Ihm gebührt hoher persönlicher Respekt – seine Botschaft verdient aber Widerspruch

Das ausgezeichnete Öffentlichkeitsmanagement des Vatikan machte auch den Tod von Johannes Paul II. (2. April 2005) zu einem weltweit beachteten Medienereignis. So wurde nach seinem Tod genau dies als eine der großen Fragen an ihn thematisiert: Bis in den Tod hinein ließ er seine Person und sein Werk mit hohem Aufwand inszenieren.

Zum Tod von Johannes Paul II.

Weltweit und intensiv haben die Medien, das Fernsehen insbesondere, Sterben und Tod von Johannes Paul II. begleitet. Sie haben Emotionen aufgegriffen, kanalisiert und außerordentlich verstärkt. Damit haben sie einem öffentlichen und zugleich intimen Geschehen ein ungeheures Maß an Publizität verschafft. Die dadurch entstandene Mischung von Interesse, Neugier und Trauer ist weder neu noch verwunderlich. Was hinter den Mauern von Palästen geschieht und wo Hofzeremonielle mit altehrwürdigen Gewändern und Insignien in Aktion treten, ist der Grundstein für eine Faszination gelegt, die unsere Welt ansonsten nicht mehr zu bieten hat. Bei Lady Diana hat diese Mischung zum letzten Mal zu einem enormen Erfolg geführt. Vom 4. – 8. April pilgerten Millionen vor allem junger Menschen nach Rom. Eine solche Bewegung war neu Sie kamen aus Polen, aus Italien, Deutschland und aus anderen Ländern. Natürlich setzten diese Massenströme auch eine hohe Mobilität mit Flugzeug, Zug und Auto voraus. Welche andere Epoche der Weltgeschichte konnte sich für religiöse Gefühle diesen teuren Luxus erlauben?

Ich möchte den verstorbenen Papst und seinen Lebensweg weder mit dem von Lady Diana vergleichen noch auf ein Medienereignis reduzieren. Das wäre absurd. Aber die Medienwelt kennt ihre eigenen Gesetze und entfaltet eine eigene globale Dynamik. Sie handelt nicht aus religiösen Motiven, ebenso wenig selbstlos wie der Vatikan. Die westlichen Medien interessieren sich für das Exoticum Religion nicht um der Wahrheit willen, sondern weil es an geheimnisvolle Quellen von Erfahrungen rührt, die unserer Gesellschaft weitgehend fremd sind. Zudem kenn eine säkularisierte Gesellschaft keine Gelegenheiten mehr, dem Mitleid, dem Respekt, der Trauer und dem aufkommenden Gefühl der Einsamkeit einen wirksamen Ausdruck zu verleihen. Was hier geschah, ist nicht verwerflich, aber man muss um diese Zusammenhänge wissen. Aus ihnen erklären sich einige bedenkenswerte Phänomene der letzten Tage.

1. Selbstinszenierung

Was das aktuelle Medienereignis von langer Hand vorbereitet hat, ist die perfekte Selbstinszenierung des Vatikan, ein respektables Resultat permanenter Versuche seit dem letzten Konzil (1962-1965) und eines intensivierten Öffentlichkeitstrainings seit 1978. Damals trat Johannes Paul II., der sich schon in jungen Jahren in der Kunst des Schauspiels übte, sein Amt an. Dieser Papst hat die Öffentlichkeit und große Massen immer genossen. Auch das ist nicht verwerflich, aber man muss zu manchen Ereignissen eine kritische Distanz gewinnen. Eine kontinuierliche und intensive Papstpräsenz in den Medien wurde zur Gewohnheit. Über 100 Weltreisen hat er absolviert, eine endlose Anzahl von Mittwochsaudienzen gehalten, seine Oster- und Weihnachtsgrüße in immer mehr Sprachen über die Bildschirme geschickt. Man weiß aus dem Beginn seiner Amtszeit, dass er, der „Mystiker“, sich gerne auch als jemand ablichten ließ, der tief ins Gebet versunken war. Auch dies spielte in seinem Kalkül eine Rolle. Jährlich entstanden Abertausende von Photos von Menschen mit ihm; die vatikanische Photoindustrie verdiente enorm. Regelmäßige und vielfältige Gegenwart in der Öffentlichkeit, kontinuierliche TV-Präsenz schienen die Devise zu sein, vielleicht um den wahren Glauben zu verkünden.

Glaubensverkündigung durch Prachtentfaltung, das war die Devise der Gegenreformation; der Begriff der Propaganda wurde in Rom erfunden. Deshalb scheute man auch an der Wende zum neuen Jahrtausend nicht das weltliche, mit dem Geistlichen verbundene Geschäft. Prominente Zeitgenossen gingen im Vatikan ein und aus. Sport, Showbusiness und Politik wurden in den Zyklus der Feste, der Bischofsbesuche, Kongresse und offiziellen Ereignisse hineinverwoben. Es ist nur zu verständlich, dass Politiker der ganzen Welt – von Yasser Arafat bis George W. Bush – die Nähe des Papstes suchten. Aber auch andere haben sie gesucht. So zeigt das Fernsehen vom 18. Januar 2005 noch eine Audienz, die Seine Heiligkeit dem Rennfahrerteam von Ferrari gewährte, – für Rom ein Event unter vielen. Doch für die pechgeplagte Firma war sie von enormem publizistischem Wert, zumal der Heilige Vater an dem Geschenk, einem roten Boliden (Weltmeistermodell) sichtlich sein Gefallen fand. Vielleicht dachte der Papst, der eine oder andere Ferrari-Fan werde dadurch für den katholischen Glauben gewonnen.

Dieses Ereignis war symptomatisch, aber für das Folgende nicht mehr so wichtig, denn zu Jahresbeginn ging die routinierte Medienpräsenz nahtlos vom Alltag in die akute Krankheit des Papstes über. Zu Weihnachten schon waren seine Worte kaum mehr verständlich. Wegen einer Kehlkopfentzündung begann für ihn am 2. Februar ein unerwarteter Klinikaufenthalt, der den Anfang vom Ende markierte. Aber auch diese Tage waren vom Spiel mit seinen Anhängern begleitet. Ihm dienten die wartenden Menschen vor der Gemelli-Klinik, insbesondere das Angelusgebet vom Fenster des Krankenzimmers aus. Die Rückkehr am 10. Februar in den Vatikan, mit Papamobil und Bodyguards, war effektvoll gestaltet. Dasselbe wiederholte sich nach dem zweiten Klinikaufenthalt in den ersten Märztagen, dieses Mal in Limousine und – warum eigentlich? – mit erleuchtetem Innenraum. Über die Ostertage wurde das Interesse der Öffentlichkeit dann mit vielfältigen Mitteilungen über das Tun und den Gesundheitszustand des Papstes befriedigt. Auch diese Kommunikationsart setzte man geradezu professionell bis zum Tod des Papstes fort. Man darf vermuten, dass der Papst von einem bestimmten Zeitpunkt an nicht mehr Herr seiner Präsentation war.

2. Zusammenspiel

Dabei fällt das perfekte Zusammenspiel von Selbstinszenierung, medialer Intensivierung und den Mitspielern auf der ganzen Welt auf. Die Kirche war endgültig im Medienzeitalter angelangt. Die Menschen zeigten Betroffenheit, Tränen, Trauer und eine kindliche Zuneigung zum sterbenden Papst. Man sah sie auf den Philippinen und in Indien, in New York und Sao Paulo, in Paris und Rom, in Köln und natürlich in Polen. Noch am 3. April, dem Tag nach seinem Tod, wurden weinende Menschen, insbesondere Kinder, Jugendliche und Greise, ins Bild gezoomt, wurden ungelenke Worte herausgegriffen, wurde die Trauer personalisiert und zum Bildereignis. Die Heroisierung eines sehr menschlichen und ehrlichen Sterbens begann. Mit einem „Amen“ auf den Lippen habe er (der doch nicht mehr sprechen konnte) seine Seele in Gottes Hand zurückgegeben, so Meldungen der Presse. Das mag eine schöne und sogar stimmige Metapher sein. Man erinnert sich aber daran, dass auch das Sterben seiner Vorgänger stilisiert wurde. Wie viele Emotionen haben die Medien aufgegriffen und gezeigt, wie viele haben sie produziert? Das ist eine offene, für die Medien selbst uninteressante Frage.

So wurde der Papst, dieser gebrechliche und sterbende Mann, endgültig zu dem, wozu ihn die 25 Jahre seiner Herrschaft leider auch heranreifen ließen: zur Projektionsfläche von Ungezählten, die einen starken Vater und eine heile Welt, die fromme Erinnerungen und ein stabiles Weltbild suchten. Auffällig redete man in den vergangenen Tagen von Orientierung und von jemandem, der für seine Meinungen auch einstand. Ich darf und will hier nicht das Profil dieses Papstes beschädigen; dazu habe ich kein Recht. Seine Leistungen, sein Mut und sein politischer Instinkt, seine außerordentliche Kommunikationsgabe, auch seine politischen Botschaften und Impulse sind unbestritten. Aber „Orientierung“ wirkte jetzt als tröstendes Klischee; die orientierenden Inahalte zählten nicht mehr. Diese hochkomplexe Gestalt tat ihre Wirkung in einem hochkomplexen System mit Botschaften, Reflexen, Reaktionen verschiedenster Art. Die Massenmedien fanden sich in ihm geradezu nahtlos wieder. Das trägt für die Kirche und ihre Botschaft seine großen Gefahren in sich. Man droht genau dem Zeitgeist zu erliegen, als dessen Kritiker man sich präsentiert.

3. Die Projektionsfläche

Deshalb gilt mein Interesse dieser Projektionsfläche selbst. Sie fällt nicht einfach mit dem Profil des Papstes zusammen, hat aber dessen Zustimmung gefunden. Nüchtern betrachtet war es eine glatte, perfekte, bis zum Ende glänzende, mit Finanzen und medialer Kompetenz gut unterfütterte Oberfläche, die im Zusammenspiel der drei Aktoren entstanden ist: Papst, Medien und die Massen. Man erinnere sich an die unaufhörlichen perfekten Bilder des Fernsehens die es während ungezählter Auslandsreisen produziert hat, schwelgend in Massenveranstaltungen und im Jubel von Zahllosen. Der Papst zog aus seiner Position als Staatsoberhaupt reichlich Nutzen. Der Populismus war dem Katholizismus vor allem von autoritären Päpsten her bekannt. Der Papst wird von jubelnden Menschen umringt; er streichelt Kinder und nimmt Babys auf den Arm. Hinzu kam jetzt eine umfassende Inszenierung; Reisen werden zum Gesamtkunstwerk. Das Papamobil durfte nirgendwo fehlen. Altäre und Altaraufbauten waren in Material, Farbe und Form perfekt konzipiert und auf die eine Führerfigur zugeschnitten, den Papstthron im Zentrum. Ausgerechnet die Bilder von Assisi zeigen vor gedeckt rotem Hintergrund, wer unter den Anwesenden der Würdigste war; der Kontrast zwischen Medium und Botschaft war immer zu spüren. Die liturgischen Gewänder stimmten, auch sie Farbe und Faltenwurf aufeinander abgestimmt. Oft traten Hunderte von Würdenträgern in gleichen Messgewändern auf (zu jeder Gelegenheit wieder andere), Sie trugen dann gleiche Mitren, die im Laufe der Jahre wieder größer wurden um den Würdeanspruch der Herren neu zu betonen.

Das machte gewaltigen Eindruck. Unvergessen bleibt der in Farbe und Faltenwurf überschäumende Chormantel, in dem der Papst zu Beginn des neuen Milleniums die Heilige Pforte öffnete und in dem sein individueller Leib geradezu ertrank. Geradezu rauschhaft die wallenden päpstlichen Gewänder in Gold während einer Seligsprechung in Maribor (September 1999). Noch immer gegenwärtig der Farbenrausch des Zinnoberrots, der sich im Februar 2001 zur Ernennung der Kardinäle gleich zweimal auf dem Petersplatz entfaltete, als erforderten die Überreichung des Birets und des Rings gleich zwei getrennte Zeremonien. Der übertriebene Showcharakter gerade dieser Präsentationen wurde nicht durchschaut, denn erinnerungsschwache Medien dachten, das sei schon immer so gewesen.

So wäre es an der Zeit, die Triumphalästhetik dieser Jahre zu untersuchen, die mit der kritisierten Weltarmut in schreienden Kontrast geriet. Ein Schauspiel nach dem anderen wurde inszeniert. Das Folgende wird für ein weltweites Jugendtreffen in Köln im August 2005 gerade vorbereitet. Der Ortsbischof will den kommenden Papst schon vor dessen Wahl darauf festlegen, dass er kommt. Von Anfang an soll in diese zwiespältige Tradition eingebunden werden. Kardinal Meisner machte den ersten Spatenstich für den zu errichtenden, aufwändigen und teuren „Papsthügel“, auf dem dieser sprechen sollte. Es steht zu befürchten, dass man so an den Ort der Bergpredigt erinnern will: „Ich aber sage euch!“ Damit wäre die Papstsymbolik doch zu weit getrieben, aber für die Medienwelt zum grandiosen Schauspiel erhöht.

Viele Katholiken haben sich gefragt, wie das alles mit der Botschaft des Jesus von Nazareth zusammenhängt. Vor seinem Australienbesuch (1986), so ist zu hören, wurde der Papst mit der Bemerkung konfrontiert, seine Reise koste mehr als die Australienreise der englischen Königin. Der Papst soll darauf geantwortet haben, er habe eben eine wertvollere Botschaft zu verkünden. Der Papst hat wohl „wertvoll“ mit „teuer“ verwechselt. Der peinliche Beigeschmack seiner Bemerkung soll hier nicht näher kommentiert werden. Es fällt nur auf, dass diesen bislang niemand zur Kenntnis nahm. Ist für Gottes Reich wirklich nichts teuer, nichts gestylt, nichts glatt und glänzend genug? War es noch nicht bis zu den päpstlichen Gemäuern vorgedrungen, dass man sich mit dieser Strategie an den ständig kritisierten Zeitgeist verkauft und die christliche Botschaft gefährlich umstilisiert? Im Jahr 1979 sagte der Papst einmal, er wolle den Menschen sagen, „dass Gott sie liebt und dass der Papst sie liebt“ (1979). Erst die Zukunft wird erwiesen, ob es sich nicht zu sehr in den Mittelpunkt gestellt hat, weil im Medienereignis Papstreise Gott und Papst zu nahe aneinander gerückt sind.

Offensichtlich hatte niemand die Gefahr erkannt, dass bei dieser intensiven Arbeit mit den Medien sogar Krankheit und Leiden in den Sog der eigenen Stilisierung geraten mussten. Diesem Sog wurde erst beim Versagen der Stimme am Ostersonntag, also sechs Tage vor dem päpstlichen Tod, Einhalt geboten. Der Papst hat diesem Fingerzeig Folge geleistet, aber die Medien waren schon weit in den Raum des Privaten vorgedrungen und hatten dies als ihr Recht wahrgenommen. Dass man die Gegenwart des Fernsehens beim Sterben des Papstes verweigerte, wurde dann als Zeichen päpstlicher Tugend ausgelegt. Wie sehr waren die Verhältnisse schon unterminiert!

4. Autoritäres System

Noch einmal, ich möchte auch zwischen dem Profil des Papstes und dieser geglätteten Werbefläche unterscheiden. Aber ohne ihn hätte dies nicht geschehen können. Man tritt diesem Papst nicht zu nahe, wenn man an seinen autoritären Regierungsstil erinnert. Dass er autoritär regierte, ist unbestritten und von seinem Kirchenbild her nicht zu verurteilen. Er brüskierte kritische Bischöfe, nahm sie im Grunde nicht ernst. Die schmerzliche Diskussion um die Konfliktberatung von Schwangeren in Deutschland (1995) war dafür ein trauriger Höhepunkt. Reihenweise ließ er unliebsame Theologen absetzen. Robert Haight, den letzten, hat es im Februar 2005 getroffen. Er, der gerühmte Kommunikator, verweigerte gerade Theologinnen und Theologen das Gespräch, wenn sie ihm widersprachen. Die Frauen blieben diskriminiert; er wollte nichts von ihren Anliegen aufnehmen (2004). Im Übermaß stärkte er eine monolithische Kirchenstruktur, drängte die wenigen demokratischen Elemente noch weiter zurück. Er förderte er die fragwürdige Geheimorganisation Opus Dei und sprach deren Gründer heilig. Er schickte so sensible Leute wie Bischof Gaillot von Evreux buchstäblich in die Wüste (1998). Er gestattete es, dass den evangelischen Kirchen das theologische Recht abgesprochen wurde, sich „Kirche Christi“ zu nennen (2000). Er ließ sich erneut und offiziell „Stellvertreter Christi“ nennen und umgab sich mit Beratern, die sich ihrerseits autoritär verhielten.

In vielen Bistümern sind Denunziationen, Strafversetzungen und willkürlicher Finanzentzug, Redeverbot für Frauen im Gottesdienst ungestraft an der Tagesordnung, man rede nur einmal mit Seelsorgern des Bistums Köln. Mit der Absetzung pädophiler Bischöfe tut man sich immer noch schwer; Priesterseminare konnten zu Brutstätten seltsamer Sexualität werden. Das alles ist kein Geheimnis, vielleicht sogar biographisch erklärlich. Auch hier über ist hier kein Urteil zu fällen. Aber es fällt auf, dass dies die Massenmedien kaum interessiert. Das alles ist doch keine quantité négligeable in einer Zeit, in der wir allenthalben Demokratie, die Würde und Rechte des Menschen preisen. Zusammen mit anderen tue ich mich schwer, einen Mann unter die Größten des vergangenen Jahrhunderts zu zählen, der 1995 auf der vierten Weltfrauenkonferenz (CSW) in Peking zusammen mit den Hierokraten aus dem Iran jede klare Resolution zur Selbstbestimmung der Frau verhinderte.

Der autoritäre Regierungsstil des verstorbenen Papstes zeigte sich in der Personalisierung vieler Sachfragen, in vereinfachenden Formeln und in dem Anspruch auf Alleinvertretung. Solche Eigenschaften werden von den Massenmedien geliebt, denn Schlagzeilen und Schlagworte werden dadurch griffiger und einfacher. Ich nenne einige Beispiele. Wer ist die katholische Kirche? Das ist eine Gemeinschaft von Glaubenden mit ausgeprägten Gemeinschaftsstrukturen. Aber im letzten Pontifikat hat sich in entscheidenden Situationen immer nur eine Person gezeigt, der Papst. Was hat die katholische Kirche zu verkünden? Doch wohl eine vielschichtige Botschaft, die täglich neu zu interpretieren ist. Aber dieser eine Kommunikator äußerte sich immer, so differenziert der Sachverhalt auch war, in eindeutigen Aussagen. Das klang immer kraftvoll und authentisch, aber oft ließ er auch dann keine Differenzierung zu, wenn es galt, das geknickte Rohr nicht zu brechen (Jes 42,3). Wie kommt diese Kirche zu neuen Überzeugungen? Doch wohl dadurch, dass immer viele mitdenken und mitreden. Gerade in Zeichen des Umbruchs ist diese Kirche auf das Mitdenken und die Stimmen aller angewiesen. Aber dieser Papst ist immer als erster, immer allein, immer vorrangig und vor allen anderen aufgetreten. Gleich ob in Afrika, Guatemala oder Köln. Wenn er kam und die Massen versammelte, waren andere Autoritäten der Kirche, die Sprecherinnen und Sprecher vor Ort, immer wie weggefegt. Er allein wusste auf seinen Reisen über die besuchten Länder Bescheid. Es sind kaum Fälle bekannt, in denen er wirklich gelernt hat oder sich von Fragen herausfordern ließ.

Auch passierte es nie, dass dieser Papst eine Unsicherheit zugab, sich gar unsicher fühlte, dass man seine Aussagen bezweifeln oder dass etwa ein führender Bischof des Landes das Wort ergreifen konnte, um zu sagen: „In unserem Land wäre dieses oder jenes hinzuzufügen.“ In oft subtiler, oft auch aufdringlicher Weise wurde ganz gegen den Sinn einer Glaubensgemeinschaft diese Alleinvertretung praktiziert und durchgesetzt.

Die Außenwelt war für dieses Verhalten sehr dankbar. Aber für Insider wurde dieser Anspruch des Alleinwissens oft unerträglich. Was der Papst als wahr erkannte, das präsentierte er oft als etwas, das er allein entdeckte. So ergriff er in Lateinamerika Partei für die Armen; gut so! Aber die Befreiungstheologen und Priester, von denen er das lernen konnte, weil sie ihm um 10 bis 15 Jahre voraus waren, wurden für ihre Positionen gescholten, des Marxismus bezichtigt und abgesetzt. Allzu peinlich ist noch heute, wie er den vor ihm knienden einflussreichen Priester und Dichter Ernesto Cardenal öffentlich demütigte, um daraufhin genau das zu sagen, was diesem doch auf dem Herzen lag. Gepriesen wird er im Übermaß dafür, dass er gegenüber Juden und Muslimen die Schuld früherer Jahrhundert eingestand und um Vergebung bat. H. Küng und andere hatten dasselbe schon in den sechziger Jahren zur Sprache gebracht, wissenschaftlich begründet und nachdrücklich vorgetragen. Man denke nur an die vielen Theologinnen und Theologie, die seit Jahrzehnten mit Jüdinnen und Juden reden, zuvor schon Synagogen und Moscheen besuchten, Kolloquien und Kongresse organisierten. Davon hat man nie gehört; auch dies hätte eine päpstliche Verlautbarung verdient. Den früheren Vorwurf der Nestbeschmutzung aber nahm nie jemand zurück. Ebenso wenig hörte man, ob ein Kardinal oder ein Bischof dem päpstlichen Beispiel folgte. Schon ein einfacher sonntäglicher Gottesdienstbesuch bei einer evangelischen Schwesterkirche führt zu enormen Schwierigkeiten. Alle diese Widersprüche sind nur aus der Medienstrategie des Papstes erklärbar.

Dasselbe gilt für die Aufforderung zum Frieden, für den Dialog mit den Religionen sowie für die nachdrücklichen Warnungen vor einem zügellosen Kapitalismus und vor den Problemen der Globalisierung. Natürlich konnte er für diese Anliegen das unvergleichliche Gewicht seines Amtes in die Waagschale legen. Aber nie hörte man eine Formulierung wie: „Ich unterstütze mit Nachdruck meine Mitchristen, die schon vor 15 Jahren erkannten, …“ Oder: „Meine Mitchristen, von Luther bis in die jüngste Gegenwart, haben recht, wenn sie immer wieder auf die Schuld hinwiesen, die unsere Kirche auf sich geladen hat.“ Oder: „Nehmen wir endlich die Folgerungen ernst, die aus den ungezählten Untersuchungen vieler Exegeten und Historiker zu einer neuen Gestalt der Kirche zu ziehen sind.“ So hat dieser Papst viele Kritiker vorhergehender Jahrzehnte zum Schweigen gebracht, indem er deren Meinung übernahm und als eigene, neue, erstmals von ihm vertretene kundgab. Letztlich führte das an vielen wichtigen Punkten zu einer uneigentlichen und geliehenen Autorität, die langfristig zum Niedergang einer offenen Gesprächskultur führen musste. So trat auch leider ein, was man bei geistig so regen Menschen wie ihm kaum erwartet hätte. Was sein Kirchenbild betrifft, verharrte er bei der Theologie seiner Studienjahre. Die neuscholastischen, kirchlich selbstverliebten Lehrbücher der vierziger und beginnenden fünfziger Jahre standen Modell für das neue Millenium.

5. Öffentlichkeit: der Papst als Verkörperung seiner Botschaft

Wie kann ich diese Fehlentwicklung erklären, ohne mit moralischen Vorwürfen aufzuwarten? Wie konnte dieser Papst trotz schwerer inhaltlicher Defizite den Erwartungen einer auf Events gerichteten Medienwelt entsprechen? Ist es nur die Tatsache, dass er aus Polen kam, also einem Land, das – wie manche behaupten – die Aufklärung nicht kannte? War er aus diesem Grund nie von Überreflexion und Abstraktionen angefochten, nie gehemmt von einer Zögerlichkeit die Paul VI. (1963-1978) so stark prägte? Eine solche Erklärung wäre zu pauschal. Ist es die Tatsache, dass er in einer autoritären Kirchenstruktur groß wurde, sich in der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus stählte? Auch diese Antwort bleibt in der Psychologie des Papstes stecken. Versuchen wir deshalb noch einen Schritt weiterzugehen.

Vermutlich erklärt sich seine Haltung aus einer doppelten Perspektive. Einerseits haben sich in den vergangenen Jahrzehnten Begriff und Praxis der Öffentlichkeit grundlegend geändert; eine Neudefinition war auch von kirchlicher Seite nötig. Andererseits hat der verstorbene Papst darauf mit einem vormodernen Amtsmodell reagiert, das jetzt zu einem modernen Version führte.

Geändert haben sich Begriff und Praxis der Öffentlichkeit. Durch die Medien wurde vieles öffentlich, was früher als privat gegolten hatte. Das Private, Kind des 19. Jahrhunderts, geriet unter Druck und nahm, wenn auch unbewusst, verstärkt an der Öffentlichkeit teil. Religion war zur Privatsache geworden und zog erneut das öffentliche Interesse auf sich. So wurde die frühere Interaktion zwischen Privatem und Öffentlichkeit über den Haufen geworfen, aber die Begründungsverhältnisse blieben dieselben. Wer dies nicht bewusst erkannte, wurde verunsichert und wusste nicht mehr, wie und wo er seine eigene Identität leben und begründen konnte. Was sollte er jetzt als persönliche Erfahrung bezeugen, was als allgemeine Verpflichtung aussprechen? Diese Verunsicherung hat Religion und Religiosität stärker als andere Bereiche unserer Kultur bestimmt.

Johannes Pauls II. ging mit dieser Frage souverän um. Das hat ihn nach außen stark gemacht. Schon biographisch gesehen scheute der geborene und in Maßen geübte Schauspieler die Öffentlichkeit nicht. Er nahm das Mikrophon gerne in die Hand und blühte vor den Massen auf. Er genoss die kleinste Reaktion, die ihm von den Massen entgegenkam. Einmal schwang er seinen Stock, schließlich als Gehhilfe gedacht, und schwang Räder in die Luft. Schon das genügte, um bei einer Massenveranstaltung – wie auch immer – erfolgreich zu sein. Bis zum bitteren Ende erwies sich dieser Kontakt mit der Öffentlichkeit als wesentliches, geradezu als unverzichtbares Element seiner Amtsführung, vielleicht als unverzichtbarer Pfeiler seiner persönlichen Identität. Das hat sich in seinen beiden letzten, dramatisch tragischen Versuchen gezeigt, vor den Massen wenigstens einige Worte zu formulieren.

Das Grundmodell, mit dem er dieses Verhalten jedoch steuerte und ideologisch bewältigte, lässt sich aus dem alten, feudalen Modell des öffentlichen Leibes erklären. Ein König wird zum König geboren und ist zum Amt kraft seines Blutes befähigt. Der König versieht also nicht nur königliche Aufgaben, sondern mit Leib und Seele, mit Fleisch und Blut ist er König. Es ist also diese vitale Schicht seines Leibes, in dem sein Amt konkret und öffentlich wird. Deshalb kann der König als König in keine private Sphäre abtauchen. Wo er ist, ist sein Königtum gegenwärtig, sogar die Zeugung der Nachkommenschaft wird zur öffentlichen Angelegenheit. Seine Amtskleidung ist nur genauere Artikulation und Präzisierung dieser Öffentlichkeit.

Nun spielt diese Leiblichkeit auch im traditionellen katholischen Amtsverständnis eine zentrale Rolle. Jeder Priester handelt im Sakrament – wie es offiziell heißt, „in der Person Christi“. Deshalb kann sich diese Amtstheologie auch keine Frau als Priester vorstellen, weil Christus eben ein Mann war. In vergleichbarer Weise verstand dieser Papst auch sein päpstliches Amt. Aus diesem Grund bestand er darauf, wieder „Stellvertreter Christi“ genannt zu werden (ein zwischenzeitlich abgeschaffter, jetzt wieder gültiger offizieller Titel). Er war es geradezu körperlich, sakramental. Ein solcher Papst geht nicht in die Öffentlichkeit, er ist sie. Eine vorzeitige Niederlegung dieses Amtes (naheliegend etwa mit 75 Jahren oder beim Ausbruch seiner Krankheit) hätte für ihn eine tiefe, geradezu körperliche Identitätskrise heraufbeschworen. Diese Niederlegung war für ihn undenkbar; er konnte seinen eigentlichen Leib nicht verlassen.

Nur so ist die merkwürdige, durch und durch vormoderne Argumentation zu verstehen, die seit einigen Jahren von ihm zu hören war. Da er sich in dieser körperlichen Weise als Stellvertreter Christi verstand, hätte der Abschied vom Papstamt für ihn ein „Herabsteigen vom Kreuz“ bedeutet. So war es für seine persönliche Identität ein Glück, dass er genau an dem Zeitpunkt starb, an dem ihn seine leibliche Stimme verließ. Zu keinem Zeitpunkt wollte der Papst sein Leiden zum Vorbild für die Leidenden instrumentalisieren, aber mit seinem Amt hatte er sich in sakramentaler Weise identifiziert. So ist auch die unangenehme und inakzeptable autoritäre Art dieses Papstes zu verstehen, die er mit menschlicher Wärme zu vereinen verstand. Es war kein menschenverachtender Autoritarismus eines modernen Diktators, sondern ein vormodernes Patriarchentum, das ihn beseelte, das aber den Test unseres Jahrhunderts nicht mehr bestehen kann. Er glaubte, er verkörpere die Kirche als solche. Dabei hat er übersehen, dass das Papstamt auch bei frömmster Auslegung nie ein Sakrament, sondern nur eine Funktion im Dienst der Gesamtkirche gewesen ist. Er wurde zu diesem Amt weder geboren noch geweiht, sondern nach internen Verhandlungen gewählt. Diese demokratische Grundstruktur des kirchlichen Gemeinwesens hatte Johannes Paul II. ganz im Sinne einer unkirchlichen Papstverehrung verdrängt. Er hat vergessen, dass er – gut katholisch – in erster Linie Bischof von Rom ist, nicht weniger, aber auch nicht mehr.

6. Zukunft: dem Zeitgeist widerstehen

Auffallend oft wird in diesen Tagen behauptet, Johannes Paul II. und seine Kirche hätten dem Zeitgeist widerstanden. Dies zu hören, würde den verstorbenen Papst sehr freuen. Ich fürchte jedoch, dass die aktuelle Medienwelt diesen Widerstand schon längst weichgespült und für seine eigene Zwecke instrumentalisiert hat. Es gilt als schick, dem Zeitgeist zu widerstehen. Für die Inhalte der päpstlichen Botschaft besteht relativ wenig Interesse, gegen das Unakzeptable seiner Amtsführung auch kein Widerstand. Am meisten Lob für den Papst kommt ausgerechnet von denen, die der christlichen Botschaft indifferent gegenüberstehen, am meisten Kritik von kirchlich sehr engagierten und theologisch höchst versierten Menschen. Im übrigen hängt das hohe Maß an innerkirchlicher Zustimmung auch damit zusammen, dass kritisch denkende Frauen und Männer schon emigriert sind. Der aktuelle Zusammenbruch der elementaren Seelsorgestrukturen der katholischen Kirche in Westeuropa spricht Bände und kann nicht mit dem Hinweis auf die Weltkirche aufgewogen werden. Nach meinem Urteil ist der Versuch, mit den Mitteln moderner Kommunikation eine vormoderne Denk- und Lebenspraxis aufrechtzuerhalten, gründlich misslungen. Ohne dass Rom es bemerkte, wurde das Medium solcher Medienbegeisterung zur Botschaft. Das ist eine Katastrophe, die sich nur durch einen Neuanfang wieder ausgleichen lässt.


P.S.: Zum politischen und natürlichen Körper des Herrschers

Zur Frage der Körperlichkeit des Amtes:
– Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, Klett-Cotta, Stuttgart 1992.
Im obigen Artikel ist nur vom ersten, also dem „politischen Körper“ die Rede, nicht vom zweiten, dem „natürlichen Körper. Dass und wie aktuell diese Frage bei weiblichen Herrscherinnen wurde zeigt sich in einigen Beiträgen eines neueren Sammelbandes:
– Regina Schulte (Hg.): Der Körper der Königin. Geschlecht und Herrschaft in der höfischen Welt seit 1500. Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
Wichtig wurde die Unterscheidung vor allem bei weiblichen Herrscherinnen. Bei ihnen wurde der „politische Körper“ nach wie vor als männlicher Körper imaginiert, während der „natürliche Körper“ mit Defiziten (Schwäche, Krankheit, Gebrechen, auch Weiblichkeit) behaftet sein konnte. Öfters ist in obigem Artikel von „Leib“ und „Leiblichkeit“ statt von „Körper“ und „Körperlichkeit“ die Rede.

Erschienen in:
Concilium [italienisch] 41/2 (2005), 125-140 (italienisch);
TvT 45/2 189-198 (niederländisch),
Offene Kirche. Ein Ökumenisches Forum 36/ August 2005, 6-12.