Im Jahr 2018 hat Wolf Bruske zwei interessante Romane zur Frage der Homosexualität veröffentlicht. Bruske war 1984-2009 Pastor zunächst der evangelisch-methodistischen Gemeinde, dann verschiedener baptistischer Gemeinden. Nach langen Jahren des Verdrängens seiner Homosexualität stürzte er 2008 in einen tiefen Burnout. Als Folge hatte er sein Comin-out und bekennt sich heute offen dazu, schwul zu sein. Wolf Bruske lebt heute als Freier Theologe und Buchautor am Bodensee.
Flamme des Herrn
Die Geschichte von Sven und Marco
Dieser Roman handelt von der Geschichte zweier junger Männer, die als Schwule zueinander finden, von der Dramatik ihres persönlichen Coming-out und den Schockwellen, die ihre Familien überrollen. Doch wirklich kompliziert wird das Geschehen, weil beide kleinen und hoch engagierten christlichen Gemeinden angehören, einer Baptisten- und einer Bibelgemeinde, in denen schließlich über den Rausschmiss oder die Akzeptanz der beiden entschieden wird. So spielt sich die konfliktreiche Entwicklung auf drei Ebenen ab. Sie sind konsequent ineinander verschränkt und halten einander bis zum Schluss in der Schwebe.
Der Autor, der sich hier an seinem ersten Roman versucht, kann schreiben. Seine Sprache ist flüssig undklar, trotz hochemotionaler Situationen vermeidet er jeden Schwulst und durch seine Kunst einer intensiven Dialogführung wirkt nichts belehrend, ist aber hochinformativ. Bis zur letzten Zeile erhält er eine immer plausible Spannung aufrecht.
Dabei gibt es in diesem Buch vieles zu lernen: von der prekären Situation junger Homosexueller, von einem angemessenen Verhalten betroffener Eltern, vom oft ambivalenten Verhalten christlicher Gemeinden und von den kulturell verschlüsselten Signalen der Bibel; man muss sich darüber entscheiden, ob man die Bibel wörtlich oder ernstnimmt, sich in abstrakten Prinzipien verhärtet oder sich den Betroffenen in Empathie zuwendet. Der Autor spricht aus Erfahrung, das ist auf jeder Seite zuspüren, aber er versinkt nie in Bitterkeit oder Ressentiment. So gesehen handelt es sich um ein mutmachendes Buch. Es ist allen zu empfehlen, denen die Homosexualität zum Problem geworden ist oder die zur oft widersprüchlichen Haltung christlicher Gemeinden einen nüchternen und verständlichen Zugang finden wollen.
Wolf Bruske, Flamme des Herrn. Die Geschichte von Sven und Marco, WDL-Verlag Hamburg 2018, 238S.. ISBN 978-3-86682-164-4
Falscher Bahnsteig
Die Geschichte eines sogenannten Verbrechers
Auch wenn der schändliche § 175 StGB schon 1994 gestrichen wurde, älteren Menschen ist es noch in lebendiger Erinnerung und es ist wichtig, den jungen Menschen, die Homosexualität noch immer mit Spott und Verachtung überziehen, die Schrecken von damals (Verachtung, Verstoßung durch die Familien, Gefängnisstrafen) vertraut zu machen. In leicht zu lesender Romanform zeigt Wolf Bruske, der sich mit dem Geschick Homosexueller schon wiederholt auseinandergesetzt hat, das exemplarische Schicksal eines Schwulen, der in die Fänge des Gesetzes geratenu nd dessen Leben irgendwann daran zerbrochen ist.
Die Konstellation des Geschehens ist geschickt gewählt: Ragnar, einem jungen, seit vier Jahren heimlich verliebten Mann,berichtet der schon 82-jährige und stark geschwächte Großonkel Fritz von seiner homosexuellen Veranlagung und seiner jahrelangen quälenden Sehnsucht nach dem geliebten Oscar, von dem er mit 17 Jahren gewaltsam getrennt wurde und der in ein Erziehungsheim kam. In eingängiger und vielfältig variierter Dialogform werden die vielschichtigen Enttäuschungen, Zurücksetzungen und Demütigungen dieses Lebenslaufs berichtet. Zugleich spiegeln sie sich in Ragnars Versuchen, mit seiner eigenen Liebesbeziehung ins Reine zu kommen und sich zum Coming-out in seiner katholisch geprägten Familie durchzuringen. Die Dramatik kommt zu ihrem Höhepunkt bei einem Familientreffen, das mit dem Tod des Großonkels Fritz zusammenfällt. Ragnar, bei dem alle Fäden des Geschehens zusammenlaufen, lernt, sich zu seinem Freund zu bekennen. Mit ihm bezieht er eine gemeinsame Wohnung, nimmt die Konfrontation mit seiner Familie auf, muss aber als Lehrer das katholische Gymnasium verlassen, an dem er gerne und mit Erfolg gearbeitet hat.
Der Autor versteht es, ohne falsche Belehrung die verschiedenen Stimmungen, Verdrängungen und inneren Widersprüche unterschiedlichster Reaktionstypen von begeisterter Zustimmung bis zu verbittertem Widerstand herauszuarbeiten. Zugleich nimmt er die Ambivalenz des Katholizismus mit seinen unausgegorenen, bisweilen sehr offenen Reaktionen ins Visier, die aber gegen die offizielle Lehre nicht ankommen. Das Buch ist mit hoher Sensibilität und differenzierter Einfühlungsgabe geschrieben. Deshalb hat es – nicht nur für Betroffene – einen hohen informativen, aufklärenden undweiterführenden Wert.
Wolf Bruske, Falscher Bahnsteig. Die Geschichte eines sogenannten Verbrechers, WDL-Verlag Hamburg2018, 156 S.. ISBN 978-3-86682-164-4