Streit um die Weltsynode

Der aktuelle Weg der römischen, sich katholisch nennenden Kirche, meiner Kirche, stürzt mich in Trauer und Panik. Vor einem Jahr hätte ich mir noch nicht vorstellen können, wie tief sich in mir der Ärger über ihre verirrten Reformaktivitäten einbrennt. Zugespitzt formuliert: Sie sind blind und orientierungslos, von leerem Aktivismus gezeichnet, noch immer im Griff einer unbelehrbaren Rechthaberei und der unseligen Behauptung, die römischen Aktivitäten seien vom Heiligen Geist geleitet. Die Unterscheidung zwischen Geist und Ungeist, von der Papst Franziskus so gerne redet, versagt in Rom genau dort, wo sie beginnen müsste. Der Kern aller Untugenden, die schon das Zweite Vatikanum nicht überwinden konnte, feiert Urständ. Er kulminiert in der römischen Überzeugung, ihr Weg führe sie stets bergan, sofern wir uns nur der Hierarchie und deren Bekundungen beugten. Wie sehr diese Selbstgerechtigkeit in die Irre führt, haben uns schon die Sexualskandale der vergangenen Jahrzehnte gezeigt, die Verbrechen und deren Duldung, Vertuschung und bleibende Verdrängung. Weiteste Teile der römischen Weltkirche nehmen die innere Korruption noch immer nicht zur Kenntnis. So überrollt mich pure Enttäuschung erneut bei der Frage, an welchen Punkten sich die katholische Kirche seit 60 Jahren überhaupt erneuert hat.

Neue alte Eitelkeiten

So kann ich auch die Pressemeldungen vom 4. Oktober 2023 nur mit Befremden lesen. Mal wieder hat der Vatikan die Weltöffentlichkeit mit pathetischen, von Hoheit durchtränkten Bildern beliefert. Da entfaltete sich eine Prozession von 20 neu ernannten Kardinälen und etwa 300 feierlich daher schreitenden Bischöfen. Beim bedeutungsvollen Einzug in den Petersdom schwebten sie wie ätherische Aliens dahin. Dabei wurden, wie man liest, etwa 1.800 Anwesende zu Zeuginnen und Zeugen dieses von feudalem Prunk triefenden Events. Die Hierarchen präsentierten sich mal wieder in uniformierter Verkleidung. Offensichtlich konnten sie nur so Wirkung entfalten; vielleicht steckt ihr Geist doch mehr in den Gewändern als in den Herzen dieser geweihten Herren. In reinem Weiß, der Farbe der Reinheit, erstrahlten sie von der Spitze ihrer Mitren über die wallenden Kaseln bis hin zu den Säumen ihrer Alben. So entfaltete sich eine antik bis mittelalterlich wirkende Selbstdarstellung von Männern, die kraft erdrückender Mehrheit auch auf der Weltsynode über das geistliche Wohl und Wehe der Welt befinden werden. Sollte dieser Aufzug an das 2. Vatikanum (1963-65) erinnern, also eine neue epochale Wende einleiten? Das gelang ihnen sicher nicht, denn die etwa 75 unscheinbaren, päpstlich auserwählten Lai:innen und Laien, die sich in den Zug einfügten, können wohl keinen Unterschied bewirken. So intensiv die Nicht-Geweihten auch ihre Stimme erheben werden, erst in einer späteren Phase urteilen die Bischöfe kraft päpstlichen Willens über Sinn und Unsinn des Gehörten. So bleibt das Geschehen zutiefst zwiespältig. Eine jede seiner Botschaften ruft zugleich Gegenfragen auf den Plan. Darüber ist zu reden.

Papst Franziskus, dem man einst Bescheidenheit bescheinigte und der unbestritten bescheiden handeln möchte, wird inzwischen vom Sog des vatikanischen Herrschaftssystem und seiner aufgeblähten Ästhetik mitgerissen. Man erinnert sich an die gigantisch aufgeblasene Altarkulisse in Lissabon (August 2023), die den triumphal agierenden Vorgängern alle Ehre gemacht hätte. Dort blieb für die neue Bescheidenheit keinerlei Raum. Dann besuchte Franziskus im September Marseille. Ein Pastoral-, kein Papstbesuch sollte es werden und die Migration im Mittelpunkt stehen. Doch im krassen Missverhältnis zu dieser Zielsetzung sitzt die Kirche von Marseille jetzt auf einem Schuldenberg von einer halben Million Euro. Wie sehr hätte man damit helfen können. Der Chormantel, der jetzt den Papst bei seinem Einzug umhüllte, war merklich vom gleichen Design wie die neue, bald 400-fache Bischofsgewandung. Er war aufwendiger und stilbewusster gestaltet als das meiste, das Franziskus bislang zu tragen pflegte. Wie viel diese Gesamtausstattung der Hierarchen mal wieder gekostet hat, wird man wohl nie erfahren, doch im Zeichen einer „armen Kirche“ ist das keine primitiv populistische, sondern eine bitter ernste Anfrage, denn mit dem offiziell propagierten Ideal von Armut und Bescheidenheit, von einer barmherzigen Lazarettkirche hat dieser Aufwand nur noch bedingt zu tun, zumal man zu einem Arbeitstreffen zusammen gekommen ist. Wieso jeder dieser Herren eine herrscherliche Mitra tragen musste, die ihn als den Chef seiner jeweiligen Diözese kenntlich macht, ist schwer zu erklären, sind sie doch alle zu Gast bei ihrem obersten Herrn, der sie kraft exklusiv päpstlichen, nicht kraft bischöflichen Rechts zusammengerufen hat. Oder ging es wieder einmal nur darum, diese Signalmaschine der Macht möglichst massiv aufleuchten zu lassen? Oder sollte den Laien bedeutet werden, dass der Unterschied mit dieser gigantischen Kopfbedeckung beginnt?

Neue alte Ideologien und Selbstwiderspruch

Auf dem Petersplatz verfehlt diese Prachtdemonstration keineswegs ihr Ziel, indem sie die einen zur Begeisterung, die anderen zur Kritik provoziert. Auch wer zu Kritik angereist ist, zollt den geschuldeten Tribut. Beide Parteien schauen interessiert und man muss den Eindruck erhalten, dass sich mit dieser übernatürlichen Epiphanie ein Minikonzil anbahnt, das es mit dem 2. Vatikanum durchaus aufnehmen kann. Dies ist wohl beabsichtigt, denn der päpstliche Ehrgeiz ist beträchtlich. Ein ganz neuer Stil der Kommunikation soll eingeübt und erprobt werden. Von Durchbruch und historischer Bedeutung ist die Rede, gar vom Beginn eines Systemwechsels, und in großer Zahl sind kirchliche Reformgruppen herbeigeeilt, um ihre Forderungen vorzutragen. Doch solange die Beschlüsse über den päpstlichen Primat von 1870 nicht in aller Form aufgehoben sind, kann höchstens von einer simulierten Synodalität die Rede sein.

Stattdessen hat sich, dem vatikanischen Stil angemessen, schnell eine ideologisch überhöhte, im Grunde inhaltsleere Sprache breitgemacht. Wenn sich die Kirche in einer Synode befindet, so der Papst, dann werde diese synodale Dynamik „allein von der missionarischen Berufung“ getragen. Wirklich? Kämpft die Kirche nicht auch für ihre eigene Zukunft? Diese Mission sei „die Antwort auf den Auftrag Jesu, das Evangelium zu verkünden.“ Selbstüberhöhung wird wieder einmal zum Trumpf von populistischen Worten. Man sei weder ein Parlament noch eine Meinungsumfrage, so der Papst. Was also dann? Ein kirchliches Ereignis; ihr Protagonist sei der Heilige Geist. Noch immer stellt sich diese von fleischlichen Skandalen gebeutelte Kirche als ein erhabenes, übernatürlich-geistliches Instrument dar. „Ohne den Heiligen Geist gibt es keine Synode.“ Ist dieser Geist denn so autoritär, dass er die Erkundung von Überzeugungen, die Suche nach Einverständnis und das harte Ringen um eine gemeinsame Sprache, also parlamentarische Prozesse ausschließt? Warum hat der Papst diese Papst-Synode (welch ein innerer Widerspruch!) zu einem unantastbaren Ereignis hochstilisiert? Kann sie dann noch schiefgehen, wenn sie so sicher vom Heiligen Geist geleitet wird?

Fragen an Papst Franziskus

In diesem Selbstwiderspruch nennt der Papst dann doch drei Risiken. Das Risiko der inneren Distanz versteht sich von selbst, offiziell wird der Klerikalismus dazu gezählt. Ebenso bedrohlich ist die Versuchung zur Immobilität; warum hat der Papst so viele Immobile, etwa Kardinal Müller, zu Mitgliedern der Synode ernannt? Der entscheidende Pferdefuß zeigt sich in seiner Kritik am Intellektualismus, denn sie gerät bei aller Kürze zu einer unausgegorenen Beschimpfung der zahllosen intellektuellen Anstrengungen, ohne die der Katholizismus die Neuzeit in unseren Breiten wohl nicht überlebt hätte. Doch offensichtlich kann der Papst damit nichts anfangen. Es hagelt nur so von Polemik: gelehrt gehe es da zu, aber abstrakt, ein oberflächlicher und weltlicher[?] Redefluss mache sich breit, sterile und ideologische Unterscheidungen, Kirchen- und Weltferne entfernten sich vom Zentrum. Warum verliert der Papst ausgerechnet bei dieser Gelegenheit die ungezählten „Intellektualismen“ der Kirchengeschichte aus dem Blick, ihre engagierte Intellektualität, ihre unverzichtbare Kunst klärender Abstraktion, die hoch geschätzte Intellektualität etwa eines Origenes oder Chrysostomus, eines Augustinus oder Thomas von Aquin, den enormen Schreib- und Redefluss der von ihm geschätzten Yves Congar oder Henri de Lubac? Der Papst erklärte bündig: „Wenn man auf ideologische Weise denkt, ist die Synode am Ende.“

Diesem Satz ist nicht zu widersprechen, doch er bringt keinerlei Erkenntnisgewinn, solange er ein vom Intellekt geleitetes Denken – vermutlich aus Unkenntnis – als Ideologie desavouiert. Dabei ist dieses Muster einer destruktiven Theologiekritik nicht neu. Erich Garhammer hat den kirchenamtlichen Hochmut über das Geschäft der Theologie in seinem Buch zu J. Ratzinger (den er „Genie und Gendarm“ nennt) beispielhaft analysiert. Vergleichbares ist aber auch in der argentinischen Befreiungstheologie, zuvor schon in der Nouvelle théologie zu finden. Das Urmuster ist in den Definitionen von päpstlichem Primat und päpstlicher Unfehlarkeit (1870) grundgelegt.

Zugleich kommt der Verdacht auf, dass der Papst und seine Ghostwriter einen intellektuell kontrollierten Zugang zu Fragen der Kirchenreform nicht mögen, vor allem dann nicht, wenn die traditionelle Praxis und Theorie der katholischen „Amtes“ unter Kritik geraten. Auch erinnert man sich schnell an seine peinlich anmaßende Kritik am Synodalen Weg der katholischen Kirche in Deutschland, hinter dem er eine zweite protestantische Kirche vermutet. Warum wird der Protestantismus so leichtfertig diskriminiert, versteht Bergoglio vielleicht zu wenig davon? Und warum hat er die Papiere des Synodalen Wegs nicht sorgfältig studiert (oder studieren lassen), bevor er die Kirche eines ganzen Sprachraums so mir nichts dir nichts mit einer Nebenbemerkung in die Tonne haut? Mit welchem Recht salbadert der neue Glaubenspräfekt ziemlich inhalts- und argumentationsfrei von einer deutschen Theologie, die auch nicht mehr das sei, war sie mal war?

Gewiss, Franziskus hat seine Vertrauten, die nicht unbekannt sind, und deren Vorurteile er wohl übernommen hat. Warum aber nennt er nicht selbst Ross und Reiter oder zumindest deren konkreten Argumente, um ein transparentes gegenseitiges Hören mit Unterscheidung in die Wege zu leiten? Denn alles andere bedeutet Rückfall in eine autoritäre Epoche, die wir mit dem Abschied von seinen Vorgängern für überwunden hielten. Dies wiegt umso schwerer, als die katholische Kirche seit dem letzten Konzil in Struktur-, Amts- und Sakramentsfragen von reformatorischen Impulsen nachweislich noch nichts Wesentliches dazugelernt hat.

Ja, die Ängste vor der einberufenen Synode scheinen gewaltig zu sein, obwohl Rom schon dafür gesorgt hat, dass auf ihr nichts Unerwartetes passieren kann. Bei der Eröffnung der Versammlung warnte der Papst als erstes vor zu vielen Erwartungen. Man wolle hören, jetzt noch keine strukturellen Reformen beschließen; sollen die späteren Beschlüsse aus höherer Hand gefällt werden, also in Intransparenz versinken und wird der Papst (im Einklang mit der überwiegenden Mehrheit des bischöflichen Synodalen) sein Ohr mal wieder den vielen reforminteressierten Stimmen verweigern?

Verteidigungsmauern werden hochgezogen. Andreas Batlogg der sich als Jesuit mit Unterscheidungen wohl auskennt, machte in der Furche einige unliebsame, wenn auch begründete Positionen kenntlich. Die Rede ist von „pseudodemokratischer Illusion“ und „Beteiligungssimulation“, der Papst nehme Synodalität und Subsidiarität nicht ernst und für eine unverzichtbare Gewaltenteilung gebe es keinen Raum. Man muss diese Vorwürfe ernst nehmen, denn in Wirklichkeit legen sie alle die Finger auf den wunden Punkt einer monokratischen Grundstruktur. Auch absolute Fürsten gaben sich aufgeklärt, ohne etwas von ihren Privilegien abzugeben. Zwar sprechen jetzt manche von einem Paradigmenwechsel, doch auch sie geben zu, dass sich die Beteiligung von Nichtordinierten auf der Ebene einer Symbolpolitik bewegt. Etwa 27,5 %, weit weniger als ein Drittel der Beratenden, sind „Laien“, die 54 Frauen machen schwach 15% aus. Schon in den ersten Beratungstagen zeigt sich, dass sich die im Geschäft erfahrenen Hierarchen intensiver als die Auserwählten in die Gespräche einmischen. Auch wenn man sich nicht auf exakte Zahlenverhältnisse fixiert, die Mehrheit von 85% männlicher Stimmen bestimmt die Atmosphäre und den Geist des Gesprächs.

Zeitraubender Mentalitätswechsel

Doch es gibt weitere Gründe, die innerhalb von 14 Tagen nicht auf einen Systemwechsel hoffen lassen; sie seien hier kurz vorgestellt. In kürzester Zeit möchte der Papst die römisch-katholische Kirche zu einer kommunikationsoffenen, vielfältigen und toleranten Kirche mit Mitgliedern machen, die aufeinander hören, dies nach gut 1700 Jahren mit tief eingeschliffenen feudalen Verhältnissen, nach nahezu 1000 Jahren einer konsequenten römischen Vorrangpolitik, nach nahezu 500 Jahren mit einem dogmatisch und strukturell begründeten Romregiment, nach 153 Jahren mit einer monokratischen, strengst disziplinierenden römischen Autokratie, in der man sich einem Papsttum unterzuordnen hatte, das mit Verurteilungen, Sanktionen und Exkommunikationen reagierte.

Vor diesem Hintergrund lässt sich ein fundamentaler Paradigmenwechsel nicht verordnen. Er braucht Vorbereitung, eine lange Einübung, langwierige Mentalitätswechsel, vielfache durchschlagende Kontrasterfahrungen. Zudem ist die Würde einer Synode stark mit der Vielfalt der Teilnehmenden verbunden. Bevor deshalb das Experiment einer vielstimmigen Einmütigkeit gelingt, müssen die nationalen, kulturellen, kontinentalen Teile der Kirche zunächst zu sich selbst kommen, ihre eigene Identität ausformulieren, das nötige Selbstvertrauen finden und lernen, ihre eigenen Erfahrungen in eine international ausstrahlende Sprache zu gießen. Das haben sie bislang nie getan. So muss jeweils ihre Sprache zunächst durch die strengen Schulen von eigener Reflexion und Theologie, von eigener Spiritualität, eigener Solidarität sowie einer neuen Verbundenheit mit den Ursprüngen unseres gemeinsamen Erinnerns gehen. Erst danach können die Teilkirchen umfassend in ein fruchtbares Gespräch mit den anderen Teilkirchen eintreten. Lassen wir uns also die Zeit von mindestens zehn Jahren, in der die eigenen Kirchengemeinschaften aufwachen und zu sich selbst kommen. Solange noch ein Dokumente wie der Brief der Kardinal J. Zen Zekiun (21.09. 2023) öffentlich verbreitet werden kann und solange mehr als 100 Hierarchen der Weltkirchen meinen, die deutsche Kirche belehren zu können (obwohl die Wenigsten von ihnen die kritisierten Papiere kennen), ist zur großen synodalen Verständigung noch ein weiter Weg.

Synodenfeindliche Institution

Das Rechtsinstitut der katholischen Bischofssynode begann 1965 mit einem schweren Sündenfall, der den Begriff der Synode verfälschte und bis heute nicht korrigiert wurde. Die sogenannte Bischofssynode war und ist gerade keine synodale, gesamtkirchliche, auch keine bischöfliche, sondern eine exklusiv päpstliche Institution, zu Diensten des Papstes begründet. Nicht den Bischöfen oder einer qualifizierten Gruppe von Bischöfen (etwa den Vorsitzenden der Bischofskonferenzen), sondern dem Papst allein kommt das Recht der Einberufung und Organisation, der Themenfindung, sogar der Geschäfts- und Tagesordnung, schließlich des abschließenden Protokolls und verbindlicher Beschlüsse zu. Schärfer hätte damals die Konzentration auf Rom nicht ausfallen können und dies hat sich bis heute nicht geändert. So erscheinen etwa in den offiziellen Protokollen nur die besprochenen Inhalte, die Rom genehm waren und sind. Aus römischer Perspektive mag das verständlich sein, denn diese Institution spiegelt alle Vorrechte und Eigenschaften des seit 1870 gültigen, höchst monolithischen und autokratischen römischen Herrschaftsmodells wider, das Pius IX. auf dem theologisch fragwürdigen Konzil von 1870 durchgesetzt hat. Anti-synodaler (und anti-moderner) könnte der Geist eines Synodenmodells nicht sein. Solange diese massive päpstliche Dominanz nicht in aller Form überwunden wird, ist keine synodale Kommunikation zu erwarten, weil sie sich selbst im Wege steht. Auch der gegenwärtig erneuerte Versuch, die päpstliche Monokratie mit einem synodalen Denken zu versöhnen, durch eine neue Spiritualität zu überwinden, muss scheitern. Diese innere Unmöglichkeit wird durch die Formel von „Hören-unterscheiden-entscheiden“ nur verdeckt, weil sie das faktische Lehrprivileg von Papst und Bischöfen unkenntlich macht; zu entscheiden haben Papst bzw. die Hierarchie.

Diese autoritäre Konstruktion wäre noch erträglich und funktional zu rechtfertigen, wenn die Bischöfe von ihren Diözesen frei, vielleicht auf befristete Zeit gewählt wären, denn eine Synode im ursprünglichen Vollsinn des Wortes setzt die Aufhebung des römischen Rechtsprimats in seiner gegenwärtigen Gestalt voraus. Dieser Prozess müsste mit der Streichung der Bulle Pastor Aeternus des 1. Vatikanum beginnen. Diese Rücknahme eines Konzilsdekrets wäre nicht neu, nachdem das 5. Laterankonzil (1512-1517) ausgerechnet das konziliare Dekret Haec Sancta des Konstanzer Konzils (1414-1418) zurückgenommen hat. Umgekehrt könnte die Aufhebung des absoluten päpstlichen Primats die neue Inkraftsetzung des Konstanzer Dekrets Haec Sancta ermöglichen, das die gesamtkonziliare Gemeinschaft der Kirche dem römischen Primat vorordnet. Bevor eine stimmige Weltsynode abgehalten werden kann, muss diese unmittelbare Voraussetzung gegeben sein. Solange sie nicht erfüllt ist, sind alternative Visionen, Gemeinschaften, Versammlungen und Aktionen angesagt.

Dogmatische Widerstände

Der aktuelle dogmatische, von der Theologie verwaltete Lehrbestand der katholischen Kirche zeigt: Wenn eine stimmige Synode organisch funktionieren soll, sind im Vorfeld eingreifende dogmatische Korrekturen gefordert. Dazu gehören die (katholische) Lehre von der Apostolischen Sukzession, das altkirchliche, aber unbiblische Modell vom Priestertum, die traditionelle Sünden-, Opfer- und Sühnetheologie sowie das tridentinische Sakramentsverständnis. Hauptproblem sind bei all diesen Punkten die exklusiven Lehr-, Handlungs- und Entscheidungsvollmachten, von denen die nicht ordinierten Mitglieder der Kirche prinzipiell ausgeschlossen sind. Modell einer gebotenen Neuorientierung sind die Neuakzentuierung des Gemeinsamen Priestertums, einer im Prinzip gemeinsamen Verkündigungs- und Lehrkompetenz sowie eines im Ursprung gemeinsamen Handelns beim Vollzug der Sakramente. Zu einer sachgemäßen Neuinterpretation kann die paulinische Charismenlehre als Maßstab dienen.

Aus dieser Perspektive ist auch einige Kritik an der westlichen, einschließlich der deutschsprachigen Theologie angebracht. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil und angesichts der massiven Sanktionen gegen unliebsame Theologen gab diese Theologie – neben der immensen Menge an Spezialforschungen – ihre Freude an Neuinterpretationen zwar nicht auf, auch neue Vorschläge wurden formuliert: zu einem zeitgemäßen Menschenbild, zur Rolle von Frauen oder zur Gestaltung der Sexualität. Dies zeigt sich auch in den Papieren des Synodalen Wegs. Doch nur selten finden sich die konkrete, Punkt um Punkt korrigierende Analyse tiefgehender Fehlentwicklungen, die ausdrückliche Kritik an theologischen und kirchenstrukturellen Konzepten, die detaillierte Forderung nach eingreifenden Korrekturen sowie der Ruf nach der Rehabilitierung diskriminierter MiarbeiterInnen in Pastoral und Theologie. Dabei gehören zur Erneuerung nicht nur neue Ideen, sondern auch die Inventarisierung von ausdrücklichen Änderungen und die konkrete Selbstkorrektur von früheren Fehlentscheidungen. Anders gesagt: Zu einer zeitoffenen Theologie und zu einer fruchtbaren Spiritualität gehören auch der Freimut zum klärenden Konflikt, auch wenn er zur offenen Konfrontation mit unseren „Überaposteln“ (2 Ko 11, 5; 12, 11) führt.

Dieser Aspekt wurde auf dem Synodalen Weg zum Nachteil seines Erfolgs konsequent ausgeblendet. Der grundlegende Orientierungstext Auf dem Weg der Umkehr und der Erneuerung präsentiert eine Interpretationskunst von Schrift, Tradition und Gegenwart, die nur eine eitle Harmonie kennt. Der Text erklärt uns etwa: „In der Tradition erschließt sich der Sinn der Schrift, in der Schrift der Sinn der Tradition.“ (NR 15). Er verschweigt damit, dass diese Kirche auch auf eine 2000-jährige intellektuelle und spirituelle Konfliktgeschichte zurückblickt. Die verheerenden Folgen dieser falschen Sanftmut sind jetzt schon deutlich. Auf eine Entgegnung auf römische Einwürfe war man ebenso wenig vorbereitet wie es die römische Kritik an populistischen Allgemeinheiten belassen konnte. Es fehlt an Literatur im Stile von Hans Küngs Christ sein und Existiert Gott?, die so genau wie möglich Kritik und neue Vorstöße begründet, also besprechbar, notfalls präzise widerlegbar macht. Auch war es kein Zufall, dass in den vergangenen Jahrzehnten ausgerechnet kritikfähige Theologinnen und Theologen (wie Eugen Drewermann Hubertus Halbfas, Hans Küng und Elisabeth Schüssler-Fiorenza) mangels wirksamer Argumente dem römisch autoritären Verdikt verfielen, während Sanftmütige mit ihren überzuckerten, aber romtreuen Abhandlungen die Kardinalswürde erlangten. Hier herrscht auch auf Seiten der Reformwilligen Nachholbedarf; anders kommt die Diskussion zum Nutzen der Kirche nicht voran. Solange der Mut zur konkreten Kritik nicht neu erwacht, ist kein Fortschritt zu erwarten. Deshalb müssen die Benennung, Analyse und Bearbeitung von Konflikten zum ausdrücklichen Programm einer Synode gehören. Schweigen ist Silber, Streiten ist Gold. Einheit wächst nicht durch Untertänigkeit, sondern in der Auseinandersetzung um die Sache. Eine autoritär konfigurierte Synodalität hilft uns nicht weiter.

Das klassische Glaubensgebäude

Angesichts der Missbrauchsskandale ist die aktuelle Reformdiskussion stark auf innerkatholische Reformfragen verengt. Erneut verliert sie ein ökumenisches Problem aus dem Blick. Es geht im deutschen Sprachraum (und nicht nur dort) um den wachsenden Relevanzverlust aller Großkirchen in der Gesellschaft. Dabei haben ausgerechnet die Kirchen der Reformation einen Großteil der katholischen Reformprobleme schon lange vorbildlich gelöst. Das Gemeinsame Priestertum ist unbestritten, die Zölibatsfrage bildet kein Problem und Frauen können schon lange ordiniert werden. Wo liegt also der tiefere Grund für diese gemeinsame, von massiven Verlusten gekennzeichnete Entwicklung? Das Problem ist hochkomplex, doch eine Schlüsselrolle spielen die gemeinsame, aus Antike, Mittelalter und Neuzeit ererbte Glaubenssprache sowie deren Prägung durch die spätantik griechische Kultur, die mittelalterliche Scholastik und ein vor-modernes, zum Teil noch mythisches Weltbild.

Dabei stehen sprimär nicht Kategorien wie wahr oder falsch zur Debatte, sondern die Verständlichkeit und Überzeugungskraft der Sprache und des symbolischen Kosmos, aus dem sie lebt. Dabei müssen wir endlich, endlich begreifen: Es gibt keine einzige Kultur, deren Sprache, Symbol- und Begriffsbildung gegenüber anderen (späteren?) Kulturen einen Vorrang hätte. Jede Kultur bietet zu ihrer Zeit und an ihrem Ort unseren Glaubenserfahrungen, (vom biblischen Gedächtnis belebt)  Kontexte, Ausdrucksformen, also Glaubensformen an. Das gilt sogar für die Sprache(n) und Vorstellungswelt(en) der biblischen Dokumente, die auch schon in beträchtlich unterschiedlichen Sprachformen zu Hause sind. Wer will die Sprache der Weisheitsliteratur angemessen mit der Sprache der Thora, die Berichte vom Wüstenauszug mit den Gleichnissen Jesu vergleichen? Dabei haben es die zentralen biblischen Dokumente leichter als die philosophisch definierende Sprachform späterer Glaubens-Dogmen. Die Evangelien etwa sind Berichte, die von ihrer Geschichte und späteren Weitererzählung leben, während das christologische oder trinitarische Dogma der Antike auf zeitlose Wesensdefinitionen abzielt und eine geschichtliche Kontingenz geradezu ausschließt. Daran krankt heute eine jede Erneuerung; sie muss auf fundamentalistische Reaktionen stoßen.

Einen zentralen und höchst wichtigen Stolperstein bildet deshalb die Sprachgestalt der frühkirchlichen Glaubensbekenntnisse und der sie umgebenden Definitionen zu Gotteslehre, Christologie und Erlösungslehre. Nicht als ob sie in logischer Hinsicht falsch wären, aber im heutigen Lebens- und Verstehenskosmos stürzen sie viele Zeitgenossinnen und Zeitgenossen ins Nichts. Viele Bewahrer (und Bewahrerinnen) des Glaubens helfen sich dadurch, dass sie den „Zeitgeist“ als vernachlässigbar, als oberflächlich und gottlos abtun. Die Auslassungen von Kardinal Lehmann zur Trinität (2006 mit der Autorität der Deutschen Bischofskonferenz veröffentlicht) sind dafür ein typisches und verführerisches Beispiel. Sie entbinden uns mal wieder von der Pflicht zu neuem Nachdenken und entlasten uns von der dringlichen Frage, ob in diesem Zeitgeist nicht die gottgegebenen „Zeichen der Zeit“ stecken. Doch mit der Abwertung der Gegenwart und rosigen Visionen ist nicht viel getan; die Vermittlung erfordert Kärrnerarbeit.

Wir kennen die zahllosen Christinnen und Christen, die  zwischen den alten Heilsmodellen und den neuen Entwürfen orientierungslos schwanken und bei denen sich endlos Fragen um Fragen auftürmen: zu Kosmologie und Physik, zu Psychologie und Entwicklungskunde, zu Geist und Materie, zur vermeintlichen Biologie der Jungfrauengeburt oder des Dämonenglaubens, zu Sterben. Tod und Auferstehen, angeborener  Sündigkeit und der Freiheit eines Christenmenschen, zum Sinn der Sakramente und Gottesdienste. Immer entsteht dasselbe Spiel zwischen einerseits dem Neuen, das wir begeistert aufnehmen und andererseits den überkommenen Vorstellungen und altehrwürdigen Texten, die gesättigt sind von Schuldbewusstsein und Erlösung, einem philosophisch überhöhten dreieinen und dreifaltigen Gottesbild, von Himmelshoffnungen und Höllenängsten. Sie alle halten uns in Liedern, liturgischen Texten und überholten Predigten archaisch gefangen. Wer aber den Hilflosen keinen klaren Halt, keine überzeugenden Argumente und keine konfliktbereite Spiritualität anbietet, überlässt sie ihrem Schicksal. Irgendwann geben sie diese destruktiven Spannungen auf, wächst ihre Entfremdung und verlassen sie faktisch oder offiziell die Kirche. So gehören sie, die theoretisch immer Freundlichen und Kirchenloyalen, zu den stillen Totengräbern des Christentums. Ich weiß, dass ich mit dieser These unseren Hierarchen keine Freude bereite. Sie sollten nur wissen: die Zeit, genauer, die Zeichen der Zeit, arbeiten gegen sie.

Synode?

Synode, das ist ein großes Wort und im gegenwärtigen Zustand wird die katholische Kirche ihre Erwartungen nie und nimmer erfüllen, denn das Ideal einer Synode kann man ebenso wenig halbieren wie die Idee der Demokratie oder der Menschenrechte. Ich kann den kommenden Generationen nur raten, statt unbedachter und kurzatmiger Zukunftserwartungen mögen sie unverstellt, in großer Geduld die Versagensgeschichte der vergangenen Jahrzehnte aufarbeiten, sich ihr aufrichtig stellen und in ökumenischer Zusammenarbeit diese hochkomplexe Arbeit auf sich nehmen. Das ist nicht nur eine spirituelle und eminent sozialpolitische, sondern eben auch eine intellektuell selbstkritische Aufgabe, auch wenn sie in Rom noch nie auf Gegenliebe stieß. Die erwartbaren Enttäuschungen gehören wohl dazu. Ob die altehrwürdige Institution der katholischen Hierarchie das Schicksal noch einmal wenden kann, kann heute niemand wissen. In jedem Fall muss Rom endlich verstehen, dass es nicht mehr der Nabel der Welt ist, weder kulturell noch geistlich noch religiös. Der Segen Urbi et Orbi geht heute von anderen Orten aus. Der argentinische Papst Franziksus müsste das besser als viele andere wissen.