Renate Schoof geht in ihrem umfassend bebilderten Buch der reichen Welt von Bildern und Symbolen nach, von denen die christliche Religion begleitet wird und die ihrerseits aus archaischen Quellen leben. Dieses Buch ist ein wirksames Gegengift gegen alle fundamentalistischen Besserwisser, die heute Urständ feiern.
Besprechung von
Renate Schoof, Geheimnisse des Christentums. Vom verborgenen Wissen alter Bilder,
Patmos Verlag, Ostfildern 2014 (214 Seiten)
„Heilige Bücher können ihre heilsame Kraft nur entfalten, wenn ihre Geschichten symbolisch verstanden werden.“ Dieses Programm sollte allen zu denken geben, die neu nach dem Sinn, auch nach der politischen Kraft der Religionen fragen. Es ist ein Gegengift gegen christliche Fundamentalisten wie muslimische Fanatiker. Er lenkt nicht in eine entkräftete Innerlichkeit ab, sondern kann politisch wirksame Gegenkräfte freisetzen. „Geheimnisse des Christentums“ lautet der Titel dieses ungewöhnlichen und reich bebilderten Buches. Dabei legt es nicht die christlichen Glaubenslehren wieder einmal aus, sondern stößt in eine tiefere Ebene vor. Es greift weit auf den universalen Schatz von Bildern und auf ein Menschheitswissen zurück, das die Bibel in einen breiten Strom religiösen Ur-Wissens einbindet. Es kommt schon in fernöstlicher Menschenkenntnis, bei Babyloniern, Sumerern und in Ägypten zum Tragen und erfährt in der vorchristlichen griechischen Kultur nicht unbedingt heilsame Transformationen. Die Autorin bespricht nur wenige, aber zentrale und differenziert interpretierte Bildwelten, die den Durchschnittslesern oft nur als religiöser Beischmuck gegenwärtig sind. Auf deren Schlüsselfunktion macht das Buch nachdrücklich aufmerksam.
Der Reigen beginnt mit der Christgeburt, über alle dogmatischen Auslegungen hin ein Bild für die Öffnung unserer Herzen zur Gottheit selbst, verstanden als ein Weg zur inneren Freiheit, ohne die unsere äußere, politisch zugesicherte Freiheit nicht zu verstehen ist. Einen ganzen Kosmos von Impulsen eröffnen die Kapitel zu den Erzengeln und Engelhierarchien. Im Rückgriff auf vor- und außerbiblische Erinnerungen eröffnen sie einen Zugang zu inneren Geist- und Machterfahrungen, die gemäß der Autorin heute noch zum furchtlosen Kampf im Namen der Gerechtigkeit ermutigen können. Höchst spannend und auf über 50 Seiten dargestellt sind die verschlungenen Wege, auf denen die Schlange, im alten Babylon und Ägypten, der griechischen Kultur, dann natürlich in der Bibel erscheint: einmal Verführerin, dann aber als Lebenszeichen, und als heilende Lebenskraft. Wer käme auf die Idee, diese Symbolwelt ‑ mit all ihrer Kritik an einer patriarchal deformierten Religion ‑ bis auf Gustav Klimts Danae auszuweiten.
Dieser in leicht zugänglicher Weise entfaltete Symbolreichtum verleiht den kürzeren Kapiteln zum Christusweg eine neue Tiefe und den Ausführungen zu den drei Marien (als Mutter, verstehende Freundin und Gefährtin) einen besonderen Glanz. Eine feministisch orientierte Leserschaft wird an ihnen ihre besondere Freude finden.
Bei der Lektüre des Buches stellt sich natürlich die Grundsatzfrage: Wie ist heute mit religiösen Texten umzugehen? Viele mögen erstaunt sein. Wir haben uns angewöhnt, die biblischen Zeugnisse mit historisch-kritischem Blick zu lesen. Er ist nicht falsch, aber offensichtlich unzureichend, wenn wir die Vieldimensionalität und die existenziellen Zumutungen der religiösen Schriften entdecken wollen. Soll die universale, alle Kulturen durchziehende Botschaft deutlich werden, die alle uns bekannten großen Religionen prägt, braucht es diese psychologisch orientierte Symbolinterpretation. Ihre Botschaft strebt keinen Rückzug in eine Geisterwelt an, die von beliebigen Fantasien und dunklen Erfahrungen durchsetzt ist. Sie stellt vielmehr heilbringende, unserem Leben zutiefst verbundene Symbole bereit, die alles Beschreiben und Verfügen überschreiten, weil wir selbst Teil dieser Symbole sind, und mehr denn je ist darüber nachzudenken, ob nicht auch politische Erneuerung neu aus einer solchen Tiefe schöpfen muss, wenn sie denn nachhaltig wirken und die Welt verändern soll.
Dies gilt auch für eine genuin christliche Interpretation unserer Erinnerungen an den menschenfreundlichen Nonkonformisten Jesus von Nazareth. Es kann nicht mehr darum gehen, Jesus als den exklusiven Heilbringer darzustellen. Sein vermeintlicher Überlegenheitsanspruch war ja jahrhundertelang die Grundsünde christlicher Verkündigung. Zu zeigen ist, dass Gestalt und Geschichte Jesu genau in diesem universal religiösen Sprach- und Symbolstrom stehen, zu dem dieses Buch einen Zugang eröffnet. Anders gesagt: Es ist gut, historisch-kritisch über Handeln und Botschaft Jesu zu forschen, doch mit den gängigen exegetischen Methoden ist der Zugang zu ihm noch lange nicht ausgeschöpft. Neben Fragen an eine protokollierbare Geschichte sind auf gleichem Niveau Fragen an unser hineinverwobenes Selbst zu stellen.
Von großem Wert ist die reiche Bebilderung des Buches. So kann es geradezu zum Buch der Betrachtung werden. Natürlich ist die mehrheitliche Schwarz-Weiß-Wiedergabe ökonomischen Zwängen geschuldet. Wie wäre es, wenn der Verlag die Bilder dem Buch in Originalfarben auf einer CD-Diskette beifügte?
Erschienen in: Christ/in und Sozialismus (CuS), 1/2016, 73-79.