Gemeinsam glauben – Sieben Porträts von unabhängigen Kirchen

Theo van de Kerkhof

Gemeinsam glauben
Sieben Porträts von unabhängigen Kirchen

 Einleitung

Schon seit den 1960er Jahren haben sich manche katholische Gemeinschaften für eine freie, von den offiziellen Kirchenstrukturen unabhängige Stellung entschieden. In den vergangenen Jahren hat sich ihre Anzahl auffällig stark vermehrt. Im Auftrag der Marienburg-Vereinigung ging Theo van de Kerkhof diesem Phänomen nach. Er beschreibt die „neue Gemeinsamkeit”, die diese Gemeinschaften an der Basis der katholischen Kirche verbindet. Sieben Porträts von „Kirchen mit freiem Status“.

 Diese unabhängigen katholischen Kirchen[1] sind örtliche Glaubensgemeinschaften. Viele von ihnen haben sich nach dem Vorbild der Studenten-Ekklesia Amsterdam[2] von der Autorität der Bischöfe losgesagt und gehen als selbständige Glaubensgemeinschaften ihren Weg. Seit der Jahrhundertwende hat sich ihre Anzahl etwa von zwanzig auf vierzig Gruppen erhöht, also auffällig stark vermehrt. Die Marienburg-Vereinigung[3], ein Verband von kritischen Katholiken, interessierte sich für die tieferen Zusammenhänge dieser Entwicklung. Kann man von einem neuen Elan an der Basis der römisch-katholischen Kirche sprechen? Im Auftrag dieser Vereinigung führte ich im Sommer 2013 eine journalistische Recherche durch, die zur Darstellung von sieben unabhängigen Ekklesia-Gruppen[4] und einer abschließenden Betrachtung führte.

Bei meinen Gesprächen mit diesen Gruppen stellte ich immer dieselben Themen zur Diskussion. Doch setzte ich unterschiedliche Akzente, sodass auch die Eigenheiten zur Geltung kamen. Besprochen wurden die Entstehungsgeschichte der jeweiligen Gruppe, ihr Verhältnis zur römisch-katholischen Kirche, ihre Aktivitäten, besonders ihre Gottesdienste. Weitere Fragen kamen hinzu: An was glaubt die Gemeinschaft? Was hält ihre Mitglieder zusammen? Auf welche Schwierigkeiten stoßen sie und was führt sie zum Erfolg? Wie urteilen sie über einen Zusammenschluss auf Landesebene und spielt die Marienburg-Vereinigung eine Rolle?

Der Schlussbericht wurde am 26. Okt. 2013 auf der Jahresversammlung der Marienburg-Vereinigung präsentiert und dann auf der Website dieser Vereinigung unter dem Titel Wat ruist er door het struikgewas[5] veröffentlicht. Die abschließende Betrachtung wurde zugleich in den Berichtband des Kongresses aufgenommen: Gloed onder de as. Documentatie en verslag van het congres [Glut unter der Asche. Dokumentation und Bericht des Kongresses] van 26 Oktober 2013.

Inhaltsangabe

 Einleitung
 I.     Junge Kirche Roermond
II.     San Salvator in Den Bosch
III.    Werkhof-Gemeinschaft in Werkhoven
IV.    Haager Dominikus-Gemeinde
V.    Augustinisches Zentrum „Boskapel Nijmegen”
VI.   Dominikusgemeinde Amsterdam
VII.  Die Ekklesia Breda
VIII. Schlussbetrachtung: Gehe deinen eigenen Weg
Anhang 1: Unabhängige Gemeinden
Anhang 2: Programmtext von San Salvador

 I.       Roermond
         Junge Kirche Roermond: Alles für und durch die Gemeinschaft

Die Junge Kirche Roermond ist eine der frühesten unabhängigen Gemeinschaften der Niederlande. „Wenn das Wort Gültigkeit[6] gestrichen ist, ist man frei und wird zusammen eine Gemeinschaft.“
Info: www.jongekerkroermond.nl

I/1 Die Junge Kirche Roermond in Kurzfassung

Gottesdienste: wöchentlich mit 50 bis 100 Teilnehmern
Sympathisanten: etwa 300 (160 eingeschriebene Familien)
Ehrenamtliche: etwa 100
Arbeitskreise: Rat der Arbeitskreise, Ak.s für Liturgie; gegenseitige Seelsorge, Welt, Flüchtlinge
Finanzen: 63.000 (Etat 2011/2012); alle Einkommen aus Gaben der                  Gemeinschaft und aus der Vermietung von kirchlichen Räumen
Bezahlte Berufskräfte: Pastor (0,5 Teilzeitstelle (und Dirigent
Organisationsform: Stiftung
Beziehung zur römisch-katholischen Kirche: seit 1979 unabhängig
Kernsatz: „Wir wollen eine Gemeinschaft von Menschen sein, die füreinander da sind, in der gegenseitiges Interesse und Wärme selbstverständlich sind, in der jede und jeder einen Ort hat und gehört wird, in der wir uns für eine Welt von Gerechtigkeit und Frieden einsetzen, in der ein Wort nicht nur ein Wort bleibt.”

I/2 Entstehungsgeschichte

Die Junge Kirche Roermond feiert 2014 ihr 45-jähriges Bestehen. Im Jahre 1969 begann die Gemeinschaft unter der Leitung des Kaplans der Innenstadtpfarrei als eine Jugendlichen-Kirche für Schüler höherer Schulen von Roermond und Umgebung. Schnell entwickelte sie sich zu einer Kirche mit einer aktuellen Ausstrahlung und innovativen Liturgie. Sie gab sich den Namen „Jonge Kerk“. Damit verschwand die Ausrichtung auf die Jugend, stattdessen kam die primäre Inspirationsquelle zur Geltung. Es sind die frühen christlichen Gemeinschaften.

1972 wurde Jo Gijsen Bischof von Roermond, womit ein Prozess der Entfremdung einsetzte. 1978 wurde die Junge Kirche Mitglied der Basisbewegungen der Niederlande. „Es gab mit dem Bistum nie einen offiziellen Bruch”, erzählt der Vorsitzende Wim Janssen. „Wir sind nie formell auseinandergegangen. Doch Bischof Gijsen hat irgendwann erklärt, er wolle für das, was wir tun, keine Verantwortung mehr übernehmen. Sein Nachfolger blieb bei dieser Haltung.”

Als inoffizielles Datum des Bruchs gilt der roze zaterdag (Christopher Street Day) 1979 mit einem Demonstrationszug durch die Innenstadt von Roermond anlässlich der Aussagen von Bischof Gijsen über Homosexualität. Die Junge Kirche beschließt ihre Solidarität und eine Abordnung nimmt an der Demonstration teil. Janssen: „Homosexuelle waren Teil unserer Gemeinschaft. Sie fühlten sich bei uns respektiert und zu Hause, Eltern von homosexuellen Kindern dadurch unterstützt. Wir konnten die Haltung von Gijsen nicht tolerieren.”

Danach war kein Einverständnis mehr möglich. Erst hat das Bistum die Junge Kirche gemieden, dann der Gemeinschaft ihren Kirchenraum weggenommen. Untergebracht war die Junge Kirche in der Karoluskapelle (Swalmerstraat), eine der wenigen Rokokokirchen und eine der interessantesten Kirchen unseres Landes. Als die Kapelle restauriert werden musste, gab man der Jungen Kirche zu verstehen, sie dürfe nicht mehr zurückkehren. Mit der finanziellen Unterstützung der Niederländischen Klostergemeinschaften konnte man damals mit der Ursulakapelle (Voogdijstraat) einen neuen Kirchenraum finden. Janssen: „Es ist ein schöner intimer Raum, der genau zu unserer Gemeinschaft passt; eigentlich geeigneter als die Karoluskapelle.”

I/3 Gottesdienst feiern

Seitdem trifft sich die Junge Kirche jeden Sonntag in der Ursulakapelle zum Gottesdienst. Der Chor singt, es gibt ein Lichtritual mit Kerzen und einen Raum für persönliche Anliegen. Die pastorale Sorge und die Aufmerksamkeit füreinander gehört wie selbstverständlich zur Feier.

Die Gottesdienste werden vollständig von der Gemeinschaft gestaltet und geleitet. Der Pastor tritt also nicht in den Vordergrund. Pastorin Olga van Kollenburg: „Wir teilen uns die Leitung der Gottesdienste; als Pastorin bin ich nicht die Leiterin schlechthin.“ Also nicht nur eine, sondern immer mehrere Personen (Männer und/oder Frauen) bereiten den Gottesdienst vor und stehen ihm vor. „Wir haben öfter eine ‘Messe’ mit drei Frauen als eine mit drei Herren’.

Genügend Mitglieder der Gemeinschaft sind theologisch und liturgisch gut eingeführt. „Es gibt Raum für Experimente. Bisweilen erproben wir neue Formen, doch im Grunde passiert da nichts Schlimmes. Gewöhnlich folgen wir der klassischen Struktur von Wort- und Mahlfeier. Wir lesen aus der Bibel, singen, beten, teilen Brot und Wein; Matzenbrot wird herumgereicht. Ob wir das Eucharistie nennen? Mit solchen dogmatischen Diskussionen begibt man sich in eine Sackgasse. Wir sprechen schlicht von ‚brechen und teilen‘”.

Van Kollenburg: „Wir kommen zusammen, wie das die Gemeinschaft der frühen Christen tat. Mit geweihten Vorstehern gab es da keine Probleme. Vom Wort Kommunion – im verengten Sinn von ‚Hostien empfangen’ – hatten sie noch nie etwas gehört; all diese Regeln stammen aus späteren Jahrhunderten.“

I/4  Was uns verbindet

Die Junge Kirche steht auf drei Pfeilern: lernen, feiern, dienen. Unser Logo macht das klar. Wenn etwas die Junge Kirche besonders kennzeichnet, dann ist es ihr Gemeinschaftsgeist. Alles wird gemeinsam getan und gemeinsam getragen. Sorge und Aufmerksamkeit füreinander ist unser zentraler Wert. Er kommt in allen Aktivitäten zum Ausdruck. Wir teilen nicht nur den Vorsitz bei den Gottesdiensten, vielmehr trägt auch die Gemeinschaft die Aufgaben der Seelsorge im sogenannten ‚gegenseitigen Pastorat’. Zu seinen Aufgaben gehören Krankenbesuch, ein Fahrdienst für ältere Menschen zum Gottesdienstbesuch, pastoraler Einsatz bei Begräbnissen, Hochzeiten und Schulabschluss (‘Firmung’), beim Brechen und Teilen (Erstkommunion). Nein, zu diesen Übergangsriten werden keine Priester von außen eingeflogen.

Wir handeln nach dem demokratischen Prinzip. Zwar hat man sich für die Form einer Stiftung entschieden. Dabei übernimmt der Vorstand die tägliche Leitung, aber er operiert nur in enger Absprache mit der Gemeinschaft. Jede und jeder gehört dazu. „Niemand braucht sich zu legitimieren; man ist so willkommen, wie man ist.“

Die Diakonie hat einen wichtigen Stellenwert: „Das Schlimmste, das uns passieren könnte, wäre, dass unsere Worte nur bis zur Kirchentür reichen.” Viele Mitglieder der Gemeinde sind in verschiedenen gesellschaftlichen Organisationen, vom Dritte-Weltladen bis zu Amnesty International aktiv. Wir wollen nicht alles verdoppeln, was andere tun, aber mit gesellschaftlichen Organisationen zusammenarbeiten, z.B. indem wir den Kirchenraum für Aktivitäten zur Verfügung stellen.

I/5 Glaubensverständnis

Ausdrücklich will die Junge Kirche der christlichen Tradition treu bleiben. „Wir wollen keine 2000jährige Tradition einfach über Bord werfen, sondern zur Quelle zurück”, so heißt es im Jahresprogramm 2013/14. Der Gedanke der Rückkehr zu den Quellen ist im Namen der Jungen Kirche schon mitgegeben und innerhalb der Gemeinschaft sehr lebendig. Damit ist die Junge Kirche auch selbstverständlich ökumenisch. Van Kollenburg: „Wir versammeln uns um die Hl. Schrift. Wir versuchen, in der Nachfolge Jesu zu leben und wir leben in der Erwartung des Gottesreichs.“

Die Gemeinschaft ist die Trägerin des Glaubens. Das ist ein Grundgedanke der Jungen Kirche. Ansonsten werden weite Grenzen gezogen. Wir leben einen spontanen Gottesglauben, ohne dass wir ihn sklavisch umsetzen oder uns an bestimmte Vorstellungen binden. So beten wir das Vaterunser, fixieren uns aber nicht etwa auf die offiziellen Hochgebete. Wir sind ausdrücklich christlich, schließen aber Einflüsse anderer Traditionen nicht aus. Buddhistische Meditation ist für uns kein Problem.

Ferner wollen wir für die Gesellschaft insgesamt wichtig sein. Unsere erste Wahl sind nicht die innere Einkehr, sondern gesellschaftliche Kontakte. Unterschätzt man damit nicht die aktuellen lebensanschaulichen Voraussetzungen; persönliche Sinnfindung und Entwicklung sind gegenwärtig doch wichtig? Van Kollenburg: „Das Interesse an der Spiritualität liegt auch uns nahe. Manche unserer Mitglieder gestalten den Gottesdienst bei der Vorbereitung genau in diesem Sinn. Das wird auch miteinander besprochen, immer in einer toleranten Atmosphäre.“

I/6  Verbindung mit der römisch-katholischen Kirche

Die Junge Kirche hat, wie schon gesagt, die Kontakte mit der römisch-katholischen Kirche nicht abgebrochen. Aber sie hat sich von der „Kirche als einem Machtinstrument“ gelöst. Wurden damit die Auseinandersetzungen überwunden? Janssen: „Es gibt keinen Streit. Man muss ihnen einfach die Macht nehmen, dann ist es vorüber und man ist frei. Die Frage nach der ‚Gültigkeit’ (etwa der Messe, der Wandlung, des Gottesdienstes) ist zu verbannen. Damit verschwindet ihre Macht und wir alle werden zu einer Gemeinschaft, die ihre Dinge in gemeinschaftlicher Gesinnung tut.” Van Kollenburg: „In der römisch-katholischen Tradition wurde viel Ballast, Macht und Magie angeschwemmt. Wir müssen den Kern der eigenen Tradition wieder zurückholen.”

Janssen: „In den persönlichen Beziehungen haben wir mit niemandem Streit, aber das Bistum macht einen Bogen um uns. Zunächst dachten wir: Lass’ sie, das hört von alleine auf. Doch es lief anders. In der Haltung des Bistums spiegelt sich etwas von der heutigen Kirche der Niederlande wider. Man hat uns aufgegeben. Bei Diskussionen über den Schwung des kirchlichen Lebens heißt es sofort: ‚Aber die Weltkirche wächst.’ Mit anderen Worten: ‚Ihr seid unwichtig.’ Das muss man sich vorstellen im Licht der evangelischen Geschichte vom Guten Hirten, der auf der Suche nach dem einen Schaf ist.“

I/7 Probleme

Janssen: „Ein Problem ist die moderne Zeit. Die Menschen sind zu beschäftigt. Es gelingt noch, aber es wird immer schwieriger, für den Vorstand, die Arbeitskreise u.ä., Freiwillige zu finden.”

Auch die Junge Kirche entkommt der Überalterung nicht; da hat sie dasselbe Problem wie die Kirchen im Allgemeinen. Wie können wir die Altersgruppen von 30, 40, 50 Jahren erreichen?

I/8 Rat für neue Gemeinschaften

–  Sorge für einen eigenen Raum, ein eigenes Haus.
–  Entschließe dich zur Selbständigkeit, gehe einfach deinen eigenen Weg.
–  Sei pro-aktiv. Gründe eine Stiftung und lege eigene Reserven an.
–  Arbeite an einer organisatorischen Struktur. Zwar trägt die Gemeinschaft, aber das muss auch organisiert werden.
–  Mache dich nicht von nur einer charismatischen Figur abhängig.
–  Ein guter Chor ist ein wichtiges verbindendes Element.

I/9 Brauchen wir eine landesweite Verbindung?

–  Im Allgemeinen ist die Junge Kirche für einen Informationsaustausch. Von Fall zu Fall trägt sie jetzt schon dazu bei.
–  Wie erreicht man jüngere Generationen, Menschen unter 50, insbesondere die Jugendlichen? Eine Antwort auf diese Frage erfordert möglicherweise eine landesweite Strategie.
–  An die Marienburg-Vereinigung gibt es keine direkten Fragen. Wir finden diese Vereinigung noch ziemlich kirchenorientiert. Sie hält ja stark am Wunsch fest, mit der Kirche als Institut in Dialog zu treten. Doch wir halten es für eine Illusion, dieses Institut beeinflussen zu wollen.
–  Es wäre wichtig, die landesweiten Initiativen gut zu bündeln (Marienburg, die Website Kleine Glaubensgemeinschaften (Isaac Wüst)[7] und die Initiative von Winfried Timmers auf dem Zentrum der SVD in Steyl.[8]

II. Den Bosch
San Salvator in Den Bosch: Jedes Blatt atmet den Baum zum Leben.

Nach einem Konflikt mit dem Bistum erklärte sich die San Salvator Gemeinschaft 2011 für unabhängig „Ich fühle mich nicht von der katholischen Kirche getrennt, sondern als jemand, zu dem man gesagt hat: ‘Für dich ist hier kein Platz mehr’.“
Info: sansalvatorgemeenschap.nl

II/1 San Salvator in Kurzfassung

Gottesdienste: wöchentlich am Sonntagmorgen und Samstagabend
Besucher: 230 Teilnehmer (sonntags 200, samstags 30)
Ehrenamtliche: 60
Arbeitskreise/Aktivitäten: Lektürekreise, Hausbesuchskreis, Gastgeberinnen beim Gottesdienst, Autofahrkreis, Schmückgruppe („Blume der Woche“), Vormittag zum Kennenlernen [inloopochtend], Kommunikation, Weltladen, Fastenaktion.
Finanzen: Die Gemeinschaft kommt für alle Einkünfte selbst auf (Etat: 90.000 Euro).
Bezahlte Berufskräfte: zwei Seelsorgekräfte (Teilzeit), zusammen etwas mehr als eine Vollzeitstelle.
Organisationsform: Verein mit etwa 600 Mitgliedern
Beziehung zur römisch-katholischen Kirche: seit 2011 unabhängig
Kernsatz: „Wir ernennen unsere eigenen LiturgieleiterInnen; wir schließen niemanden aus; jede und jeder ist für uns gleichwertig.” Unser Programmpapier Een Visioen van Liefde[9] sagt: „Verwurzelt in der biblischen Tradition, getragen durch Freundschaft, verbunden in Liebe feiern wir das Leben.”

II/2 Entstehungsgeschichte

Schon seit den 1960er Jahren war die San Salvator Pfarrei Versuchspfarrei von Bischof Bluyssen dazu ermutigt. Bis 2011 duldeten seine Nachfolger diesen experimentellen Status mehr oder weniger umfassend. Dann wurde Weihbischof Rob Mutsaerts zum Administrator ernannt. Pastoralreferent John Parker: „Das erste Gespräch, das wir darüber mit ihm führten, war kein Gespräch, sondern ein Diktat: So und nicht anders hat es zu geschehen. Das konnten wir nicht akzeptieren.”

Der Vorstand der Pfarrei wurde ins Bischofspalais bestellt, dies aber nicht zur Beratung, vielmehr bekamen wir zu hören, der Pfarreivorstand werde entlassen und das Bistum stelle keinen neuen Vorstand an. Vorstandsmitglied: „Von dem Augenblick an waren wir entschlossen, unseren eigenen Weg zu gehen.” Am Tag, an dem Mutsaerts als Administrator beginnen sollte, zog die ganze Pfarrei in einer Prozession ins Tageszentrum Eygenweg der Pflegeeinrichtung Cello. Da ist unsere Gemeinschaft also seit 2011 zur Miete, dies in einem Raum, zu dem wir für die Gottesdienste am Wochenende zusammenkommen. In Rosmalen (Beethovenlaan) haben wir einen Begegnungsraum und das Sekretariat.

Nieuwenbroek: „Wir konnten diesen großen Schritt setzen, weil für den Fall x schon alles vorbereitet war; wir wussten, wer mitgehen würde. Auch der Raum, in dem wir jetzt untergebracht sind, war schon vereinbart. Nahezu alle Ehrenamtlichen sind mitgegangen, ferner das vollständige Pastoralteam und beide Chöre.”

II/3 Gottesdienst

Am Sonntag, den 16. Juni, gibt es einen besonderen Gottesdienst. In der San Salvator Gemeinschaft empfangen fünf Erstkommunikanten ihre Erstkommunion. Die Besucher bilden eine vielfältige Gruppe von etwa 200 Personen. Der Chor singt ein gemischtes Repertoire. Alte Oldies wie Overal wonen nergens thuis [Überall wohnen, nirgends zu Haus] bringen uns kurz in die 1960er Jahre zurück. Geef mij je hand [Gib mir deine Hand] hat einen leicht evangelikalen Ton, während der wunderbare Gesang während der Kommunion direkt die Seele berührt. Der Gottesdienst hat eine klassische Struktur, aber die Worte des Gottesdienstleiters John Parker sind an keiner Stelle Standard. Die Gebete sind einfach und direkt. Aus der Bibel wird vorgelesen über Jesus, der Konventionen bricht (Lukas 7, 36-50). Es gibt eine Kindergeschichte über den guten Derk Das [Dachs Dirk], der alt ist und stirbt. Alle Tiere sind traurig, aber als sie zusammenkommen, hilft es ihnen in ihrer Trauer, ihre guten Erinnerungen aufzufrischen. Die Geschichte schwankt zwischen Gegenwart und Abwesenheit. „Danke Dirk”, ruft eines der Tiere in den Wind. „Könnte Dirk das hören? Ja, das Tier fühlt es: Dirk hat es gehört.”

Vorstandsmitglied Nieuwenbroek: „Nicht-kirchliche Bekannte, die mich einmal bei einem Gottesdienst begleiteten, reagierten erstaunt. Sie fanden: ‘Das ist überhaupt keine überspannte Flower-Powerkirche. In gewissem Sinn seid Ihr noch ganz traditionell’. Nein, wir werfen nicht einfach alle Tradition über Bord. Einige aus unserer Gemeinschaft sind der Meinung, wir hielten zu sehr an alten Formen fest. Sie möchten, dass wir mehr ausprobieren. Einmal im Monat haben wir einen thematischen Gottesdienst, dann sind alle Formen noch freier. Dann werden neue Symbole gesucht: Blumen, Steine usw.. Doch wir erkennen uns in der christlichen Tradition, der Botschaft Jesu, der Bibel, was übrigens Inspirationen aus anderen Traditionen nicht ausschließt.”

II/4 Glaubensverständnis

Seit 1993 kennt die San Salvator Gemeinschaft keinen Gottesdienstleiter mehr, sondern eine Pastoralgruppe, darunter zwei SeelsorgerInnen und zwei Mitglieder der Gemeinschaft. Aus diesem Kreis leitet immer eine Person die Liturgie. Manchmal gibt es einen Gastliturgen aus dieser Gruppe, manchmal auch einen (evangelischen) Pastor. „Wir wollen erreichen, dass die Gemeinschaft selbst Gottesdienstleiter hervorbringt, aber dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen”, sagt Nieuwenbroek.

Dem Bistum war das alles ein Dorn im Auge: die Leitung der Gottesdienste, die Rolle von Frauen in der Liturgie, die Musik, der ökumenische Gehalt, die Gebete. Parker: „Unsere Gemeinschaft ist stark vom Gedanken des Allgemeinen Priestertums geprägt.” Trägerin und Zentrum des Glaubens ist die Gemeinschaft.

Parker: „Wir sind alle Suchende und dazu frei, miteinander ins Gespräch zu kommen. Daraus, nicht aus von oben auferlegten Dogmen erwächst unser Glaube. Gewiss, in unserer Gemeinschaft lebt auch ein Glaube an Gott, aber dieser Glaube ist kein festlegbares Faktum. Natürlich suchen wir im Gebet immer neu nach Worten. Gegenwärtig spreche ich vom ‚Ewigen‘, andere ziehen die Worte ‚lieber Gott‘ oder ‚lieber Herr‘ vor. Ja, ich glaube an die Wirklichkeit, die Gott ist.”

Ob wir unsere Gottesdienste Eucharistie nennen? Parker: „So nennen wir sie nicht, aber wir sind dieser Meinung. Wir kommen zusammen, beten, singen, erzählen Geschichten, danken und teilen Brot und Wein. Für uns ist das Eucharistie.“

Wie genau unterscheidet Parker sich dann vom traditionellen katholischen Glaubensverständnis? Liegt der Unterschied nur in der Leitung durch einen geweihten Priester? Parker: „Eine Weihe habe ich übrigens auch empfangen. Aber es gibt auch dogmatische Unterschiede. Das Brot und der Wein, die wir teilen, sind für uns nicht ‚Leib und Blut Christi’. Jedenfalls sagen wir das nie. Aber der wichtigste Unterschied gegenüber traditionellen Kirchen liegt darin, dass wir niemanden von der Teilnahme am Gottesdienst ausschließen.”

Nieuwenbroek: „Dabei möchten wir niemanden vor den Kopf stoßen, vermeiden aber auch nicht vorsichtig bestimmte Worte. Heute hatten wir im Gottesdienst Erstkommunionkinder. Das nennen wir einfach ‚Erstkommunion’, obwohl Mutsaerts sagen würde: ‚Ho, ho, was hier geschieht, ist keine Kommunion‘.”

Seit dem Übergang zu einem unabhängigen Status ist unsere Freiheit gewachsen, wie der Seelsorger Parker findet: „In der Zeit, als wir eine Pfarrei waren, umgingen wir einige Ausdrücke, um Konflikte zu vermeiden. Ein Hochgebet nannten wir ein ‚Gebet am Tisch’. Jetzt nennen wir es einfach ‚Hochgebet‘. Ja, was wirkt jetzt freier.”

II/5 Was uns verbindet

Das Motto der San Salvator-Gemeinschaft lautet: „Jedes Blatt atmet den Baum zum Leben.” Nieuwenbroek: „Wir brauchen einander. Jedes Mitglied der Gemeinschaft ist wichtig, aber er gilt auch, dass wir niemanden ausschließen.” Verwurzelt in der biblischen Tradition, getragen von Freundschaft, verbunden in Liebe, feiern wir das Leben. Das ist für uns eine Art mission statement aus Een Visioen van Liefde, dem Grundsatzpapier[10], in dem die Gemeinschaft formuliert hat, was ihr wichtig ist. Es ist kein Dokument für die Ewigkeit, aber „ein dynamisches und lebendiges Dokument, das später zweifellos aktualisiert wird”, so die Website.

Nieuwenbroek: „Wichtig ist für uns auch, dass wir auf keiner Insel leben. Wesentlich ist für uns unser Kontakt zum täglichen Leben und zur Gesellschaft.” Kann die Gemeinschaft ihren Glauben auch als Suche nach persönlicher Inspiration, nach einer ‚neuen’ oder ‚ungebundenen Spiritualität’ verstehen und sich damit identifizieren?

Parker: „Bei den Gesprächen mit Eltern der Erstkommunikanten, auch in Gesprächskreisen kommen die Fragen nach einer persönlichen Spiritualität zur Sprache. Wir haben einen Spiritualitätskreis, einen Lektürekreise und einen Frauenkreis; es gibt einen Kreis für Mandala-Zeichnen und in der Vergangenheit gab es einen Kurs sacred dance. Aufmerksamkeit und Raum für persönliche Vertiefung ist sicher vorhanden.”

II/6 Kontakt mit der römisch-katholischen Kirche

Nieuwenbroek: „In den Medien liest man regelmäßig von der San Salvator-Gemeinschaft, ‚die sich getrennt hat’. Das irritiert mich immer. Ich fühle mich nicht von der katholischen Kirche getrennt, wohl aber wie jemand, dem gesagt wurde: ‚Für dich gibt es hier keinen Platz mehr.’ Wer sich trennt, trägt Schuld, und das bestreite ich. Wir stehen mitten in der katholisch-christlichen Tradition, sie lasse ich mir nicht nehmen. Was das konkret bedeutet? Wir halten nicht unbedingt an allen Formen, aber an den Kernwerten des christlichen Glaubens fest.” Parker: „Es kommt nicht darauf an, bestimmte festgelegte Formeln in einer festgelegten Abfolge auszusprechen. Darum geht es beim christlichen Glauben nicht.”

Brauchen wir keine befugte Autorität, die festlegt, was diese Kernwerte sind? Über zentrale Fragen – das sehen beide Gesprächspartner so – wird im Vorstand oder in den verschiedenen Arbeitskreisen gelegentlich intensiv diskutiert. Nieuwenbroek: „Wir haben hier überdurchschnittlich engagierte Menschen. Dennoch müssen bisweilen Dinge entschieden werden. Ich habe z.B. die letzte Verantwortung für die Website. Wenn alles darauf ankommt, entscheide ich. Aber zugleich hoffe ich, dass das nicht nötig ist. In der Praxis verlaufen die Dinge beinahe wie von selbst. Wir legen immer auf eine Beschlussfassung wert, die nach Möglichkeit in Beratung und Gemeinsamkeit zustande kommt.

In religiöser Hinsicht ziehen wir weite Grenzen. „Wo wir stehen, ist klar, nämlich in der christlichen Tradition. Aber wir sind offen, heißen die Inspirationen und die Einsichten anderer Traditionen willkommen. So ist z.B. auch Zen-Meditation möglich, wie unsere Praxis zeigt.”

II/7 Schwerpunkte und Sorgen

Nieuwenbroek: „Immer ist darauf zu achten, dass die konkrete Seelsorge und die diakonische Arbeit in einem guten Gleichgewicht sind. Über die Kernwerte unserer Gemeinschaft müssen wir miteinander im Dialog bleiben.

Ferner suchen wir aktiv nach Wegen, um für die verschiedenen Aufgaben ‚frisches Blut‘ in unsere Gemeinschaft zu bekommen. Junge Menschen sind natürlich doppelt willkommen! Auch suchen wir noch immer nach einem geeigneten Raum, in dem wir nicht nur am Wochenende, sondern auch während der Woche Gottesdienste halten können, so etwa für Gottesdienste zum Abschied, für Liebes- und Treuegottesdienste. Diese besonderen Gottesdienste müssen wir jetzt immer an anderen Orten halten.”

II/8 Rat für neue Gemeinschaften

–  Schau in die Zukunft. Schon vor über 30 Jahren haben wir die Stiftung Jan Schoutenstichting errichtet. Dadurch hatten wir organisatorisch und finanziell schon eine gewisse selbständige Basis; alles war vorbereitet.
– Arbeite an deiner eigenen Identität. Über unsere Kernwerte wurde intern viel gesprochen und wir haben sie schließlich in Een Visioen van Liefde festgelegt.

II/9 Sinn eines Verbandes auf Landesebene

–   Eine landesweite Verbindung ist sehr wichtig, aber in dieser Startphase hat sie für uns keine Priorität. Offensichtlich passiert auf dieser Ebene ja etwas. In der letzten Zeit gibt es verschiedene Initiativen, man denke an die Marienburg-Vereinigung, an Bezield Verband[11] oder auf liturgischem Gebiet De Duif[12] in Amsterdam. Schön, dass es diese Organisationen gibt. Schließlich leben wir nicht auf einer Insel.

III. Werkhoven
Werkhof-Gemeinschaft in Werkhoven: Offen, ökumenisch, augustinisch

 Offiziell ist die Werkhof-Gemeinschaft zwar erst seit 1996 unabhängig, doch geht sie schon seit den 1960er Jahren ihren eigenen ökumenischen Weg. „Mich stört an der Orthodoxie, dass sie Menschen ausschließt.”
Info: werkhofgemeenschap.nl

III/1 Werkhof-Gemeinschaft in Kurzfassung

Gottesdienste: wöchentlich am Sonntagmorgen mit 40 bis 70 Besuchern
Mitglieder: 115 Personen
Ehrenamtliche: ein großer Teil der zahlenden Mitglieder
Arbeitskreise/Aktivitäten: Wöchentliche Liturgievorbereitung, Werkhof-Tafel (Essen, danach eine Lesung), Augustinus-Lektürekreis, Vorlesungs- und Debattenabende, ferner diakonische Aktivitäten: Kollekten, Amnesty, Weltladen, Teilnahme an der Wache bei Kamp Zeist (Gefängnis für Asylsuchende).
Finanzen: die Gemeinschaft kommt für alle Einkünfte selber auf (Etat: 30.000 Euro pro Jahr)
Bezahlte Berufskräfte: Nur der Dirigent hat eine Teilzeitanstellung
Pastorenteam: 14 Gottesdienstleiter (römisch-katholisch und protestantisch) ohne feste Anstellung; einige erhalten eine Unkostenvergütung
Organisationsform: Verein
Beziehung zur römisch-katholischen Kirche: seit 1996 unabhängig

Kernsatz: Gemeinsam feiern, Besinnung, Begegnung und Aufmerksamkeit für andere „Ehret Gott ineinander.” (Augustinus)

III/2 Entstehungsgeschichte

Mitten auf den Feldern, zwischen Weiden und Baumgärten liegt das ehemalige Augustinerinnenkloster Gods Werkhof. Seit 1996, als die letzten Nonnen weggingen, ist im Kloster der ideale Konferenzort Samaya untergebracht. Hier mietet die Werkhof-Gemeinschaft für ihre wöchentlichen Gottesdienste und Zusammenkünfte die Kapelle sowie einige andere Räume.

Gebaut wurde das Priorat 1963 als letztes niederländisches Frauenkoster mit Klausur. Cor Spithoven, Priester des Bistums Utrecht, ist einer der 14 Gottesdienstleiter: 1965 feierte er dort seine Primiz: „Die Schwestern saßen noch hinter den Gittern“, erzählt er. „Aber das dauerte nicht lange. Das Zweite Vatikanische Konzil brachte die Welt ins Kloster hinein.” Gäste des Klosters und Menschen aus der weiteren Umgebung gingen bei den Schwestern in die Kirche. Schnell entstand ein Ort mit einem offenen ökumenischen Charakter, an dem neben den sonntäglichen Gottesdiensten allmählich auch evangelische Prädikanten den Vorsitz übernahmen.

Als die Schwestern 1996 Abschied nahmen, sorgten die Menschen, die im Werkhof zur Kirche gingen, dafür, dass diese Gemeinschaft bestehen blieb. So beschlossen sie, einen Verein zu errichten; die Werkhof-Gemeinschaft war geboren. Sie besteht aus einer sehr konstanten Gruppe von etwa 115 Personen, im Durchschnitt über 60 Jahre, mit guter Ausbildung, der mittleren oder höheren Einkommensklasse angehörig, zur Hälfte protestantisch und katholisch.

III/3 Gottesdienst

„Fünf Minuten vor Beginn wird alles still. Und still meint in diesem nicht bewohnten Gebiet auch wirklich still. Um zehn Uhr schlägt dann die Uhr. Eine einzigartige Erfahrung, der Klang der Glocken über den Feldern; man kommt dann wirklich in eine bestimmte Atmosphäre”, erzählt der Vorsitzende Jacques Winnubst.

Der Gottesdienst beginnt mit dem Anzünden der Kerzen und der Öffnung der Bibel. Spithoven: „Am Ende gehen die Kerzen wieder aus, aber die Bibel lassen wir offen, denn die Geschichte geht weiter.”

Auch in Werkhoven ist die Struktur des Gottesdienstes nicht revolutionär: Schriftlesungen gemäß der ökumenischen Leseordnung, eine Erwägung (auf die Gegenwart bezogen), Kollekten für ein diakonisches Ziel oder die Gemeinschaft selbst; Mahlgottesdienst mit Kommunion unter zwei Gestalten, Fürbitten, Segen und Abschluss mit Musik. Spithoven: „Formell ist es eine Eucharistie, wenn ein Priester vorsteht, und eine Abendmahlsfeier, wenn ein evangelischer Pastor den Dienst übernimmt. In der Praxis ist kein Unterschied zu spüren.” Winnubst: „Priester oder Pastor, beide tragen den gleichen weißen Mantel. Auch die Pastoren halten Brot und Wein in die Höhe. Nur einmal hatte ein Pastor damit seine Schwierigkeiten.”

Auf die Gestaltung verwenden wir große Sorgfalt. Jeder Gottesdienst wird einen Mittag lang vom Gottesdienstleiter zusammen mit Mitgliedern des Liturgiekreises vorbereitet. Winnubst: „Das ist uns möglich, denn wir haben den Luxus von 14 Gottesdienstleitern. Sie brauchen nicht jede Woche zu predigen und so haben die Predigten wirklich Niveau. Dabei kann man auftanken.” Spithoven: „Wir verwenden nie Standardtexte: Formeln wie ‚Der Herr sei mit euch’ oder ‚Der Herr möge euch behüten’ versinken ja schnell im Alltagstrott. Auch lesen wir keine Texte aus einem Buch vor. Das hält uns wach und gibt uns die Möglichkeit, konkreter zu formulieren, worum es geht.”

Fünfmal im Jahr feiert die Gemeinschaft einen ‚Sonntagmorgen anders’. Das gibt einen besonderen Raum für Experimente, andere Formen und andere Traditionen.

III/4 Was verbindet?

Die Liturgie bildet für die Gemeinschaft das Zentrum und prägt deren ökumenischen Charakter. Die Kapelle mit ihren Chorbänken und ihrer strengen Form, den hohen Fenstern und dem besonderen Lichteinfall, diese ganze Lage mitten in einem unbebauten Gebiet, dies alles gibt dem Werkhof seine Eigenart. Eine wichtige Rolle spielt für die Gemeinschaft auch die Musik. Winnubst: „Wir haben eine Dirigentin, die die Sache gut beherrscht und einen guten Pianisten bzw. Organisten von Konservatoriumniveau. Viel Oosterhuis, Antoine Oomen[13], auch Lieder von Taizé.”

Nach jedem Gottesdienst gibt es im nahegelegenen Begegnungsraum Kaffee. „Ein sehr wichtiges Element”, sagt Winnubst, „man spricht noch eine Stunde miteinander; für mich ist das eine einzigartige Atmosphäre. Wir kennen einander gut, interessieren uns sehr für das Wohl und das Wehe der Anderen. Bisweilen wird um Stille gebeten. Dann berichtet jemand aus dem Kontaktkreis, wie es mit den einen oder anderen geht. Bei Krankheit schreiben wir eine Karte. Von ‚gegenseitiger Seelsorge‘ reden wir nicht so gern.“ Spithoven: „Man interessiert sich einfach füreinander.”

Daneben versucht die Gemeinschaft auch, ihrer Pflicht zur Diakonie nachzukommen. Spithoven: „Uns reicht es nicht, wenn es einfach mit uns gut bestellt ist. Aber angesichts des Durchschnittsalters ist gesellschaftliches Handeln nicht einfach. Ein Weltladen ist da, manchmal schreiben wir für Amnesty, und Mitglieder der Gemeinschaft nehmen teil an der Wache bei einem Gefängniszentrum für Asylsuchende. Abende mit einem mehr gesellschaftlichen Thema, z.B. über Obdachlose, bereiten Schwierigkeiten; für besinnliche Themen besteht mehr Interesse. Wenn etwa Hein Stufkens oder Annemieke Schrijver kommen, ist der Saal voll.”

Zwar geht die Gemeinschaft nicht aus einem Streit mit der Kirche hervor, aber die restaurative Tendenz in der katholischen Kirche macht sich im Hintergrund bemerkbar. Winnubst: „Vor fünf Jahren gingen meine Frau und ich noch einfach an unserem Wohnort Zeist zur Kirche. Cor war dort Pastor. Als er weg ging, folgte ihm der sehr konservative Pastor Herman Woorts. Nach der ersten Begegnung war mir schon klar, dass dieser Mann eine steile Karriere in der Hierarchie machen wird. Inzwischen ist er Weihbischof von Utrecht. Ich erinnere mich noch gut: An einem regnerischen Samstagabend saßen meine Frau und ich in der beinahe leeren Kirche, ein pastoraler Mitarbeiter las noch das Evangelium in der Art einer Erwägung vor. Dann sagte ich zu meiner Frau: ‚Hier komme ich nie mehr her.’ Zuerst hatte sie damit ihre Schwierigkeiten. Aber schließlich kamen wir hierher und fühlen uns jetzt sehr zu Hause. Das ist eine persönliche Geschichte. Doch wie ich meine, ist sie typisch für viele Besucher der Werkhof-Gemeinde.”

III/5 Glaubensverständnis

Winnubst: „Was mich an der Orthodoxie so stört? Es ist vor allem der Ausschluss von Menschen, von Geschiedenen oder Homosexuellen, dann das Getue über die Kommunion, ob dies so oder anders zu geschehen hat. Diese Auffassungen zeigen eine unsägliche Verflachung. Ich finde es mit der ganzen Orthodoxie richtig widerlich. Schau, wie Eijk [Erzbischof von Utrecht] jetzt mit der Schließung von Kirchen operiert. Mich stört nicht, dass Kirchen geschlossen werden, sondern die Art, wie es geschieht. Als emeritierter Professor habe ich das Professorenmanifest[14] mitunterzeichnet. Es brachte genau zum Ausdruck, was ich davon hielt. Zugleich bin ich der Überzeugung, dass man damit doch nichts erreicht. Ich habe schon lange damit aufgehört, darauf negative Energie zu verschwenden.”

An was glaubt die Gemeinschaft wirklich? „Ich spreche für mich selbst”, sagt Winnubst. „Lange genug war ich mit der Wissenschaft beschäftigt, um die Begrenzungen eines wissenschaftlichen Weltbildes zu sehen. Wenn man nur noch zur Kenntnis nimmt, was man zählen und messen kann, was also quantifizierbar ist, dann lebt man mit Scheuklappen und tut der Wirklichkeit gigantisch Unrecht. Das Leben ist viel reicher. Etwas von diesem ‚Mehr’ finde ich hier am Sonntagmorgen. Das heißt nicht, dass ich in jedem Vogel gleich etwas Mystisches entdecke. Mit einer New-Age-Spiritualität, die in allem, nur nicht im Traditionellen das Religiöse sucht, kann ich nicht so viel anfangen.”

„Unsere Gemeinschaft steht fest in der jüdisch–christlichen Tradition”, sagt Spithoven. „Ein Großteil der Besucher pflegt eine klassische Spiritualität, tut dies aber in einer freien, nicht dogmatischen Weise. Ja, wir beten zu Gott, beten das Vaterunser. Aber bisweilen nennen wir Ihn auch Sie, den Ewigen Quell des Lebens. Auch das Exklusive des christlichen Glaubens haben wir überwunden. Das Interesse an den alternativen Gottesdiensten ‚Sonntagmorgen anders’, insbesondere das Interesse am Buddhismus, wächst, auch wenn das nicht zu einem neuen Zustrom von außen führt.”

In einer bestimmten Hinsicht ist die Gemeinschaft auffallend traditionell; so besteht sie darauf, dass ihre Gottesdienstleiter von ihren eigenen Kirchen anerkannt sind. Ein „pastoraler Mitarbeiter [Pastoralreferent] im Team? Darüber wurde anlässlich einer Vakanz diskutiert. Letztlich beschloss die Gemeinschaft, das nicht zu tun. Für uns ist das eine Frage von Qualität und Niveau”, findet Winnubst. Spithoven: „Ich persönlich fand, wir hätten einen Pastoralreferenten akzeptieren können, und eine kleine Mehrheit stimmte sogar dafür. Doch war das nicht genug, um den Plan zu verwirklichen. Ein verheirateter Priester ist für die Gemeinschaft übrigens kein Problem. Während der Sonntagmorgen-anders-Gottesdienste übernehmen Laien aus den eigenen Reihen die Leitung.

III/6 Verbindung mit der römisch-katholischen Kirche

Die Ordensgemeinschaften der Augustiner und Augustinerinnen sind kirchenrechtlich exemt. Sie unterstehen also direkt den kirchlichen Autoritäten in Rom. Deshalb haben die niederländischen Bischöfe über sie keine direkte Weisungsbefugnis. Solche Orden können ziemlich unabhängig handeln.

Deshalb konnte die Gemeinschaft von Anfang an ihren eigenen ökumenischen Weg gehen. Mit dem Bistum wurde darüber auch nie ein Gespräch gesucht. Spithoven: „Wir spürten kein Bedürfnis danach, uns mit den immer konservativer werdenden Bischöfen darüber ins Benehmen zu setzen. Wir sind ein Verein, finanziell unabhängig und gehen unseren eigenen Weg.“

Auch von Seiten der Bischöfe wurde nie ein Kontakt gesucht. Die Priester, die der Liturgie vorstehen und zum Pastorenteam gehören, wurden darauf nie angesprochen. Spithoven: „Ich habe Bischof Eijk darüber informiert, dass ich Gottesdiensten vorstehe. Das nahm man zur Kenntnis. Unsere Priester sind entweder emeritiert – ‘die sterben doch aus’, sagt man – oder Augustiner. Der Augustinerprovinzial, Paul Clement, ist Mitglied unseres Teams.”

III/7 Probleme und Sorgen

Überalterung ist auch für die Werkhof-Gemeinschaft ein Faktum. Wir überlegen, ob wir für die Werbung etwas tun sollen. Spithoven: „Vielleicht haben wir in einer Zeit, in der Kirchen geschlossen werden, für Suchende etwas zu bieten. Wir müssen die Augen wirklich offenhalten und darauf achten, dass wir kein Club werden, der sich nur noch mit sich selbst beschäftigt.“

Ferner machen uns die Finanzen Sorgen. Winnubst: „Werbung für Einkünfte ist doch jedes Mal wieder eine wichtige Aufgabe. Ein jährlicher Betrag von 300 Euro pro Person ist keine Pflicht, aber im Durchschnitt doch nötig, um die Kosten zu decken. Dies ist kein geringer Betrag und nicht für jeden aufzubringen.”

Ferner hängt die Gemeinschaft vom Fortbestehen des Konferenzorts Samaya ab.

III/8 Rat an neue Gemeinschaften

Winnubst: „Du musst einige Dinge mitbringen. Nach meinem Urteil können wir mit der Lage, dem Gebäude, den Gottesdienstleitern und der augustinischen Tradition glücklich sein. Wichtig sind ferner eine gute Organisation, ein guter Vorstand und ein gutes Sekretariat.” Spithoven: „Was zum Erfolg beiträgt, ist eine offene Atmosphäre. Dazu gehören aber auch die Sorge für die Qualität der Musik und der Liturgievorbereitung sowie viel Aufmerksamkeit füreinander, das gegenseitige Teilen von Freud und Leid.”

III/9 Bedürfnis an einer landesweiten Verbindung

Die Gemeinschaft steht gegenüber der Außenwelt offen, benötigt selbst aber keine direkte Unterstützung. Winnubst: „Wir beobachten gut, was es an Initiativen gibt: Mariënburg-Vereinigung, Bezield Verband und Professorenrat.”[15]

 

IV. Den Haag
Haager Dominikus-Gemeinde: Die Gemeinschaft singt viel und gerne

 Die Haager Dominikus-Gemeinde Dominikus Den Haag ist direkt seit ihrer Errichtung 2009 eine unabhängige ökumenische Kirchengemeinschaft. Sie nahm sich die „Dominicus” in Amsterdam[16] zum Vorbild. „Uns verbindet, dass wir Suchende sind. Man darf hier einfach entdecken, woran man glaubt.”
Info: haagsedominicus.nl

IV/1 Haager Dominikus-Gemeinde in Kurzfassung

Gottesdienste: an einem Sonntagmorgen pro Monat
Besucher: 100 Personen
Ehrenamtliche: 25 auf regelmäßiger Basis
Arbeitskreise: Abgesehen von Kollekten für eine Nahrungsmittelbank und Kollekten für diakonische Zwecke organisiert die Gemeinschaft außerhalb keine Aktivitäten.
Finanzen: Die Gemeinschaft kommt für alle Einkünfte selbst auf (Etat: 9500 Euro pro Jahr)
Bezahlte Fachkräfte: keine
Pastorenteam: Die Gemeinschaft verfügt über ein Team von etwa 15 Gottesdienstleitern und zweiten Liturgen. Zwei Personen bereiten den Gottesdienst in Zusammenarbeit mit Dirigent und Koordinatoren (für Blumen und Kindernebenaktivitäten) vor.
Organisationsform: kirchliche Körperschaft
Beziehung zur römisch-katholischen Kirche: seit 2010 unabhängig.

Kernsatz: Die Dominikus-Ekklesia in den Haag ist eine selbständige und offene christliche Glaubensgemeinschaft für Menschen mit oder ohne kirchlichen Hintergrund. Die Mitglieder der Gemeinschaft unterstützen andere bei ihrer Suche nach Glauben und einer zeitgemäßen Liturgie. Sie tun das mit ansprechenden Liedern und Texten sowie mit dem Teilen von Brot und Wein. Willkommen ist eine jede Person. Die Gemeinschaft bemüht sich um die Vertiefung und Erhellung der fundamentalen Fragen von Mensch und Gesellschaft. Dabei ist für sie die Bibel richtungsweisend.

IV/2 Entstehungsgeschichte

Die Haager Dominikusgemeinschaft ist aus einem positiven Verlangen heraus entstanden. 2009 wurde ein gemeinsamer Liedertag von zwei Kirchenchören – dem (römisch-katholischen) Jenhka Chor und dem (protestantischen) Singkreis Lukas/Ekklesia – mit einem Gottesdienst abgeschlossen. „Das gefiel uns so gut, dass sich daraufhin ein Arbeitskreis an die Arbeit machte, um eine Fortsetzung zu organisieren”, berichtet Heleen Goddijn, eine der ‚LiturgInnen’ der Haager Dominikus. Dieser Arbeitskreis ließ sich, worauf schon der Name hindeutet, von der Dominikus-Gemeinschaft in Amsterdam (s.u. VI.) inspirieren. Am 28. Januar 2010 fand der erste Gottesdienst statt und seitdem trifft sich die Gemeinschaft monatlich in der Haager Lukaskirche, in der an anderen Sonntagen die eigene PKN-Gemeinde[17] ihren Gottesdienst feiert.

„Es ist ein großer Unterschied, ob man mit einer positiven Energie oder in einer Situation des Widerstands beginnt”, sagt Gottesdienstleiter Leo van Driel. „Widerstand verzehrt die Energie, das hält man nicht durch.”

Doch hat die Haager Dominikus-Gemeinschaft nicht bei null angefangen, denn der Kontrast mit den traditionellen Kirchen spielte schon zuvor eine wichtige Rolle. Ziemlich viele Besucher haben genug von der Kirche, die sie von Haus aus kennen. Goddijn: „In den Gottesdiensten selbst ist davon nichts zu merken, aber bei den Vorbereitungen bricht es manchmal durch. So gibt es von-Haus-aus-Katholiken, die nur deshalb nicht zum Jenhka Chor wollen, weil er gelegentlich mal anderswo in einem katholischen Gottesdienst singt. Dann ist zu hören: ‚Auf keinen Fall gehe ich in eine katholische Kirche’.” Doch van Driel ergänzt: „Übrigens gibt es auch bei unseren protestantischen Besuchern viele Frustrationsgefühle mit ihrer eigenen Kirche. Manche Protestanten erfuhren die Lehre und die Moral ihrer eigenen Kirche als ebenso erstickend.”

Die Besucher schätzen die Haager Dominikusgemeinde als eine Freistätte. In gewissem Sinn ist sie eine Erneuerungskirche der zweiten Generation. Denn die Haager Ekklesia besteht schon seit den 1970er Jahren als Exponentin des kirchlichen und gesellschaftlichen Erneuerungswillens der 1960er Jahre. Van Driel: „Als wir mit der Dominikusgemeinde begannen, sagte die Ekklesia: ‚Es gibt doch uns, warum kommt ihr nicht?’ Aber wir hatten das Gefühl, dass wir eine neue Initiative starten mussten. Die Ekklesia ist inzwischen ein recht kleiner Club, in der Innenstadt ein bisschen versteckt – den Gang durch, die Treppe rauf. Die Schwelle für Neulinge wird dann sehr hoch.”

IV/3 Gottesdienst

Die Gemeinschaft singt viel und gerne. Wer Lust hat, kann sich vor dem Gottesdienst mit einsingen. Zu Beginn des Gottesdienstes gibt es noch Gelegenheit, kurz miteinander zu reden, sodass die Menschen miteinander in Kontakt kommen. Dann folgen ein Kerzenritual und eine Einführung in das Thema des Gottesdienstes. Auch wird immer kurz nach den Kindern geschaut, obwohl es nicht so viele gibt. Für sie bieten wir eigene Aktivitäten an; zum Schluss des Gottesdienstes kommen sie wieder zu den Erwachsenen. Oft bauen wir in den Gottesdienst auch kreative Elemente ein: etwas mit Bildern, einen Film oder etwas Theaterartiges wie ‚Zelte bauen’, ‚Psalmen’, ‚Erde, Wasser, Luft und Feuer’, ‚Poesie’ und ‚Lehrmeister’.

Die Grundstruktur unterscheidet sich nicht sehr von den traditionellen Gottesdiensten. Ein Teil kreist um die Schrift, ein Teil um Brot und Wein. Goddijn: „Nein, wir nennen das nicht Eucharistie, Abendmahl oder Kommunion. Persönlich liebe ich kein allzu erhabenes Ritual. Für mich bedeutet das Teilen von Brot und Wein eher ein Symbol der Gemeinschaft und des Zusammenseins. Van Driel: „Wenn wir diesen Kommunionteil aber zu alltäglich gestalten, zu sehr profanieren, dann protestieren die Menschen. Ein Gefühl des Heiligen muss bewahrt bleiben.”

IV/4 Glaubensverständnis

Zwar entstand die Gemeinschaft als eine freie Initiative von unten und mit kirchlichen Körperschaften gibt es keine Verbindung. Doch haben wir uns ausdrücklich für die christliche Tradition entschieden. „Die Haager ‚Dominicus’ sucht nach einer Vertiefung und Erhellung der fundamentalen Fragen von Mensch und Gesellschaft, wobei die Bibel die Richtung vorgibt”, das ist ihre Mission. Goddijn: „Zu Beginn war das nicht ganz klar. Für mich persönlich hätten wir auch breiter ansetzen können.”

Zwar interessieren wir uns für außerchristliche Spiritualität, aber wir wollen nicht zu weit abschweifen. „Wir lesen immer einen Bibeltext.” Van Driel: „Nach meiner Erfahrung macht die Beschäftigung mit einer fremden Strömung, Lao Tse oder so, einen Gottesdienst schnell zu einer Vorlesung. Man muss mehr Informationen liefern, weil diese Strömung fremd ist, kann den Inhalt deshalb nicht so leicht mit der eigenen inneren Erfahrung verbinden. Dennoch vertiefen sich einige unserer Gottesdienstbesucher individuell ernsthaft und intensiv in andere Traditionen. Doch gibt es da große Unterschiede. Ich persönlich habe über die Anthroposophie wieder den Weg zum Christentum zurückgefunden, nachdem ich als junger Erwachsener meinen protestantisch-christlichen Hintergrund aufgegeben hatte.”

Zur Leitung des Gottesdienstes (Weihe, Sendung, allgemeines Priestertum der Gläubigen) nimmt die Haager Dominikusgemeinde eher einen praktischen als einen prinzipiellen Standpunkt ein. Wir stellen an die Liturgie, damit auch an die Leitung des Gottesdienstes Qualitätsforderungen. Wir arbeiten ohne bezahlte Kräfte, weil wir nun einmal über ein Netzwerk von ziemlich professionellen, vor allem von theologisch ausgebildeten Ehrenamtlichen verfügen. Van Driel: „Mit einer bezahlten professionellen Kraft verbindet sich die Gefahr, dass der eigene Einsatz der Gemeinschaft abnimmt. Man lässt sich schneller versorgen.”

Die Gesellschaft ist in den Gottesdiensten nie abwesend. Goddijn: „So gesehen passen wir in die Atmosphäre der Basisbewegung. ‚Die Bibel auf die Zeitung legen’, so nannte man das in den 1970er Jahren. Dieser Akzent ist bei uns noch zu erkennen.” Läuft die Gemeinschaft damit nicht hinter den Entwicklungen her, jetzt ist doch die Frage nach einer persönlichen Spiritualität aktuell? Goddijn: „Sicher gibt es in unserer Gemeinschaft ein Bedürfnis für persönliches Nachdenken. Es gibt auch Interesse an Stille, Meditation und Besinnung. In dieser Beziehung sind die neuen Strömungen zu spüren. Aber andere Gemeindemitglieder möchten das Mediationsartige gerade nicht. Für sie ist das Wort wichtiger. Persönlich liebe ich die Psalmen sehr. Man spürt, dass man in einer viele Jahrhunderte alten Tradition steht. Die Psalmen bringen uns mit die Lebensfragen von Menschen aller Zeiten nahe und man kann sie auch heute noch aufgreifen. Das finde ich schön. Dasselbe gilt für Augustinus; auch er ist ganz zeitgemäß.”

IV/5 Was uns verbindet

Goddijn: „Letzthin war ich zur Einäscherung bei einer Familie, die keine einzige Tradition mehr kennt. Ich fand es schockierend, wie kahl und formlos es da zuging. Nicht einmal eine Ansprache war zu hören. Dann denke ich: Was haben wir doch für eine reiche Tradition, aus der wir schöpfen können und mit der wir den wichtigen Augenblicken des Lebens Sprache und Form geben können. In unserer heutigen Kultur nimmt das sichtlich ab. Auch für diesen Formenreichtum tragen wir Verantwortung. Wie schätzen ihn sehr als ein Element, das unsere Gemeinschaft verbindet.”

„Gewiss, die politisch-gesellschaftlichen Aspekte der 1970er Jahre sind nach wie vor wichtig und wir wollen uns von der Außenwelt nicht abschließen. Aber wir sind kein Aktionskreis. Ab und zu halten wir eine Kollekte für einen guten Zweck, und zur Lukaskirche – in der wir uns treffen – gehört eine Nahrungsbank. Wer will, kann von zu Hause Dinge für die Kisten der Nahrungsbank mitbringen. Nein, nur wenige Mitglieder der Gemeinde sind selbst von diesen Kisten abhängig.”

Gelegentlich versorgen die ehrenamtlichen Gemeindeleiter auf Bitten eines einzelnen Mitglieds der Gemeinschaft eine Taufe, Hochzeit oder Begräbnisfeierlichkeit. Über solche Ereignisse führen wir auch pastorale Gespräche. Van Driel: „Traditionell war die Seelsorge stark auf den dafür freigesellten Pastor konzentriert. Den haben wir nicht. Unser Ziel ist es, dass Menschen sich gegenseitig beistehen. Auch das ist eine Form gegenseitiger Unterstützung; diese Dinge sind noch in Entwicklung. Im Blick auf solche Aufgaben ist die Gemeinschaft noch jung und die nur monatliche Frequenz macht den Zusammenhalt etwas weniger stark.”

Von der Entstehungsgeschichte her verwundert es nicht, dass gerade die Musik und das gemeinsame Singen in der Haager Dominikusgemeinde ein starker Faktor gegenseitiger Verbundenheit ist. Mit viel Oosterhuis, Nieuw Liedfonds[18], Musik von Oomen im Repertoire. Goddijn: „Das zieht natürlich eine bestimmte Gruppe von Menschen an, die diese Texte einigermaßen verstehen können. Es führt auch zu Diskussionen über die Frage, ob wir nicht auch mal einen anderen Zugang entwickeln sollten.”

Die christliche Tradition, die Bibel, die ‚Oosterhuis-Spiritualität’, das sind klare identitätsbestimmende Elemente. Doch wird von den Besuchern kein genau definierter Glaube erwartet. In diesem Sinn ist die Gemeinschaft offen und undogmatisch; niemand muss ein Glaubensbekenntnis unterschreiben. Van Driel: „Uns verbindet, dass wir Suchende sind. Auch Zweifeln ist erlaubt. Man darf hier einfach entdecken, was man glaubt.”

IV/6 Verbindungen mit der Kirche

Die Gemeinschaft hat von Anfang an einen ökumenischen Charakter. Verbindungen mit dem Bistum gibt es keine, ebenso wenig mit der landesweiten PKN, obwohl wir in einem Kirchengebäude der PKN zu Hause sind. Wie schon gesagt, faktisch ist die Haager Dominikusgemeinde eine Versuchskirche der zweiten Generation, eine Nachfolgerin der „Dominicus“ von Amsterdam. Doch die großen christlichen Kirchen sind auch in dieser Gemeinschaft nicht einfach abwesend. Die Kirchen befinden sich sozusagen in den Menschen, die die Gemeinschaft bilden, in ihrem christlich-religiösen Gepäck, das sie mitbringt, manchmal als Widerstand, den man in sich trägt, manchmal im positiven Sinn.

IV/7 Probleme und/oder Sorgen

Damit ist schon eine Achillesverse der Gemeinschaft genannt. Die Spiritualität unserer Gemeinschaft ist, wie es scheint, stark generationsgebunden. Das führt zu Fragen über die Kontinuität über einen längeren Zeitraum. Hinzu kommt sicher die Tatsache, dass die Gemeinschaft wie anderswo überaltert ist. Goddijn: „Müssen wir mehr Reklame machen, ein anderes Angebot schaffen, das vielleicht neue Kreise anspricht, Aktivtäten von Jugendlichen entwickeln? In der Citykirche von Den Haag sitzen jeden Sonntag 1200 Menschen, darunter viele Jugendliche. Aber ja, das ist mehr ein pentekostales Ereignis und nicht unser Stil, der modern in der Form und bewahrend in der Lehre sein will.”

Van Driel: „Mit einer Organisation von Ehrenamtlichen stößt man auch an die Grenzen der eigenen Möglichkeiten. Es erfordert doch viel Anstrengung, um alles zu regeln. Gerne würden wir öfters als nur einmal im Monat zusammenkommen, aber dann müssten wir erst einen eigenen Kirchenraum finden. Viel in unserer Gemeinschaft ist noch in Entwicklung.”

IV/8 Gründe für den Erfolg und Ratschläge für neue Gemeinschaften

Die Qualität der Gottesdienste sehen wir als einen der wichtigsten Gründe für unseren Erfolg. Goddijn: „Nichts ist unordentlich, die Gottesdienste nehmen einen guten Verlauf. Wir haben gute Sprecher, es wird gut gesungen, die Texte haben Niveau und auf die Vorbereitung verwenden wir viel Energie.”

Van Driel: „Wichtig ist das Gleichgewicht zwischen Lebensfragen und gesellschaftlichen Anliegen. Das wissen viele von unseren Leuten zu schätzen. Ferner, lass die negative Energie fahren; frage dich wofür du gemeinsam mit anderen stehen willst, was dich also positiv bindet. Beginne einfach für dich selbst, und ganz evangelisch: Schüttle den Staub von deinen Füßen und geh. Aber entwickle gerade dann, wenn sich unterschiedliche Auffassungen und Vorlieben zeigen, auch ein Gespür für die Gefühle und Empfindlichkeiten, die sich hinter anderen Meinungen und Auffassungen verstecken.”

IV/9 Bedürfnis nach einem landesweiten Zusammenhalt

Uns interessiert schon, wofür andere Gemeinschaften eintreten, was sie tun und wie sie sich entwickeln. Aber ein Dachverband hat für uns keine erste Priorität.

 

V. Nijmegen
       Augustinisches Zentrum „Boskapel Nijmegen”: Gott wohnt in Menschen, nicht in Institutionen

Die Boskapel [„Waldkapelle“] in Nijmegen hat erst seit 2009 einen unabhängigen Status, war aber schon in den 1960er Jahren liturgischer Versuchsort. „Die Leute kommen vor allem zu den Gottesdiensten, um persönlich gestärkt zu werden.”
Info: boskapel.nl

V/1 Bos-Kapelle in Kurzfassung

Gottesdienste: wöchentlich, jeden Sonntag
Gottesdienstbesucher: 100
Ehrenamtliche: 100
Arbeitskreise: Die Gemeinschaft kennt über 20 Arbeitskreise. Sie befassen sich Mmt den Gebieten Feiern, Lernen, Dienen und Gemeinschaftsaufbau.
Finanzen: Aus Reserven verfügt die Gemeinschaft über ein eigenes Vermögen. Für alle weiteren Einkünfte kommt sie selbst auf (Etat: 100.000 Euro pro Jahr)
Bezahlte Berufskräfte: 1 Pastor (Vollzeitanstellung)
Organisationsform: Stiftung
Beziehung zur römisch-katholischen Kirche: seit 2009 unabhängig

Kernsatz: Die Gemeinschaft der Bos-Kapelle ist gekennzeichnet durch Offenheit für aktuelle Entwicklungen. Sie sucht religiöse Worte und Symbole, die in die Zeit passen. Die Gemeinschaft lebt aus einer Augustinischen Spiritualität, in der Gastfreundschaft, Freundschaft und Besinnung einen hohen Rang genießen.

V/2 Entstehungsgeschichte

Heute kann man es sich kaum mehr vorstellen, doch zu Beginn der 1960er Jahre wählten die Niederländischen Bischöfe einzelne Pfarreien und Gemeinschaften als liturgische Versuchsorte aus. Die Bos-Kapelle, eine Gemeinschaft beim Kloster der Augustinerpatres am Graafseweg in Nijmegen, war ein solcher Versuchsort.

Schon bevor die Bos-Kapelle 2009 unabhängig wurde, hatte sie also eine Tradition der Freiheit. Vorsitzende Antoinette Meys: „Mischehen, Tauffeierlichkeiten, die andernorts nicht möglich waren, Begräbnisse auf eine eigene Art. Das alles war hier möglich. Hinzu kommt, dass Klostergemeinschaften wie die der Augustiner kirchenrechtlich einen etwas anderen Status haben als eine Pfarrei. Sie unterstehen direkt der Autorität in Rom und nicht einem Bistum. Auch das gab der Bos-Kapelle von Anfang an eine gewisse Freiheit.”

„Die Spiritualität von Augustinus und der Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils passten auch gut zueinander“, ergänzt Pastor Ekkehard Muth. „Es ist ein Geist des ‚gemeinsamen Weges zu Gott’.“

Aber die Zeiten veränderten sich: Schon 2000 sah man, dass die Augustiner die Kapelle nicht mehr lange fortführen konnten. Für Pastor Joost Koopmans, den jüngsten Augustiner der Niederlande, würde es nach seiner Pensionierung keinen Nachfolger mehr geben. So entwickelte die Gemeinschaft seit 2006 einen Plan zur Verselbständigung. 2009 zogen die letzten Augustiner aus dem neben der Kapelle gelegenen Kloster weg. Kloster und Kirche wurden verkauft, damit wurde die Verselbständigung der Gemeinschaft endgültige Realität.

V/3 Verbindung mit der römisch-katholischen Kirche

Jetzt ist das Kapellengebäude Eigentum der aus zwei reformierten Kirchen fusionierten Gemeinde; die Bos-Kapellen-Gemeinschaft mietet den Raum für ihre Gottesdienste und Aktivitäten. Das Bistum Den Bosch sah nach dem Abschied der Augustiner keine Möglichkeit, die Gemeinschaft unter ihre Hut zu nehmen: „In Zeiten, in denen Pfarreien fusionieren oder aufgehoben werden, errichte ich keine neue Pfarrei”, erklärte Bischof Hurkmans. So wurde die Kapelle, 1963 von Bischof Bluyssen eingeweiht, offiziell ‚der Liturgie entzogen’.

Muth: „Die Besucher werden davon wenig gemerkt haben, denn die Gemeinschaft setzte ihren Weg im selben Geist fort wie in den Jahren zuvor. Formell sind wir keine römisch-katholische Kirche mehr, aber wir stehen noch immer in der katholischen Tradition. Wir sind nicht gültig, aber wahrhaftig. So setzen wir die Tradition eines Versuchsortes fort. Wir stehen im breiten Strom der katholischen Kirche. Ob uns andere als einen Teil der Kirche betrachten oder nicht, ist letztlich ihr Problem.”

Meys: „Wir haben uns nicht von der Kirche losgesagt, auch gab es nie einen Konflikt. Aber wir wollten mit dem weitergehen, was hier zuvor schon lebte. Dafür wurde die Form einer unabhängigen Stiftung gefunden.”

V/4 Gottesdienste

Muth: „Sonntags feiern wir hier Eucharistie und so nennen wir das auch. Nur wird sie von keinem geweihten Priester mehr geleitet. Die eigentlichen Einsetzungsworte des Hochgebets werden von der Gemeinschaft gesungen oder vorgetragen. Die Konsekration findet gewiss statt, sie hängt nicht von einer Figur ab, die der Gemeinschaft vorsteht. Das überlassen wir unserem lieben Herrn selbst. So geht das sehr gut. Menschen sind davon angerührt, dass sie an diesem besonderen Moment der Konsekration teilnehmen dürfen. Das passt auch gut in die augustinische Spiritualität: Gott leuchtet in Menschen auf, nicht in einer Institution. Ferner kleben wir natürlich nicht an einzelnen offiziellen Hochgebeten, sondern verwenden eine ganze Reihe von anderen Texten. Ansonsten geschehen hier keine außerordentlichen Dinge; der Aufbau des Gottesdienstes ist klassisch.“

Pastor Muth steht beinahe jeden Sonntag dem Gottesdienst vor. Aber manchmal wird ein Agape-Dienst von und unter der Leitung einer Gruppe aus der Gemeinschaft selbst vorbereitet. An Stelle von Brot und Wein wird dann Brot und Honig geteilt. Ein kleiner Rest römischen Gehorsams?

Meys: „Es ist ein Erbe des Augustinerordens, dem an diesem Unterschied lag. Es ist ein kleiner Kompromiss, über den auch viel diskutiert wird. Manche sagen: ‚Die Symbole sind doch Brot und Wein, nicht Brot und Honig, und wir brauchen doch keine Erlaubnis, um unseren Gottesdienst mit den eigentlichen Symbolen zu feiern.’ Aber andere fühlen sich nicht wohl, wenn ein Gottesdienst mit Brot und Wein ohne offiziellen Pastor als Vorsteher der Liturgie gefeiert wird. Sie erfahren das, als wollten wir ‚Priester spielen’.”

Muth: „Manchmal sind Menschen bei sich selbst davon überrascht, wie tief bestimmte Gefühle reichen, wie wichtig es ihnen doch ist, dass ein Priester dem Gottesdienst vorsteht. Ob man mich als einen Ersatzpriester sieht? Bei meiner Amtseinführung haben wir in Wort und Symbolen sehr deutlich gemacht, dass die Gemeinschaft mich legitimiert; ich übernahm die Leitung in ihrem Namen. Eingeladen waren der Rat der Kirchen von Nijmegen und andere örtliche Gemeinschaften, auch Gemeinschaften aus dem von Oosterhuis initiierten Bezield Verband. Was hier in meiner Funktion geschieht, ist also nichts Willkürliches, auch nicht sektiererisch. Wir stehen in einem breiteren Strom, sind keine Kirche für uns allein.“ Muth, Deutscher von Geburt und von protestantischer Herkunft, ist Amtsträger innerhalb seiner eigenen protestantischen Kirche. „Vielleicht schön für diejenigen, denen eine Sendung von oben wichtig ist.“

V/5 Glaubensverständnis

Die Bos-Kapelle ist eine ökumenische Gemeinschaft, in der auch Protestanten am Gottesdienst teilnehmen und in der spirituelle Sucher willkommen sind. Manche kommen nur zum werktäglichen Programm, also zu Vorträgen oder zum spirituellen Café. Den sonntäglichen Gottesdienst finden sie nicht so nötig.

Meys: „In den Jahren bis 2010, in denen wir allmählich selbständig wurden, waren wir mehr mit uns selbst beschäftigt; wir mussten schauen, dass wir Ordnung ins Haus bekamen. In den vergangenen Jahren investieren wir viel Energie in unsere Kontakte zur Außenwelt. Wir beschäftigen uns mit der Gesellschaft, die uns umgibt, mit Problemen wie Armut oder Fürsorge für Ältere. Wir stellen uns Fragen wie: Welche Aspekte der Sinnfindungen gehören z.B. zur Armut oder zum Älterwerden? Welche Instanzen beschäftigen sich mit diesen Fragen? Zusammen mit dem maatschappelijk werk[19] und einigen anderen Institutionen in Nijmegen ist daraus eine Vortragsreihe entstanden.”

Muth: „Wir wollen das Rad nicht neu erfinden, aber wir verfügen über einige Professionalität, die der Gesellschaft dienen kann. Wir sind es gewohnt, Sinnfragen zu stellen, und wir haben einen Rahmen, in dem es sich lohnt, nach Antworten zu suchen. Wir wollen also nicht so sehr gesellschaftliche Probleme auf Gebieten lösen, auf denen andere aktiv sind, aber wir sind eine gute Adresse für Aspekte der Sinnfindung bei gesellschaftlichen Problemen.“

Gesellschaftlich? Im Augenblick ist gerade die Frage nach der persönlichen Spiritualität aktuell. Menschen haben seelische Probleme, suchen konkret und praktisch nach Lebensweisheit. Hat die Bos-Kapelle diesen Menschen etwas zu sagen?

Meys: „Ich meine, dass es um Ausgewogenheit geht. Jemand wie Huub Oosterhuis hält von dieser persönlichen Spiritualität nichts. Für ihn ist die Bibel die Geschichte vom Auszug aus den harten Umständen und auf eine neue Wirklichkeit gerichtet. Ein anderes Zusammenleben zu initiieren, darum geht es ihm. Das geht uns zu weit. Bei uns behalten persönliche Lebensfragen ihren Platz, auch wenn sie in ein größeres Ganzen einzuordnen sind. Wir dürfen nicht nur unser Ego pflegen.”

Muth: „Ein Verlangen nach persönlicher Spiritualität spüre ich deutlich bei pastoralen Gesprächen, z.B. im Zusammenhang mit einem Begräbnis, selbst dann, wenn die Betroffenen erklären, sie glaubten nichts. Wenn die Leute sonntags zum Gottesdienst kommen, tun sie das nach meiner Überzeugung vor allem, um persönlich gestärkt zu werden. Manche sagen: ‚Ich brauche das Armutsgetue nicht’.”

„Augustinische Spiritualität passt eigentlich ganz gut zur heutigen Suche nach persönlicher Spiritualität. Für Augustinus ist das Herz sehr wichtig. Dort bekommt Gott Fleisch und Blut. Wenn wir Gott suchen, kehren wir zu unserem eigenen Herzen zurück. Ein populärer Gedanke, nicht? Aber zugleich ist Gott immer viel größer als wir selbst. Gott in mir selbst zu finden, heißt nicht, dass ich Gott bin. Aber Er relativiert gerade mein selbstgerichtetes Ego, dieses ewige ‚ich, ich, ich‘. Man hört Augustinus selten über Sünden reden, aber wenn dieses Wort fällt, dann geht es darum, dass ich vor mit selbst fliehe, von meinem wahren Selbst entfremdet werde. Das ist Sünde.” Meys: „Für die persönliche Erfahrung und Vertiefung dessen ist unser spirituelles Café gedacht.”

V/6 Was uns verbindet

Warum kommen die Menschen? Was bringt sie zusammen? Meys: „Dafür gibt es natürlich verschiedene Gründe. Auch innerhalb unserer Gemeinschaft gibt es unterschiedliche Strömungen, Menschen mit verschiedenen Idealen und Interessen. Für viele sind Gemeinschaftssinn, Kontakt und Freundschaft eine wichtige Triebfeder. Ferner gibt es viel Offenheit. Willkommen ist auch, wer sich nicht so sicher über all das ist, was er glaubt. Es herrscht ein weiter Geist.”

Muth: „Einmal pro Jahr organisieren wir einen Abend für Neulinge. Dann hören wir bisweilen, dass Menschen es in ihrer Pfarrei nicht mehr aushalten; sie ist ihnen zu orthodox, zu hierarchisch. ‚Das ist nicht mehr meine Kirche’, sagen sie dann. Das kann man auch von Pfarreien hören, die sich in einem Fusionsprozess befinden: ‚Wir warten noch eine Weile ab, ob wir unsere Eigenheit behalten können. Wenn nicht, sprechen wir wieder bei euch vor‘.“

V/7 Ratschläge für neue Gemeinschaften

Meys: „Ratschläge? Während des Symposions zu unserem 50-jährigen Jubiläum im vergangenen Sommer bekamen wir selbst Ratschläge, u.a. von Franck Ploum, dem Direktor der Nieuwe Liefde (siehe Nr. IV und VI): Zeige, wofür du stehst. Wo gehörst du hin? Und sorge dafür, dass du Qualität bietest, dass die Veranstaltungen durchdacht und schön sind. Nach meiner Überzeugung ist es sehr wichtig, dass du es verstehst, deinen Idealen und deiner Inspiration schließlich auch einen organisatorischen Rahmen zu geben. Dazu brauchst du Menschen, die das große Ganze sehen, strategisch denken können und auch einen finanziellen Hintergrund haben.“

Aber auch in den theologischen Inhalten muss man genau bleiben, ergänzt Pastor Muth: „Bist du selbstkritisch? Verwirklichst du auch in der Praxis, was du in der Theorie behauptest? Stimmen Form und Inhalt des Gottesdienstes überein?” Und, so sagen beide: „Eine professionelle Kraft allein kann nichts. Du brauchst viele ehrenamtliche Kräfte. Aber ohne eine Berufskraft, bei der alle Linien zusammenlaufen, wird es auch schwierig.”

V/8 Probleme und Sorgen

Meys: „Wir sind eine Wahlkirche, davon gibt es in Nijmegen ein großes Angebot, die Studentenkirche, die Karmelbewegung und die Stevenskerk [Stephanskirche], all das sind Orte, an denen ich mich auch zu Hause fühlen könnte. In diesem Sinn ist unsere ‚Kundschaft‘ nie selbstverständlich. Und natürlich erfahren auch wir die Folgen der Überalterung. Im Schnitt sind unsere Menschen über 65. Das Gros ist hochaktiv, das ist kein Problem. Aber die Kontinuität macht uns Sorgen.

Muth: „Über den Glauben mache ich mir keine Sorgen. Aber über das Kirche-Sein. Die Aversion gegen Institutionen ist groß, obwohl es Interesse an Religion gibt. Das spüre ich bei externen Kontakten. ‚Lass dich in der öffentlichen Debatte vernehmen’, forderte der Bürgermeister während unserer Jubiläumsfeier. Bald wird die Abteilung Arnhem-Nijmegen von Jong D66 mit uns sprechen. Auch bei Gesprächen mit Gesundheitsinstitutionen bemerkt man, wie auch dort professionelle Kräfte auf Sinnfragen, nicht zuletzt auf ihre eigenen stoßen: ‚Wie kann ich mit dem Elend umgehen, das ich in der Fürsorge erfahre?’ ‚Wie stelle ich meinen eigenen Wohlstand der Armut entgegen, die ich in meiner Arbeit sehe?’ Seltsam ist, dass die Medien in Sachen Religion im Rückstand sind. Sie meinen noch immer, Religion sei altmodisch. Offensichtlich begreifen sie nicht, welche Suchbewegungen bei Menschen persönlich und in der Gesellschaft insgesamt stattfinden.“

V/9 Bedürfnis nach einem breiteren Zusammenhang

Muth: „Kontakte mit anderen Gemeinschaften in Nijmegen und auf Landesebene finde ich sehr wertvoll. Allein schon, um sich über die Fallen und die Erfolgsgeschichten auszutauschen, doch auch um zu erfahren, dass man Teil eines größeren Ganzen ist. Alle diese ‚freien’ Gemeinschaften sind zusammen Kirche und keine in sich stehenden Clubs.

Das eine und andere tun wir auch. Wir nehmen teil am Kirchenrat von Nijmegen, am Bezield Verband in Nijmegen (zusammen mit Effata und DoRé), und an der Augustinischen Bewegung. Vor zwei Jahren haben wir an einem Begegnungstag der ‚Ekklesia-Gemeinschaften‘ in der Nieuwe Liefde (vgl. u. VI.) in Amsterdam teilgenommen. Daraus ist eine Werkstatt für Gottesdienstleiter entstanden, die für mich sehr wertvoll ist. Da begegne ich anderen professionellen Kräften. Mir wird klar, dass ich nicht der einzige bin, der Gottesdienste zu leiten hat. Aber eine landesweite Begegnung der Gemeindemitglieder selbst gibt es nicht. Ein Kundgebungstag aller Ekklesia-Gemeinschaften, das wäre doch schön.”

 

VI. Amsterdam
     Dominikusgemeinde Amsterdam: In den vergangenen Jahren sind wir offener
geworden.

 Die Dominikusgemeinschaft in Amsterdam ist eine der ältesten und größten unabhängigen Gemeinschaften: Wie die Studenten-Ekklesia von Amsterdam bietet sie für andere Gruppen ein Rollenmodell. „Menschen betrachten sie wirklich als ihre Kirche. Freud und Leid werden hier geteilt.”
Info: dominicusamsterdam.nl

VI/1 Die Dominikusgemeinde Amsterdam in Kurzfassung

Gottesdienste: wöchentlich, jeden Sonntag
Gottesdienstbesucher: 400
Ehrenamtliche: 200
Feste Arbeitskreise gibt es für Seelsorge/Begegnung (Dreißiger, Jugendliche,
Meditation, Frauen) und diakonische Aktivitäten (u.a. Weltladen, Sprachunterricht für Flüchtlinge und Heimatlose, Amnesty International, Gefangene)
Finanzen: Aus der Gemeinschaft selbst und aus Vermietungen (Etat ca. 300.000 Euro)
Bezahlte professionelle Kräfte: zwei Halbzeitpastoren, ein Dirigent und ein Pianist bzw. Organist (insgesamt 3-4 bezahlte Vollzeitstellen)
Organisationsform: Stiftung
Beziehung zur römisch-katholischen Kirche: unabhängig, seit 1989
Kernsatz: „Ausgehend von der christlichen Tradition bemüht sich die Dominikusgemeinde um eine Vertiefung und Erhellung der fundamentalen Fragen von Mensch und Gesellschaft.” Sie sucht ein Gleichgewicht zwischen Erneuerung und Bewahrung. So bietet sie Inspiration, Besinnung, Begegnung und Gemeinschaft.

VI/2 Entstehungsgeschichte

Bis in die 1960er Jahre war die „Dominicus” eine normale Pfarrkirche im Herzen von Amsterdam mit lateinischer Messe und Dominikanerpatres im Habit. Das veränderte sich in den 1960er Jahren. Auf den Flügeln des Zeitgeistes kamen die Landessprache in die Kirche, ebenso neue Musik, andere Gebete und ein neues theologisches Denken. Wichtig wurden Texte von Huub Oosterhuis, Musik von Bernard Huijbers, später von Antoine Oomen und Tom Löwenthal. Das Bistum Haarlem erklärte die Gemeinschaft zu einem liturgischen Versuchsort und allmählich bekam die Pfarrei eine regionale Ausstrahlung. Nicht nur Katholiken, sondern auch viele Protestanten entdeckten die Kirche in der Spuistraat. 1983 wurde der ökumenische Charakter verstärkt, indem wir neben dem protestantischen Pastor, der schon hier wirkte, einen zweiten Gemeindeleiter von protestantischer Herkunft anstellten. Dieses Mal war es eine Frau, Juut Meijer. Mit Unterbrechung von einigen Jahren ist sie, zusammen mit Mirjam Wolthuis, noch immer Mitglied des Pastoralteams. In den Tagen des großen Erfolgs besuchten wöchentlich etwa 700 Besucher am Sonntagmorgen den Gottesdienst. Die Dominikusgemeinde wurde wie die Studenten-Ekklesia von Amsterdam zur Modellkirche für andere Versuchsgemeinschaften im Land.

VI/3 Kontakte mit der römisch-katholischen Kirche

Juut Meijer: „In diesen Jahren genoss ich den halbjährlichen Gedankenaustausch mit Theologen und Repräsentanten des Bistums sehr. Das Witzige ist, dass ich als Protestantin diesen großen kirchlichen Verband vielleicht noch mehr schätzte als manche Katholiken. Hier und da war unser Weg zur Selbständigkeit von einer Hurrastimmung begleitet, endlich frei! Ich fand es eigentlich schade. Wir saßen hier am Tisch mit Theologen von Rang wie Edward Schillebeeckx oder dem Kirchenrechtler Ruud Huismans. Diese Gespräche waren fruchtbar und in den Anfangsjahren gab es auch von Seiten des Bistums ein wirkliches Interesse. Gewiss gab es auch kritische Fragen: Was bedeuten für euch das Amt, die Taufe, die Autorität der Schrift? Jemand wie Schillebeeckx verstand es natürlich, solche Fragen mit Autorität zu parieren. In diesen Jahren hofften wir sehr, dass wir uns treffen könnten. Wir nahmen uns gegenseitig ernst.”

Der Umschlag kam in den 1980er Jahren unter Bischof Bomers. Der Zeitgeist änderte sich und schließlich lautete das Urteil: ‚Was ihr tut, können wir gegenüber Rom nicht mehr verantworten.’ Zwei protestantische GottesdienstleiterInnen, davon eine noch eine Frau, die Idee der Gemeinschaft als Trägerin des Amtes. ‚Was bedeuten dann noch die Eucharistiefeier oder die Taufe?’ so ungefähr wurde gedacht. 1989 war die Selbständigkeit eine Tatsache und das Anwesen wurde der Gemeinschaft übertragen.

VI/4 Was uns verbindet

Stan van Walstijn, Vorsitzender des Programmrates: „Der Weg zur Selbständigkeit war letztlich ein natürlicher Prozess, ein organisches Geschehen. In gewissem Sinn musste es so kommen und wir wuchsen zur eigenständigen freien Gemeinschaft heran, die wir jetzt sind. Unser Schwerpunkt liegt auf der Gemeinschaft. Die Dominikusgemeinde ist mehr als ein sonntäglicher Gottesdienst. Ihre Mitglieder fühlen sich untereinander und mit dieser Kirche verbunden. Hier werden Wohl und Wehe geteilt und die Teilnehmenden betrachten dies wirklich als ihre Kirche. Das Gemeinschaftsgefühl ist sehr stark. In den ersten Jahren hat uns noch der Widerstand gegen die kirchliche Autorität stark verbunden, aber jetzt ist davon nur noch wenig zu spüren.”

Meijer: „Von Person zu Person kann das verschieden sein. Bei der ältesten Generation spielt das noch immer eine Rolle.”

Van Walstijn: „Aber was uns jetzt beschäftigt, sind doch viel eher Fragen wie: Wer wollen wir sein? Reagieren wir hinreichend auf die Fragen von heute? Haben wir den Mut, selbstkritisch zu sein und uns verletzlich zu zeigen? Zugleich verleiht es uns viel Kraft, wenn wir an der ursprünglichen biblischen Botschaft festhalten und uns eine Balance zwischen Erneuerung und Bewahrung erarbeiten. Zugleich müssen wir kritisch mit Formen umgehen. Den halbjährlichen Gedankenaustausch mit Theologen gibt es noch immer. Dann besprechen wir die Gottesdienste und setzen uns mit Predigten auseinander. Letztlich suchen die Menschen zwei Dinge: Vertiefung und Inspiration einerseits, andererseits Begegnung und eine Gemeinschaft, zu der sie gehören können.“

VI/5 Gottesdienste

Meijer: „Es ist eine Gemeinschaft, die uns Gold wert ist, sagen manche über die Dominikusgemeinde. Das verpflichtet uns gegenüber denen, die neu zu uns stoßen. Es ist immer schwierig, in eine Gruppe mit engem Zusammenhalt zu kommen und in ihr Anschluss zu finden. Deshalb achten wir darauf, dass wir kein geschlossener Kokon sind. Man wird hier gesehen, um Dinge gebeten. Im Blick auf den Gottesdienst beteiligen sich Menschen gerne an den ehrenamtlichen Aktivitäten. Sogar wenn es ums Putzen geht geschieht dies mit großer Zufriedenheit, weil es so angenehme Gruppen sind.”

Neben der Begegnung ist während der Gottesdienste die Musik sehr wichtig. Pro Gottesdienst singen wir acht Lieder, meistens von Oosterhuis, aber auch Produkte aus der eigenen Gemeinschaft. Die „Dominicus” hat einen eigenen Chor mit Dirigent und Pianist bzw. Organist. Die Kirche ist um ein zentrales Podium herum eingerichtet. Die Besucher sitzen im Kreis. Meijer: „Das symbolisiert, dass wir zusammen Gemeinde sind, dass es um Begegnung geht.” Mitglieder des Liturgischen Teams (ein Kreis von TheologInnen), leiten das Gebet und sorgen für die Predigt. Regelmäßig predigen Gäste von außerhalb. Während der Lesung und der Predigt bieten wir für die Kinder besondere Aktivitäten an.

„Ausgehend von der christlichen Tradition bemüht sich die Dominikusgemeinde um eine Vertiefung und Erhellung der fundamentalen Fragen von Mensch und Gesellschaft“, so vermeldet die Website. „Wenn sich Mensch und Gemeinschaft laufend verändern, kann auch die Liturgie der Dominikusgemeinde keine statische Einheit bilden. Sie wird regelmäßig auf neue Visionen und Einsichten hin ausgerichtet.“

Dennoch unterscheidet sich die Grundstruktur kaum von der eines traditionellen Gottesdienstes. Auf ein Begrüßungswort und eine Einleitung folgen Lesung und Auslegung (Predigt), darauf nach einem Intermezzo Hochgebet, das Teilen von Brot und Wein, Fürbitten und Segen.

VI/6 Glaubensverständnis

Meijer: „Der Kern unseres Glaubens? Er führt mich zur Exoduserzählung. Sie ist die Geschichte über eine Zukunft mit Gott, die nie mit der heutigen menschlichen Situation zusammenfällt. Sie vergegenwärtigt die Vision von einer uns verheißenen Welt, in der Menschen zu ihrem Recht kommen. Genau dies feiern wir in der sonntäglichen Eucharistiefeier. In der Liturgie herrscht immer diese seltsame Mischung aus ‚es ist noch nicht soweit’ und ‚doch ist schon etwas da’. Zugleich sind wir dann die Gemeinschaft, in der wir glauben. Natürlich muss man diese Geschichte immer in die Gegenwart hinein übersetzen, ihr Hände und Füße verleihen. Ihr geben wir auch in den verschiedenen pastoralen und diakonischen Aktivitäten während der Woche Gestalt.

In den 1970er Jahren war diese Übersetzung sehr politisch gefärbt. Damals hatten unsere jüdischen Wurzeln und der Einfluss der Befreiungstheologie ein großes Gewicht. Jetzt setzt sich mehr eine Verschiebung in die Innerlichkeit durch. Ja, auch das spüren wir hier, auch das ist eine Frage des Gleichgewichts von politischer und biblischer Besinnung sowie persönlicher Inspiration. Aufmerksamkeit für die Not der Welt, aber auch für die Not in der Nähe. Menschen bringen ihr eigenes Leben mit, ihre eigenen Sorgen um ihre Kinder, ihre Gesundheit, ihre Einsamkeit, was auch immer.”

Auch Trends wie New Age gingen an der Dominikusgemeinde nicht vorbei. Meijer: „Von sacred dance bis Meditation und Labyrinth-Gehen, alles gibt es hier. Das führt auch zu Diskussionen darüber, ob das alles nicht zu verschwommen wird. Doch können wir das nicht einfach vernachlässigen, denn die Menschen, die sich damit beschäftigen (und manchmal sind wir es selbst) suchen nicht umsonst meditative Formen. Sie haben wirkliche Fragen; man muss darauf eingehen. Es reicht also nicht, einen Kurs für sacred dance zu organisieren. Ernst zu nehmen sind die dahinterliegenden Fragen: ‚Wo ist dieser befreiende Gott denn zu finden?’ Übrigens spielt diese Frage auch in der Liturgie eine Rolle: Ist Gott außerhalb oder in uns? Fällt er mit der Dynamik zwischen Menschen zusammen? Wir bieten Raum für mehrere Antworten und verschiedene Auffassungen. Auch ein Nichtwissen ist erlaubt. Manchmal halten wir uns während eines Gottesdienstes buchstäblich still im Raum auf, der zwischen uns ist oder im Zwischenraum der Worte. Kann man Worte relativieren und ein Gespür bekommen für das Mysterium, das darüber hinausgeht? Glaube ist auch immer ‚größer als wir es sagen können’, ‚größer als das, was wir erreichen’. In den 1970er Jahren war der Glaube an die Machbarkeit der Gesellschaft stark. Wir wussten genau, wie die Welt auszusehen hatte. Gegen den Dogmatismus der traditionellen Kirchen wurden neue Dogmen errichtet, die ebenso starr waren. Jetzt hat sich das geändert. Auch theologisch ist die Welt vielfältiger geworden. Während unserer halbjährlichen Theologenberatung können Manuela Kalsky und Erik Borgman sehr unterschiedlicher Meinung sein, doch sind wir beiden wohlgesonnen und lassen uns von ihnen beiden inspirieren.“

VI/7 Gründe für den Erfolg und Ratschläge für neue Gemeinschaften

Meijer: „Ich meine, dass wir in den vergangenen Jahren offener geworden sind. Es besteht immer die Gefahr, dass man zur geschlossen gemütlichen Gruppe wird. Wenn sich Menschen von außerhalb an unsere Lehrhäuser oder Gesprächskreise anschließen wollen, folgt dann als erste Reaktion: Die passen nicht zu uns. Was für eine seltsame Haltung, die hier völlig unangebracht ist. Zu einem Kurs über Labyrinth-Gehen kamen etwas seltsame Interessenten. Dann dachten wir bisweilen: Ist das also unser Image nach außen? Aber in den vergangenen Jahren herrscht hier mehr eine offenere Haltung im Sinne von: ‚Mal sehen, was kommt’.”

„Ich habe Nachbarn, die nicht kirchlich sind, aber sich mit dem Buddhismus beschäftigen. Als sie heirateten, hatten sie doch das Bedürfnis nach einer Art Segnung. In so einem Augenblick kann man mit keinem Nein daherkommen. Offensichtlich funktioniert Glaube heute so. Auch wird man sich bei diesen Fragen von außen des eigenen Reichtums bewusst. Offensichtlich besitzen wir im Haus etwas, das Menschen bisweilen vermissen: Einen Segen bekommen, aber auch Worte wie Befreiung, Schuld oder Gnade.“

VI/8 Probleme und/oder Sorgen

Wie in allen Gemeinschaften spielt auch in der Dominikusgemeinde die Überalterung eine Rolle. Das Durchschnittsalter der sonntäglichen Gottesdienstbesucher wird immer höher und 400 Besucher sind natürlich viel, aber die 700 aus den Goldenen Zeiten erreichen wir nur noch selten.

Vorsitzender van Walstijn: „Letztlich geht es nicht um das eigene Weiterbestehen. Wir tun, was jetzt nötig ist. In zehn Jahren ist das vielleicht ganz anders und sucht sich das Andere auch andere Wege. Das ist nicht schlimm. Die Dominikusgemeinde hat nicht sich selbst zum Ziel.” Dennoch denkt die Gemeinschaft über ihre eigene Zukunft und über entsprechende Pläne nach. Das geschieht z.B. im Projekt ‚Blikopener’ [Augenöffner]. In ihm werden Gespräche mit Menschen geführt, die in der jüngsten Vergangenheit in der Dominikus-Gemeinschaft geheiratet haben oder Kinder taufen ließen. Van Walstijn: „Wir fragen sie, was sie gerne hätten und was sie umtreibt. Dieser persönliche Zugang wird sehr geschätzt. Die Menschen sagen: ‚Oh, wie ist es doch schön, so einander zu begegnen und einmal ausführlich über das sprechen zu können, was uns an Weltanschauung und Spiritualität beschäftigt.‘“

VI/9 Bedürfnis nach breiteren Vereinigungen

Van Walstijn: „Es ist gut, übereinander Bescheid zu wissen und wir nehmen auch an einigen Verbänden teil. Aber an einen landesweiten Verband im Sinne einer Dachorganisation glaube ich nicht. Was soll ihr Mehrwert sein? Ob wir eine Rolle für die Marienburg-Vereinigung spielen können? Da kehre ich die Frage um: Was hat Marienburg anzubieten?”

Wichtiger ist für Pastor Meijer die Idee, eine Form von Kirche-Sein, die eine lokale Gemeinschaft übersteigt: „Ich habe die Kirche nie verlassen und bin noch immer Gemeindeleiter in der PKN; ich habe Angst vor Gruppen, die sich mit sich selbst beschäftigen.” Deshalb ist sie auch froh darüber, dass die Dominikus-Gemeinschaft mit übergreifenden Verbänden Kontakt hält, etwa mit dem Kirchenrat Amsterdam, dem Rad voor Levensbeschouwingen en Religies Amsterdam[20], mit Amsterdam met hart en ziel[21] und dem neuesten landesweiten Verband: ‚2 of 3 bijeen[22]. An diesem Netzwerk nimmt auch die Basisbewegung der Niederlande teil. Meijer: „Gemeinschaften brauchen einander.”

 

VII. Breda
Die Ekklesia Breda: Pflege der biblischen Quelle

Die seit 2010 in der Ekklesia Breda gefeierten monatlichen Gottesdienste haben eine typische Oosterhuis-Atmosphäre. Die Lieder stammen von ihm und man achtet sehr auf eine zeitgemäße Auslegung der Bibel. „Dogmatisch und institutionell gesehen sind wir freisinnig, aber die Erzählung der Bibel ist unsere Basis.“
Info: ekklesiabreda.nl

VII/1 Ekklesia Breda in Kurzfassung

Gottesdienste: monatlich
Gottesdienstbesucher: 120
Ehrenamtliche: wenige Schlüsselfiguren; ansonsten ist jeder Besucher, wie es
sich eben ergibt, zu seiner Zeit ehrenamtlich tätig
Arbeitskreise: Vorstand
Finanzen: Startkapital über Fonds (Ordensleute). Für alle weiteren Einkünfte kommt die Gemeinschaft selbst auf (Etat: ca. 10.000 Euro pro Jahr)
Bezahlte berufliche Kräfte:irigent und Pianist bzw. Organist bekommen ein Honorar; der Pastor arbeitet ehrenamtlich.
Organisationsform: Stiftung
Beziehung zur römisch-katholischen Kirche: seit 2010 unabhängig

Kernsatz: „Die Ekklesia Breda ist ein offener und gastfreundlicher Ort, an dem Menschen zusammenkommen, um ihren Glauben zu vertiefen und zu feiern. Während der monatlichen Gottesdienste, zu denen jeder willkommen ist, ermutigen und inspirieren wir einander, so wie es die ersten Christengemeinschaften getan haben: Sie kamen zusammen in einem der Häuser, brachen das Brot und waren ein Herz und eine Seele. (vgl. Apg 2,46)

VII/2 Entstehungsgeschichte

Neben dem Beginenhof in der Catharinastraat in Breda steht die Waalse Kerk [Wallonische Kirche], eine wirklich intime kleine Kirche, deren Geschichte bis ins 15. Jahrhundert zurückgeht. Gewöhnlich residiert hier eine protestantische französischsprachige Gemeinde; es ist eine der 13 Gemeinden, die zusammen innerhalb der protestantischen Kirche in den Niederlanden die Waalse classis [wallonische Gruppe] bilden. Doch seit 2010 kommt hier einmal pro Monat die ‚Ekklesia Breda’ zu einem sonntäglichen Gottesdienst zusammen. Die Gemeinschaft ist aus der Pfarrei ‚De Haagse Beemden’ in Breda-Nord entstanden.

Vorstandsmitglied Wim Goijaarts: „Mit dieser Pfarrei hatten wir etwas Einzigartiges. Wir wurden jeden Sonntag inspiriert und konnten damit in die Woche gehen.“ Besucher von nah und fern wussten die Bethlehemkirche im ‚Haagsche Beemden’ zu finden. „Es war eine Wahlkirche mit begeisternden Liturgen wie Jos Zwetsloot und später Franck Ploum. Als aber Franck wegging, kamen dafür Menschen, die nicht dasselbe zu bieten hatten”, erzählt Goijaarts. „Es wurden immer weniger und weniger. Zudem wurde die wachsende Praxis der ökumenischen Gottesdienste von Bischof Van den Hende verboten. Als wir uns dann aus anderem Anlass trafen, fragten wir uns immer wieder: ‚Warum organisieren wir nicht etwas für uns selbst?’”

2010 ist es endlich gelungen. Franck Ploum, den Bischof Muskens einige Jahre zuvor wegen einer Scheidung aus seinen pastoralen Funktionen entlassen hatte, war inzwischen Direktor van ‚de Nieuwe Liefde’ (dem religiös-kulturellen Zentrum von Huub Oosterhuis in Amsterdam)[23]. Ploum: „Die Periode des Ressentiments hatte ich überwunden. Auch hier konnte gerne etwas Neues seinen Anfang nehmen. Wir haben hier aus einem positiven Verlangen nach Begegnung, Inspiration und Vertiefung heraus begonnen.” Die Pfarrei um die Bethlehemkirche besteht inzwischen nicht mehr; sie ist in einem größeren Verband aufgegangen.

VII/3 Verbindung mit der römisch-katholischen Kirche

Juridisch und kirchenrechtlich ist die Gemeinschaft von der römisch-katholischen Kirche völlig unabhängig. Ploum: „Nein, wir sind keine katholische Kirche. Ich würde uns eher einen ökumenischen Ort nennen. Die Gottesdienste wirken ein wenig protestantisch, mit mehr Aufmerksamkeit für das gesprochene Wort und für die Auslegung der Bibel, als es Katholiken gewohnt sind.”

Goijaarts: „Das Bistum war not amused. Wir wurden auch zu einem eindringlichen Gespräch eingeladen. Aber niemand kann uns bei etwas erwischen, das die kirchlichen Regeln verletzt. Wir spenden keine Sakramente, obwohl wir manchmal gebeten werden, ein Begräbnis zu leiten, bei einer Hochzeit zu assistieren oder eine Taufe zu spenden. Aber wir spielen hier nicht Kirche oder Eucharistie.“ Doch bleibt eine letzte Frage: Die Gottesdienste enthalten alle Elemente einer Eucharistie und warum soll sich eine unabhängige Gemeinschaft um kirchliche Regeln kümmern?

Ploum: „Das ist eher eine praktische Frage. Unsere Kräfte sind begrenzt und wir mieten den Kirchenraum nur einmal pro Monat; zu anderen Zeiten steht er nicht ohne Weiteres zur Verfügung. Dinge entwickeln sich, das gilt auch für die Spendung der ‚Sakramente’ und für pastorale Unterstützung. Lassen wir es mal laufen. Wir werden schon sehen, was entsteht, was sich verwirklichen lässt oder nicht.“

Schatzmeister Joke de Kock: „Unser Ziel ist vorläufig darauf gerichtet, inspirierende und zur Besinnung anregende Zusammenkünfte anzubieten. Wir entscheiden uns ganz bewusst dafür, dass wir nicht alles zugleich wollen. Wir entwickeln eine Basis; schauen immer eineinhalb Jahre voraus. Was wir tun, ist begrenzt. Aber was wir tun, tun wir gut.”

VII/4 Gottesdienste

Der Raum hat Atmosphäre. Die Musik ist stimmig. Bei der ersten Zusammenkunft der Saison nehmen etwa 80 Menschen (über 60 Jahre alt) auf Rohrstühlen Platz. Gottesdienstleiter Franck Ploum heißt alle willkommen: „Wer du auch bist, woher du auch kommst, wie du auch geartet bist. Ob du gläubig oder suchend, glücklich oder unglücklich bist.” Im Kontrast zu der Ausschließung in manchen anderen Kirchen wirkt das sehr einladend. Ploum: „Das ist ein wichtiger Punkt. Solange man sich so heftig gegen das Schablonendenken wendet, bestärkt man auch die Schablonen. Wir finden diese Offenheit sehr wichtig und sie ist immer noch nicht selbstverständlich. Übrigens auch außerhalb der Kirchen nicht.”

Der Gottesdienst hat eine typische ‚Oosterhuis-Atmosphäre’. Es stammen nicht nur alle Lieder von ihm, sondern auch inhaltlich ist der große Kirchenerneuerer der Nachkriegszeit sehr gegenwärtig: Viel Aufmerksamkeit erhalten das Wort und eine aktualisierende Interpretation, die auch über Hintergründe informiert, aber auf eine direkte dogmatische Einfärbung verzichtet.

De Kock: „Doch auch hier gibt es viele Rituale. Die Gottesdienste haben eine feste Struktur. Eigentlich tun wir immer dasselbe. Für die Wiedererkennbarkeit ist das wichtig, gewiss dann, wenn man nicht so oft zusammen kommt. Erneuerung und Kreativität sind keine Ziele an sich. Wir bieten keine Weihnachtsattraktion.“

VII/5 Was uns verbindet

Ein monatlicher Gottesdienst, ein Liedertag pro Jahr und einige Lehrhausaktivitäten während der Woche. Das ist das Kerngeschäft der Ekklesia Breda. De Kock: „Was Menschen hier zusammenführt, sind Vertiefung, Inspiration und Begegnung. Wichtig ist auch die Musik. Es wird viel und gerne gesungen. Manchmal sagen wir: ‚Der Chor leitet den Gottesdienst’. Wir singen auch das Hochgebet.“ Ploum: „Am Beginn der Saison haben wir zurückhaltend begonnen. Aber mit De steppe zal bloeien[24] als Schlusslied lief schon alles wie am Schnürchen.” De Kock: „Menschen wollen teilen. Sie kommen hierher mit ihrer Lebensgeschichte, ihren Sorgen und ihrer Trauer. Dafür nehmen wir uns vor und nach dem Gottesdienst Zeit. Was wir pastoral leisten können, ist beschränkt, aber nicht alles muss vom Leiter des Gottesdienstes abhängen. Menschen bieten sich auch gegenseitig pastorale Hilfe. Präsenz, also anwesend und gegenüber anderen aufmerksam zu sein, das kostet nichts.“

Und Diakonie? Ploum: „Ab und zu gibt es eine Kollekte für einen guten Zweck und wir arbeiten an der vredesweek [Friedenswoche] in Breda mit. Aber praktische Fürsorge geht uns in diesem Augenblick einen Schritt zu weit. Für eine Kirche mit einer regionalen Funktion ist das auch schwieriger als für eine Kirche, die vor Ort verwurzelt ist.“

De Kock: „Natürlich haben wir ein Auge füreinander, wie ich soeben sagte. Wir hatten hier ein Ehepaar; der Mann war wirklich schwach und die Frau noch ganz vital. Aber nun ist ausgerechnet sie gestorben. Dann schauen wir, ob wir von unserer Gemeinschaft aus Hilfe anbieten können. Oder jemand spricht mich als Schatzmeisterin an mit einer praktischen finanziellen Bitte nach einem Sterbefall. Dann hilft man natürlich einander.“

VII/6 Glaubensverständnis

Ploum: „Es kennzeichnet die Ekklesia-Gruppen, dass sie dogmatisch und institutionell freisinnig sind, aber zugleich an der Bibel als Quelle festhalten. Wir halten die Bibel nicht für das unmittelbare Gotteswort, aber doch für ein Buch mit Geschichten darüber, wie Menschen in ihrem Leben nach Sinn suchen. Der rote Faden ist die Befreiungsgeschichte.

Gewiss, auch anderswo kann man nach Bedeutung und Sinn suchen. Aber die Biblische Geschichte ist unser Corpus. Sie ist kräftig und stark. Man kann auch mal auf eine andere Quelle zurückgreifen, aber dann immer im Bezug zur eigenen Basisgeschichte. De Kock: „Vieles in der Bibel ist noch nicht erschlossen oder nur institutionell-dogmatisch erschlossen.”

VII/7 Gründe für den Erfolg

De Kock: „Marschiere nicht zu weit vor den Truppen her. Tue nur die Dinge, die du bewältigen kannst und wofür es eine Tragfläche gibt. Wir arbeiten mit einem kleinen Vorstand von drei Personen, der so einmal pro Halbjahr zusammenkommt. Ein breites Netzwerk von Ehrenamtlichen arbeitet bei uns nicht. Jetzt haben wir einige Schlüsselfiguren, z.B. eine Person, die als Küster fungiert. Aber ansonsten halten wir uns flexibel. Keine festen Messdiener oder Menschen für die Kollekte. Vor dem Gottesdienst fragen wir, wer für die Kollekte sorgen will und während des Gottesdienstes bittet Franck einige Menschen, immer wieder andere, sich um den Altar zu stellen. Vor dem Gottesdienst ist da immer jemand, der helfen kann, die Stühle aufzustellen oder die Blätter zu falten. Wir haben keine Administration der Mitglieder. Man kann unseren Nachrichtenbrief abonnieren. Daraus ersehen wir, dass wir einen Kreis von etwa 600 Menschen um uns herum haben. Durchschnittlich besuchen etwa 120 Menschen die Gottesdienste, mit einem harten Kern von etwa 50 Personen.”

Wir haben eine einfache und flexible Organisation, einen festen Gottesdienstleiter (oder Kreis von Leitenden) und eine feste Struktur. Sie ist neben der Schatzmeisterin De Kock der wichtigste Erfolgsfaktor. „Und natürlich müssen die Finanzen in Ordnung sein. Jeder Gottesdienst kostet doch etwa 800 Euro.” Die Gemeinschaft bestreitet ihre Ausgaben selbst. Am Anfang wurde durch Fondswerbung ein kleines Startkapital zusammengebracht; dabei haben uns vor allem Orden und Kongregationen unterstürzt.

Ploum ergänzt: „Sorge für ein klares Profil. Stelle dich mit beiden Beinen in die biblische Tradition und schöpfe nicht die eine Woche aus der Bibel, dann aus dem Koran oder aus Tarock-Karten.” Die protestantische Freisinnigkeit, so Ploums Überzeugung, ist an ihrer eigenen mentalen Großzügigkeit untergegangen. „Man hat keinen Fokus mehr.”

Aus eigener Recherche wissen wir, dass die Besucher die monatliche Frequenz der Gottesdienste prima finden. Manche würden eine zweiwöchentliche, aber keine wöchentliche Frequenz vorziehen.

VII/8 Probleme und Sorgen

Stehen die Ekklesia-Gemeinschaften am Beginn oder am Ende ihrer Entwicklung? Glänzt hier etwas Neues auf oder schimmert etwas nach? Ploum: „Jetzt sind wir ein Ort der Inspirationen. Möglicherweise braucht man in zehn Jahren etwas anderes. Man kann sich z.B. fragen, ob jüngere Generationen überhaupt noch hinreichend Nährboden haben, um diesen Typ ‚Oosterhuis-Spiritualität’ einordnen zu können. Wahrscheinlich nicht.

Allerdings stellen wir seit etwa 2000 eine Wiederbelebung der Ekklesia-Gruppen fest. Zu tun hat das mit der Wiederbelebung von Religion im Allgemeinen, vor allem aber mit dem weiter zerbröckelnden kirchlich-sozialen Zusammenhalt. Immer weniger Menschen bleiben aus Loyalität bei ihrer Pfarrkirche; bei den großen fusionierten Pfarreien wird diese Loyalität dann vollends verschwinden. Menschen schauen sich im weiteren Umkreis um. Da bietet unsere Art von Kirchen neue Chancen.

VIII/9 Bedürfnis an einem landesweiten Verband und die Rolle der Marienburg-Vereinigung

Ploum: „Ein landesweiter Verband ist sicher wichtig. Einer der Gründe für das Verschwinden vieler Gruppen aus den 1960er und 1970er Jahren liegt darin, dass jede von ihnen in eigener Verantwortung an etwas herumbastelte.

De Kock: „Dennoch liegt bei einem größeren organisatorischen Verband m.E. nicht unsere erste Vorliebe. Zwar erkenne ich an, dass gegenseitiger Austausch und gegenseitige Inspiration wichtig sind. Aber bei uns werden die lokalen Grenzen doch schon durch Franck und seine Verbindungen mit der Ekklesia von Amsterdam überstiegen. Eine Aufgabe für Marienburg-Vereinigung? Ich weiß eigentlich nicht so genau, was Marienburg gegenwärtig tut.”

Ploum: „Von der Marienburg-Vereinigung habe ich die Vorstellung, dass sie ein wenig in der Protest-Atmosphäre hängen blieb; man klagt dort über die Bischöfe. Vielleicht stimmt dieses Bild schon lange nicht mehr, aber diese Vereinigung wird damit in Verbindung gebracht. Siebzigjährige und Ältere kommen zusammen und erzählen einander, wie fein es doch zu Zeiten des Zweiten Vatikanischen Konzils gewesen ist. Dann sage ich mir: Hör’ endlich damit auf. Das Konzil fand vor 50 Jahren statt, die Generation unter 50 hat keine Idee mehr, worum es damals überhaupt ging.

Schau, Menschen haben Sehnsüchte. Sie wollen zueinander kommen, geführt werden, sich in die biblische Tradition vertiefen, diakonisch füreinander etwas bedeuten. Lass dich davon leiten. Wer dann aber immer daran denkt, wie schön es doch in 1970er Jahren war, findet vor lauter Heimweh keinen Zugang zu den aktuellen Erwartungen mehr. Er tut dasselbe wie die anderen, die sich nach der tridentinischen Messe mit dem Rücken zum Volk sehnen. Entdecke, was heute nötig ist. Dann bist du relevant.“

VIII Gehe deinen eigenen Weg’ – Schlussbetrachtung

 „Die Verselbständigung dieser Kirchen mit freiem Status ist als eine Form von Freiheit und Selbstbewusstsein zu verstehen, die der Treue gegenüber der Tradition nicht widerspricht.”

 VIII/1 Phasen der Entwicklung beim Entstehen der freien Gemeinschaften

Beim Entstehen der freien Glaubensgemeinschaften lassen sich drei Phasen unterscheiden.

Entfremdet
In der ersten Phase kam es zu Gruppierungen, die direkt in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil auf den Flügeln des Zeitgeistes entstanden. Die Niederländischen Bischöfe wählten eine Anzahl von Pfarreien als Versuchsorte zur Erneuerung mit dem Ziel aus, mit den Resultaten dem Konzil Hand und Fuß zu geben. Aber wie bekannt, folgte auf diesen ersten enthusiastischen Beginn der Kirchenerneuerung von unten und von oben schon bald eine Periode der Stagnation und Restauration. Die experimentellen Gemeinschaften entfremdeten sich immer mehr von den Kirchenleitungen. Um die erworbene Eigenart zu bewahren, sah man sich gegen deren Willen und zu deren Undank schließlich zu einem eigenen Weg genötigt. Das führte zu einer ersten Welle von Gruppen, die sich zu einer ‚freien Stellung’ entschlossen. Trendsetter war dabei die Studenten-Ekklesia Amsterdam. Aber auch die Junge Kirche Roermond und die Dominikus-Gemeinde in Amsterdam können zu den ‚früh unabhängigen’ Gemeinschaften gezählt werden. In gewissem Sinn gehören zu diesen ‚früh unabhängigen’ auch die Bos-Kapelle und die Werkhof-Gemeinschaft. Zwar waren sie weniger zu formellen Schritten gezwungen, denn sie agierten unter dem Schutz klösterlicher, kirchenrechtlich exemter Orden. Erst als ihre Verbindung mit den Orden weg fiel, mussten diese Gemeinschaften ihre Selbständigkeit auch organisatorisch verwirklichen.

Nach unten geholte Polarisierung
In den ersten Jahrzehnten (also zwischen rund 1970 und 2000) wurde die Restauration in der römisch-katholischen Kirche noch von einem reformorientierten mittleren Kader in der Kirche aufgefangen. Auf Landesebene zeigte sich die Polarisierung in vollem Umfang und wurde nicht zuletzt in der Bischofskonferenz selbst sichtbar, aber die Gläubigen als solche konnten vor Ort, also auf der Ebene der Pfarreien, den Streit noch lange auf Abstand halten. So gut und so schlecht es eben möglich war, ging man seinen eigenen Weg. Doch durch die kirchliche Ernennungspolitik von Bischöfen veränderte sich im Laufe der Jahre die Situation. Es schien so, als wäre der Streit zum Vorteil der restaurativen Kräfte entschieden. Die Polarisierung war aus der Öffentlichkeit verschwunden, doch das war nur Schein. Der Kirchenhistoriker Peter Nissen beschreibt in der Zeitschrift Vieren (2008), was sich tatsächlich abspielte. Auf Landesebene war die Polarisierung nicht mehr zu sehen, doch an der Unterseite der katholischen Glaubensgemeinschaften wurde sie umso stärker spürbar. An immer mehr Orten wurde der progressive, ältere Pastor oder Priester durch einen jungen, konservativen Nachfolger ersetzt. Nissen: So waren die Gegensätze nicht im Mindesten vorbei, sondern hatten sich einen anderen Ort gesucht. Sie waren zur Basis, viel näher zu den Gläubigen heruntergekommen. In diesem Kontext ist die neue Welle von Gemeinschaften zu sehen, die sich eine freie Einstellung gaben. Dafür kann die San Salvatorgemeinschaft in Den Bosch als Beispiel gelten.

Freie Initiative
Die dritte Phase in der Entwicklung zu selbständigen Glaubensgemeinschaften wird sichtbar, als die ‚Experimentellen 2.0’ antreten. So nenne ich die Erneuerungskirchen der zweiten Generation. Geboren wurden sie außerhalb eines direkten Pfarreiverbandes aus der freien Initiative von Einzelnen. Dabei nahmen sie sich die bestehenden Versuchs-gemeinschaften aus früheren Phasen zum Vorbild. Die Haager ‚Dominicus’ ist dafür ein gutes Beispiel. Aber auch die Ekklesia Breda gehört in diese Phase.

VIII/2 Der veränderte Platz von Religion in der Gesellschaft

Zerbröckelnde Loyalität
Franck Ploum, Direktor der Nieuwe Liefde in Amsterdam und Gottesdienstleiter in der ‚Ekklesia Breda’, weist darauf hin, dass seit 2000 eine Wiederbelebung von Ekklesia-Gruppen zu bemerken ist. „In den vergangenen Jahren scheint zu geschehen, was viele in den Jahren von 1970-1980 erwartet hatten. An vielen Orten des Landes entstehen und wachsen unabhängige Kirchen, die sich oft auch ‚Ekklesia’ nennen. Glaubensgemeinschaften und Pfarreien trennen sich und gehen selbständig ihren Weg.”

Ploum fragt sich: Warum hat es so lange gedauert, bis Gemeinschaften den Mut zu einem eigenen Weg fassten? Dabei verweist er besonders auf die Loyalität der Gläubigen gegenüber der Institution Kirche, vielleicht noch mehr gegenüber der örtlichen Pfarrei oder dem Pastor. Langsam zerbröckelte diese Loyalität immer mehr. Allgemein gesehen, lockerten sich durch die Individualisierung in der Gesellschaft alle Bindungen an traditionelle Institutionen. Unter den praktizierenden Katholiken wird diese Entwicklung durch die Fusionsprozesse verstärkt, zu denen sich die römisch-katholische Kirche im Augenblick gezwungen sieht. Menschen fühlen sich mit diesen neuen größeren Einheiten kaum mehr verbunden. Also halten sie nach anderen Möglichkeiten Ausschau. Sie fühlen sich freier auf der Suche nach einer Kirche, die ihrem eigenen Leben entspricht.

Die Entstehung einer ungebundenen Spiritualität
Vielleicht hat noch ein weiterer wichtiger Faktor die Verselbständigung gegenüber der offiziellen Kircheninstitution unterstützt; die Religion hat in den vergangenen zehn Jahren eine andere gesellschaftliche Position erhalten. In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts schien es, als ob die Religion zusammen mit der Entkirchlichung langsam aber sicher aus der Gesellschaft verschwinde. Seit etwa 2000 ändert sich diese Überzeugung; offensichtlich ist die Theorie einer verdampfenden Religion unhaltbar.

Auch dringt immer tiefer ins allgemeine Bewusstsein ein, was eigentlich ganz klar sein müsste: Religion ist ein selbständiger Faktor, der nicht von der Funktion von Kirchen abhängt. Im Gegenteil, Kirchen hängen ab von der Funktion der Religionen, diese ist die grundlegendere Gegebenheit. Gewiss, Religion braucht eine Institutionalisierung, aber diese Institutionalisierung muss nicht unbedingt innerhalb traditioneller Vorgaben stattfinden. Allerdings braucht es eben seine Zeit, bis dieses Bewusstsein in die Kirchenmauern eindringt.

Seit 2000 feiert Religion ihr Comeback auf unterschiedliche Weise. In der Weltöffentlichkeit erscheint Religion als ein harter, wenn nicht gar gewalttätiger Faktor, den man nicht mehr leugnen kann. Offensichtlich ist Religion mehr als die Sache von ‚sanften Kräften‘. Doch steht in den Niederlanden Religion vor allem wieder als Quelle der Vertiefung, Sinnfindung und Spiritualität auf der Tagesordnung. Viele suchen nach der persönlichen Erfahrung eines Glaubens, der ihr tägliches Leben und Suchen wirklich auch außerhalb der traditionellen Kirchen beeinflussen kann. Dieses Erstarken einer ‚ungebundenen Spiritualität’ lässt sich immer weniger leugnen. So wirkt dieses neue Aufleben von Religion außerhalb des kirchlichen Rahmens wie ein Katalysator für den Mut, mit dem sich Gläubige nach ihrem eigenen Glauben umschauen.

Ein anderes Bild von kirchlicher Erneuerung
Die ‚ungebundenen Spirituellen’ haben auch die Erneuerungswilligen innerhalb der Kirchen nicht unbedingt gestärkt. Doch hinterlässt diese ungebundene Spiritualität auch hier ihre Spuren, denn die freiere und auf Personen gerichtete Mentalität der neuen Spiritualität hat inzwischen auch die Generation der Kirchenerneurer erreicht. Früher stellten sie sich vor allem eine institutionelle Kernfrage: ‚Wie müssen sich die Kirchenorganisation, die Lehre, die Moral, die Liturgie verändern, damit sie auf die Fragen, Bedürfnisse und Einsichten unserer Zeit anspricht?’ Diese Kernfrage hat sich im Jahr 2013 radikal verändert, denn inzwischen ist Glaube vor allem zu einer existentiellen Frage geworden: ‚Was haben mir die variationsreichen römisch-katholischen Erfahrungs- und Erkenntnisquellen zu bieten, damit ich auf meine persönlichen und kulturell-gesellschaftlichen Sinnfragen Antworten finde?’

Damit verschwindet die institutionelle Frage nicht, aber sie bekommt ein ganz anderes Gesicht. Sie tritt jetzt in Funktion zur existentiellen Frage. Immer mehr finden sich – ganz auf der Linie des heutigen Zeitgeistes – Gläubige selbst verantwortlich gerade auch für die institutionelle Formgebung. Sie erwarten immer weniger Heil von großen, schwerfälligen traditionellen Verbänden. Kirchenerneuerung wird immer deutlicher eine Angelegenheit von unten und wird auch immer entschiedener als eine Verantwortung der Basis selbst wahrgenommen. Kirchenerneuerung geht nicht über ‚sie’, sondern über ‚uns’.

VIII/3 Was beim Rundgang auffiel

 Nach dem Widerstand
Die ältere Generation der Kirchenreformer warnte noch vor der Gefahr einer Kirchenspaltung: ‚Wer austritt, hat keinen Einfluss mehr.’ Und: ‚Wenn wir weggehen, verschwindet der letzte Rest an Reformwillen.’ Solche wirklich hemmenden Faktoren spielen eine immer geringere Rolle. Überall heißt es in den Gemeinschaften, die ich besuchte: ‚Wir gehen unseren eigenen Weg.’ Und man spürt in diesem Sinn auch den Wind des Zeitgeistes im Rücken. Weniger als in früheren Jahren hat man das Gefühl, dass man die Kirche verlässt. Denn die Gemeinschaften wissen, dass sie selbst ihrem Kirche-Sein Gestalt geben und so die Sache des Glaubens fortsetzen. Das Selbstbewusstsein ist gewachsen.

Das schafft Raum für das, was man ‚positive Energie’ nennen könnte. Der alte Schmerz, die Frustration und der Ärger über die Stagnation der Reformen – ‚das Abschweißen+ vom Konzil’ ?? (Oosterhuis) – sind zwar noch fühlbar und leicht abzurufen. Aber die Gemeinschaften als solche halten sich dabei nicht mehr auf. Sie scheinen den Widerstand überwunden zu haben. Ihre Verselbständigung erfahren sie nicht mehr nur als einen Verlust, sondern auch als eine Form von Freiheit und Selbstbewusstsein, denen die Treue zur Tradition nicht widersprechen muss.

Treu zu Glaube und Tradition
Das auffallendste Kennzeichen, das sich beim Rundgang zeigte, war dies: Die sieben selbständigen Gemeinschaften wollen der christlichen Tradition, in der sie stehen, treu sein.

Alle nennen sich ausdrücklich christlich. Sie wollen bewusst im breiten Strom der Tradition stehen, an manchen Orten verweist man ausdrücklich auf die frühchristliche Gemeinde. Auch bleibt für alle Gruppen die Bibel die zentrale Quelle, auf die sie sich weiterhin beziehen.

Es fällt auch auf, dass man beim Gottesdienst überall an der klassischen Struktur festhält. Bibeltexte bilden das Zentrum. Man singt Lieder (vor allem das Oosterhuis-Repertoire) und teilt Brot und Wein als Form eines heiligen Rituals. Überall werden Experimente auf besondere Zusammenkünfte eingeschränkt: ‚Sonntagmorgen anders’.

Auch nimmt man die Frage ernst, wie die Leitung der Gottesdienste zu gestalten ist. Dabei gibt es Unterschiede. Sehr betont wird die Gemeinschaft als die Instanz, die die Sendung erteilt. Zugleich aber findet man überall, dass die Verbundenheit mit der Tradition essentiell ist. Man will sich nicht nur mit sich selbst beschäftigen, sich nicht isolieren, also keine Insel sein, sondern (synchron) mit der lebendigen christlichen Gemeinschaft von heute und (diachron) mit der Christenheit durch die Zeiten hin verbunden sein.

Der Glaube an Gott ist überall eine mehr oder weniger unausgesprochene Voraussetzung. Man betet zu Gott und ruft ihn während der Gottesdienste an. Zwar weist man mit Nachdruck darauf hin, der Gottesglaube könne für die unterschiedlichen Gottesdienstbesucher ganz unterschiedlich ausfallen; alle Besucher bekennen sich mit Nachdruck als Zweifelnde und Suchende, und innerhalb der Gemeinschaft gibt es offensichtlich eine große Bandbreite an Auffassungen, von orthodox-theistisch bis hin zu agnostisch oder atheistisch. Verschiedene Gesprächspartner erklären auf Nachfrage, dass Gott für sie mehr ist als nur eine Frage ihrer Vorstellung, mehr als ein Produkt ihrer Subjektivität. Gott ist für sie eine reale Wirklichkeit. Kurzum: Die Gemeinschaften gewähren viel Raum, aber als Gemeinschaften gehen sie von einem spontanen, biblisch/christlichen Gottesglauben aus.

Identität
Aus dem Gesagten folgt: Alle Gruppen finden es wichtig, eine eigene christliche Identität zum Ausdruck zu bringen. Man distanziert sich eindeutig von Verschwommenheit und Formlosigkeit. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die römisch-katholischen Gruppen von der protestantischen Freisinnigkeit, die hier und da so frei geworden sei, dass sie an ihrer eigenen Großzügigkeit unterzugehen droht.

Dennoch weiß man, dass sich auch bei unabhängigen Gruppen auf die eine oder andere Weise die Frage nach ‚Orthodoxie’ und ‚Lehrautorität’ stellt. Sie ist nicht sosehr eine formal juridische Fragestellung oder eine dogmatische Spitzfindigkeit. Es geht vielmehr um die Frage: ‚Was ist für uns wertvoll, von unverzichtbarer Bedeutung und wie halten wir das im Blick?’ Die postmoderne Antwort, die Wahrheitsfrage sei irrelevant und müsse aufgegeben werden, wird von keiner der Ekklesia-Gruppen bejaht.

So bleibt doch noch die Frage, ob man hier und da nicht dazu neigt, der Bibel bzw. der Glaubensgemeinschaft unbedacht die Rolle der neuen ‚Lehrautorität’ zuzuschieben. Zudem bleibt bei einigen Gemeinden die Frage, ob in ihrer Treue zur christlichen Tradition nicht doch ein kleiner Rest von römischem Gehorsam steckt. Die Werkhof-Gemeinde erwartet von den Mitgliedern ihres Pastorenteams noch immer eine Sendung oder Weihe durch eine kirchliche Körperschaft (protestantisch oder katholisch). Wenn kein Pastor anwesend ist, teilt die Gemeinschaft der Bos-Kapelle nicht Brot und Wein, sondern Brot und Honig. Die Ekklesia Breda stellt fest: ‚Wir übertreten keine kirchlichen Regeln.’

Offenheit
Was an den Ekklesia-Gruppen auffällt, ist ihre Offenheit. Man will niemanden ausschließen. Alle Gemeinschaften sind ohne Vorbehalte ökumenisch. Alle erklären mit Nachdruck – ausdrücklich in ihrem mission statement oder sogar ausdrücklich am Beginn der Gottesdienste –, dass sie offen sind für Protestanten, Geschiedene, Homosexuelle, Suchende und Zweifelnde. Nun verbirgt sich dahinter immer eine Gefahr. Denn wenn man allzu intensiv etwas verkündet, was eigentlich selbstverständlich sein müsste, kommt man in den Verdacht, dass das Selbstverständliche doch nicht vorbehaltlos als selbstverständlich anerkannt wird. Es ist ein wenig so, wie wenn man einen Laden betritt, an dessen Tür ein Schild hängt: ‚Auch Juden sind hier von Herzen willkommen.’

Dahinter steckt natürlich die Tatsache, dass der Ausschluss bestimmter Gruppen innerhalb der offiziellen Kirchen keineswegs als Tabu gilt. Überdies ist die Diskriminierung von z.B. Homosexuellen nicht ausschließlich ein Problem der Kirchen. Offensichtlich fühlen sich die Ekklesia-Gemeinschaften in der Pflicht, an diesem Punkt gegenüber den etablierten Kirchen, besonders gegenüber der römisch-katholischen Kirche, eine klare Grenze zu ziehen. Auch für das Image nach außen ist diese Offenheit relevant. Für die Sicht von außen ist diese Offenheit – im Unterschied zu den etablierten Kirchen – vielleicht das unterscheidende Merkmal schlechthin.

Von der Ethik zur Spiritualität
Die Kirche ‚der Zeit anpassen’ (aggiornamento) war das Motto des Zweiten Vatikanischen Konzils. Aber die Forderungen, die die Zeit damals stellte, sind die Forderungen von vor 50 Jahren. Die Zeiten haben sich geändert. In unterschiedlicher Intensität wissen die Gruppen darum. Überall wird über die Frage gesprochen, wie wir den Glauben erleben. Man fühlt unter den eigenen Mitgliedern sozusagen das veränderte Klima. Alle Gruppen haben entdeckt, dass sich der Glaube wieder mehr auf dessen Bedeutung für die Personen richtet. Menschen suchen Inspiration, Vertiefung, geistig-geistliche Nahrung, Antworten auf persönliche Lebensfragen, Begeisterung und Begegnung.

Neue Fragen zeigen sich für die Ekklesia-Gruppen auch von Seiten der neuen Spiritualität (New Age). In den 1970er Jahren musste der Glaube vor allem politisch und gesellschaftlich relevant sein („die Bibel auf die Zeitung legen“). Heute ist diese Religionskritik, wie es scheint, von der Zeit eingeholt, teilweise selbst Gegenstand der Kritik. Plötzlich ist die ‚Übernatur’ wieder zurückgekommen. Gläubige suchen nach Trost, nach Hilfe ‚von oben’; sie glauben an Engel, vertrauen auf die Kraft des Gebetes oder zünden bei Maria eine Kerze an. Lange Zeit schien sich unter gesellschaftskritischen Christen das nicht zu gehören. Aber in dieser Hinsicht haben sich unter reformwilligen Gläubigen die Zeiten geändert.

Vor diesem Hintergrund haben die Ekklesia-Gemeinschaften, wie es scheint, mit der Diakonie bisweilen ihre Probleme. Sie fühlen sich dazu verpflichtet, ‚etwas Gesellschaftliches‘ zu tun. Gleichzeitig aber spüren sie, dass Besinnung, Begegnung und gemeinsames Feiern bei den eigenen Gemeindemitgliedern wichtiger sind. Im Allgemeinen wird auf eine Balance zwischen Persönlichem und Gesellschaftlichem geachtet. Hier und da kommt zum Bewusstsein, der wichtigste gesellschaftliche Beitrag könne heute vielleicht von spiritueller Art sein: Man muss einen Blick bekommen für Sinnfragen, Achtsam werden für das Meditative, ein Gespür für das Heilige entwickeln. Nach meiner Einschätzung liegt die größte Herausforderung für die Gemeinschaften in dieser veränderten Haltung gegenüber der Religion in der Gesellschaft. Ein Wissen um diese veränderte Stellung bietet auch Gesprächsmöglichkeiten mit mehr traditionellen Gläubigen und – auffallend genug und vielleicht noch wichtiger – mit der jüngeren Generation von Katholiken, die gegenwärtig eher traditionellen als progressiven Formen der Katholizität zuneigen. Dieses Gespräch sollte sich nicht länger mit den heißen Eisen beschäftigen wie dem Amt, der Gültigkeit von Hochgebeten, der Lehrautorität usw., sondern mit Spiritualität.

Gemeinschaft
Die Ekklesia-Gruppen bilden enge Gemeinschaften. Das ist einer der stärksten Trümpfe, über die diese Gruppen verfügen. Wenn unsere individualisierte Gesellschaft etwas braucht, dann solche kleine und niederschwellige Gemeinschaften. Das wichtigste Motiv, das die Menschen Anschluss an einer Ekklesia-Gruppe suchen lässt, ist neben dem Verlangen nach Vertiefung und Inspiration das Bedürfnis nach Begegnung und nach dem Wissen, wo sie hingehören. Konkret kommt das in der Teilnahme am Gottesdienst zum Ausdruck, wobei man Musik und gemeinsames Singen als wichtige verbindende Faktoren nennt. Doch ganz oben auf der Liste der Punkte, die die Besucher sehr schätzen, stehen auch die persönliche Begegnung vor und nach dem Gottesdienst, ferner die Möglichkeit, Wohl und Wehe miteinander zu teilen, oder bei der Vorbereitung des Gottesdienstes und bei den Arbeitskreisen engagiert zu sein. Gemeinschaftsbildung und eine verbindende Kraft gehören zu den wichtigsten Werten, die religiöse Gemeinschaften zu bieten haben.

VIII/4 Probleme

– Alle Gruppen sehen in der Überalterung ihr wichtigstes Problem. Es führt zur Frage: Befinden sie sich am Ende einer vorübergehenden Entwicklung oder zeigt sich am Horizont etwas Neues? Auf diese Frage gibt es keine eindeutige Antwort. Vielleicht trifft beides zu. Zweifellos gibt es einen neuen Schwung. Das Entstehen von neuen Gruppen stützt die Vermutung, dass diese Art von Gemeinschaften eine Zukunft hat. In diese Richtung weist auch die allgemeine Überzeugung, dass Religion auch in einer modernen Gesellschaft wie den Niederlanden nicht verdampft, sondern sich immer wieder neue Wege sucht. Wer jedoch das Durchschnittsalter der Besucher betrachtet, erhält den Eindruck, dass es doch um eine generationsgebundene Gemeinschaft geht. Die Gruppen hängen sehr an ihrer ‚Oosterhuis-Spiritualität’. Das ist ihre Stärke und ihre Schwäche zugleich. Diese Spiritualität vermittelt nun einmal eine eigene Atmosphäre und einen eigenen Charakter, und die Oosterhuis-Schule ist doch an kirchlich aufgewachsene Menschen gebunden. Wer eine außerkirchliche Erziehung genossen hat, schließt sich – ebenso wie die post-christlich sozialisierte Generation – diesen Gemeinschaften nicht ohne Weiteres an. Für sie sind Sprache und Formenwelt zu fremd.

– Die Gruppen erklären, sie organisierten nichts für die Ewigkeit und wollten ihr eigenes Weiterbestehen nicht zum Ziel erheben. Wer aber davon überzeugt ist, wir hätten der Kultur, in der wir leben, wirklich etwas zu bieten, wer sozusagen einen Schatz in Verwahrung hat, muss doch die Frage beantworten, wie wir ihn den folgenden Generationen weitergeben wollen. In jedem Fall ist darauf zu achten, dass man notfalls sich selbst bei Zeiten erneuert, wenn man auch unter veränderten Umständen relevant bleiben will.

– Alle sieben Gemeinschaften müssen darauf achten, dass sie für sich selbst aufkommen können. Bis jetzt gelingt das, aber die Finanzen bilden doch eine schwere Aufgabe. In dieser Hinsicht hat die protestantische Kultur eine stärkere Tradition als die katholische. Besonders während der Startphase hatte bei der Finanzierung an vielen Orten die Unterstützung von religiösen Orden und Kongregationen eine wesentliche Bedeutung.

– Die öffentliche Meinung ist noch immer nicht auf dem aktuellen Stand, wenn es um das Bewusstsein geht, dass die Religion in der Gesellschaft eine neue Bedeutung hat. Insbesondere die Medien sind in dieser Hinsicht wenig aktuell.

– Die Organisation aller Gruppen lebt stark von Ehrenamtlichen. Das macht sie verletzlich, sicher in einer Zeit, da Menschen immer weniger Zeit haben. Bisweilen ist es offensichtlich schwierig, neue Ehrenamtliche zu finden.

VIII/5 Gründe für den Erfolg und Empfehlungen

In den sieben Gesprächen wurden folgende Punkte deutlich:
– Gehe deinen eigenen Weg. Sei selbstbewusst. Gib die negative Energie auf; bleibe nicht bei dem stehen, war früher war. Verstricke dich nicht in Heimweh, sondern frage dich, was heute dein religiöses Verlangen beinhaltet. Schüttle den Staub von den Füßen und geh.
– Frage nicht nach der Gültigkeit dessen, war ihr tut. Damit nimmst du anderen die Macht über dich und nimmst du deine Macht in die eigenen Hände.
– Lasse dich auf die aktuellen weltanschaulichen Bedürfnisse so ein, wie sie in dieser Zeit wahrzunehmen sind, vor allem aber, wie sie in der eigenen Gemeinschaft zum Ausdruck kommen. Sorge für eine Tragfläche. Laufe nicht zu weit vor den Truppen her.
– Nicht du hast die Tradition verlassen, andere haben ihr Traditionsverständnis eingeengt. Schließlich ist das ihre Angelegenheit und ihr Problem.
– Sorge für ein Gleichgewicht zwischen persönlichen Lebensfragen und deinem Interesse für Kultur und Gesellschaft im breitesten Sinn.
– Sorge für eine gute Organisation und halte in finanziellen Angelegenheiten Ordnung.
– Sei pro-aktiv. Triff bei Zeiten notwendige Maßnahmen. Errichte (für neue Gruppen) eine Stiftung.
– Suche einen eigenen Kirchenraum oder ein eigenes Zuhause.
– Sei gegenüber Neuankömmlingen offen. Vergiss nicht, dass Gruppen natürlicherweise zu einer gewissen Abwehr nach außen neigen.
– Entwickle ein klares Profil, gehe der Identitätsfrage nicht aus dem Weg.
– Sei selbstkritisch, habe den Mut, dich verletzlich zu zeigen; bleib theologisch-inhaltlich selbst genau.
– Achtet aufeinander, teilt Wohl und Wehe, organisiert ein „gegenseitiges Pastorat”.
– Musik und ein Chor bilden einen stark verbindenden Faktor.
– Sei dir deines eigenen Reichtums bewusst. Du verfügst über eine religiöse Sprache und über rituelle Formen, die die Gesellschaft vermisst und bitter nötig hat.
– Rümpfe nicht die Nase vor neuen Entwicklungen. Was heißt es, wenn Menschen nach meditativen Glaubensformen suchen? Gehe drauf ein.
– Achte auf Schönheit und Qualität. Sei bei dem, was du in Angriff nimmst, nicht zögerlich, sondern tue es gut.

VIII/6 Ein landesweiter Verband

Alle Gemeinschaften bestätigen, dass Kontakte mit verwandten Gemeinschaften wichtig sind. Man will sich nicht wie eine Sekte vom größeren Ganzen absondern; sich nicht nur mit sich selbst beschäftigen. Auch im Blick auf die Kontinuität ist dies wichtig. Fragen von organisatorischer und/oder theologischer Art, die eine Gemeinschaft übersteigen, sind auch gemeinsam anzugehen. Zugleich ist man zurückhaltend gegenüber einem neuen organisatorischen Oberbau, der Investitionen an Geld und Zeit kostet. Hier und da wird ausdrücklich erklärt, dass die Energie, die in einen Dachverband zu stecken wäre, nicht die erste Priorität genießt.

Auch wird die Frage gestellt, was ein solcher Verband denn konkret leisten kann. Was sind sein Zweck und sein Mehrwert? Die Gruppen nennen Informations- und Erfahrungsaustausch, Beratung von Neuankömmlingen und Kompetenzförderung, gemeinsames Marketing/PR., etwas für die Gläubigen an der Basis, z.B. ein Tag der gemeinsamen Kundgebung im Gegensatz zu bloßen Kontakten auf Vorstands- und Organisationsebene. Zugleich wird auf einige Initiativen verwiesen, an denen einige schon partizipieren und mit denen zusammen man die Kräfte bündeln kann. Hinzu kommen Verbände auf kommunaler Ebene, z.B. örtliche Kirchenräte, deren Mitglieder viele Gruppen schon sind.

VIII/7 Die Rolle der Marienburg-Vereinigung

Natürlich ist die Marienburg-Vereinigung allen Gruppen bekannt. Einige Gesprächspartner sind oder waren Mitglied, man empfängt die Informationsbriefe und verfolgt die Aktivitäten. Auch scheint man über die anstehenden Fragen informiert zu sein. Zugleich taucht die Frage auf, was Marienburg gegenwärtig eigentlich tut. Einerseits hängt der Marienburg-Gruppe das Image eines nostalgischen Heimwehs an. Man assoziiert die Gruppe mit einer überholten Mentalität, einem überholten Streit, einer zu starken Verbundenheit mit der Institution der römisch-katholischen Kirche. Dagegen haben alle selbständigen Gruppen den Wunsch aufgegeben, diese Institution zu ändern. „Darauf verschwenden wir keine Energie mehr.” Zugleich wird hinzugefügt, dies alles seien nur Vermutungen und man wisse eigentlich nicht, ob das von der Marienburg-Vereinigung gezeichnete Bild überhaupt stimmt.

Könnte die Marienburg-Vereinigung eine Aufgabe übernehmen? Konkret äußert man sich darüber nicht, sondern stellt höchstens die Gegenfrage, was Marienburg anzubieten hat. Diese Gruppe ist eben eine von diesen landesweiten Initiativen. Man ist froh, dass es sie gibt, will aber seine eigenen Kräfte bündeln.

 

Anhang 1:
Unabhängige Gemeinden in den Niederlanden und in Flandern

Niederlande

  1. Almere-Haven, Kerkcentrum Goede Rede
  2. Amersfort, Ruimteviering
  3. Amsterdam, Dominicusgemeente
  4. Amsterdam, Oecumenische Basisgemeente ‚De Duif‘
  5. Amsterdam, Studentenekklesia
  6. Apeldoorn, Oecumenische Basisgemeente
  7. Arnhem, De Zijp
  8. Bergeijk, De Hooge Berkt
  9. Best, Antonius in Beweging
  10. Breda, Ekklesia
  11. Den Bosch, San Salvatorgemeenschap
  12. Den Haag, Ekklesia
  13. Dem Haag, Haagse Dominicus
  14. Doorn, Oecumenische Hagediensten
  15. Drachten, Basisgroep
  16. Eindhoven, Eindhovense Studenten Kapel
  17. Eindhoven, Oecumenische vieringen
  18. Geldrop, Gemeenschap van de Goede Herder, kerkgemeenschap de Oase
  19. Gemert, Kapelgroep
  20. Groningen, Oecumenische Vieringen
  21. Heemskerk, Kritische Gemeente IJmond
  22. Heerenveen, Oecumenische Basisgroep
  23. Heeswijk, Gemeenschap van de Goede Herder, kerngroep de Bron
  24. Helvoirt, Open Kerk
  25. Hengelo, Ekklesia Twente
  26. Landgraaf (Schaesberg), Eikske
  27. Leeuwarden, Oecumenische Basisgemeente
  28. Leiden, Studentenekklesia
  29. Maastricht, Oecumenische Basisgroep
  30. Nijmegen, Boskapel
  31. Roermond, Oecumenische Basisgroep Jonge Kerk
  32. Tilburg, Ekklesia Tilburg
  33. Utrecht, Basisgroep ‘t Sticht
  34. Utrecht, EUG Studentenkerk
  35. Venlo, Jongerenkerk
  36. Venlo, OPen Dominicaner Kerk
  37. Venray, Oecumenische Basisgroep Venray
  38. Werkhoven, Werkhofgemeenschap
  39. Wognum, Westfriese Ekklesia
  40. Zaandam, Zaanstad Ecclesia
  41. Zenderen, Zwanenhof Viering
  42. Zwolle, De Werkplaats

Flandern

  1. Antwerpen (Borgerhout), De Vleugel
  2. Brugge, De Lier
  3. Buizingen, Don Boscogemeenschap
  4. Dendermonde, Gemeenschap van de Goede Herder
  5. Gent, Dominicus
  6. Gent, Effatagemeenschap
  7. Gent, Regenboogkerk
  8. Kortrijk, Jona
  9. Leuven, Universitaire Parochie
  10. Lier, De Brug (Leerhuis en Liturgie)

Als ‘Basisbeweging Nederland’ haben sich zusammengeschlossen:

  1. Basisgroep Drachten (vgl. o.)
  2. Basisgroep Emmen
  3. Basisgroep Leeuwarden
  4. Basisgroep Salland
  5. De Werkplaats, Zwolle (vgl. o.)
  6. Dominicusgemeente, Amsterdam (vgl. o.)
  7. Eikske, Schaesberg
  8. Ekklesia Den Haag (vgl. o.)
  9. Kritische Gemeente IJmond
  10. Basisgemeente Ommelanden
  11. Oecumenische basisgemeente Apeldoorn (vgl. o.)
  12. Oecumenische basisgemeente De Duif, Amsterdam (vgl. o.)
  13. Oecumenische basisgemeente Maastricht (vgl. o.)
  14. Zaanstad Ecclesia (vgl. o.)
  15. ’t Sticht, Utrecht (vgl. o.)

Anhang 2:
Programmtext von San Salvator
Jedes Blatt atmet den Baum des Lebens

Gemeinschaft San Salvator
        Verwurzelt in der Biblischen Tradition
Getragen von Freundschaft
Verbunden in Liebe
Feiern wir das Leben

Eine Vision der Liebe (Orthen, april 2012)

WER SIND WIR?

Der Ursprung der San-Salvator-Gemeinschaft
liegt in der römisch-katholischen Tradition,
und weiß sich deshalb verbunden mit der Bibel,
inspiriert vom Leben Jesu von Nazaret,
aufmerksam für die Zeichen und die Nöte dieser Zeit.
Allmählich wurden wir zu einer Glaubensgemeinschaft,
die universal christlich ausgerichtet ist.
Ihr ist es wichtiger, anderen zugetan als Gott geweiht zu sein.
Sie zieht Ehrlichkeit kirchenrechtlicher Gültigkeit vor,
will Menschen Recht angedeihen lassen, statt in der Lehre richtig zu sein,
spricht lieber mit anderen, statt eine Lehre verkündigen zu müssen.
Sie nimmt das religiöse Bewusstsein von Menschen ernst,
das Teil von dem wunderbaren Geschehen sein will,
das Leben heißt.
Aufmerksamkeit für das Religiöse geschieht,
indem wir füreinander achtsam sind,
indem wir empfangen und empfangen werden,
einander von Herz zu Herz begegnen,
entdecken, woraus wir leben,
uns aneinander entfalten,
gastfreundlich, einladend, inspirierend.
So wollen wir in Einheit verbunden sein,
miteinander, mit dem Leben und mit uns selbst,
indem wir achten,
auf das Schöne im Alltag,
auf die Kostbarkeiten des Verletzlichen,
die Bedeutung neuen Lebens,
die Liebe zwischen Menschen,
den Schmerz bei Verlust und Abschied.
So wollen wir das Leben feiern,
so wollen wir uns dem Leben hingeben,
dem Leben voll von Bedeutung,
‘göttlich’ in sich selbst.

WAS TUN WIR?

Als Glaubensgemeinschaft pflegen wir das religiöse Gefühl der Menschen.
Der Kern dieses religiösen Gefühls heißt:
Wir wollen uns verbunden wissen mit uns selbst,
mit den Anderen und mit dem Leben.
In Einheit verbunden zu sein,
fühlt sich an wie nach Hause zu kommen, ganz zu werden,
sein zu können, wer ich bin.
Das rührt an den Kern unserer Existenz.
Religion, vom lateinischen religio abgeleitet,
heißt neu verbinden, lesen, wählen.

Wo
Herz und Seele zusammenkommen,
Mensch und Natur verbunden sind,
Menschen einander begegnen,
Anderes es selbst sein kann,

Wo
Leib und Seele eins sind,
Freude und Trauer
zum Tanzen bringen,
Musik deine Seele berührt,
Kunst die Herzen erreicht,

wo
das Haupt das Herz spürt,
das Leiden eine Erklärung verlangt,
Unrecht Wut verursacht,
Angst Vertrauen findet,

wo
deine Existenz dem Leben begegnet,
da fühlt man,
da geschieht Leben an dir, in dir, durch dich,
da spürst du etwas, das deinen Verstand übersteigt. (E.M.)

Solidarisch sein mit Menschen, die ausgeschlossen sind
wegen ihrer sozialen oder kulturellen Herkunft,
ihrer Art, ihrem Geschlecht,
ihrer begrenzten intellektuellen Fähigkeit,
oder aus welchen Gründen auch sonst.
Wir wollen für Menschen da sein, die am Leben leiden,
indem wir sie unterstützen, begleiten und versorgen.

Wir pflegen das Religiöse, indem wir
gemeinsam das Leben feiern bei liturgischen Zusammenkünften,
in denen wir uns für die Freude und die Trauer der anderen interessieren,
in denen wir achten auf Stille, Besinnung und Gebet.

Wir pflegen das Religiöse,
indem wir
gemeinsam suchen nach der inspirierenden Quelle von uns allen,
aus der wir leben, wachsen und begeistert dem Leben begegnen,
indem wir
gemeinsam aufsuchen,
was uns letztlich angeht und bewegt.

Wir pflegen das Religiöse,
indem wir
gemeinsam offen miteinander reden
über unsere Verbundenheit mit dem Leben,
über den Weg, den wir gehen können,
über den Blick auf unsere Wirklichkeit,
über unsere Beziehung mit dem ‚Göttlichen’ in uns.

So wollen wir einander
empfangen, begegnen, entdecken und zur Entfaltung bringen.
So wollen wir
wachsen im Glauben,
damit jeder Menschen da sein darf,
leben darf, in Fülle.

So wollen wir auf Menschen achten,
und uns gemeinsam mit Gott verbunden wissen.
Religiös sein heißt nicht ohne Weiteres,
dass Gott zur Sprache kommt.
Aber er darf es und
es geschieht in unserer Gemeinschaft.

GOTT ist  …
für manche ist Gott selbstverständliche Gegenwart,
für andere ist das Wort ‚Gott’ ein abschreckender Begriff.
Für die einen ist Gott Liebe,
für die anderen ist Gott dort, wo er angenommen wird.
Für Viele ist Gott ein Geheimnis, unergründlich,
unfassbar
durch unsere Solidarität,indem wir das Leben gemeinsam feiern,
gemeinsam nach der Inspirationsquelle von uns allen suchen und
indem wir miteinander offen über das sprechen,
was uns bindet und fesselt,
kann etwas von Gott erklingen lassen.

Der Schwede Dag Hammarskjöld,
sprach über seinen Lebensweg so:
“Ich weiß nicht, wer – oder was – die Frage stellte.
Ich weiß nicht, wann sie gestellt wurde.
Ich erinnere mich nicht daran, dass ich antwortete.
Doch irgendwann sagte ich ja zu jemandem oder etwas.
Seit diesem Augenblick habe ich die Gewissheit,dass das Leben sinnvoll ist
und dass mein Leben ein Ziel hat.”

WIE VERWIRKCLICHEN WIR DAS?

 Solidarisch sein – Das Leben feiern – Nach einer Quelle der Inspiration suchen – Offen und gastfreundlich sein
Ich gebe euch ein neues Gebot, sagte Jesus: „dass ihr einander liebt.
So wie ich euch geliebt habe, so liebet einander!” (Joh. 13,34)

 Solidarisch sein mit Menschen
Wir wissen uns verbunden mit den Menschen,
die am Leben leiden,
mit denjenigen, die man nicht hört oder sieht,
mit Menschen, die sich nicht verbunden wissen
mit sich selbst, mit anderen oder mit dem Leben.
Wir fühlen uns mitverantwortlich für ihr Glück,
für diejenigen, die auf unserem Weg gehen,
ganz nah oder weit weg.
Für sie wollen wir etwas bedeuten.
Ganz einfach manchmal durch einen kurzen Besuch.
Manchmal, indem wir Geld sammeln.
Oder indem wir auf eine Problematik hinweisen, die sich ergibt.
Viele aus unserer Gemeinschaft sind ohnehin schon gesellschaftlich engagiert.

Das Leben feiern
Als Jesus im Tempel lehrte, fragten ihn Hohepriester und Älteste:
„Woher hast du die Vollmacht, dies zu tun?
Wer hat dir diese Vollmacht gegeben?”
Darauf gab ihnen Jesus zur Antwort:
„Ich antworte euch, wenn ihr mir sagen könnt:
Von wem hat Johannes der Täufer die Vollmacht zur Taufe erhalten,
vom Himmel oder von Menschen?”
Aus Angst, sich mit ihrer Antwort in Widersprüche zu verwickeln,
sagten sie: „Wir wissen es nicht.”
Da sagte Jesus zu ihnen:
„Dann sage auch ich euch nicht, mit welcher Vollmacht ich das tue.”
Matt. 21,23-27

Leben ist immer das hier und jetzt gelebte Leben.
Einerseits geben Menschen ihrem Leben eine Richtung,
andererseits beeinflusst das Leben die Menschen.
In dieser Wechselwirkung gibt es Augenblicke,
die wir erfahren können als
‚Einswerden, Erhebung über sich selbst, Schönheit und Rührung’.
In solchen Augenblicken ist das Leben aus sich selbst heraus ‚heilig’,
nicht von Menschen gemacht.
Dann wird das Leben sakramental,
zu einem Augenblick der Gnade,
die sich an Menschen ereignet.
Das Leben feiern heißt,
bei diesem Leben stehen zu bleiben
und sich für sie Zeit zu nehmen,
um es zu durchleben, zu erleben und zu verarbeiten.

Das bedeutet, dem Raum zu geben,
was uns täglich zufällt und überrascht,
was uns verwundert und erschreckt,
was uns Gottes Gegenwart bestätigt,
oder uns in völliger Verlassenheit verzweifeln lässt.
So verbinden sich Menschen mit dem,
was sie beschäftigt.

Indem wir unser Zusammenleben feiern, bestätigen wir
unsere Verbundenheit miteinander und mit allem, was es gibt.
In dieser gegenseitigen Verbundenheit wird das ‚Heilige’ sichtbar und spürbar.
Dadurch wird das gemeinsame Feiern zum sakramentalen Geschehen,
zum Augenblick, in dem sich das ‚Göttliche’ entdecken lässt.
So wollen wir das Leben feiern,
indem wir uns besondere Augenblicke und alltägliche Ereignisse vor Augen führen,
sie in Gedanken und Gebet besingen oder zur Sprache kommen lassen,
indem wir gemeinsam, jung und alt, entdecken, dass das ‚Göttliche‘ im Alltäglichen zu finden und zu sehen ist.

Suchen nach Quellen der Inspiration
Die Quelle, die uns zum Leben inspiriert, ist das Leben selbst,
das, was sich in deiner Existenz, an diesem Ort, in dieser Zeit anbietet.
Solange es Menschen gibt, reichen sie einander ihre Werte weiter,
die uns dabei helfen, das Leben zu betrachten, zu begreifen und zu erleben.
Werte, die in der Bibel zur Sprache kommen, die Worte von Jesus und seinen Freunden,
von anderen aufgezeichnet,
sind für uns eine Quelle der Inspiration, um das Leben zu leben.
Daneben gibt es viele Schriften aus der Gegenwart und der Vergangenheit,
aus Ost und West, die uns inspirieren können.
Auch Kunst oder Musik sind wunderbare, uns bereichernde Quellen der Inspiration.
Zusammen mit ihnen wollen wir uns auf die Suche machen, um zu entdecken,
womit du dich verbunden weißt,
mit dir selbst, mit den Anderen und mit dem Leben.

Offen und gastfreundlich sein
Ich muss es noch einmal sagen:
Ich habe keine Lehre.
Ich zeige nur etwas.
Ich zeige Wirklichkeit,
ich zeige etwas an der Wirklichkeit,
was nicht oder zu wenig gesehen worden ist.
Ich nehme ihn, der mir zuhört,
an der Hand und führe ihn zum Fenster.
Ich stoße das Fenster auf und zeige hinaus,
wo das Dasein an das Leben rührt,
was im Leben geschieht,
mit Menschen, in Menschen, durch Menschen.
Ich zeige den Zusammenhang,
kein System.
Ich habe keine Lehre,
aber ich führe ein Gespräch. (von E.M.)

Nach Martin Buber, jüdischer Philosoph. Aus einer philosophischen Rechenschaft, in: Martin Buber, Werke I. Schriften zur Philosophie, S. 1114.

Gastfreundschaft ist die Grundhaltung, die dich mit dir selbst, mit den anderen und mit dem Leben verbindet. Kein Dogma, kein Urteil und keine vorgegebene Antwort.

Suchend und zweifelnd die Spur dessen entdecken, was in dir selbst, in diesem Anderen und im Leben schön ist. Offen sein im Gespräch, um einander wirklich zu begegnen, von Herz zu Herz, das ist es, was wir wollen.

Übersetzt von Hermann Häring

Zwar ist dieser Beitrag schon im Jahr 2013 geschrieben und manche Einzelangabe mag überholt sein. Doch ist seine Kernbotschaft für die Situation der römisch-katholischen Kirche in Deutschland aktueller denn je. Sämtliche angegebenen Links sind noch erreichbar und geben Einblick in die jeweils aktuelle Situation der beschriebenen Gemeinschaften bzw. Kirchen. (HH)

Anmerkungen

[1] In dem Dokument werden diese Kirchen „kerk-in vrije-opstelling“ genannt, genau zu übersetzen als Kirche in freier Aufstellung, Kirche mit freiem Status oder Kirche in freier Haltung.

[2] Siehe dazu weiter unten Porträt VI.

[3] Die Marienburg-Vereinigung („Mariënburgvereniging“, oder einfach „de Mariënburg“) ist die größte Vereinigung kritischer, d.h. reformorientierter Katholikinnen und Katholiken. Sie zählte bei ihrer Gründung 1983 etwa 6000 Mitglieder. Ort der ersten Zusammenkünfte war das bekannte und bei kirchlichen Organisationen sehr beliebte Kloster „Mariënburg“ in Den Bosch.

[4] Nach dem 2. Vatikanischen Konzil hat sich in den Niederlanden der Begriff „Ekklesia“ für reformorientierte Gemeinden eingebürgert, die eine innere und strukturelle Erneuerung vorantreiben, dabei ihren kirchlichen Charakter nachdrücklich beibehalten und die (sonntägliche) Liturgie mit großer Sorgfalt gestalten.

[5] Ursprünglich die Übersetzung des Jenaer Studentenliedes (1814), das wohl 1870/71 als Soldatenlied gesungen wurde: „Was kraucht dort in dem Busch herum? Ich glaub, es ist Napolium“. In den Niederlanden erhielt es durch einen Sketch des berühmten Kabarettisten Toon Hermans (1916-2000) eine sprichwörtliche Bekanntheit.

[6] Gemeint ist die Frage nach der Gültigkeit z.B. eines Gottesdienstes bzw. sakramentaler Handlungen ohne bischöfliche Erlaubnis oder geweihten Priester.

[7] Die Stiftung kleine geloofsgemeenschappen (http://www.ondersteuningkleinegeloofsgemeenschappen. nl) weiß sich dem Informationsaustausch über die Aktivitäten der unabhängigen Kirchen bzw. Glaubensgemeinschaften verpflichtet.

[8] [Winfried Timmers, Steyl ??]

[9] Übersetzt: Eine Vision der Liebe, Übersetzung s.u.

[10] Übersetzung s. u., Anhang 2

[11] Die Vereinigung Bezield Verband [Begeisterte Gemeinschaft] wurde um Juni 2011 in Reaktion auf das Papier der Dominikaner „Amt und Kirche“ gegründet. Ziel ist es, die Gemeinden zu stärken, die wegen der Amtsfrage in Schwierigkeiten geraten.

[12] De Duif [Die Taube] ist eine 1974 gegründete, immer noch sehr aktive ökumenische Basisgemeinde in Amsterdam.

[13] Antoine Oomen ist einer der einflussreichsten und führenden noch lebenden Komponisten für Kirchenmusik, insbesondere auch Kirchenliedern. U.a. hat er etwa 300 Liedtexte von Huub Oosterhuis vertont. Das von ihm vertonte Oosterhuis-Lied De steppe zal bloeien [Die Steppe wird blühen] wurde 2006 zum schönsten religiösen Lied gewählt.

[14] Das am 17. April 2013 veröffentlichte, von 33 Professoren unterzeichnete „Professorenmanifest“ ist an alle Katholiken der Niederlande gerichtet und wurde u.a. allen Bischöfen zugesandt. Es protestiert massiv gegen die „Aushöhlung der Glaubensgemeinschaften in der Kirche“. Die Veröffentlichung des Manifests hat über 600 zustimmende Reaktionen ausgelöst. Eine deutsche Übersetzung ist zu finden in Imprimatur 4/2013.

[15] Mit dem Professorenrat ist das regelmäßige Treffen der Personen gemeint, die das Professorenmanifest unterzeichnet haben. Sie treffen sich zu regelmäßigen Beratungen mit Vertretern des Bezield Verband.

[16] Mit der Dominicus in Amsterdam ist die von Huub Oosterhuis gegründete und inspirierte Dominikus-Kirche in Amsterdam gemeint (s.u. Nr. VI.). Im Unterschied dazu nennt sich die verwandte Gemeinde in Den Haag die „Haagsche Dominicus“, die ihrerseits auch von der Haager „Ekklesia“ zu unterscheiden ist.

[17] PKN meint die Protestantse Kerk in Nederland (Protestantische Kirche in den Niederlanden). Es ist die größte kirchliche Körperschaft der Niederlande und am 1. Mai 2004 durch den Zusammenschluss von – global gesprochen – der Hervormde Kerk, der Gereformeerde Kerken in Nederland und der Evangelisch-Lutherse Kerk in het Koninkrijk der Nederlanden entstanden. Die PKN zählte 2009 etwas über 1,8 Millionen Mitglieder.

[18] Das liturgische Liederbuch Niew Liedfonds [Neuer Liederverlag] wird von dem gleichnamigen, 1993 gegründeten Verlag herausgebracht. Es wird von Arbeitsbüchern und CDs begleitet und dient als Grundlage von vielen erfolgreichen Liedertagen, die in Kirchen des Landes organisiert werden.

[19] NIM maatschappelijk werk [Gesellschaftliches Werk Nijmegen] ist eine Organisation, die in Nijmegen und Umgebung in Not geratenen Menschen und Kindern eine möglichst niederschwellige, unmittelbare und längerfristige Hilfe anbietet. Sie kann auf etwa 150 professionelle und ebenso viele andere freiwillige MitarbeiterInnen zurückgreifen.

[20] Der RLRA, Raad voor Lebensbeschowuingen en Religies [Rat für Lebensanschauungen und Religionen] ist eine im September 1997 errichtete Stiftung. Sie versteht sich als eine Plattform für die Repräsentanten verschiedener Religionen. Er trifft sich monatlich.

[21] In der Stiftung Amsterdam met hart en ziel [Amsterdam mit Herz und Seele] arbeiten „Menschen von Moscheen, Kirchen, Tempeln, Synagogen sowie von vielen anderen ‚Orten der Inspiration’“ mit dem Ziel zusammen, einander besser zu verstehen und zu vertrauen. Kulturelle Unterschiede werden nicht als Grenzen wahrgenommen, sondern als Herausforderung zu wirklich menschlichen Kontakten.

[22] 2 of 3 bijeen [zwei oder drei zusammen), eine Initiative mehrerer kirchlicher Reformbewegungen versteht sich als ein Netzwerk von Personen oder Gruppen, die miteinander die biblische Tradition besser verstehen und sich aneignen wollen. Sie ist eine Initiative von basisbeweging Nederland, Bezield Verband Utrecht, De Nieuwe Liefde, Dominicusgemeente Amsterdam, Mariënburg und der Stichting Ondersteuning Kleine Geloofsgemeenschappen. In diesem Netzwerk arbeiten vor allem neun unabhängige Kirchengemeinschaften zusammen.

[23] De Nieuwe Liefde [Die neue Liebe] ist ein Gebäude, in dem seit 2011 nach einem eingreifenden Umbau sein biblisch inspiriertes „Zentrum für Debatte, Poesie, Besinnung und Theater“ untergebracht ist. Ferner trifft sich sonntags die Studentenekklesia von Amsterdam. Der Name bezieht sich auf die Zeit, in der das Gebäude zur Pfarrei De Liefde [die Liebe] gehörte (1932-1972).

[24] Deutsch: „Die Steppe wird blühen“, in: Cornelis Kok (Hg.), Huub Oosterhuis, Du Atem meiner Lieder. 100 Lieder und Gesänge, Freiburg 2009, 204f.; vgl. Anmerkung 12.