Nach dem großen Erfolg der ersten Auflage (2017) hat R. Ropers seine Porträtsammlung um über 20 Darstellungen erweitert. Neben Mystikern spricht der neue Titel auch von den „Weisen“ unserer Zeit. Gerade die neuen Profile zeigen, wie wenig sich Mystik in außerordentlichen Erfahrungen erschöpft. Sie sind immer mit lebensfördernden Einsichten und außerordentlichen Begabungen verbunden. So liest man von der internationalen Versöhnungskraft der Dirigenten D. Barenboims und der Interpretationskunst von Y. Menuhin, von der politischen Weitsicht des tschechischen Intellektuellen Th. Halík und der genialen Erziehungskunst von M. Montessori. Die junge, in Auschwitz ermordete Jüdin E. Hillesum hinterließ ein bewegendes Tagebuch, das von ihrem Lebensweg berichtet, und der in seiner Ausdruckskraft ungestüme Konstantin Wecker spricht ganz unerwartet vom Unzerstörbaren in sich und vom Licht, das die Seele überflutet. Die bayrische Nonne Gertrud Link beherrscht asiatische Sprachen und lernte nordkoreanische Gefängnisse, Tod und tiefste Erniedrigung kennen, bevor sie zur international geachteten Generaloberin wurde. Die weitherzige Spiritualität des Mailänder Kardinals C.M. Martini, der 2005 leider auf eine Papstkandidatur verzichtete, überragte die Denkprodukte von J. Ratzinger um ein weites. Eine indische Spiritualität löst bei christlichen Denkern oft innere Erfahrungen aus, die unsere westlichen Horizonte überschreiten.
Was ist es, das Weisheit und Mystik so eng zueinander führt? In ihrer Achtsamkeit nehmen beide die Wirklichkeit von Mensch und Natur überdurchschnittlich intensiv wahr. So erschließen sie Tiefenschichten, an denen aber andere teilnehmen können. Oft lösen religiöse Tiefenbegegnungen einen inneren Wandel aus. Es klärt sich der Blick auf den Alltag und die Sprache entdeckt unerwartete Zusammenhänge, gleich ob der Befreiungskämpfer E. Cardenal von Drahtverhauen und Gaskammern dichtet oder der Künstler und Philosoph W. Russel über ein neues Wissen vom Kosmos spricht. Die Welt der Weisen ist höchst vielfältig und stößt uns auf Welten, an denen unser beschleunigter Alltag hochmütig vorbeirauscht. Die 76 Miniaturen dieses Buches verschaffen innere Ruhe und zu diesen Welten einen leichten und höchst variablen Zugang, zumal die großen Figuren der ersten Auflage (Aurobindo, Dalai Lama, Panikkar und viele andere) noch immer zugänglich sind. Wer einen Appetit machenden Zugang zu dieser Welt unerwarteter Weisheit sucht, kann mit diesem Buch beginnen.
Besprechung von: Roland R. Ropers, Mystiker und Weise unserer Zeit, topos plus Kevelaer, 2019, am 02.09.2019, 10.22h auf Amazon gepostet