Die katholische Kirche sagt Ja. Die Bibel sagt, kein Verheirateter sei wie ein Sklave gebunden.
„Unauflöslich, unauflöslicher, am unauflöslichsten“, schrieb Sabine Demel zum kirchenrechtlichen Umgang mit schwierigen Ehefragen in der katholischen Kirche. Zwar sei die Ehe unauflöslich, doch unter bestimmten Umständen könne die Kirche deren Rechtswirkungen aufheben. Nach Kardinal Kasper, dem verdienstvollen Initiator der aktuellen Diskussion, könnte sich darauf berufen, wer eine neue Ehe christlich und im Bedauern über das frühere Versagen führt. Dabei hält auch Kasper nachdrücklich an der Unauflöslichkeit der Ehe fest.
Doch bei vielen schafft diese Position Verwirrung. Unauflöslich, so ihr Argument, ist ein kategorischer Begriff, der keine Minderungen und Steigerungen zulässt. Oder haben sie den katholischen Denkstil nicht richtig verstanden? In jedem Fall sollte die Bischofssynode diesen ominösen Begriff klären. Schon das Neue Testament verbietet zwar eine Ehescheidung; zugleich verteidigt ein Jesuswort die mosaische Scheidungspraxis, weil die Herzen der Menschen eben verhärtet sind (Mt 19,8). Im selben Atemzug erlaubt Matthäus bei Ehebruch eine zweite Ehe. Auch Paulus hat beim Zerwürfnis zwischen christlichen und „ungläubigen“ Partnern kein Trennungsproblem; niemand sei wie ein Sklave gebunden (1 Kor 7,15). Zudem sind die Jesusworte als Weisung formuliert: „Was Gott verbunden hat, das soll der Mensch nicht trennen.“ (Mk 10,9); dieses Wort setzt voraus, dass die Trennung bisweilen geschah.
Zu Recht besteht die katholische Kirche auf dem Trennungsverbot. Einer Ehe eignet immer eine höchste Verbindlichkeit, denn das Versprechen zur Lebensgemeinschaft gilt gegenseitig und vorbehaltlos. Doch je dynamischer und instabiler unsere gesellschaftlichen Verhältnisse werden, umso bedrohlicher tritt dieser Verbindlichkeit eine höchste Verletzlichkeit gegenüber. Die Partner stehen in einer gegenseitigen Verpflichtung und Abhängigkeit, aber auch in der Dynamik gesellschaftlicher Umstände. Beides kann sich ruinös, geradezu lebensbedrohlich auswirken. Nur in gelingenden Idealfällen (deren es viele gibt) wächst eine unverbrüchliche Einheit des Willens.
Angesichts solcher Alltagserfahrungen erstaunt der moralisch warnende, oft verurteilende Ton, mit dem die offizielle Kirche gerne auftritt. Sie übersieht, mit wie viel schmerzvollen Selbstprüfungen viele Trennungen zumal dann einhergehen, wenn das Wohl von Kindern auf dem Spiel steht. Um solcher Verantwortung willen muss man kein Christ, gar Katholik sein.
Schließlich hängt die katastrophale, inzwischen dokumentierte Weltferne der christlichen Lehrdisziplin damit zusammen, dass die katholische Ehe, dogmatisch verfügt, als ein Sakrament gilt. Das führte zu ihrer massiven Verrechtlichung, Verkirchlichung und zur unberechtigten Vorstellung, die göttliche Gabe der Ehe komme – wie etwa in der Taufe – durch kirchliche Vermittlung und „senkrecht von oben“. Luther hat scharf gesehen, dass die Gabe vorbehaltloser Treue von unten kommt und wächst. Man nenne sie Sakrament, verkenne aber nicht den erfahrbaren Unterschied zu Taufe und Eucharistie. Diese Erfahrungstreue ist wohl der Grund dafür, dass orthodoxe Kirchen im Prinzip eine zweite oder dritte Ehe zulassen, übrigens mit katholisch lehramtlicher Duldung.
Dieser Tage wird man in Rom hitzig und mit Wahrheitswillen diskutieren. Doch die stimmberechtigten Synodenmitglieder sind allesamt zölibatär. Anerkannte Reformgruppen sind nicht zugelassen; offensichtlich bleiben die Purpurträger erneut unter sich. Das verspricht nichts Gutes. Sie laufen Gefahr, im Zirkel ihrer unfehlbaren Selbstbestätigung gefangen zu bleiben, nicht wissend, dass auch Welterfahrung eine göttliche Gabe ist. Für das Ansehen der Kirche wäre das kein gutes Ergebnis.
Hermann Häring, em. Prof. für Systematische Theologie, Berater der Reformgruppe Wir sind Kirche
Erschienen. in DIE ZEIT 09.10.2014, 62