hätte die unterschiedlichen Protestgründe auf den Tisch gelegt, statt einen Scheinkonsens zu demonstrieren, der uns nicht weiterbringt. Zwar könnte man diese neue Konstellation als einen indirekten Sieg von Papst Franziskus interpretieren, der seit sieben Jahren schon zu einem kreativen Mitdenken aufruft. Doch kann ihm diese Kritik nicht recht sein, weil sie an seiner Autorität nagt und offenlegt, wie wenig konsistente Substanz dieses von ihm approbierte Dokument enthält.

Schon nach einer Woche waren die Klagen abgeklungen. Den Ton einer Globalverweigerung hatte Maria 2.0 bereits 2019 verschärft und die Amazonas-Synode warf kritische Fragen auf. Warum kam es gerade jetzt zum Aufschrei? Vielleicht war es einfach die schlechte Qualität des Dokuments, denn handwerklich ist es sichtlich mühsam zusammengebastelt, inhaltlich bietet es keinerlei Inspiration, taktisch mischt es sich übergriffig in örtliche Detaildiskussionen ein und politisch trifft es die deutschen Bischöfe angesichts des Synodalen Wegs im denkbar schlechtesten Augenblick.

1. Zusammengestückelt

Schauen wir uns das handwerkliche Buchhalterkonstrukt einmal an: Hoffnungsvoll lesen sich die Einleitung und die ersten sechs Kapitel. Mit ihrer wiederholten Aufforderung zu strukturellen und mentalen Reformen berufen sie sich intensiv auf Papst Franziskus: Wir sollten uns nicht vor Fehlern fürchten, denn es warte eine hungrige Menschenmenge auf uns [3]. Es gehe um die Gleichheit vor Gott und die Würde des Menschen [5], dies in einer Zeit zunehmender Mobilität [8], in der Gemeinschaft neu wahrgenommen wird [10]. In dieser Situation gewinne die Pfarrei eine neue Bedeutung [11] und sie müsse von missionarischem Geist beseelt sein [12], ohne sich auf sich selbst zu beziehen [17]. Weitergabe des Glaubens, Eucharistie und Nachfolge Christi seien ihre Kennzeichen, in denen eine neue Kultur der Begegnung entstehen kann [25]. Inklusiv müssten die Gemeinden handeln, missionarisch auf die Armen bedacht sein und als ein „pulsierendes Zentrum der Evangelisierung“ agieren [41]. Doch mitten im Frühling dieser Erwartungen erfolgt ein Kälteeinbruch. Ab Kapitel VII. löst sich das Gesagte auf wie eine Wolke von Dampf. Lange Passagen [42-61, 66-82, 101-121] geraten zur kirchenrechtlichen Fleißarbeit. Aufgeführt werden 70 kanonische Bestimmungen, einige bis zu siebenmal zitiert. Sie werden eingesetzt, als komme das Heil vom Kirchenrecht.

Vor allem versucht das eng gestrickte Kapitel VIII. zur „Übertragung der Hirtensorge“ [62-93] mit seinen acht Unterkapiteln[1], den (deutschen?) Wildwuchs auf ordinierte Einzelverantwortliche einzudämmen. Die Stellung der Frauen ist im Dokument nicht einmal als Frage angekommen; abgesehen von einer nebensächlichen Passage [24] sind sie nichtexistent. Jede Zeile ist gegen die Relativierung des priesterlichen Pfarramts gebürstet und engstirnig wird auf die Terminologie geachtet: So dürfen die (dem eigentlichen und unersetzlichen Pfarrer) nachgeordneten Dienste „nicht mit Titeln wie ‚Pfarrer‘, ‚Ko-Pfarrer‘, ‚Pastor‘, ‚Kaplan‘, ‚Moderator‘, ‚Pfarrverantwortlicher‘ oder mit anderen ähnlichen Begriffen bezeichnet werden, die das Recht den Priestern vorbehält, weil sie einen direkten Bezug zu deren Dienstprofil haben.“ [96]

Nachdem die männliche Machthierarchie der Ordinierten eindeutig geklärt ist, flacht ab Kapitel IX. die ängstliche Verkrampfung etwas ab. Man wagt es sogar, den Pastoralrat zu würdigen, weil es „die Bedeutung des Volkes Gottes als Subjekt“ verwirklicht [110], obwohl er dann doch wieder den vom Diözesanbischof erlassenen Normen „unterliegt“ und deshalb weder ‚Team‘ noch ‚Equipe‘ zu nennen ist [111]. Mir scheint, dass die Autoren, die eine Bekehrung der Pfarrei anmahnen, erst einmal selbst der Bekehrung zum Gottesvolk bedürfen.

Das alles passt wenig zusammen und es verwundert nicht, denn unmittelbar nach Erscheinen des Dokuments wurden die ersten Entstehungstheorien präsentiert: Zwei deutsche Theologen hätten es fabriziert, oder der Entwurf habe schon zu Papst Benedikts Zeiten in der Kurie kursiert. Man verwies auf die Geheimdissertation von Kardinal Woelki, der den ordinierten Pfarrherrn zur Bedingung für die Würde einer Pfarrei macht. In Limburger Kreisen erinnert man sich an kontroverse pastoraltheologische Ideen von Tebartz van Elst. Wer weiß, wer da alles mitgemischt hat, bis die spirituellen Apelle des Papstes für ein hochkonservatives Pfarreimodell instrumentalisiert und die peinlich anmutenden Titelworte von der Bekehrung der Pfarrei erfunden waren. Wahrscheinlich wurden die engstirnigen Juristenteile in der benediktinischen Epoche grundgelegt. Das einleitende Franziskuspathos ist wohl jüngeren Datums und einige übergriffige Passagen (bis hin zur Gestaltung eines bischöflichen Dekrets) wurden wohl erst kürzlich eingefügt.

 2. Schizophren oder zynisch?

 Inhaltlich zeigt das Dokument massive Widersprüche. Kapitel I. bis VI. zeichnen ein spirituell motiviertes und visionäres Bild vom Mut zur Umkehr [3-5], verweisen auf die veränderten Kontexte [6-10] und denken über die heutige Bedeutung einer Pfarrei nach [11-15]. Sie erheben die weltoffene Mission zum Leitmotiv [16-26], sehen die Pfarrei als eine vielfältige Gemeinschaft von Gemeinschaften [27-33] und reflektieren über den Zusammenhang von personaler und struktureller Umkehr [34-41]. Sie regen die Phantasie an, denn aus ihnen ergeben sich viele Gestaltungsmöglichkeiten; endlich ein Pfarrmodell, das neue Wege eröffnet.

Doch Kapitel VII. [41-61] reduziert neue Pfarreiformen faktisch auf Verwaltungsmodelle: Die Pfarrei wird zur „Untergliederung“ eines Bistums [42]. Pfarreizusammenschlüsse sind genau zu begründen [47] und Priestermangel darf dafür kein Grund sein [48, 51], Dekanate sind als „Seelsorgezonen“ zu verstehen [52]. Wichtig ist bei „Pastoralen Einheiten“, dass ihnen letztlich ein Priester vorsteht [58]. Schließlich ist noch eine „pastorale Zone“ möglich, die von einem Bischofsvikar zu leiten ist [61]. Den harten inhaltlichen Kern der Argumentation bilden also die unverzichtbare Rolle des Bischofs und des zum Priester geweihten Pfarrers. Der Pfarrer gilt als die unverzichtbare Existenzbedingung einer „bekehrten“, also erneut untertänigen Pfarrgemeinde. Wie schützende Nussschalen legt sich ein System weiterer, hierarchisch ebenfalls geordneter Gemeindefunktionäre um ihn herum: Mitpriester, Diakone, Ordensleute, unter deren Unterordnung sogar dienstbereite „Laien“. Zu erneuern sind nicht die primären christlichen Glaubensgemeinschaften, sondern „die ‚traditionellen‘ pfarrlichen Strukturen“ [20].

So wird wiederum konsequent ein ordnungstheoretisches Modell durchgesetzt, das sich monarchisch  von einer leitenden ordinierten Person her definiert. Anders gesagt: visionslos werden alte, patriarchal und monokratisch konzipierte Prinzipien übernommen. Dies mochte in monarchischen, vielleicht antiprotestantischen Zeiten erfolgreich sein wie weiland auf dem Konzil von Trient (1545-1563), es verliert aber in demokratischen und hoch differenzierten Gesellschaften immer mehr an Plausibilität.

Wie geht das alles mit der beschworenen Angstfreiheit, dem Mut zur Erneuerung, zu Weltoffenheit und Prophetie zusammen? Jetzt erst erschließt sich den Interessierten die Gespaltenheit des Dokuments, für das sich zwei Interpretationen anbieten. Entweder es ist hoffnungslos weltfremd und naiv oder es versucht die geistlichen Intentionen des Papstes zu hintertreiben. Für die Naivität spricht die Tatsache, dass es alle päpstlichen Zitate zu folgenlosen Leerformeln macht. Es hat aber keinen Sinn, von neuen Kontexten zu reden, ohne diese auch nur annähernd zu konkretisieren. Die Formel von der Verkündigung des Wortes wird zur scheppernden Glocke, wenn es nur die alte Kirchenherrlichkeit ausstrahlt und das Lob der Laien wird lächerlich, wenn sie in heiligen Dingen nach wie vor als die Nichtswisser und Nichtskönner gelten. Naiv ist das Dokument also, wenn die kurialen Selbstverwalter seit sieben Jahren wirklich noch nichts gelernt haben.

Oder steckt hinter dieser Operation ein schändliches Spiel? Für so naiv kann man die Herren eigentlich nicht halten. Sie versuchen also, die neuen Impulse für ihre Ziele zu instrumentalisieren. Sie missbrauchen den neuen Elan, die neuen Schläuche für den alten Wein. Vieles spricht dafür, dass die Endredakteure des Textes dieses üble Spiel versuchen. Zwar sprechen sie vom „Herzstück der gewünschten pastoralen Umkehr“, suchen es in der „Verkündigung des Wortes“, der „Spendung der Sakramente sowie im „karitativen Zeugnis“ [20]. Doch nach wie vor möchten sie konkret bestimmen, was dieses Wort besagt, was Sakramente bedeuten und wie die Nächstenliebe auszusehen hat.

3. Taktische Manöver?

Wie schon gesagt, fallen manche Bemerkungen aus dem Rahmen eines Dokuments, das für die Weltkirche bestimmt sein sollte. Taktisch werden Nummern und Bemerkungen hinzu gemischt über die Art und Weise, wie und unter welchen Bedingungen etwa Pfarreien aufzuheben oder umzustrukturieren sind, was und wie mit welchem Dekret zu begründen ist, wann der Bischof eine Pfarrstelle offen halten darf und wann das nicht angeht. Ich halte die Vermutung für plausibel, dass diese Bestimmungen erst spät im Blick auf Deutschland eingefügt wurden und von deutscher Seite inspiriert sind. Auf mich wirkt das alles übergriffig, detaillistisch und kasuistisch. Es hat in einem allgemein gültigen Dokument nichts zu suchen, sondern müsste intern mit den betroffenen Bischöfen bzw. Bistümern ausdiskutiert werden[2].

Seit dem päpstlichen Brief vom 29.06.2019 an das „pilgernde Volk Gottes in Deutschland“ ist die deutsche katholische Kirchenszene für solche Vorgänge sensibilisiert und kein Geheimnis ist es, dass sowohl Bischöfe als auch andere Kräfte ihre Spezialkanäle in Richtung einer Kurie pflegen. Sie finden dort ihre frei schwebenden, nicht unbekannten Unterstützer. Im Grunde halte ich diese Beobachtung für gefährlicher als die anderen Schwächen des Dokuments. Es stilisiert sich als Anweisung zur Anwendung kirchenrechtlicher Normen, formuliert aber theologisch tiefgreifende und kirchlich hochpolitische Ziele und hintertreibt dadurch jede offene Auseinandersetzung.

 4. Die prekäre Situation der Bischöfe

Für die kirchenpolitische Situation des Katholizismus in Deutschland, besonders für seine Bischöfe kommt dieses Dokument sehr ungelegen. Wahrscheinlich wurde es deshalb in diese Sommermonate lanciert. Es treibt deren innere Spaltung voran. Nur 14 von den 27 Diözesanbischöfen haben sich distanzierend geäußert, die bischöfliche Kritik steht also auf tönernen Füßen. Im Blick auf den Synodalen Weg stehen ja alle Parteien – je nach ihrer Perspektive ‑ unter gewaltigem Druck. Die einen sehen die (vermeintliche) Aufwertung der Laien bedroht, die anderen ihren Drang zu Mega-Gemeinden, wieder andere konstatieren das römische Interesse, überhaupt in ihre Pläne zur Neuordnung der Bistümer einzugreifen. Gemeinsam möchten sie den erreichten prekären Vertrauensvorschuss gegenüber innovativen Kräften nicht verspielen, der ihnen mit der labilen Konstruktion des Synodalen Wegs gelungen ist. Alle wissen: Nach dem Debakel des „Gesprächsprozesses“ (2011-2015) wird diese Chance kein weiteres Mal kommen. Kann das Bekehrungspapier von Rom hier weiterhelfen?

Angesichts der deutschen Problematik will das römische Dokument zwei konkurrierende Aspekte gleichzeitig stärken: zum einen eine zeitgemäße Funktion und Gestaltung der Pfarreien, zum andern die bleibend unverzichtbare Rolle der sakramental ordinierten Priester bzw. Pfarrer. In Deutschland beschäftigen sich die meisten Diözesanbischöfe mit Pastoralplänen, in denen die Zahl der künftigen Pfarreien mit der sinkenden Anzahl von Priestern koordiniert wird. Mangelsituationen werden durch halbherzige Hilfsmaßnahmen ausgeglichen: Die Anzahl der Pfarreien wird dramatisch verringert, mancherorts überlebt jedes Dekanat als Großpfarrei. „Laien“ übernehmen möglichst viele Anteile der Seelsorge- und Verwaltungsarbeit, ohne den Priester zu ersetzen; er wird zum herumziehenden Sakramentsautomaten degradiert. Der gemeinsame Minimalkonsens der meisten Bischöfe liegt darin, dass (zölibatäre und männliche) Priester in Pfarreien eine (geschwächte) Monopolfunktion behalten.

Deshalb ist nicht zu vergessen: Nahezu 50% der Bischöfe haben der römischen Instruktion nicht widersprochen oder das Dokument gelobt[3], andere haben ihre Kritik inhaltlich nicht konkretisiert, vielmehr beließen sie es bei der Verwunderung über Roms Verhalten.[4] In der Tat scheint die Instruktion Deutschlands römisch-katholische Kirche darauf hinzuweisen, dass Rom das Sagen hat. Es geht um ein weiteres Warnsignal gegen den in Rom ungeliebten Synodalen Weg. Umgekehrt distanzieren sich deutsche Bischöfe nicht aus einem Bewusstsein der Stärke, sondern aus ihrer Schwäche heraus. Weniger denn je können sie voraussehen, wohin der aktuelle synodale Balanceakt (dessen Rechtsgrundlage extrem unsicher ist) führt. Ihnen bleibt nur die Hoffnung, dass sich mit den synodalen Beratungen und Beschlüssen ein tragfähiger Konsens herausbildet.

Rom muss sich zwar sagen lassen: Der Papstbrief (Juni 2019), die päpstlichen Entscheidungen zur Amazonas-Synode (Februar 2020) und die aktuelle Instruktion haben den Konsenswillen der deutschen Reformbewegungen sehr strapaziert. Doch die Kurie scheint den Ernst der Lage genauso wenig zu begreifen wie unsere zögerlichen Bischöfe. Beide Gruppen jedoch stürzen sich – den Reformorientierten durchaus vergleichbar – in einer Augen-zu-und-durch-Stimmung ins Gefecht. Sie wünschen sich Veränderung und warten wohl auf den Heiligen Geist, der so aber nicht funktioniert.

 5. Eine tragfähige Vision

In Reformkreisen hoffen die meisten, dass die Gemeindeleitung weder auf Zölibatäre noch auf Männer oder überhaupt auf „Weiheämter“ beschränkt bleibt. Weniger geklärt ist der verantwortet kritische Umgang mit dem traditionell verrechtlichten Sakramentsverständnis, das auch die Ordinationsfrage nachhaltig beeinflusst. Wie also werden sie sich bei einer Feinabstimmung positionieren? Bedarf es zur Leitung einer Eucharistiefeier überhaupt einer Ordination im Sinne des sechsten tridentinischen Sakraments oder lässt sich diese Einordnung in die kirchliche Ämterstruktur auch anders definieren oder gestalten? Warum wird das Ordinationsverständnis der reformatorischen Kirchen immer noch tabuisiert, obwohl man sich seit Jahrzehnten ökumenisch präsentiert und bestens die Vorgaben des Neuen Testamentes kennt?

Dabei wären auch die Fragen zu regeln, ob die so intensiv beschworene „Hirtensorge“[5] nach unten zu übertragen oder nach oben zu delegieren ist und ob es zur Leitung einer Eucharistiefeier überhaupt einer besonderen Ordination bedarf. Die Unklarheit der Antworten schwächt die Kraft der Forderungen zur Erneuerung. Umso wichtiger ist es: Die Reformgruppen sollten sich nicht mit den gängigen Reformparolen begnügen, sondern konkret und detailliert ihre Vorstellungen und theologischen Konzeptionen offenlegen, also möglichst gemeinsam eine konkrete, starke, biblisch begründete und zeitgemäße Vision entwickeln. Auf dem Synodalen Weg sind noch schwere Konflikte zu erwarten, die das Unternehmen zerreißen könnten. Deshalb wäre es notwendig, die eigenen Träume und Emotionen nüchtern zu reflektieren. Wichtig wäre im besten Sinn der Worte eine Entmythologisierung und Funktionalisierung der gemeinde- und kirchenleitenden Ämter. Es geht nicht darum, dass gemäß der Anzahl von Gemeinden genügend Priester zu produzieren sind. Es geht darum, dass jede Gemeinde ihr unableitbares Recht auf ein Leitungsamt einfordern und realisieren kann.

Deshalb wird auch der Synodale Weg nicht zu langfristigen Lösungen kommen, wenn es bei den bislang beabsichtigen Reparaturarbeiten bleibt. Er braucht eine Zielvorgabe, die sich der durch und durch prophetischen, im Grunde vor-kirchlichen Botschaft Jesu von Nazareth verpflichtet weiß. Denn vergessen wir nicht: Für kirchliches Handeln hat als oberstes Gesetz immer das Heil der Seelen zu gelten (CIC 1752). Dieser Schlussparagraph des kirchlichen Rechtskodex ist kein frommer Wunsch, den man bei feierlichen Anlässen zu zitieren pflegt. Es ist vielmehr ein verpflichtendes, konsequent zu realisierendes Prinzip. Wir brauchen neue Denk- und Handlungsräume, die dieses Heil zur Geltung bringen. Deshalb schlage ich vor, im Blick auf den Synodalen Weg intensiv über folgende Thesen nachzudenken:

  1. Eine Reform der kirchlichen Gemeinden (kirchenrechtlich als Pfarrei definiert) ist der erste, nicht der letzte Schritt zur Erneuerung der Kirche. Das Volk Gottes, das in den elementaren Gemeinden zu Hause ist, trägt für die Gestalt der Kirche die erste und letzte Verantwortung sowie letzte Vollmacht. Kein Bischof kann sie ihnen abnehmen. Diese Behauptung ist nicht neu, gar unkatholisch, aber sie wurde seit den ersten Jahrhunderten auf Grund monarchischer Gesellschaftsmodelle verdeckt. Deshalb brauchen wir in Sachen Kirchenstruktur einen Paradigmenwechsel, der nicht nur die vergangenen 500 oder 900, sondern 1700 Jahre zur Diskussion stellt.
  2. Jede Gemeinde hat das Recht, sich in regelmäßigen Abständen zu treffen, ihre Angelegenheiten in eigener Verantwortung zu regeln und das Geheimnis ihrer Hoffnung zu feiern. Sie wählt ihre Gemeindeleitung, die ihre Versammlungen und Gottesdienste, auch die Eucharistiefeier leitet. Den liturgischen Aufgaben kommt eine besondere Würde zu, doch aus guten theologischen, insbesondere auch aus biblischen Gründen ist das Modell der „Weiheämter“ zwar nicht verwerflich, aber verzichtbar. Damit entfallen auch viele Bedingungen (wie Männlichkeit, Zölibat und Lebenslänglichkeit), die bislang die Heiligkeit des Leitungsamtes schützen sollten.
  3. Die Selbstverantwortlichkeit der Gemeinden und der Ehrentitel der Ortskirche, die das 2. Vatikanum noch auf die Bistümer beschränkte, sind auf die elementaren Glaubensgemeinschaften vor Ort auszuweiten. Diese Selbstverantwortlichkeit schließt unverzichtbar den Willen und die Fähigkeit zu einer lebensfähigen umfassenden Gemeinschaft derer ein, die an Jesus Christus glauben; Gemeinden sind zugleich Schwestergemeinden. Dazu gehört die eigene Zuordnung zu regionalen und internationalen kirchenleitenden Organen.
  4. Mit dieser schrift- und zeitgemäßen Neuorientierung werden die katholische Identität und Kirchenstruktur nicht zerstört, sondern von innen her erneuert und für ihre zeitgenössischen Aufgaben gestärkt. Sie werden umgeformt zu einer kommunikationsfähigen, partizipativen und flexiblen Gemeinschaft, die über ihre Grenzen hinausgehen sowie in vielfältiger Weise bei und mit den Menschen sind, die der Solidarität bedürfen.

Anmerkungen

[1] Die Unterkapitel tragen die Titel a. Der Pfarrer, b. Der Pfarradministrator, c. Solidarische Übertragung (= Priestergruppe mit Moderator, d. Der Pfarrvikar, e. Die Diakone, f. Die Gottgeweihten, g. Die Laien, h. Andere Formen der Übertragung der Hirtensorge.

[2] Beispiele für solche Details sind etwa die Fragen, ob beim Zusammenschluss von Pfarreien der Pastoralrat aufgelöst werden darf [59], wie man Hilfskräfte benennen darf [111], welche Extreme bei der Interaktion zwischen Pfarrer und Personalrat zu vermeiden sind [113], dass die Auflösung einer Pfarrei konkret zu begründen ist (in einem zusätzlichen zifferfreien Absatz, also in der letzten Redaktionsphase an [48] zugefügt), dass im Regelfall die Kirche auch einer aufgehobenen Pfarrei den Gläubigen offenstehen muss [50]. Sicher können die Fachleute noch mehr solcher eingestreuten Zusatzklauseln entdecken, die nicht unbedingt dem Gesamttenor des Dokuments entsprechen.

[3] Kard. Rainer M. Woelki ist dankbar, Bertram Meier kann gut damit leben.

[4] Man wundert sich darüber, dass Rom (wie bislang üblich) ohne vorheriges Gespräch dekretiert (Kard. Reinhard Marx), die theologische Reflexion vernachlässigt (Ludwig Schick), andere Strukturprobleme ausklammert (Stephan Ackermann, Franz-Josef Overbeck), die Erneuerungsprozesse bremst (Franz-Josef Bode), in die eigenen Rechte eingreift (Peter Kohlgraf) oder ausgerechnet jetzt unter den Gläubigen eine negative Reaktion auslöst (Gerhard Feige).

[5] S. die Ziffern 1, 42, 44, 62, 76, 87, 88, 90, 91, 92,93, 96.