Schlange – Lügner – Widersacher der Menschheit

Zur vielfältigen Gestalt des Teufels in der christlichen Tradition

Der Teufel, von Philosophen längst ins Reich der Fabeln verbannt und von Theologen nur noch ungern besprochen, ist seit Jahren wieder im Schwange. Geheimzirkel und satanistische Bewegungen haben erneut auf ihn zurückgegriffen. Den Ton bestimmen Totenschädel und Gruselkabinette, Friedhöfe und Burgruinen, aber auch Sexismus und ritualisierte Perversion, Psychoterror und kriminelle Energie. Man fischt in trübsten Gewässern. Das Internet leistet selbstlos klingende Hilfestellungen, aber dahinter stecken oft kommerzielle Interessen[1]. Die vielfältigen Phänomene der Satansverehrung und Satansnachahmung sind allerdings schwer zu fassen. Den Satanismus an sich gibt es nicht. Insgesamt sollen organisierte Satanisten den Umfang von 5000 nicht überschreiten; der Begriff fasst eine Vielzahl von Vorstellungen, Praktiken und Kulten zusammen[2]. Doch scheint in den nur schwach organisierten Kreisen Westeuropas der Anteil von Heranwachsenden signifikant hoch zu sein[3]. Allerdings kennt der Satanismus auch harte Formen, deren kriminelles Potential ernst zu nehmen ist. Seit 1980 zählt man weltweit 20 Morde, die Blutbäder sogenannter Sekten nicht mitgerechnet[4]. Um dieses Phänomen des Satanismus soll es hier nicht gehen. Seine Erwähnung soll nur zeigen, dass die Figur des Satans auch heute noch eine hohe Faszination ausübt. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein. Man findet in ihm Elemente perverser Sexualität ebenso wie die eines pubertären Atheismus, faschistische Einschübe ebenso wie unverdaute apokalyptische Elemente, Reaktionen auf einen autokratischen Monotheismus ebenso wie die verqueren Machtansprüche verhinderter Diktatoren und Sadisten. Man wird zur Analyse des Phänomens Mentalitätshistoriker und Psychoanalytiker, Sozialanalytiker, vielleicht auch die Philosophen fragen müssen.

Aber warum ist der Satan so wichtig? Nicht nur Satanisten setzen sich mit ihm auseinander. Wie bekannt ist, greifen auch okkultistische Bewegungen gerne und tief in die Kiste alter magischer Praktiken und Vorstellungen. Die Lust, sich geheime Weltkräfte verfügbar zu machen, ist gewiss unausrottbar. Aber es gibt einen weiteren, sehr wichtigen und nachhaltigen Grund: Die christliche Tradition, in der der Gegensatz von Gut und Böse eine prägende Rolle spielt, hat gegenüber Dämonen, Teufeln und Satan nie zu einer eindeutigen Position gefunden. Bis in unsere Gegenwart hinein waren und sind sie die ungeliebten und doch unverzichtbaren Kinder des christlichen Glaubens. Diese Unentschiedenheit von Distanz und Unverzichtbarkeit spiegelt sich gut in einem Text des Katholischen Erwachsenenkatechismus (1985) wider, der im Anhang beigefügt ist[5]. Man lese nur diese Textstücke über Himmel, Engel und Dämonen.

I. Ein offizieller Text

Ich führe diese Texte nicht als Lieferanten interessanter Informationen über den Teufel und seine Trabanten ein, sondern als Symptome eines m.E. gespaltenen und seltsam unentschiedenen Bezugsrahmens, in den die katholische Kirche die Problematik des Teufels offiziell einbringt. Einerseits spricht der Text wiederholt von Verstehensschwierigkeiten und Missverständnissen, die das Reden von Teufeln und Dämonen umgibt. Andererseits verweist er auf eine unbestreitbare „menschliche Erfahrungswirklichkeit“. Wer zudem die theologische Bedeutung von „Himmel“ nicht versteht, wird in die Nähe des Materialismus gerückt. Zugegeben wird also, dass es sich um eine mythische Bildersprache handelt. Zugleich behauptet der Katechismus, diese Aussagen zu Teufel und Dämonen träfen die Situation des Menschen sehr genau. Aber die bezeichneten Realitäten selbst werden dann doch wieder mit dürren und abstrakten Worten umschrieben: „kosmische Dimension“, „Aufstand und Widerstand“, der Himmel sei „vorgängig zu unseren Entscheidungen verengt, verfinstert, verwirrt“. Geredet wird in sachlichen, nicht in personalen Kategorien: Es geht um „die Existenz des Üblen, des Bösen, Destruktiven, Perversen, Monströsen, Absurden und nicht zuletzt des Diabolischen“. Solche Hinweise lassen, wenn ich sie richtig deute, nicht auf eine personale Existenz oder Entität von Teufeln oder Dämonen schließen. Dennoch sagt dann der Text: „Es gibt den Teufel, den Vater der Lüge (vgl. Joh 8,44). Er ist der Versucher, der uns den Himmel vergällen und verstellen will.“ Genannt wird er „Herrscher dieser Welt, Gott dieser Weltzeit, Versucher“.

Wenn der Text später dann – ohne weitere Reflexion über Mythos und Realität – behauptet, die kirchliche Lehre liege „auf der Linie[?] des Schriftzeugnisses“, dann wird der Leser, der das alles genauer verstehen möchte, doch stutzig. Denn unbestreitbar werden die Schriftzeugnisse jetzt von der kirchlichen Lehre her ausgelegt, nicht umgekehrt. Diese Lehre votiert dann doch für die reale Existenz eines Teufels als eines geistigen und personalen Wesens. Der Text ist also weder in seinen Aussagen ausgeglichen noch in seiner Reflexion konsequent. Er zeigt vielmehr die tiefe Ambivalenz und Zwiespältigkeit der aktuellen kirchlichen Lehre.

Dafür gibt es einen Grund: In der christlichen Tradition kommen die teuflischen und dämonischen Gestalten von Anfang an nur in komplizierten Beziehungsgeflechten zur Geltung. Einerseits will man keinem mythischen „Teufelsglauben“ verfallen, andererseits das Böse nicht verharmlosen. Lange Zeit fiel es schwer, diese Schwebe des Ausdrucks nüchtern und argumentierend zur Kenntnis zu nehmen. Das zeigen die erregten Reaktionen, auf die H. Haag im Jahr 1969 mit seiner Meditation „Abschied vom Teufel“ stieß[6]. Ein damals bekannter Bischof soll gesagt haben: „Wer nicht an den Teufel glaubt, glaubt auch nicht an Gott.“ Wir damals junge katholische Theologinnen und Theologen, die wir gerade die Aufklärung entdeckt hatten, konnten auf diese simple Verkoppelung von Teufels- und Gottesglaube nur mit Unverständnis reagieren; ich tue es heute noch. Aber heute würde ich auch zugeben: In bestimmten Situationen kann die Rede vom Teufel höchst erhellend, im Rahmen unserer Kontexte und Sprachmöglichkeiten geradezu unverzichtbar sein. Über seine personale Existenz im neuzeitlichen Wortsinn ist damit noch nichts gesagt[7]. Umso wichtiger ist ein Blick auf die biblischen Wurzeln der christlichen Tradition.

II. Konstellationen in Schrift und Tradition

2.1. Teufel – von Gott domestiziert

Ohne angestammten Ort: Der Teufel und der Ursprung des Bösen

Man kann die biblischen Schriften aus religionswissenschaftlicher oder philosophischer, aus jüdischer, aus ausgesprochen christlicher oder aus manch anderer Perspektive interpretieren. Diese Perspektiven müssen einander nicht immer widersprechen; aber eine christliche Interpretation tut gut daran, religionswissenschaftliche und jüdische Perspektiven nicht unbesehen zu integrieren. Schwerpunkte und Zielaussagen können sich durchaus unterscheiden, auch wenn sie sich alle auf dieselben Texte berufen. Ich rede hier als christlicher Theologe. Widersprüche aus anderer Sicht sind also willkommen; sie können nur der Klärung eines gemeinsamen Diskurses dienen.

Einer für das Christentum zutiefst prägenden Texte ist die Geschichte vom sog. Sündenfall. Diese Geschichte vom Drama des Menschseins beginnt mit der Schlange: „Die Schlange war schlauer als alle Tiere des Feldes, die Gott, der Herr, gemacht hatte.“ (Gen 3,1) Zur Debatte stehen keine Phänomene von Stolz, Lust oder brutaler Gewalt, sondern die Dramatik einer Intelligenz, die Zusammenhänge durchschaut, die ihrem Gesprächspartner voraus ist, ihn unmerklich zum Mitspieler der eigenen Interessen macht und diese auf die existentiellen Ängste und Sehnsüchte des Menschen bezieht: Ihr werdet nicht sterben (3,4). Euch gehen die Augen auf. Ihr werdet wie Gott (3,5).

Damit wird die Menschheitsgeschichte in eine unauflösliche Tragödie eingetaucht. Vielleicht hatten wir ursprünglich nur eine Weisheitsgeschichte vor uns. Sie verweist den Menschen auf seine Grenzen und sagt uns, dass wir immer wieder wählen, uns begrenzen, Vor- und Nachteile miteinander abwägen müssen. Sie rüttelt uns also aus unseren naiven Paradiesesträumen wach und konfrontiert uns mit der menschlichen Kontingenz. Seitdem diese Geschichte aber in die Kapitel 1-11 des Buches Genesis (mit Brudermord, Sintflut und Turmbau von Babel) eingefügt ist, ändert sich die Sinnspitze des Dramas. Die Geschichte wird monotheistisch umgeformt, Gehorsam und Ungehorsam gegenüber Gottes Willen stehen im Mittelpunkt[8]. Menschen stehen ihrem Schöpfer gegenüber; in ihrem Verhältnis zu ihm bestimmt sich ihr letztes Geschick. Aber in wessen Auftrag und in welcher genauen Absicht die Schlange handelt, kann noch offen bleiben.

Aus christlicher Perspektive nun, die Christus als den zweiten Adam versteht (1 Kor 15,45), wird der Gesamtrahmen noch einmal verändert. Die Fallgeschichte wird zur Folie der christlichen Gegengeschichte schlechthin, nämlich der Erlösung in Jesus Christus: „Durch einen einzigen Menschen kam die Sünde in die Welt und durch die Sünde der Tod, und auf diese Weise gelangte der Tod zu allen Menschen.“ (Röm 5,12) Diesem Tod tritt nun die Gnade Jesu Christi gegenüber: „Wie es also durch die Übertretung eines einzelnen für alle Menschen zur Verurteilung kam, so wird es auch durch die gerechte Tat eines einzigen für alle Menschen zur Gerechtsprechung kommen, die Leben gibt.“ (5,18) Und weil Adams Sünde zum Tod Jesu führte, lastet das gesamte Menschheitsschicksal jetzt auf Adam, genauer: auf Eva, noch genauer: auf der Schlange. Angesichts dieser Dramatik kann sich hinter der Schlange nur noch eine Größe (eine Kraft oder ein Wesen) verbergen, aus der – unbeschadet der menschlichen Freiheit – das ganze Verderben der Menschheit hervorgeht, die es steuert, mit übermenschlicher Kraft und Intelligenz vorantreibt, um am Ende der Zeiten – das verlangt der Glaube an Gottes Allmacht – entmächtigt zu werden. Im großen kosmischen Enddrama der Apokalypse taucht die Schlange wieder auf. Dort wird sie im Kampf mit der Frau[9] endgültig identifiziert. Michael schaltet sich ein:

„Der Drache und seine Engel kämpften, aber sie konnten sich nicht halten, und sie verloren ihren Platz im Himmel. Er wurde gestürzt, der große Drache, die alte Schlange, die Teufel oder Satan heißt und die ganze Welt verführt; der Drache wurde auf die Erde gestürzt, und mit ihm wurden seine Engel hinabgeworfen.“ (Apk 12, 7b-9).

Die Schlange wird zum Drachen und schließlich „Ankläger unserer Brüder“ genannt (7,10). In diesen Grundakkord wird der „Drache, die alte Schlange, die Teufel oder Satan heißt und die ganze Welt verführt“ (12,9), jetzt mit christlichen Augen eingeordnet. Adam wird in doppelter Weise wahrgenommen. Einerseits erscheint er innerhalb einer guten Welt als Gottes gutes Geschöpf und prinzipiell wird dieser Optimismus nie zurückgenommen. Andererseits erscheint er wegen seines Versagens als Ausgangspunkt allen Übels. Angesichts dieser Doppelaussage ist der Mensch einerseits selbstverantwortlich und frei. Andererseits bedarf es einer Instanz, die des Menschen Entscheidung gegen Gottes Willen auslöst: Woher kommt also das Böse, wie kann in einer guten Welt und in einem gut geschaffenen Menschen das Böse überhaupt seinen Ursprung finden? Was die Kirchenväter später in philosophischen Spekulationen lösen[10], ist in der Fallgeschichte narrativ vorgebildet.

So ist es nur konsequent, wenn sich die Ursprungsfrage der menschlichen Bosheit in der Bosheit Satans wiederholt. Wodurch wurde Satan böse, da doch auch er von Gott als gutes Wesen geschaffen ist? Oder ist die Satansgestalt das Pflaster für den Nullpunkt unserer Welterklärung, eine Notlösung zur Rettung unseres Schöpfungsglaubens, nur die unvermeidliche Projektion für alle Herkunftsfragen des Bösen, die wir nicht mehr lösen können? Ich folgere daraus: Innerhalb der christlichen Botschaft ist die Satansgestalt in keiner Weise originär, sondern spiegelt vielfältige Voraussetzungen wider. In der Bibel taucht sie sehr spät auf, in vielfacher Hinsicht ist sie als Vermittlung definiert: Kann er diese Vermittlung wirklich leisten? Angesichts eines Monotheismus, der keinerlei Dualismus zulässt, müsste auch er als gutes Geschöpf begonnen haben und dennoch die Bosheit in sich tragen. Auch er hat sich dann Gottes Willen in Freiheit versagt, dennoch muss er seine Rolle bis zum Ende spielen. Angesichts des biblischen und altkirchlichen Weltbildes können wir ihn uns nur als Engel, als reinen Geist denken, dennoch ist er auf die Erde verbannt und sein Wirken ist unlöslich mit unserer Leiblichkeit verknüpft.

So blieben die Antworten auf diese Frage immer Spekulation und drangen mit gutem Recht nie tief in das christlich-dogmatische Bewusstsein ein. Textanalytisch und rezeptionsästhetisch gesprochen fungiert er als „Leerstelle“. Sie wird zur Provokation des eigenen Urteilsvermögens und tritt in Erzählungen als Statthalterin für die eigenen Fragen, Sehnsüchte oder Bedürfnisse auf[11]. Umso erstaunlicher, dass der Römische Katechismus eine alte und gewiss eindrucksvolle, aber doch ein ontologisch statische Lösung vorträgt, die erneut einen ausgesprochen mythischen Charakter hat:

„Satan oder der Teufel und die weiteren Dämonen waren einst Engel, sind aber gefallen, weil sie sich aus freiem Willen weigerten, Gott und seinem Ratschluss zu dienen. Ihre Entscheidung gegen Gott ist endgültig. Sie suchen, den Menschen in ihren Aufstand gegen Gott hineinzuziehen.“ (Nr. 414)

Oft gilt Satan als der ursprünglich oberste Träger des Lichts (Luzifer), der sich dem Plan der Menschwerdung Christi verweigerte, denn sie hätte ihn dazu gezwungen, vor einem Menschen seine Knie zu beugen[12]. Interessant ist, dass im Exultet der Osternacht Christus selbst noch der „morgendliche Luzifer“ genannt wird[13]. Hier war die Symbolik also noch lange fließend; man sollte den Spekulationen nicht Tür und Tor öffnen.

Ein letzter Gesichtspunkt kommt hinzu, der die ortlose Stellung des Teufels verfestigt. Der Teufel fungiert als das personifizierte Prinzip des Bösen und muss gemäß der klassischen Ontologie doch von einem Seinsmangel her begriffen werden, kann am Sein also nicht wirklich partizipieren. Dieser Widerspruch lässt sich auch nicht dadurch auflösen, dass der Teufel als „ein Wesen“ gilt, „das sich ins Unwesen pervertiert“, als eine „Person in der Weise der Unperson“, wie W. Kasper in der Folge einer verbreiteten Interpretationsschiene formuliert. Die Qualität einer Person bemisst sich ja nicht von einer abstrakten Seinshöhe, sondern von dem Maß seiner Beziehungen her.

Fassen wir diese Aporetik zusammen: In der christlichen Theologie erscheint der Teufel als die paradiesische Schlange, die aus Neid die Verderbensgeschichte der Menschen auslöst und durch die Erlösungsgeschichte Christi überwunden wird. Bei genauerer Betrachtung lässt er sich als eine Figur verstehen, die die Unerklärlichkeit des Bösen repräsentiert[14]. Im Horizont eines personalen Gottesbildes wird auch er als Person dargestellt. Er ist enorm mächtig und zugleich nichts. Die Art seiner Realität lässt sich mit den Mitteln der klassischen Philosophie nicht mehr zum Ausdruck bringen.

2.2 Ankläger und Versucher zugleich

Wer der historischen Entwicklung des Dämonenglaubens nachgeht, sollte sich von der soeben geschilderten zentralen Teufels- oder Satansperspektive nicht täuschen lassen. Im dargestellten Diskurs war immer nur vom einen Teufel die Rede. Er wurde mit der Schlange und dem Satan identifiziert, weil es in einer monotheistischen Tradition um die Gegenmacht des wesentlich Einen Gottes ging. Dagegen kennen die Schriften Israels (und die Umwelt des jüdischen Glaubens) vielfältige Dämonen- und Teufelsgestalten. Es fällt auf, dass sie in der hebräischen Bibel zwar vorhanden, aber schon stark zurückgedrängt sind. Verglichen mit den umgebenden Kulturen und Religionen blieb die Tradition Israels gegen die verführerischen und oft skurrilen Dämonenwelten erstaunlich resistent. Dieses biblische Sparsamkeitsprinzip ist auch für den gegenwärtigen Umgang mit den Dämonen ein wichtiger Fingerzeig[15]. K. Barth hat das begriffen, wenn er zu Teufel und Dämonen meint: Nur „ein kurzer, scharfer Blick darauf ist … das einzig Richtige“[16].

Doch kehren wir zum „Alten Testament“ zurück. Es geht, wie gesagt, zurückhaltend ans Werk. Zwar gibt es auch dort Bocksgeister und Haarige, Dämonen des Sturms und der Nacht. Asasel, dem Wüstendämon, wird alljährlich der Sündenbock überantwortet. Jakob kämpft an der Flussfurt (Zeichen des Übergangs) mit einem geheimnisvollen, erst später mit Jahwe identifizierten Mann (Gen 32,25). An einem wirklichen Dämonenglauben sind die biblischen Texte aber nicht mehr interessiert, je mehr sich der Glaube an den einen Gott Jahwe durchsetzt.

Zugleich zeigt sich eine überraschende Modifizierung. Theoretisch müsste die Losung: „Höre Israel, Jahwe, unser Gott, ist Jahwe allein!“ (Dtn 4,6) ja das Ende des Dämonenglaubens bedeuten, aber die Ambivalenz von Mensch und Welt ist damit nicht aufgehoben. So kommt der Dämonenglaube sozusagen wider Willen, aber in einer neuen, auf die Dauer viel wirksameren Qualität zurück. Einerseits werden die Götter der benachbarten Religionen zu Göttersöhnen degradiert (vgl. Ps 29). Sie erhalten dadurch eine zwiespältige Stellung. Zwar gelten sie als „Nichtse“ (Jes 41, 21-29), doch bevölkern sie vielleicht als Göttersöhne (z.B. als Kerubim oder Serafim) den himmlischen Hofstaat. Vielleicht singen sie als mächtige Gestalten kanaanäischen Ursprungs das Lob Jahwes. Zwar unterstehen sie seinem Gericht (Ps 82, 1.6), aber sie strahlen göttlichen Glanz aus. Sie streunen nicht durch gefährliche Steppenlandschaften, sondern verkehren jetzt in kosmischen Dimensionen. Genau in dieser Vorstellungswelt kann sich die spätere Lehre von den guten und den abgefallenen Engeln entwickeln. Einerseits werden konkurrierende Götter also degradiert, andererseits muss jetzt die ganze Welt, die Jahwe gehört, für ihn auch wirksam bereitet werden. Je weniger die bösen Gegenmächte also existieren dürfen (obwohl sie doch täglich erfahrbar sind), umso intensiver werden sie beschworen, gebannt und somit auch gerufen. Es ist, als ob der Glaube an den Einen Gott sich selbst überfordere; er kann nicht ganz einlösen, was er verspricht. Der strenge Eingottglaube erhöht das Bedürfnis nach Schutzriten und exorzistischen Handlungen. Er fixiert die Gestalten, die doch zu überwinden sind, umso mehr auf eine widergöttliche Rolle. Diese exorzistische Dimension scheint zu monotheistischen Religionen zu gehören. Man findet sie bis heute auch im Islam und im Christentum, in dem sie sich massiv erhalten hat[17].

Wir können die Problematik auch anders formulieren: Zwischen Gottesglaube und Weltinterpretation bleibt eine schmale Schnittstelle, in der sich die Teufels- bzw. Satansberichte des Ursprungs mit den Unheilserfahrungen der jeweiligen Gegenwart treffen konnten. Der gereinigte Jahweglaube führt zu Abspaltungen von einer neuen, quasi göttlichen Qualität; denn in Jahwe darf nur noch Gutes sein, so dass Willkür und Zerstörungswille mit ihm nicht mehr vereinbar sind. Andererseits spricht die Erfahrung nach wie vor für die Existenz von Übel und Bosheit, die aber nicht mehr ziellos agieren darf.

Die Auseinandersetzung mit diesem neuen und sehr verletzlichen Gottesbild wird im Ijobbuch vorgeführt. Ijobs Prüfung ist die Stunde Satans („Feind“ oder „Widersacher“), der die negativen Funktionen Jahwes zu übernehmen hat. In den Geschichtsbüchern tritt der Satan an die Stelle von Jahwes Zorn (vgl. l Chr 21,1 mit 2 Sam 24,1). Im Ijobbuch wird er als Göttersohn zum agent provocateur und Ankläger der Menschen vor Gott, also auch zum Ankläger Ijobs (Ijob 1, 6-22). Er ist zwar kein göttliches Gegenprinzip – vor allem in der christlichen Antike wird sichtbar bleiben, dass er ganz Gott dienen muss -, aber sein Machtbereich fällt mit dem irdischen Machtbereich Gottes zusammen, so dass er kosmische und weltgeschichtliche Bedeutung erhält, also faktisch zum Gegenprinzip Gottes wird. So entsteht in nachexilischer Zeit (ab 538) – Folge des Eifers für den Einen Gott – ein gewaltigerer Typ des Dämonischen. Das Dämonische strahlt jetzt Hoheit und öffentliche Geltung aus; es ist in den machtvollen, in Stein gehauenen Mischwesen Assyriens, Babyloniens oder Ägyptens vorgezeichnet[18]. Löwenleib und Stierbeine, Adlerflügel und Menschenkopf etwa fließen in einer Gestalt zusammen. Das Sinnliche wird wie im Griechentum zum ungebrochenen Ausdruck geistiger Qualitäten. Diese Wesen erscheinen als übermächtig, als Ausdruck zugleich einer kosmischen Erfahrung und eines Machtzusammenhangs von sakraler Gewalt.

In dieser Epoche erscheinen schließlich die großen Legenden von Engelsünde und Engelsturz sowie vom mörderischen Neid der Teufel auf die Menschen. Jetzt werden nicht nur Menschen gequält, sondern Mensch und Gott auch herausgefordert und zum Kampf gezwungen. Die Auseinandersetzung, die sich ursprünglich zwischen Gott und Mensch vollzieht, wird später nach innen, zu einer Auseinandersetzung zwischen Gott und Satan gewendet. Satan wird zum Ankläger im Dienst des gerechten Gottes und zum Gegner von dessen Vergebungsbereitschaft und Güte zugleich. Eine solche Dynamik muss aber ziellos bleiben, weil sie den Streit perpetuiert und zugleich die Versöhnung postuliert. So kann die Figur des Satans zu einem verdeckten Dualismus werden, zu einem Selbstwiderspruch, der nur den göttlichen Widerspruch zwischen Gerechtigkeit und Güte projiziert.

Nicht nur aus Zeitmangel, sondern auch der zeitübergreifenden Strukturen wegen bin ich von nachexilischer Zeit direkt in die Gegenwart gesprungen, denn damals wie heute gehört für die religiöse Erfahrung zum mächtigen und alleinherrschenden Gott ein Gegenspieler, dessen Macht ebenfalls gesteigert wird. Ob er als Gottes Diener oder Staatsanwalt, als dessen Gegner oder als verworfener Sadist auftritt, ist angesichts der Unheilserfahrungen, die er symbolisiert, von zweitrangiger Bedeutung.

2.3 Gegenspieler Christi

Aus streng christlicher Perspektive könnte das Teufelskapitel mit dem Auftreten Jesu von Nazareth abgeschlossen sein. Das Gemeinte lässt sich am Taufbericht Jesu illustrieren. Jesus begegnet dem Täufer Johannes, für den der Tag der großen Rache unmittelbar bevorsteht. „Die Axt ist an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen, … die Spreu wird in nie erlöschendem Feuer verbrennen.“ (Mt 3,10.12) Jesus unterzieht sich dieser Vision, hört aber vom Himmel eine Stimme mit einem ganz anderen Inhalt: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden.“ (Mk 1,11) Nach dieser Erfahrung trennt sich Jesus von Johannes, denn für ihn bedarf Gottes Reich nicht mehr der Anklage, der Axt und des Feuers[19]. Jetzt geht es nicht mehr um Anklage, jenen Quell subtiler Gewalt. In Jesu Worten gesagt: „Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen.“ (Lk 10,18) Ohne die satanischen Zutaten der Anklage und der Qual, ohne dass erst ein Gericht über die Menschheit niederfahren muss, kann Gottes Reich hier und jetzt beginnen.

Doch auch diese prinzipielle und radikale Sicht von Gottes Gegenwart musste mit der Erfahrung der Bosheit vermittelt werden. Deshalb greifen die Autoren der neutestamentlichen Bücher, allen voran Matthäus, wieder auf den archaischen Kampf des Guten mit dem Bösen zurück. Sie legen die Tragweite dessen dar, was mit dem Erscheinen von Jesus geschah. Die Versuchungsgeschichte Jesu (Mt 4, 1-11) erhält eine paradigmatische Bedeutung für die christliche Existenz, die Teufelsgestalt zusätzlich eine (anti-)christologische Dimension. Jetzt wird er definitiv zu einer menschlichen Gestalt. Aus der Perspektive der klassischen Theologie heißt das: Im Widerstand gegen Jesus von Nazareth realisiert sich die Ablehnung der Menschwerdung, deretwegen der Satan vor aller Zeit gestürzt wurde. Für die Existenz des Teufels als Person lässt sich, wie gesagt, aus dem Neuen Testament keine schlüssige Theorie erheben. Es erstaunt aber, wie abrupt sich der Umbruch von der Zurückhaltung Jesu zu späteren Darstellungen vollzieht. Gegenüber den alttestamentlichen Schriften ist die Teufelsgestalt aktualisiert und dem christlichen Leser wieder nähergerückt. Sie ist nicht nur eine bedrohliche Größe unter anderen, sondern die zentrale Unheilsgestalt[20]. Auch die paulinischen Briefe[21] kennen Satan, den Teufel, den Versucher und Beliar. Wichtiger sind aber anonyme Kräfte: die „Elemente“, die „Herrschaften“, die „Mächte“ und die „Gewalten“, Ordnungskräfte also, die zwar notwendig sind, die Menschen aber nicht unterjochen dürfen. Bei Johannes, dem wohl spätesten der Evangelisten, gewinnt der Satan als Vater der Lüge (8,44) wieder eine deutliche, theologisch reflektierte Kontur. In der Geheimen Offenbarung schließlich brechen sich die apokalyptischen Erfahrungen von Unheil, Verfolgung und Tod stärker denn je Bahn. Teufel und Antichrist quälen jetzt die Christen und spielen den grausamen Gegenpart Christi.

Die Wirkungsgeschichte der Apokalypse zeigt, dass die Geschichte des Teufels von vieldeutigen und symbolgeladenen Bildern, nicht von theologischen Theorien gesteuert ist[22]. Diese Bilder haben ihre eigene Dynamik; sie können später vielschichtig angewendet und interpretiert werden. Keine der genannten Dimensionen geht verloren. Sie ergänzen, kritisieren und beleben einander. Die Kirchenväter erzählen so die biblischen Geschichten des Alten und des Neuen Testaments sowie die Mythen vom Engelsturz und Menschenneid. Sie deuten die Erlösung als Tausch, als Enteignung oder als Täuschung des Teufels[23]. Teufel bleiben Wächter der Hölle wie Zeichen der Endzeit. So wird, um die Verwirrung dieser Vielfalt voll zu machen, schließlich der Chiliasmus zum festen Bestandteil christlicher Geschichtsentwürfe[24], auch dieser noch abgebildet im diabolischen Säkularisat des „Dritten Reiches“ deutscher Nation.

2.4 Zusammenfassung: Der vielfach gebändigte Teufel

Gemäß Apk 20,2 wird der Teufel für 1000 Jahre gefesselt, bis er zum letzten Mal die Welt mit Krieg und Verderben überziehen kann. Man könnte dieses Bild auch auf die Teufelsbilder und den systematischen Umgang mit ihnen anwenden. Man hat alles getan, um ihn in der Theorie und religiösen Praxis zu domestizieren. Aber er ließ sich nicht als Haustier für extreme Notfälle an die Leine nehmen. Immer wieder wurde die Tatsache beschworen, dass er gegenüber Gott und der Heilstat Christi letztlich unterlegen ist. Aber jede Mauer, die man um ihn herum aufbaute und jede Fessel, die man ihm anlegte, hat ihn auch wieder stark gemacht.

Die erste Fessel ist der Glaube an den Einen Gott. Aber dieser Monotheismus hat den Teufel erst zur zentralen Anti-Figur des Bösen werden lassen. Der enorme Einheitswille, der dem Monotheismus zugrunde liegt, ließ auch das Böse als ein Reich, als eine hierarchisch geordnete Systematik erscheinen, als dessen mächtiger Steuermann der Teufel auftritt. Johannes Paul II. nannte den Teufel „Mörder und Zerstörer der Gottesbeziehung“ [25].

Als zweite Fessel kann Jesus Christus gelten, der die Menschen ein für allemal erlöste und damit den Bann des Bösen endgültig gebrochen, sogar die Riegel der Unterwelt gesprengt hat (1 Pt 3,19). Jesus Christus, so einhellig die christliche Tradition, hat den Satan überwunden. Wie durch die Übertretung des Einen der Tod zur Herrschaft kam, so kommt durch die gerechte Tat des Einen (nämlich Jesu Christi) allen Menschen Gerechtigkeit zuteil (Röm 5,18). Und dennoch hält der Schrecken vor ihm ausgerechnet in der Kirche an, deren vornehmster Auftrag es doch ist, den Sieg Christi zu verkünden. Gerade deshalb meint Paul VI. in unergründlicher Dialektik von der Kirche: „Eines ihrer größten Bedürfnisse ist es, sich gegen jenes Übel zu verteidigen, das wir den Teufel nennen.“ Deshalb werden wir ermahnt, mit moralischer Strenge über uns zu wachen, andernfalls setzen wir uns dem Geheimnis der Bosheit aus (2 Thess 2, 3-12)[26]. Solche Dauerverteidigung schafft aber auch Fixierung. Entweder die Christen glauben nicht entschlossen genug an Jesus Christus oder ihre Erlösungslehre gibt sich zu siegessicher.

Die dritte Fessel hat man seiner Macht auf Seelen und Leben der Menschen angelegt. Der Mensch gilt unwiderruflich als in Christus erlöst. Seit der Auferstehung Christi ist die Schlage geschlagen, der Teufel ist endgültig überlistet. In paradoxer Verkehrung dieser Glaubensüberzeugung werden die Menschen in der christlichen Tradition zu einem der bevorzugten Orte, in denen sich der Teufel aufzuhalten beliebt. Dabei geht es noch gar nicht um die Extremfälle von Hexerei und Besessenheit, sondern um den Alltag. Vergessen wir nicht. Spätestens seit dem späten Mittelalter steht im kirchlichen Abendgebet der warnende, auf die Gefahren der Nacht verweisende Hinweis: „Seid nüchtern und wachsam! Euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge.“ (1 Pt 55,8) Die Menschen wurden geradezu dazu erzogen, ihr Heil nicht ohne den Teufel zu denken und zu erfahren.

Die vierte Fessel hat man seiner Macht über Geschichte und Welt angelegt. Diese blieb immer wirklichkeitsnäher als die schon genannten, denn von Anfang an hat die christliche Tradition klargestellt, dass diese Rechnung noch nicht beglichen ist. In gewissem Sinn gehört die Apokalypse des Johannes (als das letzte und lange umstrittenste Dokument des Neuen Testaments) zu den realistischsten der Bibel überhaupt. Wohl deshalb hat die Neuzeit es meistens in die Ecke gedrängt, als aggressiv und als Zeugnis ungezügelter Phantasie abgetan. Mit den Bildern vom Drachen, vom scharlachroten Tier oder dem Tier mit den zwei oder zehn Hörnern, mit den sieben Köpfen, vom weißen, roten und schwarzen Pferd, von den Schalen des Zorns und den sieben Plagen, von der Hure Babylon und der Kampfstätte Harmagedon (16,16) konnten wir nichts mehr anfangen, so als hätten wir keinen dreißigjährigen Krieg erlebt, keinen weltweiten Imperialismus aufgebaut und im 20. Jahrhundert nicht die Quittung für die eigenen Untaten und einen beispiellosen Zivilisationsbruch erhalten. Aber auch hier wird – immer wieder vorschnell und in aggressiver Weise – vom endgültigen Sieg des Guten, vom neuen Kreuzzug geredet[27]. Auf einer Website der Zeugen Jehovas können wir lesen:

„Es steht eine große Endabrechnung Jehovas mit den Menschen bevor. Bei Harmagedon wird Jesus mit seinem himmlischen Heer die Welt und die Heere des Teufels endgültig besiegen. Alle Völker, alle staatliche Organisationen und Kirchen werden vernichtet, da sie allesamt von Satan geschaffen wurden und sein Werkzeug sind. Nur wer zu den Zeugen Jehovas gehört und sich im Gehorsam der Wachturm-Gesellschaft unterordnet, wird Harmagedon überleben und zu neuem Leben im 1000-jährigen Reich bestimmt werden. Christus wird sich aus den Zeugen 144.000 (laut Joh.) auswählen und zusammen mit ihnen sein Königreich regieren.“

Selbstgerechter kann man die Hoffnung auf den Sieg des Guten nicht missbrauchen, d. h. zum Sieg Satans ummünzen. Was nützt da noch als Generalfessel die ontologische Depotenzierung des Teufels, über die oben die Rede war, also die Hoffnung darauf, dass er sich immer schon in Schall und Rauch aufgelöst hat, dass sich hinter seiner Maske nichts findet. Übrigens zeigt schon die Quelle dieser Imagination einen peinlichen Pferdefuß. Es ist Plotin, der genauso über den Seinsmangel, das geraubte Sein der Materie redet und sie beschimpft, sie sei im Grunde Hohlheit und Leere[28]. Wenn dem in einsichtiger Weise so ist, warum eigentlich ereifert er sich? Aber der Teufel kann – um in der Metapher zu bleiben – über solche Überheblichkeiten nur grinsen. Bislang ist es ihm gelungen, alle Domestikationen zu überlisten. Der Grund liegt wohl darin, dass alle Theorien und gläubigen Imaginationen den Erfahrungen unserer Alltage nie den Rang ablaufen konnten. Wenden wir uns ihnen im Folgenden zu.

III. Erfahrungen und Fiktionen

3.1 Plagen und Versucher als widergöttliche Mächte

Unabhängig von allen Theorien und siegreichen Imaginationen geht der Alltag aber weiter. Bei allen kulturellen Unterschieden zeigt er universale Konstanten. Zu ihnen gehören unsere Leiblichkeit, Verletzlichkeit, die Konfrontation mit Krankheit, Schmerz und Tod, aber auch Unrecht und Gewalt, Lüge und der Zynismus der Treulosigkeit, schließlich die Ungewissheit über eine Zukunft, die wir jenseits des Todes zu verankern suchen. Sie sind die Einfallstore dämonischer Erfahrungen vermutlich in allen Kulturen.

Widermenschliche Plagen

Was geschieht nun mit Teufel und Dämonen vom 2. und 3. Jahrhundert an, sobald sich also die innerchristlichen Verhältnisse stabilisieren? Ich gehe zunächst davon aus, dass unser Informationsstand über das, was im christlichen Alltag geschieht, nicht allzu hoch ist. Informationen haben wir über theologisch anspruchsvolle, über kirchlich politische Angelegenheiten sowie über die beginnende Kultur des Mönchtums. Die hohe Theologie bewegt sich schon früh in den oben beschriebenen (theologischen und philosophischen) Bahnen[29]. Zum kirchlich-politischen Feld könnte man die massiven Angriffe zählen, die von Kirchenführern gegen Heiden, Juden, Häretiker oder unmittelbare Konkurrenten initiiert wurden, und zu deren häufiger Strategie die Verteufelung der Gegner gehört[30]. Von höchstem Interesse sind die Informationen über die bald beginnende Kultur des Mönchtums mit seinen asketischen Übungen, seinen Methoden des Gebets und der Selbstbeobachtung sowie mit ihrer besonderen Achtsamkeit auf die Wirkungen und Einflüsterung des Bösen.

Hier wiederholt sich eine Beobachtung, die schon bei den frühen biblischen und den zeitgleichen außerbiblischen Texten zu machen war. Vom Glaubenseifer motiviert beginnen Teufel und Dämonen in den Köpfen gläubiger Christen eine neue Karriere. Dabei treffen wir nicht nur auf die christlich domestizierte Gestalt des Satans oder des Teufels, sondern auf ein unübersehbares Feld von archaischen Geister- und Bosheitserfahrungen, auf einen vielfältigen Wirkungsraum von übersinnlich-sinnlichen Mächten. Das verwundert nicht, denn die Erfahrung von Dämonen ist in allen Kulturen und Religionen zu finden. Die Psychologie weiß zusammen mit der Physiologie und der Neurologie ebensoviel dazu zu berichten wie die Märchenforschung und die Literaturwissenschaft. Wir tauchen ein in die weit gestreuten Begegnungen mit dem Numinosen, das in Pflanzen und Tieren, in den Ahnen oder in einer sphärischen Welt zu Hause war. „Geister“ sind von Anfang an Wesen, die umherschweifen und Menschen begleiten, die verborgen bleiben oder sich auf überraschende Weise zeigen. Sie haben ihre Orte in Hainen und Flüssen, in Wüsten und aufgelassenen Gräbern, ihre Zeit in der Nacht oder in der Müdigkeit des Nachmittags, in Jahres- oder Sonnenwenden und zu besonderen Terminen. Sie erscheinen als Bedrohung unseres Selbst, bieten Schutz oder verbreiten Schrecken, inspirieren oder schicken Unglück. Sie sind unbesiegbar oder ermöglichen den heldenhaften Kampf[31]. Diese Geister sind so vielfältig, wie es menschliche Imagination und Erfahrung überhaupt zulässt[32]. Es ist, als müsse der christliche Glaube die Dämonenerfahrung in Krisenzeiten immer neu aufarbeiten. Bei aller Neugier und anfänglicher Lust zeigen sie sich immer wieder als Quäl- und Plagegeister, als Verursacher von Krankheiten und geistiger Verwirrung. Gegen solche Erfahrungen half der Erlösungsglaube nur bedingt.

Steigerung im Jenseitsglauben

Hinzu kommt nun, dass solche Dämonen in monotheistisch geprägten Kulturen (also auch im Christentum) nicht nur faktisch schaden, sondern prinzipiell gefährlich sind, denn sie bedrohen den alleinigen Zuständigkeitsbereich des Einen Gottes. In den mesopotamischen Kulturen, die uns seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. greifbar sind, finden wir eine naive Fülle dämonischer Gestalten, beschrieben als Plage-, Krankheits- oder Totengeister, darunter die Nachtgöttin Lilit, die in das Alte Testament eingegangen ist (Jes 34,14). Die Funktionszuweisungen sind direkt den Natur- und Selbsterfahrungen entnommen und zielen auf kein höheres System. Doch später, in Ägypten etwa, kommt schon eine .jenseitig-moralische Dimension hinzu. Um 1500 v. Chr. bevölkern in Ägypten Strafgeister einen unterweltlichen Ort. Sie, die „packen“, „pressen“ und „quetschen“, „erfüllen die Hölle mit Gebrüll, sprühen Feuer aus den Augen, fesseln die Verdammten, leben von deren Blut oder Eingeweiden, entfachen die Glut unter den großen siedenden Kesseln, in denen die verworfenen Sünder gekocht oder gesotten werden“[33]. In diesen Vorstellungen ist das Grauen schon deutlich gesteigert und – über aktuelle Schmerzerfahrungen hinaus – jenseitig überhöht, weil an den Gedanken eines jenseitigen Lebens gekoppelt. Stark geschwächt ist ihr Echo im Neuen Testament zu hören (Mt 13,49; 25,41), wo die Hölle als Strafe für die Sünden erscheint. Diese Verbindung mit Dämonen ist allerdings für die spätere Höllenangst von durchschlagender Wirkung. Sie hat Christenmenschen aller Jahrhunderte umgetrieben, die Wüstenphantasie ägyptischer Mönche ebenso beflügelt wie die mittelalterlichen Szenarios vom Letzten Gericht, Dantes Höllendramaturgie ebenso wie die ignatianischen Betrachtungen über die Hölle. Sie waren für viele Generationen von traumatisierender Wirkung.

Konfrontation im Menschen mit Gott

In der christlichen Tradition tritt wiederum, wenn man so sagen darf, eine Doppelung ein von primitiven, systematisch nicht verorteten Dämonen und von höheren gefallenen Geistern (Teufel und Teufeln), die für das Heil von Welt und Menschen ihre unmittelbare Bedeutung erhalten. Für die unteren Ränge bilden sich immer wieder Arsenale von Zaubersprüchen und Maßregeln der Meidung, von Ritualen und magischen Beschwörungen aus, von denen das mittelalterliche Alltagsleben noch übervoll war. Über deren christliche Bedeutung und Sinngebungen kann man füglich streiten und sollte bei deren Beurteilung vorsichtig sein. In vielen ritualisierten Maßregeln und Verhaltensweisen verbarg sich ein naturnahes und höchst förderliches (medizinisches, psychologisches und soziales) Lebenswissen. Manche Wirkung wurde mangels besserer Erklärung mit Magie verwechselt, umgekehrt erklärte man bei wachsender Rationalisierung des Zusammenlebens solche Praxis oft zur widergöttlichen Zauberei[34]. Die Hexe wurde zur Schlüsselkategorie einer ganzen Epoche.

Der höchst vielfältigen Geschichte des Dämonischen in der christlichen Tradition von nahezu 2000 Jahren ist in diesem Übersichtsartikel nicht nachzugehen. Wichtig scheint mir aber der Hinweis, dass all diese Erfahrungen des Dämonischen mit wechselnder Intensität in eine christliche Lebenskonzeption integriert wurden. Diese Integrationsarbeit führte zu einer hohen Konzentration und Intensivierung der Thematik. Zur Konzentration kam es, weil hinter allen Dämonen jetzt der Teufel selbst als Gegenspieler Christi oder Gottes sein Haupt erhebt. Die Dämonen werden zur geordneten, vom Teufel gelenkten Schar. Mit seiner dogmatischen Spiegelfunktion zu Heil und Erlösung gibt er diesen Erfahrungen jetzt eine bindende und gemeinsame Interpretation. Genau dies führt auch zu einer wachsenden Intensität des darin erfahrenen Unglücks, denn jetzt sind sehr schnell das Seelenheil, Himmel und Hölle im Spiel. Als Gegenspieler Christi wird der Teufel ja schon am Lebensbeginn im Taufritus vertrieben und das Leben des Christen gerät zum ständigen Kampf gegen dessen Versuchungen. Formelle Exorzismen, also Austreibungen von Dämonen und Teufeln, bilden dann nur die Spitze eines Eisbergs von Angst und Beschwörungsverhalten. Ein jedes Kreuzzeichen und Stoßgebet lässt jetzt ebenso an den Teufel wie an Gott selbst denken. Der Teufel wird wörtlich zum „Gott-sei-bei-uns“. Er öffnet die Schleusen für ein Lebensbild, das sich intensiv als Kampf gegen die bösen Mächte versteht.

Von einer Geschichte der Verteufelungen, neurotischer Fixierungen, seelischer und körperlicher Qualen belehrt, ist man in Westeuropa gegen allzu viel Teufelsangst und Teufelspraxis, gegen Exorzismen und Abwehrriten sensibel geworden. Die Wasserspeier der gotischen Dome jagen uns keine Schrecken mehr ein. Allerdings sind in einer Epoche der Globalisierung unsere Urteile darüber nicht sorglos zu verallgemeinern. Bei uns mag sich zu dämonischen Erfahrungen ein aufgeklärtes Verhältnis durchgesetzt haben. In anderen Teilen Europas oder auf anderen Kontinenten ist das keineswegs der Fall. Die Gregoriana, die vielleicht prominenteste päpstliche Universität in Rom, bietet seit einigen Jahren wieder Kurse zur Ausbildung von Exorzisten an und findet dafür auf der ganzen Welt Interessenten. Ich will nur hoffen, dass diese Kurse nicht der Propaganda eines neuen Teufelsglaubens dienen, sondern auf der Basis eines breiten anthropologischen Wissens einen humanen und humanisierten Umgang mit den besprochenen Phänomenen einüben. Denn in anderen Kulturkreisen haben Teufelserfahrungen immer noch eine enorme Bedeutung; sie lassen sich weder wegrationalisieren noch verbieten.

Die Verhältnisse sind komplex, oft ambivalent und immer in Bewegung. Aus gegenwärtiger Sicht bot die Theologie des Teufels oft einen Schutzschild gegen den entmenschlichenden Missbrauch dämonischer Erfahrungen[35]. Allerdings ließ sie sich mit ihren anthropomorphen Aussagen auch ideologisch missbrauchen. Deshalb zeigt die theologische Geschichte keine einlinige Entwicklung. Wir finden eher eine Wellenbewegung von Überwindung und Regression, von Sublimierung und Destruktion. Wiederholt gingen die Gleichgewichte verloren. So spiegelt die Geschichte des Teufels auch die sozialen und ideologischen Umbrüche in Kirche und Gesellschaft, in Frömmigkeit und Spiritualität. Während die Dämonengestalten an mittelalterlichen Kirchen das Böse geradezu abwehren, legitimieren Verteufelung und Teufelsbeschwörungen später Hassausbrüche und Massenpsychosen bis hin zu Besessenheitswahn und Massenmord. Der Hexenwahn mit seinen zahllosen Opfern gehört zum grausigsten Kapitel christlicher Teufelsgeschichte. Zugleich blieben die Teufel mit persönlichen Problemen, mit Sexualität und Alltaglastern, mit Hochmut und geistiger Arroganz verbunden. Sie spiegelten Krankheiten und psychischen Verfall, Schuldkomplexe und Fremdenhass. Und während Ignatius von Loyola in seinen Regeln zur Unterscheidung der Geister eine erste Psychologie der bösen Geister zu fassen suchte[36], blieb für Luther die Welt voller Teufel[37], wenngleich gerade er – psychologisch und theologisch noch scharfsichtiger als Ignatius – entdeckte, dass Gott selber für jeden zum Teufel werden kann[38].

3.2 Die Antoniusvita des Athanasius

Eine besondere Version der Dämonenwelt hat sich im frühen christlichen Mönchtum ausgebildet. Bei all den enormen Unterschieden hat sie die christliche Mönchstradition bis weit in die Neuzeit hinein geprägt. Auch hier zeigt sich eine Struktur, der wir schon zweimal begegnet sind. Mönchische Spiritualität hat innerhalb des Christentums höchst unterschiedliche, zeit- und kulturbedingte Formen durchlaufen. Von einigen Grundregeln abgesehen sind sie kaum zu vergleichen; die frühen Eremiten und späteren Zönobiten, die Benediktiner in verschiedensten Ausprägungen und Reformzweigen, dann die völlig anders ausgerichtete franziskanische Spiritualität, beinahe zeitgleich der Predigerorden und zu Beginn des 16. Jahrhunderts die Jesuiten, ganz abgesehen von den strengen Orden der Kartäuser und Trappisten. Sie alle haben sich – wenigstens in der Zeit der Ausbildung – mit einer Kultur des Dämonenkampfes und der Teufelsbegegnung beschäftigt, der von archaischen Modellen und Interpretationsmustern lebt. Diese Muster sind im „Leben des hl. Antonius beschrieben“, das selbst die Kunst bis hinein ins 20. Jahrhundert inspiriert hat.

Diese Lebensgeschichte ist von Athanasius, dem zu Beginn des 4. Jahrhunderts höchst einflussreichen Patriarchen von Alexandria, geschrieben[39]. Sie handelt von Antonius dem Großen (251-356), Vater der Mönche genannt, den spätestens diese Lebensbeschreibung zum Urbild des Mönchtums gemacht hat. Er zog sich zunächst in die ägyptische Wüste zurück, hielt sich in einer ägyptischen Grabkammer auf, dann in einem verfallenen Kastell, schließlich in einer Einsiedelei beim Roten Meer. Uns interessiert hier nicht die historische Korrektheit der Beschreibung, sondern das Mönchsideal und die Vorstellung von einem heiligmäßigen Mönchsleben, wie es hier beschrieben wird. Zum Programm der Mönche gehören der Rückzug aus der Welt der Menschen sowie ein Leben in vollkommener Zuwendung zum Göttlichen. Dieser Rückzug wurde damals elementar, nicht vergeistigt, auch nicht als Dienst an den Menschen verstanden, sondern als der vorbildhafte Abschied von einer Welt, die ohnehin jeder Mensch einmal verlassen muss. Er wurde vor dem Hintergrund eines starken Sündenbewusstseins sowie einer stark empfundenen Bedrohungssituation gestaltet. Es gilt, seine Seele unbeschadet in den Himmel hinüberzuretten. Das aber bedeutet – wenn ich diese Elemente hier etwas abstrakt rekonstruiere – nicht nur die faktisch alltägliche, sondern eine gewollte, ins Extrem getriebene Herausforderung mit dem Teufel und den Dämonen, denn deren Ziel ist es, dem Heil der Seele zu schaden. Das Leben des Mönches hat also einem jeden Christen zwar nicht als nachahmenswertes Vorbild zu gelten, wohl aber als die offene Inszenierung dessen, was sich im Herzen eines jeden engagierten Christen abspielt. So kommen die genannten Aspekte der Konzentration und der Intensivierung voll, geradezu dramatisch zur Geltung. Dies zu zeigen ist wohl die Absicht des Biographen.

Die Lebensgeschichte berichtet kurz von der Kindheit des schon damals zurückgezogenen Jungen, von seinem Entschluss, in die Wüste zu gehen und von seiner freundlichen, menschenliebenden Art. Dann wird das Leitthema der Lebensbeschreibung angeschlagen, nämlich der Kampf der Dämonen gegen ihn. Genannt werden die großen Fallstricke eines mönchischen Lebens:

„Geldgier und Ehrgeiz, die mannigfache Lust des Gaumens und all die anderen Freuden des Lebens“, womit vor allem die Sexualität gemeint ist. Nicht zu übersehen ist, dass der Kampf – auffallend modern – zunächst und vor allem als Kampf der Gedanken und Vorstellungen geführt wird. Der Teufel „erregte einen gewaltigen Sturm von Gedanken in seinem Innern, da er ihn von seinem guten Vorsatz abbringen wollte“. Die Hauptbastion, die der Teufel aber schleifen will, ist die Keuschheit seines Opfers. Also „setzte er sein Vertrauen auf die Waffen ‚am Nabel seines Bauches’“. Der böse Feind bedrängt Antonius „des Nachts und setzte ihm am Tage“ mächtig zu. „Der Teufel gab ihm schmutzige Gedanken ein … Der arme Teufel ließ sich sogar herbei, ihm nachts als Weib zu erscheinen und alles mögliche nachzumachen, nur um den Antonius zu verführen. Dieser aber dachte an Christus und den durch ihn erlangten Adel der Seele, an ihre geistige Art, und erstickte die glühende Kohle seines Wahnes.“ (Kap. 4)

Fürs Erste siegt Antonius, aber der Teufel verschärft seine Attacken. Daraufhin diszipliniert Antonius seine Lebensführung noch mehr und lange bleibt der Teufel sein lästiger Begleiter. Der Teufel wird der unausgesprochene Partner und Gegenpol seiner asketischen Lebensführung. Antonius zieht in ein Gräberfeld (dem traditionellen Ort der bösen Geister), wo ihn der Teufel und seine Dämonen physisch aufs äußerste traktieren; Antonius bleibt entkräftet liegen: Besucher halten ihn schon für tot. Aber er kommt wieder zu sich und der Zweikampf mit immer neuen Attacken dauert im Rest seines Lebens fort.

Die Typologie dieser Auseinandersetzung bleibt immer dieselbe: Der Teufel und seine Dämonen plustern sich auf und machen einen Höllenlärm, dann etwa, wenn sie die Mauern seiner Behausung stürmen wollen.

„Es war, als ob die Dämonen die vier Mauern des kleinen Baues durchbrechen und eindringen wollten; dazu verwandelten sie sich in die Gestalten von Tieren und Schlangen; und gar bald erfüllte sich der Platz mit Erscheinungen von Löwen, Bären, Leoparden, Stieren und Nattern, Aspisschlangen, Skorpionen und Wölfen. Jedes von diesen Untieren bewegte sich nach seiner besonderen Art: Der Löwe brüllte, als wollte er ihn anspringen, der Stier schien mit den Hörnern zu stoßen, die Schlange ringelte sich, aber sie kam nicht, der Wolf stürmte los, blieb aber wie festgebannt; der Lärm aller dieser Erscheinungen zugleich war wirklich schrecklich und ihre Wut grimmig. Antonius, von ihnen zerpeitscht und zerstochen, fühlte zwar heftigen körperlichen Schmerz, aber ohne Zittern und wachsam in seiner Seele lag er da; er seufzte infolge seiner leiblichen Pein, aber klaren Geistes und voll Hohn rief er: ‚Wenn ihr Macht hättet, genügte es, wenn auch nur einer von euch käme. Aber da der Herr euch die Kraft genommen hat, versucht ihr durch eure Menge vielleicht Furcht einzuflössen. Ein Zeichen eurer Schwäche ist es, dass ihr die Gestalt von wilden Tieren nachahmt’.“ (Kap. 9)

3.3 Die Antoniusvita – Wirkungen

Thema asketischer Tradition

Soviel zur Präsentation des Dokumentes, das sich für den mönchisch-asketischen Umgang der folgenden Jahrhunderte mit Teufel und Dämonen als richtungsweisend erweisen sollte. Hier sei auf einige Grundkonstellationen hingewiesen:

* Zunächst fällt eine eigenartige, bislang ungekannte Kombination alltäglicher Plagegeister mit dem Teufel auf. Hier wird das ganze und breite Arsenal von Wüsten-, Luft- und Erdgeistern unter Führung des Teufels zu einer einzigen, gemeinsam handelnden Phalanx gebündelt. Die Dämonen treiben jetzt nicht mehr ihr je eigenes, zwar lästiges Unwesen, das ein tapferer, kluger oder mit Gott verbundener Mensch aber überstehen kann. Die Zweiteilung der erfahrenen Alltagsplagen und des mit Gott bzw. Christus konkurrierenden Teufels gilt als überwunden. Dadurch entsteht ein Modell, das einerseits die breit gefächerten Erfahrungen von körperlicher Unbill in den Blick nimmt, andererseits auch die geistig-geistliche Verführung achtet und beide als die Wirkung desselben Teufels versteht. Jetzt kann der Mönch seine schwierige Situation als eine Einheit verstehen.

* Dadurch wird die Welt der Dämonen entwirklicht. Zwar verbreiten sie Qual, Schrecken und körperlichen Schaden, aber der Gottgefällige entlarvt sie als Phantome, aufgeplustert für Augen und Ohren, ohne eigene substantielle Identität, nichts anderes als Transformationen des Teufels selbst. Dass der Teufel sich neben den schrecklichen Tiergestalten auch der Gestalt einer Frau zu bedienen weiß, spricht für die männerorientierte Ausrichtung dieser Askese[40].

* Einige Stellen weisen darauf hin, dass diese Phantome dem Geist des geplagten Mönchs entspringen, also subjektive Vorstellungen sind[41]. Dieser Gedanke wird von der Absicht getragen, Christus und Besieger aller Dämonen herauszuarbeiten. Diesen Christus kann seine Anrufung durch Antonius gegenwärtig setzen; mit seiner Gegenwart ist der schreckliche Spuk vorbei.

* Die Präsentation von Teufel und Dämonen im Leben des hl. Antonius wird zum Ursprung einer differenzierten Typologie und Symbolisierung der Versuchung in verschiedensten Variationen, die sich z.T. bis in die Gegenwart hinein gehalten haben[42].

* Die Wirkungsgeschichte der Antoniusvita verdankt sich ferner der Tatsache, dass die Versuchungen auf die eisernen Grundregeln eines mönchischen Lebens ausgerichtet und von ihnen her transparent gemacht werden: „Geldgier und Ehrgeiz, die mannigfache Lust des Gaumens und all die anderen Freuden des Lebens“. Der Ehrgeiz wird dadurch bekämpft, dass der Mönch in die Wüste geht und sich von den Menschen zurückzieht; der Gaumenlust wird das äußerst karge Leben entgegengesetzt. Dem Kampf gegen die Geldgier dient eine Anekdote[43]. Die meiste Aufmerksamkeit finden also die Verführungen des Sexualtriebs. Mit den drei Versuchungen, denen Jesus in der Wüste ausgesetzt war (Mt 4, 1-11), hat diese mönchisch-asketische Typologie nicht viel zu tun.

Dank dieser asketischen Tradition werden die Funktionen der teuflischen Versuchung stark typisiert. Sie lauten: Hochmut (gegen Gehorsam), Reichtum (gegen Armut) und Wollust (gegen Keuschheit). Der Teufel verführt also zur Eitelkeit, zur Habgier, zum (unerlaubten) sexuellen und kulinarischen Genuss. Mit dieser Typisierung wurde die Spaltung zwischen den vielfältigen Dämonen und dem Teufel überwunden, denn die Dämonen setzen genau an jenen leiblich-geistigen Eigenschaften des Menschen an, die dessen Verhältnis zu Gott beeinträchtigen können.

„Versuchung des heiligen Antonius“

Es ist das Verdienst einer Ausstellung in Hamburg im Frühjahr 2008, auf die Rezeption der Antoniusvita in der Malerei unter dem Thema „Schrecken und Lust“ hingewiesen zu haben[44]. Hier kann keine fachkundige Analyse geboten werden. Nur einige allgemeine Hinweise sind möglich. Auffallend sind zwei Tatbestände: (1) Offensichtlich blieb der Wüstenvater Antonius in der christlichen Tradition bis weit hinein in die Neuzeit lebendig. Selbst M. Luther, der an die Tradition des Mönchstums seine theologischen Fragen hatte, zollte ihm hohen Respekt. (2) Gerade in der Wende zur Neuzeit haben die Teufels- und Dämonenbilder ebenso wie das Bild vom verletzlichen und angefochtenen Menschen die Phantasie der Malerei beschäftigt.

Zu nennen ist die Versuchung des hl. Antonius von M. Grünewald auf dem Isenheimer Altar in Colmar, der ursprünglich in einem Hospital seinen Ort hatte. Es ist ganz deutlich, dass Grünewald nicht mehr die asketischen Fragen und Hochleistungen des Antonius in den Mittelpunkt stellt, sondern die Schmerzen und Qualen eines von Krankheiten und Schmerzen heimgesuchten Menschen. Die Tiere und Untiere des Gemäldes werden eher zu Symbolen des körperlichen, vielleicht auch des geistigen menschlichen Elends als zu Symbolen der klassischen Versuchungen, die dem Weg zu Gott entgegenstehen.

Zu nennen sind ferner die Gemälde von Hieronymus Bosch und seiner Schule sowie anderer flämischer Maler, die sich in manchem Detail genauer an die Antoniusvita halten, aber in ihrer erzählfreudigen überbordenden Phantasiewelt ebenfalls den Absprung von asketischen Idealen vollziehen. Nachwirkungen sind im 19. und 20. Jahrhundert zu entdecken.

3.4 Sexismus und die Rolle der Sexualität

Zu erwähnen ist noch ein Doppelaspekt, der in der Antoniusvita schon zu entdecken ist und später – in religiös integrierten und in säkularisierten Formen – seinen eigenen Weg eingeschlagen hat. Das sind die dominierende Rolle des Sexualität und – als Hintergrundphänomen – des Sexismus, der die gesamte christliche Tradition belastet und dem Titel dieses Symposions („teuflische Beziehungen“) seine eigene Note gibt.

Die dominierende Rolle der Sexualität ist kein biblisches Erbe, sondern die Folge früher Fixierungen gnostischen und manichäischen Ursprungs. Der in das Christentum schon früh einfließende Neuplatonismus förderte von Anfang an eine ontologisch und erkenntnistheoretisch begründete Leibferne. Gnostische, manichäische, aber auch stoische Konzepte, die sich später in Augustinus bündeln sollten, fixierten das Problem der Versuchung und der Sünde in hohem Maß auf die Sexualität. Die Verpflichtung des Mönchtums zur Enthaltsamkeit – eine der großen und nie aufgegebenen Konstanten der asketischen Tradition – hat diese Fixierung konstant verfestigt. So wird verständlich, dass im Verhältnis von Teufeln und Dämonen zum Menschen bis in die Gegenwart hinein die Sexualität immer noch eine große Rolle spielt. Selbst der Begriff der Verführung hat eine dominierende sexuelle Konnotation erhalten.

Der damit gekoppelte Sexismus verschärft die Problematik zum Nachteil des weiblichen Geschlechts. Athanasius wählt als Helden seiner asketischen Botschaft einen Mann und alle Anspielungen auf die Sexualität spielen in erster Linie mit der Phantasie, wie sie sich im männlichen Geschlecht zeigen. Mit Sexismus meine ich also die nie reflektierte Konzentration der gesamten Teufels- und Dämonenproblematik auf eine Männerwelt. Genau dies hat zur Folge, dass Frauen nie als Personen in den Blick kommen, die von Männern verführt (oder vergewaltigt) werden, sondern nur als Verführerinnen, die ihrerseits die armen Männer versuchen. Wie schon in der Antoniusvita werden sie zu Akteurinnen des Teufels, wenn nicht gar zum Teufel selbst (dessen männliche Züge an sich unbestritten sind). Für das spätere Hexenproblem ist damit ein wichtiger Schritt gesetzt. Dass im Zirkel dieser Phantasien der Teufel schließlich als Geschlechtspartner von Frauen auftritt, vollendet nur den perversen Kreis von Männerphantasien, deren Alltagswirkung bis in die Gegenwart nicht zu verkennen ist. Doch brechen wir hier ab.

IV. Ein Symbolkosmos in Beweisnot

4.1 Beginn der Neuzeit – allmähliche Erosion

Unerwähnt bleiben die Formen der Depravation (sofern dieser Begriff am Platz ist), die sich im Umgang mit dem Teufel eingestellt haben. Je mehr sich mit der beginnenden Neuzeit die Kunst emanzipiert, je wichtiger der Blick auf den Menschen (auf Leib und Psyche, auf Strebungen und Phantasien) wird, umso mehr emanzipiert sich der Teufel auch wieder aus der thematischen Mitte, in der ihn die christliche Tradition gehalten hat. Umso mehr kann sich der Umgang mit dem Teufel auch wieder in magische Praktiken verflüchtigen, zur unkontrollierten Projektion menschlicher oder gesellschaftlicher Probleme werden. Auch ist die maßlose Verteufelung von Personen in der frühen Neuzeit nicht nur die Folge theologischer Überlegungen, sondern auch Zeichen eines theologisch-denkerischen Kontrollverlusts. Oft ist der Hexen- und Besessenheitswahn, wie mir scheint, nicht Folge kirchlichen Eingreifens, sondern einer allgemeinen Mentalität, die in Krisenzeiten nach Ursachen und Verursacherinnen sucht. Doch das ist ein weites Feld.

Wichtiger ist die kulturell geistige Situation, die sich seit der Aufklärung allmählich und sehr langsam verändert. Oft wird vergessen, welch große Rolle die Gestalt des Teufels noch für Martin Luther spielte. Für ihn war die Welt wirklich noch voller Teufel und er rechnete allenthalben mit ihrem Wirken[45]. Ebenso vital rechnete Ignatius von Loyola in seinen intensiven Introspektionen in das menschliche Innenleben noch mit dem Wirken des Teufels. In seinen „Regeln zur Unterscheidung der Geister“ leitet er dazu an, in genauer Selbstbeobachtung die geheimen und offenen Regungen des Geistes zu beobachten, die von Gott oder eben vom Teufel kommen können. Vielleicht war das der erste Schritt zur Zivilisierung des Teufels, zu seiner Überführung vom Feld brutaler Lebensschädigung in das Gebiet der achtsamen Selbstbeobachtung und Reflexion.

4.2 Umschlag der Beweislast

Doch Luther und Ignatius befanden sich schon mitten in einem unumkehrbaren Prozess. Allmählich löste sich die religiös integrierte und integrierende Weltanschauung des Mittelalters auf. Von jetzt ab hatte die Theologie zu beweisen, was zuvor als selbstverständlich galt, dass es nämlich den Teufel gibt, dass er gegen Gott und ungewollt für ihn arbeitet, dass die ungezählten Plagen, Misserfolge, die moralischen und spirituellen Gefährdungen von ihm als Störung der menschlichen Gottesbeziehung initiiert sind. Auf Dauer blieb solchen Vor-Urteilen der Erfolg versagt. Zunächst änderte dies für die Frömmigkeit und den Volksglauben wenig. Wichtig wurden aber historische, anthropologische und psychologische Rekonstruktionen, die die Entstehung des Teufelsglaubens und dämonische Erfahrungen immer umfassender erklärten.

Die historisch-kritische Exegese und die Religionswissenschaften, Projektionstheorie und Ideologiekritik, Psychoanalyse und vielfältige Symboltheorien haben uns seit dem 19. Jahrhundert mit wachsender Intensität dazu gezwungen, die Geschichte des Teufels neu zu verstehen. Der Abschied vom Teufel konnte neu postuliert, aber von vielen Christen auch praktiziert werden. Selbst für E. Bloch geschah dieser Abschied zu kampflos, denn welche Ebene der Auseinandersetzung sollte die Frage nach seiner Existenz überflüssig machen? Es ist nicht zu übersehen, dass auch der ausdrückliche Kampf gegen ihn, der im Namen menschlicher Autonomie geführt wurde, ebenfalls zu Todesspuren der Verteufelung und schlimmster Unmenschlichkeit führte.

Wie sollen Christen mit dieser Frage umgehen? Ihnen ist – je nach Perspektive – ein höchst schwieriges, zugleich ein sehr einfaches Programm zugeschrieben: „Den Satan als den eigentlichen Verursacher des Bösen aufzudecken und zu bekämpfen, sah zumindest Jesus selbst sich nicht gesandt. Offensichtlich erblickte er nicht in ihm die entscheidende Ursache für das Böse und das Unheil in der Welt, sondern im Fehlen jener Liebe, die dem zu helfen und den zu heilen vermag, der im Bösen verstrickt und vom Unheil geschlagen ist.“[46] Anders gewendet: Nur wenn unser Handeln von Solidarität und Mitmenschlichkeit geleitet ist, werden wir angemessen vom Teufel reden und ihm einen angemessenen Abschied geben können. Andernfalls kehrt er in immer neuen Variationen, in archaischen, theologischen, christologischen oder heilsgeschichtlichen Konstellationen zurück.

Die Geschichte des Teufels hatte ja – je nach Perspektive – schon immer mit einem Problem der Oberflächlichkeit zu tun. In Epochen der Teufelsdominanz herrschte die Oberflächlichkeit der gedankenlosen Personalisierung. Ganz im Spiegel des personalen Gottesbildes, das in den monotheistischen Religionen zu Hause ist, trat der Teufel als eine mehr oder weniger skurrile, mehr oder weniger übermächtige Person auf: von hoher Intelligenz oder von hinterhältiger Schläue, in engelgleichem Glanz oder mit giftigem Rauch, als machtvoller Heerfrührer oder als kleinlicher Scharlatan, als Verführer der Völker oder als ekliger Quälgeist. Immer hat die Aufmerksamkeit für die Person von der Sache abgelenkt. Die Sachgesetze des Menschenfeindlichen und Verderblichen wurden durch personalen Schrecken ersetzt. Von heilender Wirkung konnte keine Rede mehr sein, denn immer folgten und verewigten sich die Teufelskreise von Teufelsangst, Verteufelung und Besessenheit. Umgekehrt gingen Epochen der Teufelskritik immer mit einer Verharmlosung des Bösen einher. Entweder nahm man in Fortschrittseuphorie das Verderbliche als notwendiges Mittel zum Zweck in Kauf oder man hielt die Kräfte menschlicher Selbstheilung für alle Zukunft für ausreichend. Im Gegenschlag wurde dann wieder der Teufel gepredigt, um dem Bösen die notwendige Aufmerksamkeit zu verschaffen. In den vergangenen Jahrzehnten ist der katholischen Kirche ein Zwischenweg gelungen; ich möchte von einem kontrollierten Teufelsglauben sprechen. Aber wie ich zu Beginn des Referates zeigte, hat dies zu einer unklaren Position geführt. Man betont die psychischen Probleme der sog. Besessenheit, lässt aber Exorzismen im ursprünglichen Wortsinn zu. Man sieht, dass sich der Teufel nicht einfach personalisieren lässt, belässt ihm aber noch den Charakter einer „Unperson“. Nur zu deutlich sieht man die Korrekturbedürftigkeit der Tradition, vermeintliche konziliare Festlegungen wagt man aber nicht aufzugeben[47].

Ich persönlich neige dazu, dem Teufel als einer personal engelhaften Figur endgültig den Abschied zu geben, statt dessen das abgründige Geheimnis des Bösen selber ernst zu nehmen. Der Teufel und alle mit ihm zusammenhängenden Erfahrungen und Ereignisse lassen sich auch humanwissenschaftlich umschreiben. Immer geht es um die verselbständigte Erfahrung von Verderben, Zerstörung oder Unheil, immer auch darum, dass sich dieses Verderben in personale Beziehungen einnistet und durch sie weitergetragen wird. Unter diesem Vorbehalt ist der Teufel in das System einer unübersichtlich und unsteuerbar gewordenen Welt ausgewandert. Allerdings ist mit dieser Behauptung noch nicht die Frage gelöst, wie ich über solche Erfahrungen sprechen, wie ich sie darstellen und dramatisieren soll, um vor der Attraktion des Bösen warnen zu können. Wer etwa das Grauen alles dessen wirklich zum Ausdruck bringen will, was im 20. Jahrhundert geschah und was bis in gegenwärtige Kriege hinein geschieht, kommt in Schwierigkeiten. Trotz aller Bedeutung von Analyse und Beschreibung auf der Ebene angemessener Diagnosen kommen wir auf der Ebene des Ausdrucks von Grauen, der Anklage oder des Aufschreis in Sprachnot. Wenn die Anklage und der Aufschrei unmissverständlich zu Wort kommen sollen, dann hat die Rede vom Teufel oder Satan immer noch ihren Ort[48]. Dann nämlich, wenn der Sinn solcher Rede deutlich ist, wird die Frage, ob es ihn denn wirklich gibt, ziemlich überflüssig. Dann nämlich wird er zum Symbol dafür, dass das Schreckliche, das Unmögliche also, möglich ist. Christen sollten aber nicht vergessen, dass dieser Teufel nach Jesu Überzeugung schon entmächtigt ist, denn Jesus sah Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen. Sache der wirklich Neugierigen unter den Christen ist es deshalb herauszufinden, was denn das Geheimnis dieser jesuanischen Befreiungserfahrung war.

Dies ist ein guter Augenblick, unseren Text zu beschließen, denn wer ihn weiterführen wollte, müsste jetzt ein neues, ein ebenso langes und vielleicht noch spannenderes Kapitel aufschlagen. Der Teufel ist nicht nur ins System ausgewandert (eine Aussage, die natürlich mehr mit unserer Wahrnehmung als mit der Sache selbst zu tun hat), sondern er hat im säkularen Raum europäischer Kultur schon längst seinen eigenen Raum bezogen. Unser Gedächtnis braucht nur jenen kurzen Bogen von Goethes zu Thomas Manns Faust zu ziehen, von den merkwürdigen Funktionsteufeln der Aufklärung[49] zu den wirklich satanischen Gestalten des 20. Jahrhunderts, von der Erfindung der Druckmaschine und der Glühbirne bis zu den unermesslichen Verführungsmöglichkeiten der modernen Unterhaltungselektronik, von den ersten Modernisierungswellen unserer Gesellschaften bis hin zur Globalisierung unserer Kapitalmärkte, die überall dort neue Bedürfnisse schaffen, wo sie etwas anzubieten haben, von der Brutalität und dem Zynismus der Schoa bis zu den ungezählten Stellvertreterkriegen, die seit 50 Jahren geführt werden. Vielleicht müsste man die ganze Teufelsfrage von dieser säkularen Seite her noch einmal aufrollen, um zu ermessen, womit wir es wirklich zu tun haben, wenn wir über Teufel und Besessenheit nachdenken. Vielleicht würde sich dann auch ein tiefgreifender Begriffswandel der hier besprochenen Begriffe anbahnen, bei denen uns Hören und Sehen vergingen.

Anhang

Auszug aus dem Katholischen Erwachsenenkatechismus (1985), S. 109-112: Der Himmel – die Hoffnung des Menschen

[1] Schwieriger als die Erschaffung der Erde ist für uns heute die Erschaffung des Himmels zu verstehen. Was ist der Himmel? Für uns wie für die Bibel ist der Himmel zunächst das sichtbare Firmament, das sich über der Erde wölbt. Daneben findet sich auch noch in unserem heutigen Sprachgebrauch eine zweite Deutung. Wir sagen etwa, man fühle sich im Himmel, habe den Himmel auf Erden oder aber der Himmel sei wie verhangen. In dieser zweiten Bedeutung ist der Himmel der Bereich des menschlichen Strebens, Hoffens, Träumens, das alles Sichtbare, Greifbare, Berechenbare und Machbare übersteigt und ihm erst Weite, Höhe und Tiefe, Aussicht und Perspektive gewährt. Das meint auch das Credo, wenn es sagt, Gott habe zusammen mit der Erde, dem Sichtbaren, die Welt des Unsichtbaren geschaffen. Die Welt ist also mehr, als der Materialismus – der theoretische wie der praktische – meint. Der Materialismus verkennt die Höhe und Tiefe, den Reichtum und die Fülle der Wirklichkeit.

[2] Für die Bibel besteht kein Zweifel daran, daß Gott allein der Himmel des Menschen, d. h. die Erfüllung seiner tiefsten Wünsche und Sehnsüchte ist. Himmel ist dort, wo Gott ist, wo man ihm begegnet und nahe ist. Nicht umsonst ist im Neuen Testament „Himmelreich“ ein anderes Wort für „Gottesreich“. Wenn das Credo sagt, Gott habe den Himmel geschaffen, dann meint es damit auch Wesen, die Gott besonders nahestehen und ihn stets verherrlichen. In der Weihnachtsgeschichte ist von den himmlischen Heerscharen die Rede, die Gott loben: „Verherrlicht ist Gott in der Höhe“ (Lk 2,14). Die Heilige Schrift und die kirchliche Glaubensüberlieferung nennen sie die Engel. Sie sind sozusagen die unsichtbaren Begleiter und Wächter der Sehnsüchte und Hoffnungen des Menschen.

[3] Die Aussagen über die Engel begegnen heute vielen Einwänden und Verste-hensschwierigkeiten. Ohne Zweifel drückt die Schrift die Lehre von den Engeln weithin in mythologischen Sprachformen und in den Vorstellungen der damaligen Zeit aus. Auch ist eine geschichtliche Entwicklung der Engelvorstellungen nicht zu bestreiten. In der christlichen Frömmigkeit wurden sie nicht selten verharmlost, verniedlicht und verkitscht. Ein ernsthaftes Sprechen über die Engel ist auch deshalb schwierig, weil wir dabei an Grenzen der menschlichen Aussagemöglichkeiten geraten. Das wußten auch die großen Lehrer der Kirche. Deshalb müssen wir mit Spekulationen über die Zahl, die Art, die Unterscheidungen und Ordnungen (Chöre) der Engel zurückhaltend sein. Auf der anderen Seite sollten wir freilich auch sehen, daß die Wirklichkeit umfassender und tiefer ist, als eine rationalistisch mißverstandene Vernunft ahnt. Die Wirklichkeit hat ein Unten und ein Oben, ohne welche der Schöpfung Ganzheit, Fülle und Vollkommenheit fehlen würde. Sie wäre dann materialistisch verengt und hätte nicht jene geheimnishafte (numinose) Tiefe und Höhe, die auch viele Dichter und Denker erahnt haben. In der Bildersprache des Mythos drückt sich also eine wesentliche Dimension der Wirklichkeit aus, die rein begrifflich kaum zu fassen ist.

[4] Das Zeugnis der Heiligen Schrift von der Existenz der Engel ist eindeutig. Es findet sich in der Bibel an sehr vielen Stellen.
„Durch das Wort des Herrn
wurden die Himmel geschaffen,
ihr ganzes Heer durch den Hauch seines Mundes.“
(Ps 33,6)
„Denn in ihm (Christus) wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten…“ (Kol 1,16)

[5] Neben dem Zeugnis der Heiligen Schrift ist vor allem das Zeugnis der Liturgie von Bedeutung. Die Engel kommen dort nicht nur am Rande vor, sie haben ihren Ort in der innersten Mitte der Liturgie, beim Sanctus innerhalb des eucharistischen Hochgebets. Gestützt auf solche Zeugnisse der Schrift, der Liturgie und der übrigen Überlieferung hat die kirchliche Lehrverkündigung die Existenz der Engel mehrfach amtlich bekundet (vgl. DS 455-457; 800; 3002; NR 288-290; 295; 316).

[6] Was sind die Engel? Nach der Heiligen Schrift sind sie eindeutig Geschöpfe. Wir dürfen sie verehren, aber nicht anbeten (vgl. Dtn 17,3; Offb 22,8-9). In Anlehnung an die Bibel (vgl. Hebr 1,14) bestimmt sie das Glaubensbekenntnis als unsichtbare, d. h. geistige Schöpfung. Das heißt nicht, daß sie ohne jeden Bezug zur sichtbaren Welt sind und nur sporadisch in sie hineinwirken. Sie repräsentieren einzelne Bereiche der Schöpfung vor Gott.

[7] Die ureigene Aufgabe der Engel ist die Verherrlichung Gottes. Immer wieder heißt es in der Heiligen Schrift: „Lobt den Herrn, ihr seine Engel“ (Ps 103,20; vgl. 148,2; Dan 3,59). Im Sanctus der Liturgie stimmt die Kirche in das Dreimal-Heilig der Engel vor dem Thron Gottes ein (vgl. Jes 6,3; Offb 4,8). So verwirklichen die Engel das wichtigste Sinnziel der Schöpfung, die Verherrlichung Gottes. Die Engel sind aber auch in die Geschichte Gottes mit den Menschen einbezogen. Auch die Engel sind in Christus und auf Christus hin geschaffen (vgl. Kol 1,16). Deshalb sind sie nach den großen Lehrern der Kirche von Gott mit übernatürlicher Gnade ausgestattet. Sie sind in der Geschichte Gottes mit den Menschen Diener und Boten Gottes (vgl. Hebr 1,7). Besonders im Zusammenhang der Offenbarung Jesu Christi treten sie als deutende Boten auf (vgl. Lk 1,11-13.26-28; Mt 28,2-4; Apg 1,10-11). Schließlich sind die Engel personale Gestalten des Schutzes und der Fürsorge Gottes für die Gläubigen. In dem bekannten Psalm (und Kirchenlied) „Wer im Schutz des Höchsten wohnt“ wird das Vertrauen und die Zuversicht in Gott auch damit begründet: „Denn er befiehlt seinen Engeln, dich zu behüten auf all deinen Wegen“ (Ps 91,11; vgl. Gotteslob 291). So sind die Engel „dienende Geister, ausgesandt, um denen zu helfen, die das Heil erben sollen“ (Hebr 1,14).

[8] Ausgehend von solchen Aussagen hat sich in der Frömmigkeitsgeschichte der Kirche der Glaube herausgebildet, Gott habe jedem Gläubigen, ja jedem Menschen einen besonderen Schutzengel beigegeben. Diese Glaubensüberzeugung stößt heute, zumal in der verniedlichenden Form eines falschen Kinderglaubens, auf Skepsis. Sie hat indes – recht verstanden – einen Anhalt in der Aussage Jesu über die Kinder: „Ihre Engel im Himmel sehen stets das Angesicht meines himmlischen Vaters“ (Mt 18,10). Sie bringt nochmals zum Ausdruck, daß die sichtbare Welt eine unsichtbare Tiefendimension besitzt und daß jeder einzelne Mensch, auch und gerade das kleine Kind, vor Gott einen unendlichen Wert besitzt. Die Engel sind uns Helfer und Bürgen dafür, daß unsere Hoffnung und Sehnsucht nicht ins Leere gehen, daß uns der Himmel offensteht.

[9] In ganz anderer Weise kommt die Höhen- und Tiefendimension der Wirklichkeit in der biblischen und kirchlichen Überzeugung von der Existenz der bösen Geister, der Dämonen, des Satans bzw. des Teufels zur Geltung. Es gibt nicht nur Hüter und Wächter der menschlichen Hoffnung, sondern auch Neider, Feinde und Verführer, die die Sehnsucht und Hoffnung des Menschen verwirren, gewaltsam niederhalten oder ins Maßlose, ins Dämonische hinein übersteigern; es gibt den Teufel, den Vater der Lüge (vgl. Joh 8.44). Er ist der Versucher, der uns den Himmel vergällen und verstellen will.

[10] Die Verstehensschwierigkeiten und Missverständnisse sind hier eher noch größer als bei den Engeln. Sicherlich ist die Sprache der Heiligen Schrift wie der kirchlichen Glaubensüberlieferung gerade hier zeit- und weltbedingt. Auf der anderen Seite ist die Existenz des Üblen, des Bösen, Destruktiven, Perversen, Monströsen, Absurden und nicht zuletzt des Diabolischen eine menschliche Erfahrungswirklichkeit wie der Eindruck, daß dieses Böse nicht nur Ausdruck und Folge menschlicher Freiheit ist, sondern eine kosmische Dimension besitzt. Der Horizont, biblisch gesprochen: der Himmel, in den hinein die menschliche Freiheit sich vollzieht, ist vorgängig zu unseren Entscheidungen verengt, verfinstert, verwirrt. Das Paradies ist uns wie durch Cherubim und mit loderndem Flammenschwert versperrt (vgl. Gen 3,24).

[11] Das biblische Zeugnis deutet diese Situation in mythischer Bildersprache, will damit aber eine Realität bezeichnen, die rein begrifflich kaum zu fassen ist. Die bildhaften Aussagen vom zusammengestürzten Himmel, vom Engelsturz (vgl. 2 Petr 2,4; Jud 6), von den bösen Geistern in den Lüften, im Bereich zwischen Himmel und Erde (vgl. Eph 2,2; 3,10; 6,12) treffen die Situation des Menschen sehr genau. Sie deuten an, daß wir nicht nur gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen haben (vgl. Eph 6,12). Die bösen ‚Mächte und Gewalten’ (vgl. Eph 1,21; Kol 2,15 u. a.) repräsentieren den Aufstand und Widerstand der Welt gegen Gott und seine Ordnung und damit zugleich das menschenfeindliche Wesen vieler Wirklichkeitsbereiche. Sie verderben Gottes gute Schöpfung und suchen dem Menschen auch im Bereich des Leiblichen zu schaden, bis dahin, daß sie von seinen körperlichen und seelischen Kräften Besitz ergreifen und den Menschen zutiefst von sich selbst entfremden können (Besessenheit). Als Herrscher dieser Welt (vgl. Joh 12,31; 14,30) und als Gott dieser Weltzeit (vgl. 2 Kor 4,4) vereiteln sie die Hoffnung und die Sehnsucht des Menschen, oder sie übersteigern diese ins Maßlose wie die Paradiesesschlange: „Ihr werdet wie Gott“ (Gen 3,5). So ist der Teufel der Vater der Lüge (vgl. Joh 8,44). Er deutet die Wahrheit über den Menschen um; er vernebelt die an sich klare Unterscheidung zwischen Ja und Nein und verwirrt die von Gott gegebene Ordnung der Welt. Damit wird er für den Menschen zum Versucher, der freilich nur dann, wenn der Mensch ihm zustimmt, Macht über ihn gewinnen kann.

[12] Macht und Ohnmacht der bösen Geister werden in der Bibel vor allem im Zusammenhang des Auftretens Jesu deutlich. Besonders das Markusevangelium beschreibt das ganze Leben und Wirken Jesu als Kampf mit dem Satan (vgl. Mk 1,23-28.32-34.39; 3,22-30 u. a.). Mit Jesus aber kommt der Stärkere, der den Starken besiegt. In ihm bricht die Herrschaft Gottes an, weil er in der Macht Gottes die Dämonen austreibt (vgl. Mt 12,28; Lk 11,18; 10,18). Weil Jesus Christus die bösen Mächte und Gewalten endgültig besiegt hat (vgl. Eph 1,21; Kol 2,15; Offb 12,7-12), ist Dämonenangst unchristlich. Vielmehr gilt: „Seid nüchtern und wachsam! Euer Widersacher, der Teufel, geht wie ein brüllender Löwe umher und sucht, wen er verschlingen kann. Leistet ihm Widerstand in der Kraft des Glaubens!“ (l Petr 5,8-9).

[13] Die kirchliche Lehre liegt auf der Linie des Schriftzeugnisses. Denn soll das den Menschen unfrei machende Böse nicht von einem bösen, von Gott unabhängigen Urprinzip stammen, was dem christlichen Glauben an Gott, den allmächtigen Vater, zutiefst widerspräche, dann kann es nur auf Geschöpfe zurückgehen, die von Gott gut geschaffen, aber – wie das IV. Laterankonzil (1215) sagt – durch eigene Entscheidung böse geworden sind (vgl. DS800; NR 295). Nach kirchlicher Lehre gibt es also nicht nur das Böse, sondern auch den Bösen bzw. die Bösen. Damit wird die katholische Lehre einerseits der menschlichen Erfahrung von der Abgründigkeit der Welt wie dem biblischen Zeugnis gerecht, andererseits kann sie damit die Bedeutung und den Einfluß der bösen Geister begrenzen: Sie sind trotz allem nur endliche, von Gott geschaffene und insofern bleibend von ihm abhängige Größen. Ihre unselige Herrschaft ist durch Jesus Christus gebrochen und wird durch das Wirken des Heiligen Geistes immer mehr überwunden. Die Hoffnung behält das letzte Wort.

[14] Mit „Himmel und Erde“ ist der Daseinsraum des Menschen abgesteckt und der Raum eröffnet, in dem sich die Geschichte Gottes mit dem Menschen abspielt. Alle Aussagen über die materielle Welt wie über die geistige Welt der Engel und Dämonen sind deshalb Rand- und Rahmenaussagen für dieses Zentrum der Glaubensverkündigung. Wir dürfen diese Aussagen darum nicht zum Zentrum oder zu einem um seiner selbst willen wichtigen Gegenstand der Verkündigung und des Glaubens machen. Umgekehrt dürfen wir die kosmische Dimension, die sich in ihnen ausspricht, nicht zugunsten einer anthropologischen Engführung übersehen. In der biblischen und kirchlichen Rede von den Engeln wie von den Dämonen geht es um die universal-kosmologische Dimension der Geschichte Gottes mit den Menschen. Sie erst gibt dieser Geschichte ihre Dramatik und ihre universale Dimension.

Anmerkungen

[1] Man rufe etwa die website „satanshimmel.de“ oder „schwarze.seele.com“ auf. Letztere bietet Links zur Church of Satan und zum Temple of Set (eingesehen im Februar 2008).

[2] Angaben im Jahre 2000; vgl. Massimo Introvigne, Satanismus, Satanskulte, in: Lexikon für Theologie und Kirche IX, Freiburg 32000, 80f.; Ingolf Christiansen, Satanismus. Faszination des Bösen, Gütersloh 2000; Melanie Möller, Satanismus als Religion der Überschreitung. Transgression und stereotype Darstellung in Erfahrungs- und Aussteigerberichten, Marburg 2007; Joachim Schmidt, Satanismus. Mythos und Wirklichkeit, Marburg 22003.

[3] Ingolf Christianse, Rainer Fromm, Hartmut Zinser, Brennpunkt Esoterik, Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Inneres, 2006.

[4] Die in der Presse gekannt gewordenen Massenmorde und Blutbäder im Kreis sogenannter Sekten (etwa der Sonnentempler in den Jahren 1994 und 1995 in der Schweiz) haben nur bedingt mit Satanismus zu tun. Apokalyptische Endzeiterwartungen spielen dabei eine weit größere Rolle.

[5] Deutsche Bischofskonferenz (Hg.), Katholischer Erwachsenenkatechismus. Das Glaubensbekenntnis der Kirche, Kevelaer u.a, S. 109-112. Offiziell ist dieser Katechismus noch heute gültig. Inhaltlich wird er vom allgemeinverbindlichen Katechismus der Katholischen Kirche (deutsch 1993) bestätigt.

[6] Herbert Haag, Abschied vom Teufel, Zürich 1969; vgl. die großenteils apologetischen Antworten von Walter Kasper (Hg.), Teufel, Dämonen, Besessenheit, Mainz 1978.

[7] Diese Vorbehalte gelten auch gegenüber vermittelnden Theoremen, etwa dem von K. Rahner und W. Kasper, die vom Teufel als einer Person in Form einer „Un-person“ reden. Bei dieser Lösung wird die vermeintliche[!] Dogmatisierung einer personalen teuflischen Existenz (4. Laterankonzil, 1215) mit dem altkirchlich-neuplatonischen Lehrsatz vermittelt, dass das Böse privatio boni (Beraubung des Guten) sei. Was aber eine personale Unperson – sozusagen am unteren Rande personalen Seins stehend – ist, das weiß niemand so recht. Dagegen scheint mir unbestreitbar, dass das Böse ontologische Kategorien sprengt, zu ihnen also quer steht. Im vollen Bewusstsein dieser Problematik nennt K. Barth das Böse als das „Nichtige“, als ein Drittes zwischen Sein und Nichts (K. Barth, Kirchliche Dogmatik III/3, Zürich 1950, S. 327-425 (§ 50); vgl. H. Häring, Das Böse in der Welt. Gottes Macht oder Ohnmacht?, Darmstadt 1999, S. 77-82).

[8] Manuaela Martinek, Wie die Schlange zum Teufel wurde. Die Symbolik in der Paradiesgeschichte von der hebräischen Bibel bis zum Koran, Wiesbaden 1996.

[9] „Dann erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt. Sie war schwanger und schrie vor Schmerz in ihren Geburtswehen. Der Drache stand vor der Frau, die gebären sollte; er wollte ihr Kind verschlingen, sobald es geboren war. Und sie gebar ein Kind, einen Sohn, der über alle Völker mit eisernem Zepter herrschen wird. Und ihr Kind wurde zu Gott und zu seinem Thron entrückt. Die Frau aber floh in die Wüste, wo Gott ihr einen Zufluchtsort geschaffen hatte; dort wird man sie mit Nahrung versorgen, zwölfhundertsechzig Tage lang.“ (Apk 12,1-6).

[10] Augustinus eröffnet die Reihe der später so oft wiederholten Traktate über die menschliche Freiheit. Bei ihm spielte diese Frage eine zentrale Rolle; vgl. Hermann Häring, Die Macht des Bösen. Das Erbe Augustins, Zürich 1979, S. 139-161.

[11] Zur Appellstruktur der Texte s. Wolfgang Iser, Unbestimmtheit als Wirkungsbedingung literarischer Prosa, Konstanz 1970. Zur Frage der Wirkungsästhetik s. Horst Turk, Theorie und Interpretation der literarischen Wirkung, München 1976.

[12] Dass andere Theologen für Luzifers „Nein“ die Erhebung des Menschen in den Stand des Bildes und Gleichnisses Gottes (Gen 1,26) anführen, ist für unsere Folgerungen zweitrangig.

[13] Die Entstehung des österlichen Lobgesangs Exultet wird in der Regel auf das 4. Jh. datiert. Der Ausdruck lucifer matutinus wird wegen seiner Nähe zum Namen Satans noch immer etwas schamhaft mit „Morgenstern“ übersetzt.

[14] Gerald Messadié, Teufel, Satan, Luzifer. Universalgeschichte des Bösen, Frankfurt 1995; Irmingard Hofgärtner, Teufel und Dämonen. Zugänge zu einer verdrängten Wirklichkeit, München 1985.

[15] Vgl. die ausführlichen Analysen in Herbert Haag mit Beiträgen von Katharina Elliger, Bernhard Lang und Meinrad Limbeck, Tübingen 1974, insbesondere Teil II: Dämonen und Satan im Alten Testament, S. 141-269; vgl. die großenteils apologetischen Antworten auf dieses Buch sowie auf die Affäre von Klingenberg (vgl. Anm. 12): Walter Kasper (Hg.), Teufel, Dämonen, Besessenheit, Mainz 1978.

[16] Karl Barth, Kirchliche Dogmatik III/3 (wie Anm. 7), S. 309.

[17] Bekannt ist noch immer der Fall Klingenberg, der am 1. Juli 1976 zum Tod der Studentin Anneliese Michel führte und in der Presse großes Aufsehen erregte. Der Fall belegt in klassischer Weise, wie ein Exorzismus nicht vom Teufel befreit, sondern das Opfer auf den Teufel (bzw. auf das, war man für den Teufel hält) fixiert und Menschen buchstäblich verteufelt wird. Im Fall Klingenberg haben die Exorzismen nachweislich produziert, was sie beenden wollten, bis die gemarterte Frau an Entkräftung und Nahrungsmangel gestorben ist. Vgl. Felicitas D. Goodman, Anneliese Michel und ihre Dämonen. Der Fall Klingenberg in wissenschaftlicher Sicht, Stein am Rhein 21987. Es ist genau die anthropomorphe, in christlichen Kreisen immer wieder gestützte Rede vom Teufel, der sich auf den paradiesischen Schlangenmythos beruft und Besessenheitsvorstellungen mit ihren unmenschlichen Folgen ermöglicht.

[18] Alfons Rosenberg, Engel und Dämonen. Gestaltwandel eines Urbildes, München 1967.

[19] Meinrad Limbeck, Christus Jesus, der Weg seines Lebens. Ein Modell, Stuttgart 2003.

[20] Haag, Teufelsglaube (wie Anm. 15), S. 271-388.

[21] Gemeint sind die echten Paulusbriefe sowie der Epheser- und der Kolosserbrief.

[22] Wir sehen dort feuerrote und fahle Pferde und glühende Kohlen, Hagel, Feuer, Rauch, Schwefel und Blut, brennende Berge, Heuschrecken und Rosse mit Frauenhaar, Löwengebissen, den Schlangenschwänzen und Skorpionstacheln, Donner und Löwengebrüll. Der Drache bedroht die Frau. Aus dem Meer steigt ein Tier mit zehn Hörnern und sieben Köpfen, wie ein Panther mit Bärentatzen. Sieben Engel gießen ihre Zornesschalen aus. Die Hure Babylon sitzt an den vielen Gewässern. Sie hat zehn Hörner und sieben Köpfe. Schließlich, im Kapitel 20 taucht Satan wieder auf, bis am Schluss endlich das Neue Jerusalem erscheint.

[23] Raimund Schwager, Der wunderbare Tausch. Zur Geschichte und Deutung der Erlösungslehre, München 1986.

[24] Chiliasmus meint die tausendjährige Zeit, in der der Teufel gefesselt wird, um dann zum letzten Kampf vor seiner Besiegung losgelassen zu werden. „[Der Engel] überwältigte den Drachen, die alte Schlange – das ist der Teufel oder der Satan -, und er fesselte ihn für tausend Jahre.“ (Apk 20,1-2).

[25] So während der Katechese anlässlich der Generalaudienz vom 13. August 1986.

[26] „Manche glauben, in psychoanalytischen oder psychiatrischen Studien oder in spiritistischen Erfahrungen, die heute in manchen Ländern leider so verbreitet sind, einen genügenden Ausgleich zu finden. Heute zeigt man sich eher stark und skrupellos, gibt sich als Positivisten, zeigt sich aber bereit, an so viele magische oder volkstümliche Einbildungen zu glauben, oder noch schlimmer: die eigene Seele, die getauft wurde und so oft die eucharistische Gegenwart Gottes empfing und in der der Heilige Geist wohnt, öffnet sich den verderblichen Sinnenserfahrungen, der Schädlichkeit der Drogen wie auch den Verführungen durch Ideologien, die gerade Mode sind. Damit ist nicht gesagt, dass jede Sünde direkt auf eine teuflische Anregung zurückgeht, aber es ist auch wahr, dass wer nicht in einer gewissen moralischen Strenge über sich wacht (vgl. Matth. 12,45.- Eph. 6,11), sich dem Einfluss des mysterium iniquitatis aussetzt, auf das sich Paulus bezieht (2 Thess. 2, 3-12) und das unseren alternativen Heilsweg problematisch werden lässt.“ (Paul VI. am 15.11.1972).

[27] Die immer noch wirksame Ideologie der zu vernichtenden Schurkenstaaten hat nichts mit der kirchlichen Lehre vom Bösen oder vom Teufel zu tun. Aber es lässt sich auch nicht leugnen, dass sich die Vertreter dieser Ideologie auf christliche Inspiration berufen. Im spanischen valle de los caïdos, Grabstätte Francos und Pilgerstätte der unverbesserlichen Francoverehrer, findet man allenthalben Darstellungen des Satanbezwingers Michael mit einem Instrument in den Händen, das man ebenso als Schwert wie als Kreuz entschlüsseln kann. Wer das vermeintlich Satanische mit dessen Mitteln ausrotten will, verstärkt nur, das zu überwinden er vorgibt.

[28] „Daher lügt sie in allem, was sie verspricht, erscheint sie groß, so ist sie klein, erscheint sie mehr, so ist sie weniger, und das Seiende, das man an ihr vermeint, ist ein Nichts, wie ein flüchtiges Spiel …“ (Plotin, Enn III 6 (26),7,12; zit. Häring, Macht (wie Anm. 11) S. 39.)

[29] Dabei vernachlässige ich aus Platzgründen die vielfältigen Auseinandersetzungen mit dualistischen Systemen, die mit Augustins Diskussion des Manichäismus ihren Höhepunkt fanden. Der in diesen Band aufgenommene Beitrag von Daniel Müller zeigt eindrücklich, dass dualistische Konzeptionen noch lange virulent bleiben werden.

[30] Als eine Fundgrube solcher Verteufelungen erweist sich das mehrbändige Werk von Karlheinz Deschner, Kriminalgeschichte des Christentums I-VIII, Hamburg 1986-2004. Hier interessieren vor allem Band I/Die Frühzeit (1986) und Band II/Die Spätantike (1988). Dieses Werk wird hier nicht als Gesamtwertung des Christentums eingeführt, aber die Einzelinformationen als solche sind genau dokumentiert und in der Regel unangreifbar.

[31] Unbestreitbar stellt die Besessenheit eine elementare Erfahrung in den uns bekannten Religionen dar. Davon zeugt auch die Bibel. Auch von Jesus werden Teufelsaustreibungen berichtet. Teils mögen sie anekdotisch oder legendarisch ausgeweitet sein. Ein historischer Kern ist unbestritten: Vgl. Johannes Dillinger, Beelzebubstreitigkeiten. Besessenheit in der Bibel, in: Hans de Waardt u.a. (Hg.), Dämonische Besessenheit. Zur Interpretation eines kulturhistorischen Phänomens, Bielefeld 2005, S. 37-62. Dennoch wird heute kaum jemand behaupten, dass Jesus in der Austreibung von Teufeln seine Hauptaufgabe oder einen Zweck in sich gesehen habe. Die für heute interessante Frage ist nicht, ob Jesus Teufel ausgetrieben hat oder nicht, sondern wie er heute Menschen vom Bösen befreien würde.

[32] Zum Mittelalter neuerdings: Hubert Herkommer (Hg.), Engel, Teufel und Dämonen. Einblicke in die Geisterwelt des Mittelalter, Basel 2006; Gregor Ahn/Manfried. Dietrich, Engel und Dämonen. Theologische und religionsgeschichtliche Aspekte des Guten und des Bösen, Münster 1997; Robert Müller-Sternberg, Die Dämonen. Wesen und Wirkung eines Urphänomens, Bremen 1964.

[33] Haag, Teufelsglaube (wie Anm. 15), S. 146.

[34] Zur Hexenfrage vgl. schon 1974 Katharina Elliger, in Haag, Teufelsglaube (wie Anm. 15), S. 74-128. Zur später einsetzenden Hexenforschung kann ich nur auf die immense Arbeit verweisen, die im Arbeitskreis Interdisziplinäre Hexenforschung (AKIH) geleistet worden ist.

[35] Ich sehe hier davon ab, dass die Kategorie des Dämonischen von der Psychologie, insbesondere der Psychoanalyse, außer Kraft gesetzt wurde. Für frühere Epochen sind sie immer noch zu nennen, weil sie der Selbsterfahrung der damaligen Menschen entspricht.

[36] Ignatius von Loyola, Exerzitienbüchlein, Nr. 313-336.

[37] Heiko A. Oberman, Luther. Mensch zwischen Gott und Teufel, o. J.,  S. 223-239.

[38] Hans-Martin Barth, Der Teufel und Jesus Christus in der Theologie Martin Luthers, Göttingen 1967.

[39] Thomas G. Weinandy, Athanasius. A theological introduction, Aldershot 2007.

[40] Es entzieht sich meiner Kenntnis, wie diese aszetische Männerspiritualität in der aszetischen Tradition von christlichen Frauen rezipiert wurde.

[41] Dieser modern anmutende Gedanke wird in der Darstellung des Malers Joos van Craesbeeck (1605-ca. 1655) thematisiert. Craesbeeck lässt alle verführerischen Gedanken, Vorstellungen und dämonischen Gestalten dem offenen Mund und dem aufgesprengten Hirn des Antonius entspringen. Ähnliches geschieht dann 1874 bei G. Flaubert (Die Versuchung des Hl. Antonius, Frankfurt 1980) sowie – von Flaubert inspiriert – beim italienischen Maler Domenico Morelli (1878).

[42] Zur Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts bietet ein Beiblatt zur Ausstellung „Schrecken und Lust“ (s. Anm. 38) folgendes „Inventar der Versuchung“: hohler oder gespaltener Baum, Besudelung, böser Blick, Deckelpokal, Dudelsack, Eule, Feuer, Fisch, Fledermaus, Frau, Gefäße, Goldklumpen, Kirchenbrand, Knochenmann, Kopffüßler, Krallenfuß, Kröte, Schwein, Teufel, Trichter, Wasser, Krüppel, Kupplerin, Lärm, Messer, Mischwesen, Monster, Pferdeschädel.

[43] „Der böse Feind aber, der seinen Eifer sah und ihn hindern wollte, legte ihm als bloßes Trugbild eine große Menge Silbers auf den Weg. Antonius aber merkte die List des Bösen, hielt an, blickte auf die Scheibe, erkannte den Teufel in ihr und sprach: ‚Woher kommt in der Wüste eine Scheibe? Dieser Weg ist wenig begangen, auch ist keine Spur von Wanderern hier zu sehen. Wenn sie aber irgendwo herausgefallen wäre, hätte man das gemerkt, da sie doch sehr groß ist. Auch wäre dann der Verlierer umgekehrt, er hätte die Scheibe gesucht und gefunden; denn der Ort hier ist ja öde. Das ist eine List des Teufels. Du wirst mich aber in meinem Vorsatz dadurch nicht hindern, Teufel. Dies Ding da aber fahre mit dir dahin ‚zur Vernichtung’. Kaum hatte er das gesagt, da verschwand die Scheibe wie Rauch vor dem Feuer.“ (Kap. 11).

[44] Ausstellung im Bucerius Kunst Forum, Hamburg: „Schrecken und Lust. Die Versuchung des heiligen Antonius von Hieronymus Bosch bis Max Ernst“, 9.2.-18.5.2008; vgl. den gleichnamigen Katalog, München 2008.

[45] Heiko A. Oberman, Luther (wie Anm. 37); ders., Luther – zwischen Mittelalter und Neuzeit: „Heute Nacht kam der Teufel und wollte mit mir disputieren …“ Frankfurt (Evangelischer Pressedienst) 1983.

[46] Meinrad Limbeck, in Haag (wie Anm. 15) S. 317.

[47] Zeuge dieses kontrollierten Teufelsglaubens ist die in katholische Praxis tief eingesenkte und breit angelegte Studie von René Laurentin, Der Teufel. Mythos oder Realität? Die Lehre und die Erfahrungen Christi und der Kirche, Hauteville/Schweiz 1996.

[48] Bernd J. Claret, Geheimnis des Bösen. Zur Diskussion um den Teufel, Innsbruck 1997.

[49] In bibliographischen Hinweisen konnte ich finden: Faul-, Gesind-, Hosen-, Huren-, Kleider-, Lügen-, Läster-, Sauf-, Schrap-, Sorgen-, Spiel-, Tanz-, Trauer- und Zauberteufel. Für Fachleute ist damit das teuflisch biedere Arsenal sicher nicht erschöpft.


Vortrag vom 23.02.2008