„Wir schweigen nicht länger“, Rückblick einer Zeitzeugin

Wahrscheinlich lebt jede vitale religiöse Gemeinschaft aus archaischen Erinnerungen. Das gilt auch für die römisch-katholische Kirche und es scheint so, als hätten sie in den vergangenen 50 Jahren wieder an Bedeutung gewonnen. Zu diesen Archaismen gehören die untergeordnete Stellung von Frauen und ihr Zugangsverbot zu den „geweihten“ Ämtern von Diakonat, Priestertum und Bischofswürde. In traditional vormoderner Perspektive ergibt sie sich notwendig aus dem patriarchal orientierten Menschenbild, das die katholische Theologie in der Spätantike, um Mittelalter und selbst noch in der Neuzeit gepflegt hat. Doch aus modern menschenrechtlicher Sicht ist diese Blockade ein höchstrangiger Skandal, für die Vernunft geradezu absurd. Im westlichen Kulturkreis stellt sie kirchlich engagierte Frauen vor massive Loyalitätsprobleme.

Dabei wird oft vergessen: Nicht erst seit der Jahrtausendwende, sondern seit dem 2. Vatikanischen Konzil (1962-65), also mehr als 50 Jahren kämpfen Frauen für den Zugang zu den ordinierten Ämtern. Sie melden sich zu Wort und reichen Eingaben an das Konzil ein (Gertrud Heinzelmann, Josefa Th. Münch, Ida Raming, Iris Müller). Ida Raming, eine Frau der ersten Stunde und eine der  letzten Zeuginnen dieses Beginns, dokumentiert die Geschichte dieses Kampfes. Wie es einer juristisch geschulten Person gebührt, tut sie es mit klaren Worten und in gebotener Sachlichkeit, ohne ihre eigene Meinung zu verstecken. Sie schildert die Ambivalenz des Konzils, das für die Gleichheit aller Menschen plädierte, das Priestertum der Frau aber ablehnte. Die wenigen positiven Passagen aus den Konzilsdokumenten und Redebeiträgen werden ebenso herausgearbeitet, wie die diskriminierende Missachtung, die den anwesenden Frauen entgegenschlug. Auf die die ersten Verlautbarungen und Petitionen  folgten teils bitterböse Reaktionen der Lehramtsvertreter, denen allmählich aber nationale Bewegungen zur Frauenordination folgten. In den 90er Jahren vernetzten sie sich international. Eine wichtige Rolle spielt dabei das 1996 gegründete internationale Netzwerk Womens Ordination Worldwide (WOW).

Zu dieser Entwicklung kam es, obwohl (oder gerade weil) sich die Päpste in aller Form gegen die Ordination von Frauen wehrten. Bekannt ist die zur Standardformel gewordene, aber für alle kulturellen Kontexte blinde Aussage, die Kirche sehe sich zur Ordination von Frauen nicht bevollmächtigt. Sie geht auf Paul VI. (Inter Insigniores, 1976) zurück, wurde von Johannes Paul II. (Ordinatio Sacerdotalis, 1994) übernommen und ‑ später von Benedikt XVI. unterstützt ‑  zur quasi unfehlbaren Aussage erklärt. Doch Frauen schufen Anti-Fakten. Sie erinnerten an die Frauenordinationen im Rahmen der Verborgenen Kirche in der Slowakei und setzten durch die Ordination von sieben Frauen auf einem Donauschiff (2002) neue Maßstäbe. Inzwischen gibt es mehr als 250 Priesterinnen, darunter einige Bischöfinnen, unter denen die südafrikanische, lange in Deutschland lebende Bischöfin Patricia Fresen eine wichtige Rolle einnimmt. Die Akzeptanz unter Theolog*innen und die begeisterte Zustimmung im Gottesvolk ziehen immer weitere Kreise.

Ida Raming hat mit dieser Dokumentation einen unverzichtbaren Beitrag zur Geschichte und theologischen Aufarbeitung der Frauenordination geleistet. Es ist zu hoffen, dass weitere Dokumentationen zur theologischen, anthropologischen und kontextuellen Aufarbeitung folgen, denn wie in einem Brennglas lässt sich an diesem spannenden Kampf zeigen, wie komplex und oft widersprüchlich, aber auch wie unbesiegbar die Erneuerung der römisch-katholischen Kirche vorangeht, weil sie von unten her befeuert und vorangetrieben wird. Eine umfassende Literaturliste schließt dieses spannend zu lesende Buch ab; für alle Interessierten ist es ein unverzichtbarer, weil unbedingt korrekter und authentischer Meilenstein emanzipatorischer Erinnerung.

04.01.2019, Hermann Häring

Ida Raming, 55 Jahre Kampf für Frauenordination in der katholischen Kirche, LIT Verlag, Berlin 2018, 128 S., ISBN 978-3-643-14031-9 (br.)
ISBN 978-3-643-3431-3 (PDF)

Letzte Änderung: 16. Januar 2020