Mineralwasser statt Prosecco- Synode der enttäuschten Hoffnungen

Zur Familiensynode vom 4. bis 19. Oktober 2014 in Rom

„Ehe und Familie“, wen sollte dieses Thema nicht interessieren! Die Katholikenbefragung und die Kardinalskonflikte im Vorfeld sorgten für hohe Erwartungen. Zudem war die Inszenierung des Treffens der freundlichen Herren in papstweiß, purpur- und zinnoberrot perfekt. So herrschte zu Beginn der vatikanischen Familiensynode bei der Presse, den geladenen Gästen und selbst bei vielen Teilnehmern eine euphorische Stimmung. Der neue Papst unterstützte – durchaus ehrlich gemeint ‑ mit Handschlag und Schokoladenkeksen glänzend diese Atmosphäre. Von einer historischen Stunde berichteten nach einer Woche die Medien, gegen Ende von Enttäuschung. Der Theologin Ute Eberl aus Berlin, als Gast zum Treffen geladen, war, wie sie sagte, erst nach Prosecco zumute, gegen Ende ließ ihre Stimmung nur noch Mineralwasser zu.

Das war nicht anders zu erwarten, denn die behandelte Thematik bot in keinem Augenblick Anlass zum Jubel. Der Geist eines unbotmäßigen Kirchenvolkes war schon vorher aus der Flasche gekrochen und in Kardinal Kasper hatten die Hardliner schon vergangenen Februar einen Sündenbock ausgemacht und den Widerstand organisiert. Da Papst Franziskus in den Beratungen für Redefreiheit sorgte, prallten die Diskrepanzen mit großer Wucht aufeinander. Der erstaunlich liberale Zwischenbericht nach einer Woche erhitzte die Gemüter noch mehr. Doch seien diese subjektiven Reaktionen im und vor dem Verhandlungssaal hier nicht weiter nachgezeichnet. Beschränken wir uns auf den offiziellen Schlussbericht mit seinem klassischen Dreischritt „Sehen – Urteilen – Handeln“. Der Bericht will die Wirklichkeit zur Kenntnis nehmen (I), die kirchliche Lehre dagegenhalten (II) und für den Umgang mit den erkundeten Alltagsproblemen zu konkreten Schlüssen kommen (III).

I. Entschärfte Bestandsaufnahme

Hören: Der Kontext und die Herausforderungen der Familie lautet etwas umständlich Teil I (Nr. 5-11). Er zählt vielfache aktuelle Änderungen und Gefährdungen der Familienpraxis auf, die sich aus der Umfrage unter dem „Gottesvolk“ aus dem Jahr 2013 ergeben. Sie werden grob unter „sozio-kulturellen“ Aspekten (5-8) und solchen des „affektiven Lebens“ (9-10) sortiert, allerdings ohne ein einheitliches Grundkonzept, ja ohne jede Differenzierung verschiedener Kulturen. Verwiesen wird global auf den massiven sozialen, ökonomischen und politischen Druck der (traditionellen) Familie, ein wachsender Hedonismus, Egoismus und Individualismus werden moralisierend beklagt. Man nimmt die wachsende Bedeutung des Subjekts und seiner Affektivität in ihrer Ambivalenz zur Kenntnis und warnt vage vor „kulturellen Tendenzen“, die nahtlos von einer narzisstischen Instabilität der Ehepaare zu Pornographie, Kommerzialisierung des Körpers und den Gefahren des Internets übergehen, um beim massiven Geburtenrückgang zu enden. Hinzu kommen Probleme wie Polygamie, „Ehen in Stufen“, Ehen auf Zeit, Zusammenleben vor der Ehe oder ohne sie, schließlich noch „Mischehen“ und religionsverschiedene Ehen mit allen Gefahren des Relativismus. Von ihrer genauen Analyse und konzeptionellen Verarbeitung kann keine Rede sein, eher von der unterschwelligen Tendenz, alle Veränderungen zu kritisieren als Verfallserscheinungen von Säkularisierung und Glaubensverlust. Offensichtlich wurden die Umfrageergebnisse des vergangenen Jahres nicht als Zeichen eines konstruktiven Auszugs wahrgenommen.

Damit hat sich die Synode von vornherein ihrer wichtigsten Aufgabe entzogen. Erinnern wir uns: Die päpstlich verordnete Umfrage bei den Kirchenmitgliedern galt als Sensation und löste ein kleines Erdbeben aus; es machte den von Kardinal Kasper lancierten Aufruf zur Barmherzigkeit nahezu unangreifbar. Dennoch war über die Offenheit des Zwischenreports vom ersten Wochenende Empörung entstanden. So wurden auch alle Aussagen zu einem erneuerten Sexual- und Eheverständnis zu Fragen einer kritikwürdigen Praxis umgedeutet. Das ist, wie mir scheint, der erste Sündenfall dieser Synode.

II. Eine unveränderte Lehre

Blick auf Christus. Das Evangelium der Familie lautet der Titel von Teil II (Nr. 12-28). Er bildet aus vatikanischer Perspektive das Kernstück des Reports. Umso mehr erstaunt es, dass in ihm kaum kreative Arbeit geleistet wurde. In Kurzform erscheint die traditionelle römische Ehelehre mit ihren Ausführungen zu Schöpfungs- und Erlösungsordnung (12-14), die gemäß jüdischen und christlichen Schriften zur christlich sakramentalen Ehe mit jesuanischem Verbot der Ehescheidung führt (15f). Zitiert werden nahezu kommentarlos Dokumente des letzten Konzils und der seitherigen Päpste (14-20). Verwiesen wird wiederholt auf die Unauflöslichkeit des sakramentalen Ehebands (14, 21, 23, 24, 51f) und deren „Offenheit für das Leben“ (21, 40, 47f). Die Eheverpflichtungen sind kraft der sakramentalen Gnade besser durchzuhalten (21, 31). Der Report spricht von der Ehe in einem werbenden Ton und – das ist neu – anerkennt, dass Spuren des Christlichen schon in einer nicht-christlichen Ehe anwesend sein können (25; vgl. 27). Junge Menschen werden dazu ermuntert, sich auf das Wagnis einer Ehe einzulassen (26). Als „sichere Lehrerin und aufmerksame Mutter, hält die Kirche [sprich: die Hierarchie] daran fest, dass es für die Getauften nur das sakramentale Eheband gibt, und dass ein jeder Bruch dieses Bandes dem Willen Gottes widerspricht“ (24).

Im Windschatten des ersten Teils bezahlt die Synode also einen hohen Preis. Das spannende, Geist und Leib, Geschichte und Generationen verschränkende Thema verbleibt in menschenfernen und idyllischen Sphären: gereinigt von Christus (17), Gabe des Geistes (18), Ikone der Gottesbeziehung (19), stärker als unsere Schwäche (20), von Gott geheiligt (21), humane Weisheit der Völker (22). Zur Selbstkorrektur besteht, von zwei sekundären Zusätzen abgesehen (22, 24), aber kein Anlass. Die Beurteilung der Homosexualität (im systematischen Teil nicht einmal erwähnt) tritt auf der Stelle (55), nachdem man die Positionen des Zwischenreports zurückgepfiffen hat; nicht einmal Humane Vitae zur künstlichen Geburtenregelung (1968) wird korrigiert (57-59). Sogar das Matthäusevangelium (Ehebruchsklausel, 5,23; 19,9) und Paulus (Trennung bei Glaubensdifferenz, 1 Kor 7,15) hat man schlicht ignoriert; dabei wäre eine Differenzierung des Unauflöslichkeitspostulats theologische und moralische Pflicht. Ähnliches gilt für das Sakramentspostulat, zu dem man Martin Luther wenigstens als Denkanstoß hätte lesen können. Kurz, der Report bleibt in vor-modernen und modern bürgerlichen Auffassungen von Ehe und Sexualität hängen. Damit werden genau die Grundlagen immunisiert, die das große Unbehagen an der katholischen Sexualmoral Jahr um Jahr verschärfen. Der Schlussreport dokumentiert ein irreformables System. Das ist der zweite Sündenfall diese Synode.

III. Widersprüchliche Appelle

Von Teil III, Konfrontationen – Pastorale Perspektiven (Nr. 29-61) werden praktische Folgerungen erwartet für den seelsorglichen Umgang mit all denen, die den kirchlichen Normen nicht entsprechen. Dabei wird ein breiter Fächer von Adressaten entfaltet. Es ist bekannt, dass hier Schwergewicht und Konfliktpotential der Synode liegen. Im Einzelnen sind die Vorschläge hier nicht auszubreiten. Jetzt bemüht man sich um einen konkreten Blick, z.B. auf Ehevorbereitung (39) und die ersten Ehejahre (40), die zivil Verheirateten und Zusammenlebenden (41-43), um gefährdete und gescheiterte Ehen mit den zahlreichen pastoralen und juridischen Aspekten (44-49), schließlich um wiederverheiratete Personen (50-53).

Anzuerkennen ist der vom Papst inspirierte Wille, den Geist der Verurteilung zu überwinden (vgl. 28), problematische Fälle mit Bedacht zu beurteilen (34; 47; 51) und vor allem mit Geduld (Achtsamkeit, Respekt, Sensibilität, Empathie oder Barmherzigkeit) zu begleiten. Überhaupt wird das Wort „Begleitung“ zum Schlüsselbegriff des ganzen Dokuments. Es erscheint in 14 Nummern (12, 14, 24, 27, 36, 40, 43, 44, 46, 47, 50, 51, 59, 61), so oft also, dass es sich beinahe wieder verschleißt. Betont wird, dass diese Kultur der Begleitung neu sein muss (12, 27, 37, 41, 45); dabei muss auch das Schicksal der Kinder in den Blick kommen (8, 10, 45, 47, 50, 57f).

Doch bleiben innere Widersprüche bestehen. Dies zeigt die Nummer 52, die ein Verfahren zur Wiederzulassung erneut Verheirateter zu den Sakramenten vorschlägt. Ausgerechnet sie erhielt mit 74 Gegenstimmen die geringste Zustimmung (57%). Eine Katastrophe muss das nicht sein, denn diese einfache Mehrheit ist durchaus noch ausbaufähig. Aber ebenso nüchtern ist davon auszugehen, dass sich eine harte Minderheit der geplanten Erleichterung nach wie vor widersetzen wird, und dies aus einem einfachen Grund: Auch die lehramtliche Basis des aktuellen Zulassungsverbots, nicht nur die praktische Regelung ist schlicht unbarmherzig, wenn nicht aus exegetischen und historischen Gründen gar inakzeptabel. Auch ist auf dieser Basis kein allmählicher Lockerungsprozess zu erwarten. Offensichtlich ging die Mehrheit der Stimmberechtigten (zu denen nur die Bischöfe gehörten) davon aus, aus einer erstarrten Lehre lasse sich eine erneuerte Praxis ableiten. Sie hat übersehen, dass diese Lehre selbst schon die Folge einer unbarmherzigen Praxis ist, die den Alltag des Glaubens nicht wahrhaben wollte. Dieser Zirkel aber folgt aus einem Kirchenverständnis, das seit Jahrhunderten (spätestens seit der Reformation) um sich selbst, also die eigene Hierarchie kreist.

Schluss: Wie weiter?

Um ihm zu entrinnen, bedarf es aber keiner komplizierten Erneuerungsprogramme. Es reicht, wenn die Kirchenleitungen die Sexual- und Ehepraxis des Gottesvolks in ihrer weltweiten Pluralität (a) konsequent zur Kenntnis nehmen, durch Fachleute erforschen und analysieren lassen, (b) im Licht dieser Ergebnisse ihrer normativen Schriften und ihrer Geschichte aufs Neue selbstkritisch erschließen und (c) ihre geschichtslos erstarrte Ehelehre und Ehepraxis vor diesen Hintergründen aus ihren mittelalterlichen und neuzeitlich-bürgerlichen Scheuklappen befreien. Eine zeitgenössische Anthropologie, nicht-römische Kirchen und ein interreligiöses Gespräch könnten ihnen dabei helfen. Dass das nicht innerhalb eines Jahres zu erledigen ist, bedarf keiner Begründung.

Als vorläufige Lösung sollte man für die Zulassung der erneut Verheirateten zu den Sakramenten kämpfen. Das mag sich lohnen, doch langfristig kann es die innerkatholischen Spannungen nur erhöhen. Denn die verrechtlicht sakramentale Idee von einer unauflöslichen Ehe lässt sich ebenso wenig aufrechterhalten wie die biologistisch verhärtete Irrlehre, die unsere homosexuellen Schwestern und Brüdern vor die Tür schickt. Man kann nur hoffen, dass dem Vatikan ein heißes Jahr bevorsteht, damit alle über ihre dogmatischen Vorgaben nachdenken und das Bollwerk der Unbelehrbaren geschleift wird. Auch Papst Franziskus hat die Pflicht zu einer Lehrrevision noch nicht begriffen; das bleibt seine Achillesverse. Auch er muss wissen: Falls sich nichts ändert, setzt sich der ruinöse Autoritätsverfall einer romorientierten Hierarchie mit beschleunigtem Tempo fort. Diese Behauptung zeugt von keinem antirömischen Affekt, sondern vom Engagement für eine Weltkirche, die endlich Menschen und Kulturen ernstnehmen sollte. Wenn sie sich dazu nicht aufrafft, bleibt sie in ihrer Dauerkrise gefangen.

(QuerBlick 30 Dez. 2014, 7-9)