Ein Paukenschlag? Eher eine längst fällige Klärung über die vielen widersprüchlichen Signale, die uns seit Monaten aus Rom erreichen. Zum ersten: Die Amtszeit von Kardinal Müller ging zu Ende und Luis Ladaria, sein Nachfolger als Präfekt der Glaubenskongregation, gilt als ein nicht unbedingt fortschrittlicher, aber freundlicher Mensch. Wird er auch eine andere Theologiepolitik einleiten?
Zum zweiten: Der Reformwille und die positive Kraft von Papst Franziskus sind unbestritten; er ist dabei, die Atmosphäre der Kirche tiefgreifend zum Guten zu wenden. Sind aber seine kirchlichen Ansichten in Sachen Frauen, Homosexualität oder Ökumene wirklich innovativ? Hat er die offenen Probleme in Sachen Ehe und Sexualität wirklich befriedigend gelöst oder blieb er nicht auf halber Strecke stehen. Angesichts noch offener Fragen blieben wir alle Hoffende, denn auch ein Papst kann nicht alles in einem Atemzug lösen. So war es wichtig, ihn gegenüber seinen Gegnern im Vatikan und unter den Bischöfen zu unterstützen.
I. Ein unerwarteter Brief
Das wird sich auch jetzt nicht ändern, doch zieht mehr Nüchternheit ein, denn am 30.05.2018 schrieb Ladaria im Osservatore Romano einen unerwarteten Grundsatzartikel zum Verbot der Frauenordination. Dieser hätte auch als offizielles Schreiben seiner Kongregation erscheinen können, denn in erster Linie beschäftigt er sich mit dem unfehlbaren Lehramt von Papst und Bischöfen, das unfehlbar gesprochen habe. Mit hoher Wahrscheinlichkeit geschah diese Klärung mit Wissen und Billigung des Papstes.
Zum ersten Mal sieht sich Franziskus gezwungen, eine klare Grenze ziehen zu lassen. Die Argumentation des Beitrags ist ziemlich einfach: Johannes Paul II. hat Frauenordinationen endgültig für unerlaubt und ungültig erklärt (16.10.1976). Benedikt XVI. (22.05.1994) und Papst Franziskus (01.11.2016) haben diesen Standpunkt bestätigt. Diese Erklärungen haben aber keine neue Rechtslage geschaffen, sondern die bestehende nur dargelegt. Denn die katholischen Bischöfe der Welt haben diese Lehre und Praxis über lange Zeiträume hin eindeutig, einmütig und als streng verpflichtend vertreten. Gemäß einer Bestimmung des 2. Vatikanum (LG 25) wurde sie dadurch zur unfehlbar gültigen Regel.
Innerhalb der römisch-katholischen Reformszene erregt diese Entscheidung viele Gemüter. Haben wir bislang vergebens gekämpft, seit gut 50 Jahren argumentiert, geworben, Gesprächsbereitschaft angeboten und geweihte Priesterinnen und Bischöfinnen entdeckt? Sollen die breit gestreuten Fächer von biblischen, historischen und genderorientierten Argumenten nutzlos gewesen sein? Warum bleiben Päpste, Kurie und Bischöfe unbelehrbar?
Vielleicht haben wir Folgendes übersehen: Nach offizieller, theologisch bis ins Detail durchorganisierter Lehre mit kirchlichem Verfassungsrang haben die Gegner einer Frauenordination recht. Immerhin hat 1870 ein Konzil die Unfehlbarkeitslehre feierlich zum Dogma erhoben und 1965 ein zweites Konzil auf den weltweiten bischöflichen Konsens ausgeweitet. Und machen wir uns nichts vor: Genau dies ist auch die Position von Papst Franziskus. Ladaria hat diese Zusammenhänge jetzt unmissverständlich klar gemacht. Er kann als ein ausgewogener Interpret des offiziellen Sachstandes gelten.
Wie sollen Reformgruppen damit umgehen? Bislang galt die Generalregel: Kritik und Forderungen offen, aber freundlich vortragen, den Gesprächsfaden mit den Bischöfen aber nicht abreißen lassen und die Konfrontation nie überziehen. Oft war es schwierig, das rechte Maß zwischen angemessenem Widerstand und korrumpierenden Zugeständnissen zu finden. Unter Franziskus hatte sich dieses Problem entschärft, denn in vielen Hoffnungen wusste und weiß man sich ihm verbunden. Aber zunehmend war auch zu spüren: Es reicht nicht, sich begeistert und kritiklos auf seine Seite zu stellen; schließlich liegt uns an sachorientierten Debatten. Als ehemaliger Jesuit kann er päpstliche Alleinstellungsmerkmale nicht einfach über Bord werfen. Doch was viele schon lange befürchteten, tritt nun ein. Jetzt wird eine Bruchlinie sichtbar. Der menschenfreundliche und solidarische Seelsorger sieht sich mit dem Kernbestand, der eisernen Ration seiner eigenen römisch-katholischen Kernüberzeugungen konfrontiert; zu ihr gehört nun mal das Unfehlbarkeitsdogma. Dieses ist aber nicht aus Barmherzigkeit gewachsen, sondern aus vom Geist juristischer Härte geprägt, mit allen Wassern antimodernistischer und antiprotestantischer Rechthaberei gewaschen. Sie ist ein Kind des 19. Jahrhunderts.
Hier zeigt sich eine Grenze, die man bislang nur vermuten konnte. Die Spiritualität eines menschennahen Franziskus und das Aufgabenpaket eines obersten Glaubenshüters können nicht zusammenkommen. Das war schon im Schreiben Amoris Laetitia (19.03.2016) zu beobachten. Es hält ‑ im Grunde schriftwidrig ‑ an einer absoluten, juristisch durchformulierten Unauflöslichkeit der Ehe fest, drückt sich um ein angemessenes Urteil zur Homosexualität und lobt noch immer die Enzyklika Humanae Vitae, die jede künstliche Geburtenregelung verbietet. Jetzt wird der Grund dieser Selbstbeschränkungen klar; er weiß sich dem Unfehlbarkeitsdogma verpflichtet.
Dass dieser Findling einer überholten Mentalität noch uneingeschränkt als offizielle katholische Lehre zu gelten hat, ist nicht dem Unglücksboten vorzuwerfen. Versagt haben eher seine Kollegen. Nach Vorversuchen, die man nicht hören wollte, schob Hans Küng 1970 die Unfehlbarkeitsdebatte öffentlichkeitswirksam lauter an. Er schrieb Unfehlbar? Eine Anfrage. K. Rahner hielt das Buch für eine „tödliche Bedrohung“ und beschimpfte Küng als einen „liberalen Protestanten“. Auch K. Lehmann, W. Kasper u.a. ließen ihn im Regen stehen und verhinderten so einen Meinungsumschwung, der zu Konsequenzen hätte führen können. Schließlich war auch die Reformszene gespalten und ging der Frage aus dem Weg. Man konzentrierte sich auf konkrete Sachargumente, ließ dieses Streitthema zu einem Familiengeheimnis verkommen, über das man lieber nicht redete, obwohl es immer präsent war.
Jetzt erweist es sich als die Achillesverse eines zentralen Reformprojekts, denn seit Ladarias verständlicher Intervention haben wir den Papst nicht mehr wie selbstverständlich auf unserer Seite und nüchtern besehen hat er recht. Denn nach allen uns zur Verfügung stehenden Regeln des herrschenden Systems bleibt uns keine andere Möglichkeit: die Ordination von Frauen bleibt für alle Zeiten nicht nur ungültig, sondern auch unwirksam. Wer diese Folgerung ablehnt, wird sozusagen zum Verfassungsfeind, weil er nicht nur eine Detailfrage, sondern ganz grundsätzlich die Autorität des katholischen Lehramts leugnet. So gesehen bleiben wie bei jedem absolutistischen System nur noch Unterwerfung oder Widerstand.
II. Sieben Bedenken
Allerdings gibt es auch eine Kehrseite. Wer den totalen Anspruch des Unfehlbarkeitsdogmas einmal erkannt hat, wird auch die ganze Absurdität und den hochautoritären Charakter dieser Art von Wahrheit erkennen. Ich streife hier nur einige Gesichtspunkte heraus.
2.1 Nachdenken und Nachfragen verboten
Unfehlbare Sätze schwirren nicht wie isolierte Fremdkörper durch die Kirchenluft, sondern sind in ein absolutistisches Gesellschafts- und Kirchenmodell eingebettet. Gemäß der Festlegung von 1870 ist der Papst für alle Zeiten oberster Herr(scher), Gesetzgeber und Richter seiner Kirche in einem. Gegen seine letztgütigen Urteile ist kein Einspruch mehr möglich; in Fragen des Glaubens und der Sitte sind sie also für alle Zeiten unfehlbar wahr (infallibel) bzw. richtig (irreformabel). Wer sich daran einen Zweifel erlaubt, muss deshalb wissen: Solche Letzturteile sind von vornherein, also aus sich heraus (ex sese) wahr oder richtig. Weder der Konsens der Kirche noch irgendwelche Begründungen spielen dabei eine Rolle. Deshalb verbietet sich jede konkrete (biblische, historische, anthropologische oder empirische) Rückfrage; der unfehlbare Rechtsspruch hat sie schon vom Tisch gewischt, bevor sie überhaupt gestellt werden. Die Apostolin Junia[s] etwa (vgl. Röm 16,7) kann keine Frau gewesen sein und eine mittelalterliche Äbtissin kann nie ordiniert worden sein. Deshalb wird sich jeder unfehlbar glaubende Bischof davor hüten, sich von empirischen Fakten irritieren zu lassen; er schwebt in einem Wahrheitsgehäuse, das prinzipiell über unseren kleinen Fragen steht. Ein gutes Beispiel dafür ist die immer noch gängige, von aller Forschung unbeleckte Behauptung, Jesus Christus habe die sieben Sakramente eingesetzt. In allen Kernfragen des Glaubens müssen wir ‑ prinzipiell, nicht nur faktisch ‑ auf taube Ohren stoßen.
2.2 Undemokratische Veranstaltung
Im Gegensatz dazu hat sich an der Basis ein gemeinschaftlich geprägtes Kirchenbild durchgesetzt. Das 2. Vatikanum spricht von einem Gottesvolk von Frauen und Männern, das sich von unten her aufbaut, weshalb die Gesamtheit der Gläubigen nicht irren kann (LG 12). Aber zu dieser Gesamtheit gehören auch die Bischöfe und die „Leitung des heiligen Lehramtes“. Ihre Aussagen sind es also, die die Unfehlbarkeit dokumentieren. Nach wie vor gilt ein Kirchenbild, das streng von oben nach unten agiert. Offiziell wurde der Konflikt zwischen den beiden Kirchenbildern auch auf dem Konzil nicht ausgetragen. So kann es nicht wundern: Nach offiziell römischer Version bleiben alle Vorstellungen vom Gottesvolk streng der hierarchischen Lehre unterstellt. Mit dem Gottesvolk zu argumentieren, hat deshalb keinen Sinn. Für diese Kontinuität der Bevormundung haben Johannes Paul II. und Benedikt XVI. hart gekämpft, und diese Grundhaltung erklärt, warum die Bischöfe uns ständig belehren, statt mit uns zu reden, und der Meinung sind, unsere Gesellschaft sei auf ihre Weisungen angewiesen. Diese Haltung verbirgt sich hinter der Kirche als „Mutter und Lehrerin“, wie es neuerdings maternalistisch wieder heißt.
2.3 Stilisierte Traditionen
Traditionen, also klar abgrenzbare Überlieferungen, sind keine objektiven Erscheinungen, sondern werden konstruiert. Der Unfehlbarkeitsglaube schöpft seine Inhalte stark aus ihm wichtigen Traditionskonstrukten und unterdrückt andere, die ihn stören. Dies führt zu vielfachen Täuschungen und Fehlinterpretationen. Warum etwa gehören zu den normativen Traditionen die lückenlose apostolische Nachfolge der Apostel bis heute (die historisch widerlegt ist) oder eine Einsetzung der Priesterweihe durch Christus (von der das Neue Testament nichts weiß), nicht aber das uralte Amt der Gemeindeleitung durch Frauen oder die nur „mystische“ Gegenwart Christi in der Eucharistie, wie sie im 1. Jahrtausend galt? Warum sieht man nicht, dass gemäß LG 25 (s.o.) auch die Hexenverfolgung von Frauen, die Kreuzzüge und ein autokratisch agierender Kaiser ebenso zur unfehlbaren Tradition gehören müssten wie die Todesstrafe oder das Verbot, körperlich behinderte Menschen zum Priestertum zuzulassen? Dies erklärt, warum ‑ trotz gegenteiliger Beteuerung ‑ Vernunft, Menschen- und Freiheitsrechte im katholischen Glaubensalltag immer noch einen schweren Stand haben.
2.4 Rechthaberei
Notwendigerweise führt dieser instrumentalisierte Traditionsbegriff zum Transporteur von Ideologien und von kontextuell vorgegebenen Verblendungen. So führt die Androzentrik der vergangenen 2000 Jahre etwa zur vielfachen Diskriminierung von Frauen ‑ und das verwundert nicht. In der Tat, wer sich an unfehlbar wahre Aussagen im besprochenen Sinn bindet, muss auch in den Traditionen jeden Wandel für unmöglich halten. Akzeptabel ist in der Geschichte höchstens die weitere Entfaltung von immer schon gültigen Inhalten. Langfristig bedeutet dies eine unerträgliche Rechthaberei, den Tod aller Neuerungen und die apokalyptische Versteinerung aller Glaubensdynamik.
2.5 Absolutistisches Konstrukt
Das Unfehlbarkeitsdogma mit seinen katastrophalen Folgen konnte sich nur im Rahmen des westlichen Kirchenbildes entwickeln, das seit dem 11. Jahrhundert zutiefst verrechtlicht und juridischen Leitkategorien unterworfen wurde. Primär kümmert sich das Unfehlbarkeitsdogma ja nicht um die Wahrheit des Wahren, sondern um dessen juridische Geltung. Deshalb lautet seine Grundregel: Endgültige Urteile bleiben endgültig und nur das rechtsprechende Gericht darf seine Rechtssätze bindend interpretieren. Dies erklärt, warum diese höchst autoritäre Satzunfehlbarkeit zum Musterbeispiel einer undialektisch autoritären, rationalistisch verengten Aufklärung und zur Feindin eines eigenständigen Denkens werden konnte. Immer noch ist der menschenliebende, aber absolutistische Fürst das Ideal, das viele in Papst Franziskus wiedererkennen.
2.6 Tiefsinnige Verklärung
H. Küng hat 1970 dieses erschreckend simple Modell aufgegriffen und entlarvt. Doch die meisten seiner Kollegen stellten dieser „tödlichen Bedrohung“ sehr tiefsinnige und hermeneutisch höchst anspruchsvolle Wahrheitsmodelle gegenüber. Man mag sie respektieren, aber sie haben mit dem offiziellen Unfehlbarkeitsdogma nur wenig zu tun. Umso bereitwilliger begünstigen sie eine weitere Ideologisierung des machtgeleiteten Unfehlbarkeitsglaubens, als sei die Wahrheit der römisch-katholischen Kirche wichtiger als anderen Kirchen und Wahrheitssuchern. Heute löffeln wir die Suppe diese Fehlentwicklung aus.
2.7 Unfehlbarkeit als Aura
Das 2. Vatikanische Konzil hat das ehemals antiprotestantische, antimoderne und rechtlich ausgedorrte Kirchenbild überwunden. Das war gut so. Doch kam dadurch das Unfehlbarkeitsdogma als Mutter aller Dogmen nicht zu Fall. Denn in massiver Weise setzten die beiden Vorgängerpäpste das den Evangelien fremde Bild einer Kirche durch, die auf das Sakrament fixiert ist. Darauf deuten auch der Beginn und das Ende des Ladaria-Textes hin, die von der sakramentalen Verbundenheit Christi und der Kirche reden. Dieses Bild umgab das Unfehlbarkeitsdenken mit einem quasi göttlichen, geradezu mystischen Schleier. Nicht mehr der einzelne unfehlbare Satz zählte und nicht mehr die Frage, ob und wie die formalen Kriterien einer rechtswirksamen Definition wirklich erfüllt sind. Jetzt siegte die Aura einer von letztem Wahrheitsglanz durchhauchten Institution, die sich vom Hl. Geist getragen weiß. Ins Zentrum rückte die Verehrung eines Papstes, der in unbeschädigter Autorität als Knotenpunkt aller Wahrheitssuche und Weltorientierung gilt. Johannes Paul II. brachte es fertig, sich und seine schwere Krankheit mit Christus am Kreuz zu vergleichen. Dieser Irrweg ist ein Grund mehr, um die unseligen Folgen dieses Unfehlbarkeitsmythos in den Blick zu nehmen und heute streng zwischen einer undifferenzierten Verehrung des Papstes und der sachlich differenzierenden Begleitung seiner Kirchenleitung zu unterscheiden.
III. Eine fragwürdige Konstruktion
Die Geschichte hat seit 1870 das Unfehlbarkeitsdogma als einen königlichen Weg kirchlicher Selbstbestätigung entlarvt. Wer seinem unterschwelligen Narzissmus auf die Spur gekommen ist, wundert sich nicht mehr über seine vielfach brüchigen Begründungen. Da gibt es eine klassische Liste von hochoffiziellen päpstlichen Irrtümern, die auch 1870 von den Kritikern ohne Erfolg vorgetragen wurde. Auch widersprechen ernste Indizien der Autorität des 1. Vatikanum, das die Unfehlbarkeit dogmatisierte. Dieses Konzil war (wie alle Konzilien des 2. Jahrtausends) nicht ökumenisch, repräsentierte nicht einmal hinreichend die römisch-katholische Kirche. Seine Teilnehmer waren in ihren Meinungsäußerungen nicht frei und die führende Konzilslogik verfing sich in einem fragwürdigen Zirkel. Man erklärte sich für unfehlbar, um in dieser vorweggenommenen Vollmacht die eine Unfehlbarkeit festzustellen.
Zudem wurde der Begriff des Lehramts zu diesem Zweck manipuliert. Die große, im Mittelalter begründete Tradition ging von der unverzichtbaren Doppelstruktur eines pastoralen (= bischöflichen) und eines magistralen (= theologischen) Lehramts aus. 1863, also sieben Jahre vor dem Konzil, war in einem ersten, gegen deutsche Theologen (insbesondere gegen Ignaz Döllinger) gerichteten Dokument plötzlich die Rede von dem einen, im Grund monopolistischen Ordentlichen Lehramt der Kirche, dem sich die Theologie in striktem Gehorsam unterzuordnen habe. Initiator dieses Handstreichs war der Jesuit Josef Kleutgen (1811-1883). Jetzt gilt der Glaubensgehorsam nicht nur den (von Konzilien verabschiedeten) Dogmen der klassischen Glaubenslehre, sondern auch päpstlichen Äußerungen und kurialen Dekreten, die bis heute in immer größerer Zahl produziert werden. Die Grundlage für eine Monokratie, die sich geistlich legitimiert, ist vorbereitet und wird konsequent in die Tat umgesetzt.
Wie wir seit gut vier Jahren wissen, war dieser Manipulator des „Lehramts“ und Hauptverfasser der offiziellen Unfehlbarkeitsbulle nicht einfach ein hochintelligenter Theologe, sondern zugleich ein fragwürdiger, unter Pseudonym auftretender Nonnenspiritual, der einer sexbesessenen Nonne und Novizenmeisterin verfiel (oder war er der Sexbesessene, der sich die Nonne gefügig machte?), deren Liebhaber und Bettgenosse, der später seine Verfehlungen spirituell-mystisch zu rechtfertigen suchte. Immerhin wurde er offiziell zu einer Haft von drei Jahren verurteilt, die der Papst wegen seiner theologisch hochpolitischen Dienstleistungen auf zwei Jahren reduzierte. Die Haftgründe waren: formale Häresie. Dazu gehörten die Verehrung einer falschen Heiligen (= besagter Nonne; auch so kann man Missbrauch umschreiben), Verführung im Beichtstuhl, Bruch des Beichtgeheimnisses, Glaube an angebliche Briefe der Gottesmutter, die man oft morgens (in fehlerhaftem Französisch) in einem Holzkästchen finden konnte. Zudem musste er Mitwisser von mehreren Mordplänen gewesen sein. Die Abgründe, die sich da auftun, sind einfach ungeheuerlich und werfen ein Licht auf eine geradezu perverse, theologisch unerträgliche Atmosphäre im damaligen Rom (H. Wolf, die Nonnen von Sant’Ambrogio; H. Küng, Sieben Päpste, 346-367). Ruchlosigkeit ist die Schwester einer jeden Monokratie.
Schluss: Archaische Fehlleistung
Spätestens der Brief von Ladaria zeigt: Wir dürfen und wir können nicht mehr widerspruchslos den Un- und Widersinn eines solchen Modells hinnehmen, das alle Kernthemen des Glaubens blockiert. Das totalitär ausgebildete Unfehlbarkeitsdogma lässt keine Verhandlungen und Kompromisse zu. Doch sollte auch klar sein, dass die Abkehr von diesem Modell eine Umkehr von höchster Tragweite verlangt. Aus offizieller Perspektive geht es um die Identität des römisch-katholischen Glaubens. Lange Zeit konnte man hoffen und hofften wohl die Reformbewegungen, der Bann des Unfehlbaren werde sich irgendwann in Stille verflüchtigen. Jetzt, da er von Rom wieder belebt wird, ist unverzüglicher und schärfster Widerstand angesagt. Dies schulden wir nicht nur der Würde der Frauen und der Zukunft der Ökumene, sondern auch einer neuen Hochachtung vor der Schrift sowie dem Dialog mit Kulturen und den tiefgreifenden kulturellen Wandlungen. Eine christliche Gemeinschaft, die den zentralen Bestand ihrer Lehraussagen an der Wende zum neuen Jahrtausend noch irreformabel nennt, hat den Titel einer Kirche nicht verdient und ein Kampf um innere Erneuerung ist sinnlos, wenn er diese Generalblockade nicht ständig im Blick hat, die allen Einzelblockaden vorausgeht. Deshalb muss die Unfehlbarkeitskritik zum ceterum censeo aller Reformbemühungen werden. Wir müssen Wege suchen, um Papst Franziskus auf dieses Fundamentalproblem hinzuweisen.
Angesichts der Unfehlbarkeitsproblematik wirkt in Sachen Frauenordination das Argument vom Mann Jesus geradezu nebensächlich und naiv. Man kann es kaum glauben, dass hochreflektierten Theologen es immer wieder vortragen. Auch sie wissen doch, dass Christus gemäß Glaubensbekenntnis Mensch wurde. Doch instinktiv mögen sie auf den archaischen Sog dieses Arguments rechnen; die Eucharistie soll uns Jesus möglichst nahebringen. Allerdings überzeugt diese Assoziation nur solche Gemüter, die in der Messe noch immer ein magisches Event erblicken.
Vergessen wir das; dieses Stützargument möge gelassen auf sich beruhen. Zu denken gab mir jedoch folgende Irritation. Zur schnellen Orientierung schickte ich den italienischen Artikel von Ladaria in die nächstbeste Übersetzungsmaschine. Und was konnte ich da lesen? „Christus wollte das Sakrament den zwölf Aposteln, alles Menschen, geben, die es wiederum anderen Menschen mitteilten.“ Das nenne ich eine herausragende Fehlleistung, vielleicht bringt uns ein Computerprogramm dort weiter, wo Menschen durch uralte Vorurteile noch immer blockiert sind. Wie wäre es, wenn die römische Kurie eine Kongregation zur theologischen Erkundung Künstlicher Intelligenzleistungen errichten würde? Kardinal Müller erhielte so ein neues Betätigungsfeld. (03.06.2018)
Postscriptum: Geklärte Fronten?
Noch keine 24 Stunden ist diese Stellungnahme veröffentlicht und schon wird sie durch eine weitere vatikanische, vom Papst gebilligte Entscheidung bestätigt. Erzbischof Ladaria, der freundliche Glaubenspräfekt, hat den Mehrheitsentscheid der Deutschen Bischofskonferenz zur gemeinsamen Kommunion von konfessionsverbundenen Ehepartnern abgelehnt. Das einschlägige Dokument ist, wie es heißt, noch nicht für die Veröffentlichung reif. Ladarias Schreiben wurde am 25. Mai, also vier Tage vor seiner Unfehlbarkeitsexhorte zum Verbot der Frauenordination ausgefertigt. Offensichtlich sind es die Tage der großen Kapitulation eines Papstes, der zwar gutmütig, klug und vielleicht ein geschickter Machtpolitiker ist, aber die bodenlose Unbarmherzigkeit und gnadenlose Härte des römischen Glaubenssystems noch nicht hinreichend durchschaut hat.
Das gilt auch für viele Mitstreiterinnen und Mistreiter aus der Reformszene. Auch sie meinen noch immer, der aus Beton gegossene, von Feindschaft gegen Protestantismus, Moderne und neuzeitliche Naturwissenschaften durchsetzte, endlos rechthaberische Unfehlbarkeitskomplex lasse sich überwinden, indem man ihn verdrängt, wie es eine ganze Generation von Theologen getan hat. Jetzt hat sich der Papst gleich zweimal diesem Diskurs gebeugt, der kompromisslos alle Reformen zerstört, solange er nicht selbst mit Stumpf und Stiel ausgerottet ist. So muss der Kampf, vielleicht nach vielen Jahren der Selbsttäuschung, mit mehr Klarheit von vorne beginnen, dieses Mal hoffentlich mit offenem Visier. (04.06.2018)
Vgl. dazu auf dieser Website meine Beiträge:
Der Stellvertreterkrieg von Kardinal Woelki, und:
Wie friedensfähig ist die katholische Ökumene?