Was kommt nach Kardinal Müller?

Erwarten uns dunkle oder goldene Tage? Kardinal George Pell ist vorerst abgereist, Kardinal Gerhard Müller bleibt ohne Amtsverlängerung mit Schwert und Feuereifer in der Arena zurück und Kardinal Joachim Meisner, der sein Kölner Amt 1989 unter Beugung des Wahlrechts antrat, ist unerwartet verstorben. Dies alles geschieht in einer Phase, da die Presse voll ist von Verschwörungsvermutungen über das Streitgetümmel im Vatikan, von römisch-katholischen Reformgruppen mit Zukunftsphantasien und bangen Hoffnungen begleitet. Alle fragen sich, wie es weitergeht. Doch nicht wer Müller nachfolgt, ist interessant, vielmehr interessiert uns die Frage, was sich ändern wird.

Erleichterung über die Ernennung des Jesuiten Luis Ladaria Ferrer zum neuen Präfekten der Glaubenskongregation spüre ich noch nicht. Er sei „mäßig konservativ“, können wir lesen, aber sehr freundlich. Das sind noch nichtssagende Aussagen, mehr aus Verlegenheit denn aus Kenntnis geboren. Wie wird er mit der Schrift umgehen? Zollt er ihr endlich den gebührenden Respekt? Nimmt er die Geschichte von Kirche und Theologie ernst? Bereitet er der sprichwörtlichen Rechthaberei seiner Behörde ein Ende? In Rom brauchen wir endlich einen Moderator der Glaubensregeln, der den „Weltgeist“ nicht mehr verteufelt, etwas vom Protestantismus versteht und angemessen mit den nichtchristlichen Religionen umzugehen weiß. Endlich muss jemand dem Papst über die traditionell-theologischen Hürden helfen, die ihn immer noch hemmen. Ausgerechnet jetzt hat sich Kardinal Müller angeboten, als Moderator zwischen dem Papst und seinen Kritikern im Kardinalsamt zu vermitteln; seine Kompetenzen überschätzt er nach wie vor.

Natürlich ist aus vatikanischer Sicht das Amt des Glaubenspräfekten von höchstem Einfluss. Umso wichtiger ist es, dass endlich ein Gleichgewicht von oben und unten entsteht. Reformorientierte Christen müssen sich ihre Urteile zunächst aus ihren eigenen biblischen und spirituellen Quellen sowie in einem verantwortlichen Umgang mit der zivilen Gesellschaft bilden. Nur vor Ort weiß man, was einer Gemeinde gut tut.

So sollten wir unsere Fixierungen auf die Hierarchie aufgeben, nachdem diese 50 Jahre lang nicht den Pflichten nachgekommen ist, die sich aus einer guten und geschwisterlichen, ökumenisch abwägenden und säkular überzeugenden Amtsführung ergeben. Das mag zu Konflikten führen, aber es darf diesen Kirchenleitern nicht mehr erlaubt sein, die Gemeinschaft der Glaubenden noch länger in Geiselhaft zu nehmen. Nach aller Erfahrung ändern die Hierarchen ihre ideologischen Verquetschungen nicht, solange das Volk ihnen – trotz aller Proteste – untertänig folgt. Nicht der Gehorsam zählt, sondern der prophetische Geist, von dem uns die Schriften berichten.

Vor wenigen Wochen erschien das letzte Buch von Kardinal Müller über Sendung und Auftrag des Papstes. Ich habe es mir genau angeschaut (vgl. Querblick 34, 27-29). Nach meinem Verständnis erhebt es sich nicht über den Papst, aber theologisch ist es, wie mir scheint, schlicht unerträglich, ein Produkt von großer Weltangst und verhärteten Verfolgungsobsessionen. In gewissem Sinn ist es allerdings ehrlicher als viele „liberale“ Theologen, die sich weltoffen und barmherzig geben, es aber nicht wagen, dem unbarmherzigen Kirchensystem zu widersprechen. Gegenwärtig sind unser größtes Problem nicht die Hardliner, sondern die Freundlichen, die in hermeneutischer Biegsamkeit alles so hin- und herinterpretieren, wie es dem System gerade nützt. Grund für diesen Missstand ist eine scheinkatholische Basisdoktrin, die sich seit den 1980er Jahren durchsetzte, vieles zementierte, manches aufpolierte, aber nichts bewegte. Sie arrangierte sich mit Johannes Paul II. und später mit Benedikt XVI., oft zwar murrend, nie aber den Lehrauftrag riskierend. Da braucht man sich nicht zu wundern, wenn die gesellschaftliche Relevanz der Kirchentümer dramatisch zerfällt. Manch einer unserer aufrechten Seelsorger aus Konzilszeiten würde sich über die gegenwärtigen Zustände noch im Grabe umdrehen, wenn er davon erführe. Aber das nützt uns nichts mehr. Deshalb gilt der kluge Spruch von Josef Vital Kopp, den ich in der Todesanzeige eines Schweizer Theologen gelesen habe: „Man muss sich umdrehen, bevor man im Grabe ist“.

Was also kommt in unseren Gemeinden nach den Kardinälen Pell, Müller und Meisner? Das hängt in erster Linie von uns ab, nicht vom neuen Glaubenschef Ladaria Ferrer, nicht einmal von Papst Franziskus. Jetzt kommt es auf unser Verhalten an: „Vertraue so auf Gott, als ob alles von dir selbst abhinge“, soll Ignatius von Loyola einmal klug bemerkt haben. Ja, die Zukunft der Kirchen hängt von uns, nicht von unseren Bischöfen ab.

Letzte Änderung: 21. September 2017