Trauma – Konstruktionsprinzip einer zeitgemäßen Theologie. Zu einem bahnbrechenden Buch von Michael Pflaum

Als systematischer Theologe beschäftige ich mich intensiv mit Kirchenbildern und Kirchenreform; dabei gehe ich gerne theologiegeschichtlichen, hermeneutischen und ideologiekritischen Fragen nach. Seit 2010 ist das kein langweiliges Geschäft mehr, denn im deutschen Katholizismus wurden unversehens die unsäglichen Verbrechen von Missbrauch und deren Vertuschung auf breiter Front präsent, während die Bischöfe und Insider schon seit 1995, spätestens 2001/02 über den weltweiten Sumpf der Skandale informiert waren. Von Anfang an war damit die Suche nach den vielfachen innerkirchlichen Gründen verbunden, als nach den strukturellen, anthropologischen und theologischen Ungleichgewichten sowie nach den massiven kirchlichen Kommunikationsstörungen und Verdrängungen, die vielfältige Sexualneurosen aufblühen ließen. Allmählich wurden die sexuellen Perversionen in einem breiten Ausmaß bekannt; von einer klerikalen Lebensform begünstigt haben sie sich tief in den Alltag zahlreicher Kleriker eingefressen.

1. Missbrauch und Vertuschung
1.2 Widerstände und Frustration
1.2 Hilflose Empörung
1.3 Zuordnung der fördernden Faktoren
1.4 Die Schlüsselfrage
2. Kirche und Traumatherapie
2.1 Annäherung: Verwundung statt Sünde
2.2 Leiblichkeit, Sexualität und Gerechtigkeit
2.3 Wechsel der Perspektive
3. Folgerungen
3.1 Konstruktionsprinzip einer künftigen Theologie
3.2 Heilungs- und Befreiungstheologie
3.3 Gesamtkirchlicher Realismus
3.4 Säkulares Bewusstsein mit religiöser Motivation
4. Schluss

 

1. Missbrauch und Vertuschung

1.1 Widerstände und Frustration

Nicht als ob alle Kleriker unter einem Generalverdacht stünden; dieser Pauschalisierung ist zu begegnen, doch gerade deshalb ist genaue und konkrete Aufklärungsarbeit angesagt. Zu Recht hat ein aussichtsloser Kampf gegen die hohen Dunkelziffern begonnen, doch zu viele Akten gingen verloren, wurden vernichtet oder manipuliert. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich mindestens 1670 Kleriker an Kindern und Jugendlichen vergangen, das sind 4,4 Prozent aller Kleriker.[1] Die ersten umfassenden Gutachten liegen vor. Dennoch werden immer neue Untaten bekannt.[2] Nicht immer boten Diözesanarchive verlässliche Informationen und erschreckend ist der zähe Widerstand, auf den die Recherchen in zahlreichen Diözesen dieser Weltkirche und in der römischen Zentrale noch heute stoßen. In manchen Ländern (z.B. Spanien, Italien und Polen) steht man erst am Anfang und will reinen Tisch machen. Joseph Ratzinger, der hochbetagte ehemalige Münchener Erzbischof (4 Jahre), Glaubenspräfekt (über 23 Jahre), Papst (8 Jahre) und Ruheständler (seit März 2013), ist zum Symbol für die Unfähigkeit zu entschiedener Selbstreform geworden. Inzwischen gibt es Berichte über das krasse Missverhältnis zwischen entschiedenem Versprechen und untätiger Lethargie. Kardinal Marx steht exemplarisch für eine mächtige Kirchenelite, deren entschlossenes Handeln aus Gründen der Selbsterhaltung gelähmt ist. Kardinal Woelki repräsentiert die innere Verhärtung von Amtsträgern, die ihre reaktionär autoritäre Amtsauffassung aus monarchischen Zeiten nicht trennen können. Wie ist dieses Beharrungsvermögen in seinen verschiedensten Formen zu erklären?

Seit 12 Jahren werden auch in Deutschland massive Missstände bekannt. Es gab oder gibt sie in Internaten und Klosterschulen, Klöstern, kirchlichen Amtsräumen, Pfarrhäusern und Sakristeien, in Beichtstühlen und auf Jugendlagern. Dabei haben die letzten groß angelegten Gutachten gezeigt, dass innere Widerstände nicht überwunden sind. Nach wie vor wird die den Klerikern verbotene, doch real praktizierte Sexualität als perverse Gewalttat hingenommen. J. Ratzinger kann im Jahr 2022 die Weiterbeschäftigung eines massiv übergriffigen Priesters mit dem Argument rechtfertigen, dieser habe den beiden Mädchen seinen erigierten Penis nur gezeigt, aber nicht zur Manipulation angeboten. Wenige Wochen später hat sich die zuständige römische Berufungsinstanz die Amtsenthebung von zwei Pallotinerpatres in Polen mit dem Argument zurückgenommen, die Opfer ihrer Übergriffe seien mündige Frauen gewesen.

Doch je häufiger man verbrecherische Übergriffe mit schamlosen Argumenten verharmloste, umso mehr Variationen eines breiteren Grundübels tauchten auf und niemand weiß, was noch an die Oberfläche tritt. Eine Grundsanierung ist nicht in Sicht. Doris Reisinger[3] hat gleich drei wichtige Aspekte ins Licht gerückt: (1) die sexuell orientierte Missbrauchsepidemie gegenüber Nonnen, die ihren Peinigern oft hilflos ausgeliefert sind, (2) den spirituellen Missbrauch von Abhängigen durch Kleriker, der die Persönlichkeit der Betroffenen massiv schädigt oder gar zerstört, sowie (3) den ungebrochenen Widerstand von kirchlichen Leitungseliten, der alle Hoffnung auf eine Besserung der Zustände zunichtemacht. Reisinger hat alle Hoffnung aufgegeben. Es besteht also keine Aussicht auf eine Sanierung innerhalb dieser Institution.

Zugleich drangen neue Variationen desselben Grundübels an die Öffentlichkeit. Sie reichen vom häufigen sexuellen Missbrauch von Kindern und Minderjährigen bis zum lebenslangen Missbrauch Erwachsener, vor allem von Frauen, deren Seele grundlegend durch ihre Abhängigkeit von Priestern (Beichtvätern, geistlichen Seelenführern, Vorgesetzten in kirchlicher Arbeit) zerstört wird. Zugleich wurden beide Opfergruppen durch einen spirituellen Missbrauch und eine tief sitzende Unmündigkeitskultur (namentlich in religiösen Gemeinschaften) gefügig gemacht; diese Unkultur kann bis zur unverblümten Frauenverachtung reichen.

Katastrophale Auswirkungen hat zudem die kirchenamtliche Verurteilung von Homosexualität und homosexuellen Handlungen. Inzwischen ist sie in eine pauschale (und sinnlose) Verdammung aller Gendertheorien eingebettet. Sie kann in geschlossenen klerikalen Kreisen zu einer hasserfüllten Homophobie reichen, die von einem wilden Selbsthass genährt wird. Inzwischen wurden die ersten Vorwürfe der gewerbsmäßigen Unzucht zwischen Nonnen und jungen Priestern laut, die von Oberinnen geduldet wird und regelmäßig zur Freigabe von Babys zur Adoption oder zu Abtreibungen führt. Für engagierte Mitglieder der römisch-katholischen Kirche sind solche Informationen kaum auszuhalten.

Weitere Enthüllungen deuten auf andere skandalöse Formen einer tiefsitzenden, geradezu grausamen Menschenverachtung. Erinnert sei an den brutalen Umgang mit indigenen Kindern in Kanada (vom 18. Bis zum 20. Jahrhundert), die man in Erziehungsanstalten systematisch von ihren Muttersprachen und Kulturen entfremden wollte und deren Leichen man bei der hohen Kindersterblichkeit gegebenenfalls anonym verscharrte. Am 1.04.2022 bat Papst Franziskus kanadische Ureinwohner um Vergebung, ohne jedoch auf die inneren Gründe dieses Verhaltens einzugehen. Man wollte ihnen den christlichen Glauben aufzwingen und sie als christliche Mitmenschen in die Mehrheitsgesellschaft eingliedern. Auch hier wurden brutale Eigeninteressen von Kirche und Staat dem Wohlsein von Menschen vorgeordnet.

1.2. Hilflose Empörung

Viele Gründe werden für diese allgegenwärtigen Missstände und Perversionen genannt. Man spricht von Narzissmus und Klerikalismus und klagt die dogmatisch verankerte Zweiständegesellschaft mit ihrer Intransparenz an. Genannt werden die fehlende Gewaltenteilung, die zu einer selbstgerechten Willkürherrschaft führt, sowie eine vor-demokratische und antimodernistische Mentalität. Man kämpft mit einer verklemmten und vor-modernen Sexualmoral sowie mit einem verborgenen Manichäismus, der die Frauen noch immer in Eva, dem Einfallstor des Bösen schlechthin, vergegenwärtigt. Dies konnte so weit gehen, dass die Paradiesesschlange selbst mit quellenden Brüsten dargestellt wird; die Frau wird zur Schlange in Person.[4]

Die Diskriminierung von Frauen bildet sicher eine Hauptquelle der toxischen Sexualverhältnisse, die nur halbherzige Reformversuche zulassen. So weckt es bei Vielen nur noch Spott und Hohn, wenn es die Diözese Essen im März 2022 ausgewählten Pastoralreferentinnen erlaubt, Kinder zu taufen. Dabei haben auch Bischöfe und Kircheninteressierte die Ausweglosigkeit des Problems erkannt. Die Abgründe sind nicht einfach im moralischen Versagen von Einzelpersonen zu lokalisieren, sondern – ja, worin?

Eine gängige Antwort lautet inzwischen, die Gründe lägen im System, es gehe also um „systemische“ Ursachen. Doch hat diese neue Formel wenig Aussagekraft. Sie verweist nur abstrakt auf den Ernst der Lage und lässt die Inhalte offen. So ergeht man sich gerne in einer moralischen Empörung. Diese mag verständlich sein, bringt aber eine vitale Erneuerung kaum weiter. Das kämpferische Buch von Daniel Bogner[5] etwa verdoppelt nur das säkulare Rechtsbewusstsein und macht theologische Überlegungen faktisch überflüssig. Ist die Situation so pervers, dass das Christentum kein religiöses Gegengift mehr zu bieten hat?

Auch die zahlreichen kircheninternen Reformvorschläge kommen über wohl abgewogene Reflexionen nicht hinaus. Als Beispiel dienen die Texte des Synodalen Wegs. Gewiss, mit akademischem Pathos bescheinigen Insider ihnen eine hohe theologische Qualität. Ich sehe aber nicht, welches Gegengift sie der Missbrauchsepidemie bieten könnten, denn auch sie bewirken keine nachhaltige Überwindung. Zudem desavouieren sie sich selbst, indem sie jetzt schon erwartete Blockaden durch die deutschen Bischöfe oder durch Rom vorwegnehmen. Mit solchen Scheren im Kopf kommt kein Wechsel zustande. Erst muss die Stimme eines Gewissens zur Geltung kommen, die mit den Kirchenoffiziellen einen Konflikt riskiert.

Hinzu kommt die Hilflosigkeit weitergehender Erneuerungsvorschläge. In wilder Beliebigkeit stellt man plausible Forderungen auf, überprüft aber nicht deren Stellenwert und religiöse Durchschlagskraft: Partizipation, Transparenz, die Ordination von Frauen, Bischofswahlen, Abschaffung des Zölibats sowie die Bereitschaft, sich auf eine wissenschaftlich fundierte Anthropologie und auf neue Paradigmen einzulassen. Doch ausgerechnet eine unbiblische, sakral-priesterliche Amtskonzeption[6] wird ebenso beibehalten wie die konfessionell verengte, ökumenisch also unsensible Idee, Gottes Heil müsse durch das Messopfer und die übrigen Sakramente vermittelt werden. So wird nicht nur ein fundamentaler ökumenischer Impuls über Bord geworfen, sondern auch der absurde römisch-katholische Anspruch auf ein „authentisches Lehramt“ aufrechterhalten, das eine letztgültige Interpretation des Neuen Testaments garantiere.

1.3 Zuordnung der fördernden Faktoren

Es reicht auch nicht, einfach eine säkular menschenfreundliche Sexualität zu fordern. Zwar ist dies eine notwendige, für einen lebendigen Glauben aber keine hinreichende Bedingung. Ebenso wenig reicht es, die weltweite Missbrauchsepidemie der Kirche auf die Summe individueller Versagensfälle zu reduzieren, denn in aller Regel geschahen und geschehen sie in kirchlich organisierten Räumen und Zusammenhängen. Also müssen wir uns auf die Suche nach kirchlichen Bedingungen begeben, die den Missbrauch und dessen Duldung begünstigen, sowie – noch wichtiger ‑ nach deren innerem Zusammenhang. Zunächst stoße ich auf folgende Phänomene:

    • Eine hocheffektive, in Jahrhunderten gewachsene Selbstdarstellung von Bischöfen und Klerus sowie eine oft aufdringliche sakrale Kleidung in Liturgie und Alltag. Dies suggeriert eine übernatürliche Überlegenheit, die im Rahmen einer säkularisierten Demokratie besonderes Gewicht erhält.
    • Die Überhöhung der katholischen Zweiklassengesellschaft, in der sich die Kleriker faktisch als „die Kirche“ definieren und Nichtkleriker (Frauen wie Männer) auf Distanz gehalten werden.
    • Die klassischen Codes eines Männerbundes, die in der Zweiteilung einer Feudalgesellschaft verwurzelt sind (kompromissloser Ausschluss von Frauen, adlige Wappen, besondere Anreden, Würdegrade auf Lebenszeit, eigenes Rechtssystem, Berufung auf göttliche Erwählung) und den Anschein einer göttlichen Ordnung vermitteln.[7]
    • Orden und geistliche Gemeinschaften, die nicht nur mönchisch-aszetische Ideale verwirklichen, sondern auch die konfessionell unterscheidenden Hochziele des römisch-katholischen Lebensstils zu einem unberührbaren Alleinstellungsmerkmal überhöhen; damit erhalten sexuelle Enthaltung und kirchlicher Gehorsam einen Mehrwert, der ihnen nicht zusteht.
    • Die hochreflektierte, absolutistische Legitimation und Selbstdefinition einer Ämterstruktur, die alle Gewaltenteilung ablehnt und sich als autarke („perfekte“) Gesellschaft definiert.
    • Eine inhaltlich verzerrte und kommunikativ blockierte Distanz zur Moderne. Sie beinhaltet ein ambivalentes Verhältnis zur unantastbaren menschlichen Würde und Freiheit sowie zu einer demokratisch organisierten Gesellschaft und einer geschwisterlich ausgestalteten Glaubensgemeinschaft.
    • Eine konfliktscheue Erneuerungsdynamik. Sie ist von einer mythisch-verfestigen Einheitsidee geprägt sowie von der panischen Angst, man könne den innerkirchlichen Frieden stören. Diese Kirche lebt im Mythos einer überzeitlichen Wahrheit.
    • Ein doppelt geheiliges Amt: Zum einen das bischöfliche Amt der Kirchenleitung, also einer öffentlichen Vollmacht, die sich nicht vom jesuanischen Ursprung, sondern vom byzantinischen Kaisertum herleitet und dessen heilige Amtsinsignien übernimmt (Purpur, Bischofsstab, Weihrauch und öffentliche Segnungen, d.h. geistliche Inbesitznahme von Menschen und Welt). Zum andern ein priesterliches Amt, das vom öffentlichen Opferamt der spätantiken Stadttempel übernommen wurde und dessen Bedürfnisse erfüllt.

Das byzantinische Leitungsamt verlangt also einen untertänigen Gehorsam, das priesterliche Opferamt entmündigt die Gottesbeziehung der Gläubigen.

    • Eine Gottes- und Christuslehre, die seit dem 4. Jh. von den Kategorien der Hoheit und Herrschaft, der Macht und des Sieges geprägt sind. Der Einfluss dieser Gottes- und Christusbilder wird in der Regel unterschätzt.

Historisch sind diese Einzelfaktoren schon lange aufgearbeitet, doch wird kaum über die Frage nachgedacht: Wo liegen die gemeinsamen theologischen Wurzeln und wie wirkt sich die gegenseitige Verflechtung zu einem dichten Netz aus? So reduzieren auch reformbereite Bischöfe (Papst Franziskus eingeschlossen) die Überwindung des Klerikalismus auf eine persönliche, oft mystisch überhöhte Bescheidenheit, doch amtlich geben sie keine ihrer dogmatischen Machtbefugnisse auf. Das würde ja den überzeitlichen Kern ihres Glaubens berühren, in dem das offiziell gelehrte Amtsverständnis unwiderruflich verankert ist. Deshalb ist in Sachen Missbrauch und Vertuschung in Deutschland noch kein einziger Bischof aus eigener Initiative zurückgetreten. Offensichtlich sind sie für ihre individuellen Verstrickungen blind.

So beschleicht mich die Vermutung, dass weder Bischöfe noch eine amtsloyale Theologie den zentralen Schlüssel zum epidemischen Missbrauchsproblem gefunden, geschweige denn offen benannt haben. Stattdessen geht man – ich beschränke mich auf den westeuropäischen Raum ‑ sehenden Auges der Implosion entgegen. Ein ausgebranntes, sektenartiges Gebilde wird übrigbleiben.

Bischof Overbeck erklärte hellsichtig in BENE, dem Magazin seines Bistums (März 2022): „Wir stehen mit der Katholischen Kirche nicht nur am Abgrund, sondern sind bereits weit in den Abgrund geraten.“ Offensichtlich haben ihm die Begegnungen mit den Betroffenen sexueller Gewalt die Augen geöffnet. Seine Folgerungen sind lobenswert: „Das Amt in der Katholischen Kirche braucht Demut, Menschlichkeit und auch Kontrolle in der Machtausübung. Die Kirche darf keine lebensferne Institution sein, die Menschen kleinmacht.“ Doch dieser moralische Appell reicht ebenso wenig aus wie das überholte Modell der Bevormundung, in dem Overbeck noch lebt. „Ich mache mich stark für eine Kirche, die anders wird – in der sich Menschen sicher fühlen“. Das aber trifft nicht den Kern des Problems. In erster Linie brauchen wir keine Sicherfühlkirche und keine spirituelle Tankstelle, in der gottgeweihte Männer uns wie in einem Kinderhort mit Heilsgaben versorgen, sondern eine solidarisch organisierte Gemeinschaft, in der zunächst einmal alle ernstgenommen und in ihrer Identität respektiert werden. Wir sollten uns gemeinsame Orientierungen erarbeiten, sie in der christlichen Botschaft verorten und uns gegenseitig unterstützen. Daran und nicht an einer formalen Vollmachtskritik ist das Handeln der Gemeinde- und Kirchenleitungen zu messen.

1.4. Die Schlüsselfrage

So kommen wir unserer Schlüsselfrage näher: Gibt es eine kirchliche Grundentscheidung, einen spirituellen Brennpunkt, der dieses Netzwerk aus innerkirchlichen Fehlentwicklungen, der Verachtung von Menschen und katastrophalen Folgen erklären könnte? Auf Grund meiner Studien denke ich an Augustinus (354-430), den Erfinder der Erbsündentheorie, sowie an seinen gewaltigen Einfluss auf die westliche Kirche, insbesondere auf die Erlösungslehre. Sein neuplatonisch vergeistigtes Weltbild lässt alles Gute buchstäblich von oben kommen und seine niederschmetternde, von Verdammung und Unheil umhüllte Theorie der Ursünde setzt die gesamte Menschheit ins Unrecht, bevor sie überhaupt ins Dasein tritt. Die Sünde ist schon da, bevor ihre Schuldigen geboren sind. So werden alle westlichen Opfer-, Heils- und Erlösungstheorien von einem destruktiven Sündenbewusstsein und von gebotener Selbstverachtung durchdrungen.[8] Von Anselm von Canterbury (1033-1109) mit seiner Satisfaktionstheorie[9] bis hin zu Martin Luthers (1483-1546) Neuentdeckung des Paulus und zum Rechtfertigungsdekret des Konzils von Trient (1547, DH 1520-1583) durchdringt der augustinische Pessimismus atmosphärisch alle Erlösungskonzepte.

Parallel dazu trieb die neurotische Fixierung auf eine theologisch tabuisierte Sexualität seit dem 10./11. Jahrhundert immer raffiniertere Blüten.[10] Die Sexualität konnte im Gegenzug eine suchthafte Hassliebe und unstillbare Faszination bewirken, innerhalb ihrer kamen alle banalen Macht-, Lust- und Intimitätsgelüste zur Geltung. So gesehen sind es nicht primär die Machtreflexe, die Kleriker zu diesen Verbrechen verleiteten, nicht einmal die toxischen Wirkungen eines ehelosen Lebens mit seiner erzwungenen, tendenziell toxischen Zölibatsverpflichtung. Es ist in erster Linie der vom ererbten Schuld- und Verdammungsbewusstsein erzeugte und unerlöste Selbsthass, der sich in diesen Untaten austobt und sich als quasi intime und tabuisierte Handlung sein Recht verschafft, als eine leiblich erweiterte Verzweiflungstat. Gerade in den eigenen Abgründen möchte man nicht allein sein.

Angesichts eines zeitgenössischen Selbstbildes müssen wir uns klarmachen, was es heißt, sich vor Gott als „nichts und Sünde“ zu fühlen. Auch Luther konnte diese Demütigung nicht ohne Verwundungen hinter sich lassen; sein gelegentlicher Grobianismus spricht Bände. In der reformatorischen Tradition wurde die gequälte und gehasste Leiblichkeit erneut zum Ort der Verzweiflung, da sie den Makel von Adams Versagen in sich trug. Der leibliche Mensch hingegen wird nicht nur moralisch, sondern auch anthropologisch und ontologisch als „verdammte Masse“ (massa damnata) begriffen und so kann der Mensch auch in der reformatorischen Neubesinnung nicht zu einer würdigen Selbstachtung kommen. Seitdem ich es vor vielen Jahren gelesen habe, lässt mich das boshaft banale, aber auch entlarvende Gedicht von Thomas Mann (in Buddenbrooks, 1901) nicht los: „Ich bin ein rechtes Rabenaas,/ Ein wahrer Sündenkrüppel./ Der seine Sünden in sich fraß,/ Als wie der Rost den Zwippel./ Ach Herr, so nimm mich Hund beim Ohr,/ Wirf mir den Gnadenknochen vor/ Und nimm mich Sündenlümmel/ In deinen Gnadenhimmel!“

Im Gegenzug erklärt dieser Selbsthass auch die übersteigerte Selbsterhöhung der römisch-katholischen Kirche, wenn sie behauptet, mit ihren Heilsmitteln könne sie die augustinische Verzweiflung in eine beseligende Errettung ummünzen.[11] Je schrecklicher unsere Verdammung, umso heilbringender die römisch-katholische Kirche, die sich als die rettende Arche über allen Abgründen versteht? Joseph Ratzinger erklärte als Heilsbotschaft des beginnenden Jahrtausends: „Wenn es auch wahr ist, dass die Nichtchristen die göttliche Gnade empfangen können, so ist doch gewiss, dass sie sich objektiv in einer schwer defizitären Situation befinden im Vergleich zu jenen, die in der Kirche die Fülle der Heilsmittel besitzen.“[12] Wer sich diese narzisstische Überzeugung mit all ihren Konsequenzen zu Eigen macht, wird sich gegen alles stemmen, was das Ansehen dieser göttlichen Überinstitution schädigen könnte. Diese Heilsbotschaft wird ihm wichtiger sein als ein sexuelles Vergehen, das in der Beichte verziehen werden kann und „nur“ einen kleinen Jungen berührt. Zur Not muss er halt die Missbrauchsepidemie zum Schutze eines ungleich höheren Gutes willen dulden. Gibt es aus diesem selbstgemachten Gefängnis einen Ausweg?

2. Kirche und Traumatherapie

2.1. Annäherung: Verwundung statt Sünde

Mit dieser Fragestellung stoße ich auf das Buch von Michael Pflaum zu Missbrauch, Kirche und Traumatherapie.[13] Den vielfältigen fachlichen Ausführungen (mit Fallbeispielen, Erfahrungsberichten, Analysen und Exkursen zu Anthropologie und Gesellschaft) kann ich nur als Laie folgen, also die leitenden therapeutischen Theorien nicht gründlich verstehen.[14] Doch von Anfang an spüre ich einen sensiblen und menschenfreundlichen Blick, der sich kontinuierlich an menschlichen Verwundungen und Schmerzerfahrungen orientiert, sowie die eindringliche Anschaulichkeit, mit der der Autor die Situation von hochtraumatisierten Frauen und Männern darstellt. Sie haben sich ihm in ihrer Verzweiflung anvertraut und für ihre beginnende Heilung benötigen sie eine intensive Zuwendung, ständige Kontakte und unendlich viel Zeit. Doch der gut verständliche Stil ermöglicht es auch mir, den großen Linien des Buches zu folgen: der Skizze einer „trauma-existentialen Anthropologie“, einer durch sie inspirierten Spiritualität, den fachkundigen Vorschlägen zu einer „trauma-sensitiven“ Haltung gegenüber Dritten sowie den Visionen eines trauma-sensitiven Kirchen- und Gesellschaftsbilds.

So nähere ich mich der Thematik des Buches an und glaube, einiges von den Fachüberlegungen zu begreifen. Doch allmählich entdecke ich hinter den Texten auch den Theologen, mehr noch, den unausgesprochen hohen Anspruch eines neuen Typs von Theologie, den der Autor trauma-existential nennt. Zunächst bleibe ich zurückhaltend, denn Heideggers vergeistigte und oft nebulöse Rede von den menschlichen Existentialen (Sorge, Befindlichkeit, Angst, Verfallenheit, in-der-Welt-sein, Langeweile) hat sich in meiner Erinnerung stark verflüchtigt. Dennoch wird mir klar, dass es hier buchstäblich um Verlust und Rettung von konkreten Existenzen, ihrer Identitäten, ihrer Annahme und Selbstannahme geht. Freiheit und Verantwortung hin oder her, es sind Menschen, die am Abgrund stehen. So gleiten meine theologischen Ausgangspunkte, die an autonomer Freiheit und Verantwortung orientiert sind, sozusagen auf eine schiefe Ebene. Theologisch-anthropologische Grundannahmen verschieben sich und intuitiv finde ich in Pflaums theologischen Anliegen eine neue Grundorientierung.

Dass der Begriff des Traumas jetzt in den Mittelpunkt meines Nachdenkens tritt, erstaunt mich zunächst nicht, das ergibt sich schließlich aus der Thematik dieses Buchs. Doch zugleich rückt die traditionelle und allgegenwärtige Erlösungslehre[15] aus dem Mittelpunkt. Vielleicht ist sie nicht nur in Details zu kritisieren, sondern in sich gefährlich und falsch. Vielleicht ist das primäre Grundproblem heutiger Menschen gar nicht ihre fehlgeleitete und schuldig gewordene Freiheit, auch sind es nicht bewusst vollzogene Untaten. Selbst die biblische Fallgeschichte lässt sich nicht nur als exemplarischer Sündenfall der gesamten Menschheit deuten. Entscheidend sind vielmehr unsere Verletzlichkeit und unser Verletztsein, die immer schon mit unserer leiblichen, also verletzlichen Situation zusammenhängen und in unserem leiblichen Gedächtnis verankert sind. Offensichtlich bemisst sich die Qualität des Christentums und anderer Religion nicht primär an ihrem Vermögen, Sünden zu diagnostizieren und zu vergeben, eine göttliche Gerechtigkeit zuzusprechen und so die „Seele zu retten“. Sie bemisst sich in ihrer Fähigkeit, sich den Verletzungen von Menschen zuzuwenden, sie zu heilen und eine gesamtmenschliche Heilung einzuleiten. Es gilt also, die Grundintuition einer Traumatherapie zur Grundlage eines (christlichen oder religiösen) Menschenbildes zu machen.

2.2 Leiblichkeit, Sexualität und Gerechtigkeit

Aus dieser Perspektive zeigt sich die augustinische Menschenverdammung, wie schon gesagt, als grauenhafter Irrtum und wir sollten uns dessen bewusst bleiben, dass wir diese Leiblichkeit eineinhalb Jahrtausende lang negativ interpretiert, deren Wünsche und Antriebe zur Quelle eines selbstverschuldeten Unheils verunstaltet und das irdische Leben vorwiegend als Prüfung in diesem Jammertal begriffen haben. An unseren Verletzungen haben wir nicht konstruktiv gearbeitet. Vielmehr versuchten wir, sie im Kampf um eine rein geistige Freiheit zu ignorieren, als ob wir ohne den Leib und seine Sinne auskommen, im Grunde besser leben könnten. Anders gesagt, die Geschichte des westlichen Christentums hat den Leib in immer neuen Variationen ignoriert und verteufelt, in seiner Phantasiewelt zerstört und diese allgegenwärtige Lebensquelle in zynischer Weise missachtet.

Für das traditionell christliche Erlösungsmodell existiert das Leibwesen Mensch ebenso wenig wie eine gottgewollte Sexualität. Keine theologische Rolle spielten die Reifungs- und Entwicklungsprozesse des menschlichen Lebens, etwa die Chance, sich in eine gegenwärtige Zuwendung einzuüben. Eine zutiefst religiöse Erfahrung sagt uns, wir Menschen seien von Schwäche, Überwältigung und Schmerz, von Krankheiten und Verwundungen belastet und zwangsläufig würden die Perversionen unserer Gemeinschaften und der Gesellschaft zu unserer Schuld. Theologie und Verkündigung haben dies zur ererbten Ur-Sünde (peccatum originale) umgedeutet. Auf alle Fälle zeugen Schwäche und Verwundungen gegen uns. Deshalb spielten auch die Fragen nach Recht und Gerechtigkeit, nach gegenseitigem Respekt und der Unantastbarkeit der Person eine seltsam unwirkliche Rolle.[16]

Natürlich war auch die Fehlleistung des Augustinus schon vorbereitet. Ihre Anleihen nahm sie bei der dualistischen Weltanschauung des Manichäismus sowie beim stoischen Ideal eines unerschütterlichen, emotionsfreien Gleichmuts, dem die (männliche) Herrschaft des Geistes über alles ging. Mehr noch, schon Paulus hat den jüdisch-biblischen Eifer für eine konkret soziale Gerechtigkeit verfremdet. Im Streit um die Thora lenkte er alles Interesse auf eine Gerechtsprechung durch Gott und leitete dadurch eine tiefe Entfremdung vom Judentum ein. Hinzu kam seit dem 4. Jahrhundert eine Kirche, die sich mit der Staatsmacht vernetzen ließ und die „weltlichen“ Angelegenheiten in die Hände staatlicher Obrigkeit auslagerte. So hat die traditionelle Theologie alle Mittel und Kategorien aus der Hand gegeben, um die konstitutive Schwäche der Kinder, vielleicht auch die physische Unterlegenheit von Frauen aktiv als Gabe Gottes zu respektieren und zu schützen. Die Folgen für die Schicksale der Betroffenen waren verheerend.

Die beliebten katholischen Beichtspiegel und Beichtanleitungen sind vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert (mit ihrer Renaissance während der Reformationszeit) voll von Wissbegier und kontrollierendem Interesse an dem sexuellen Verhalten von Menschen.[17] Doch auch sie betrachten immer nur isolierte und nichtswürdige, genau zu kontrollierende Einzelakte. So machte sich zusätzlich eine besondere Art von vergiftetem und grausam banalisiertem Wissen breit. Selbst dieses wurde noch als Herrschaftswissen für die „Beichtväter“ eingesetzt, die sich zur „Beherrschung“ menschlicher Lust berufen wussten.

2.3 Wechsel der Perspektive

Aus diesen Gründen entwickelten im traditionell kirchlichen Lebensraum weder Missbrauchstäter noch Missbrauchsdulder einen vitalen, religiös motivierten Widerstand gegen das sexuelle Inferno, von dem man schon vor 2010 wusste.[18] In der Regel hatten sie die katholische Sexualmoral empathielos studiert; ein heteronomes Regelwerk war ihnen wichtiger als das Wohl der Kinder (auch das hatte man ihnen eingebläut) und Gefühle des Wohlseins mussten sie sich auch vom eigenen Leibe halten. In den achtziger Jahren mag ein Wandel eingetreten sein, weil man die vorgegebenen Regeln für lächerlich und überholt hielt. Doch auch damals haben Studierende kaum etwas von den lebenszerstörenden Folgen einer Vergewaltigung und eines spirituellen Missbrauchs gehört. Sexuelle Verbrechen an Kindern nahm man als unverständliche oder eklige Spielerei mit Kindern wahr, die im Laufe der Zeit von ihnen abperlen wird wie anderer Unsinn, den sie ertrugen. So blieb es bei einem Sünden- und Unrechtsbewusstsein, das Leiblichkeit und Verletzlichkeit ignorierte, statt einen Bewusstseinswandel einzuleiten.

Pflaum verleiht nun seinem Perpektivenwechsel eine Bedeutung, die die fachtherapeutische Fragestellung grundsätzlich überschreitet. So unterscheidet er – in sinnvoller Vereinfachung ‑ zwischen einem negativen und einem positiven Menschenbild. Er zeigt wiederholt, dass das negative Menschenbild ein menschenfeindliches Verhalten, das positive ein menschenfreundliches Verhalten begünstigt; Ideologien rechtfertigen und potenzieren sich also durch die Tat. Er kann zeigen, dass schon traditionelle, autoritär orientierte Begriffe wie Sünde und Erbsünde in ihrer Tendenz traumatisierend wirken. Sie lenken von den vitalen Beziehungen zwischen Tätern und Geschädigten ab und spielen (männlichen) Machtpositionen in die Hände. Der angemessenere Unheilsbegriff, der wirklich sensibel macht für die Situation von Menschen, also wirklich aus menschenfreundlichen Motiven lebt, nimmt an menschlichen Verletzungen, nicht an frei gewollten, gar zugemessenen Übeltaten sein Maß.

Dieser Perspektivenwechsel richtet sich exakt gegen das augustinische Konzept der „Ursünde“, also gegen diese „Meta-Sünde“, die der Heilslehre des westlichen Christentums so tief eingeschrieben ist. Er dreht sich primär um das Missbrauchtwerden durch schädigende Mächte und um die Wiederherstellung der lebensnotwendigen Beziehungen. Entgegen allem Individualismus lässt er sich mühelos auf festgefügte Interaktionen, kollektive Gewohnheiten und institutionelle Strukturen ausweiten, die das Zusammenleben beschädigen. Mehr noch, man könnte zeigen, dass individuelle Verwundungen letztlich in strukturellen Beschädigungen, also in „strukturellen Sünden“ verankert sind.

Dieser Perspektivenwechsel ist nicht unbedingt neu, denn schon vor Jahrzehnten wurde die „Erbsünde“ zum unbiblischen und weithin unverstandenen Fremdkörper. Doch Pflaum verbannt diese Fiktion endgültig aus einem menschenfreundlichen Denken. Er charakterisiert alle Ideologien, die menschliche Beziehungen prinzipiell gefährden, als eine inakzeptable „Meta-Sünde“. Er nennt vier solcher destruktiver Weltinterpretationen, die alle direkt oder indirekt im Erbsündendogma zu verorten sind. Sie leugnen (1) jedes Licht in der menschlichen Seele, (2) alle Freiheit des menschlichen Geistes, (3) jeglichen Altruismus im menschlichen Handeln sowie (4) jegliche Einbettung des Menschen in Körperlichkeit und Gemeinschaft. Es geht also um die Verdammung des Menschen in Unwissen und Unwahrheit, um einen absoluten Determinismus, einen moralischen Pessimismus sowie einen unbedingten Spiritualismus und Dualismus. Diese monomanen Welt- und Menschenbilder bereiten den Boden für die expliziten Traumata, die jede menschenwürdige Lebensführung erschweren, aber auch für jede unausgesprochene Verletzung eines Menschenlebens, die unsere lebensnotwendigen Verbindung beschädigt: zu uns selbst, unserem Körper, unserer Familie, zu anderen Menschen und der uns umgebenden Welt.[19]

Aus zwei Gründen spielt in solchen Diskursen die Sexualität eine prominente Rolle. Zum einen belegt sie eine ungeheure Bandbreite menschlicher Beziehungen mit, und zwar auf allen genannten Ebenen. Zum andern kann sie diese vielfältigen Beziehungen in massivster und oft unüberwindlicher Weise beschädigen oder zerstören. So wird auch verständlich, warum die Frage der Sexualität im Bewusstsein der Erbsünde eine zentrale Rolle spielt.

Doch ebenso klar wird mir auch: Umgekehrt lassen sich Traumata nicht auf die Beziehungswelt der Sexualität beschränken, vielmehr kann die Sexualität eine stellvertretende Funktion einnehmen für alle Arten der vieldimensionalen menschlichen Beziehung. Was Pflaum also zu traumatischen sexuellen Beziehungen ausführt, so meine Folgerung, hat ebenfalls eine paradigmatische Bedeutung für alles menschliche Verhalten und für dessen religiöse Interpretation. So verwundert es nicht, dass alle Religionen ein reges regelndes Interesse an ihr haben, sofern sie sich mit unserer Verbindung zu uns selbst, zu Körper, Familien, anderen Menschen und der uns umgebenden Welt auseinandersetzen.

3. Folgerungen

Zur Debatte steht in diesem Buch die gesamte menschliche Lebenswelt, insbesondere auch die Lebenswelt der Kirche, in der Unheil und Heil der Menschen eine kardinale Rolle spielen. Die beiden letzten Kapitel, die der Autor diesen beiden Bereichen widmet, sind hier nicht im Detail zu referieren. Mir machen sie noch einmal klar: Hier steht nicht nur der Umgang mit traumatisieren Menschen im medizinisch-therapeutischen Wortsinn zur Debatte, sondern das christliche Menschenbild und die christliche Botschaft schlechthin. Hier liegt also ein Buch vor, dessen Bedeutung den therapeutischen Umgang mit Traumatisierten weit übersteigt. Es lässt erkennen, dass Verletzlichkeit und Verwundungen unser ganzes Leben durchziehen und bei ihrer religiösen Aufarbeitung unbedingt ernst zu nehmen sind. Deshalb gehört Pflaums Buch in die Hand aller, die als Christinnen und Christen in Seelsorge und Theologie arbeiten. Aus diesem Grund seien aus systematisch-theologischer Perspektive noch einige Bemerkungen hinzugefügt.

3.1 Konstruktionsprinzip einer künftigen Theologie

Wie schon gesagt, entfaltet das von Pflaum revidierte Sündenverständnis nicht nur eine psychologisch-therapeutische, sondern auch eine allgemeine Bedeutung für Anthropologie, Theologie und Seelsorge. Die christliche Heilslehre sollte sich nicht mehr an der Missachtung einer göttlichen Verhaltensregel, also am Problem der Sünde und Sündenschuld abarbeiten, sondern an der menschlichen Verletzlichkeit und an der faktischen Verwundung unserer lebensnotwendigen menschlichen Beziehungen. Der Autor zitiert die Theologin Julia Knop: „Nicht eine überindividuelle Sünde des Menschen, sondern dessen unbedingt zu schützende Würde muss das Konstruktionsprinzip einer künftigen Theologie sein. Nicht blinde Demut der Tradition gegenüber, sondern ein forscher, sich historische Aufräumarbeit zutrauender Geist muss künftig herrschen.“ Wie recht Julia Knop hat!

Allerdings sind die Bausteine für diese forsche Aufräumarbeit schon lange erarbeitet und angemessene Entwürfe wurden schon vorgelegt. Warum hat man sie verdrängt? Man müsste nur die innerkatholische Reformgeschichte der vergangenen sechs Jahrzehnte aufarbeiten, die sich in Theologie, Verkündigung und pastoraler Arbeit gut dokumentieren ließe. Wir könnten, wenn wir nur wollten, jetzt schon aus dem Vollen schöpfen.

Ferner sollten wir die hier besprochenen Einsichten konsequent zu Ende denken, denn dieses neue Konstruktionsprinzip muss zu einer Revision der gesamten Rechtfertigungs-, Erlösungs- und Opfertheorie, also auch der Christologie der vergangenen 1700 Jahre führen. In Wirklichkeit ist unsere Freiheit schon vor jeder Tat beschädigt. Denn sie setzt nicht voraus, dass wir durch Verfehlungen schuldig werden, sondern dass wir schon vor jeder Verfehlung schuldig sind.

Die tektonischen Beben, die den Glaubenstreuen bevorstehen, werden enorm sein. Die dafür grundlegende kirchliche Tugend lautet aber nicht Mut, sondern intellektuelle und gelebte Aufrichtigkeit. Auf die aktuelle Situation der katholischen Kirche angewendet: Wer in Sachen Sexualverbrechen und deren Duldung vorankommen will, muss die klassische Theologie vom Kopf auf die Füße stellen. Alle anderen Wege werden sich als Sackgassen erweisen, die ins Nichts führen.

3.2 Heilungs- und Befreiungstheologie

Das vorliegende Buch ist aus individualtherapeutischer Perspektive geschrieben. Eine sachgemäße Theologie sollte seine Inspirationen aufnehmen und auf die gesamte Anthropologie, insbesondere auf kollektive bzw. strukturelle Dimensionen der menschlichen Existenz erweitern. Formulierungen wie „eine trauma-sensitive Kirche werden“, „vorrangige Option für die Betroffenen“ oder „eine magis-Haltung“ lassen eine Affinität zwischen diesem individual orientierten Denken, der Befreiungstheologie und anderen emanzipatorischen Theologien erkennen.[20] Das hier entwickelte Basiskonzept könnte der Befreiungstheologie, feministischen Theologien und anderen kontextuellen, bzw. emanzipatorisch orientierten Theologien eine gemeinsame Basis bieten. Die Berührungsängste zwischen emanzipatorischen und als „bürgerlich“ qualifizierten Entwürfen sind überholt. Umgekehrt wären die seit Jahrzehnten etablierte lateinamerikanische Befreiungstheologie und andere Ansätze zu befragen, warum sie vom traditionellen Erlösungsmodell und der ererbten Sühne-Christologie so zaghaft Abstand nehmen. Konsequente Schritte könnten auch dazu führen, dass Papst Franziskus bei seinen halbierten Reformideen nicht stehen bleibt.

3.3 Gesamtkirchlicher Realismus

Es gehört für mich zum Charme dieses Buches, dass es sich immer wieder an empirisch erhobenen Tatsachen misst. Damit vermeidet es einen ideologischen Reformismus und hütet sich vor neuen Systemzwängen, die zu einem neuen Rollback führen könnten. Die Reformvorschläge behalten dank der Theorie der spiral dynamics (die unterschiedliche kulturelle und institutionelle Entwicklungsstufen zur Kenntnis nimmt) eine erstaunliche Flexibilität, weil sie in verschiedenen Situationen unterschiedliche Reaktionen ermöglicht. So vermeidet der Autor eine rigorose Korrekturpolitik. Er legt die katholische Kirche nicht einfach auf den „meta-sündigen“ Sündenbegriff fest, den Augustinus entwickelt hat.

Im Gegenzug präsentiert er etwa die Lehre vom menschlichen Begehren (Konkupiszenz) bei Thomas von Aquin, der offensichtlich positive Aspekte in sein Menschenbild integriert. Er verweist ferner auf die positiven Impulse von Justin dem Märtyrer (gest. 165), Hugo von St. Viktor (gest. 1141) und Erasmus von Rotterdam (gest. 1536). Ähnliches kann er auf dem 2. Vatikanischen Konzil und bei reformoffenen Theologen des 20. Jahrhunderts entdecken. Nachdrücklich präsentiert er K. Rahner, auf den der Autor wiederholt zu sprechen kommt, sowie Ignatius von Loyola als eine positive Gegenkraft gegen eine negative Anthropologie. Schließlich führt er sich selbst als Beispiel eines katholischen Heranwachsenden an, der in seiner religiösen Praxis nie mit einem negativen Menschenbild konfrontiert wurde.

Zum Glück gibt es solche Fälle und zum Glück konnten sich viele Katholikinnen und Katholiken aus den negativen Strudeln der Vergangenheit freischwimmen. Doch leider bleiben Viele in diesem verderblichen Sog in den Abgrund gefangen. Deshalb gebe ich zwei für mich wichtige Vorbehalte zu bedenken:

Zum einen entdecke ich in der aktuellen katholischen Theologie ein hohes Maß an Inkonsequenz; eine Schwalbe macht keinen Sommer. Vor einem kritischen oder liberalen Publikum gibt man sich gerne offen und flexibel. Doch die neuralgischen Punkte der kirchlichen Lehre werden nicht kritisiert, sondern oft mit wohlwollendem Schweigen umgeben. Dies gilt m.E. auch für das oft zwiespältige Verhalten von K. Rahner und viele seiner Kollegen. So wurden konsequent innovative Frauen und Männer seit Jahrzehnten zum Schweigen gebracht und kollegiale Proteste gegen Repressionen hatten nie einen langen Atem. Ich erinnere nur an drei Gestalten, die in den vergangenen Monaten verstorben sind: Hans Küng, Hubertus Halbfas und Norbert Greinacher, die nie eine Rehabilitation erfuhren. Wer heute einer Trauma-sensiblen Theologie konsequent Geltung verschaffen will, sollte den offenen Konflikt mit den Bischöfen mit ins Kalkül nehmen und auf einer fundamentalen Korrektur der klassischen Opfer- und Erlösungstheorien bestehen.

Zum andern sollten wir dafür sorgen, dass die neue menschenfreundliche Theologie auch offiziell zur Geltung kommt. Bislang ist das nicht der Fall. Zwar hören wir vielerorts eine menschenfreundliche Verkündigung und sie kann großen Anklang finden. Sobald aber im Namen der klassischen Kirchenlehre Widerspruch auftaucht, haben die Neuerer verloren; im Konfliktfall nehmen die Kirchenleitungen die altehrwürdige Lehre in Schutz. Das ist verständlich, doch muss dieser absolute Wahrheitsanspruch der offiziellen Lehre bestritten und nach Möglichkeit aufgelöst werden.

3.4 Säkulares Bewusstsein mit religiöser Motivation

In Teil 1.2 habe ich davor gewarnt, dass sich kirchliche Reformforderungen auf die bloße Verdoppelung von säkular plausiblen Forderungen beschränken. Es reicht nicht, mit K. Rahner eine anthropologische Wende zu proklamieren. Wir müssen die menschenfeindlichen Komponenten des klassisch christlichen Denkens konsequent im Auge behalten und auf Dauer überwinden. Doch im christlichen Raum können sie nur nachhaltig wirken und vor einem bequemen Trott schützen, wenn sie ausdrücklich von einem religiösen Narrativ unterfüttert und einer leidenschaftlichen, einer „heiligen“ Ungeduld motiviert sind. Faktisch gibt Pflaum diese „Kooperation“ kontinuierlich zu erkennen. Umso sinnvoller wäre es, die durch und durch menschenfreundliche Verkündigung Jesu nachdrücklich herauszuarbeiten und die Erinnerung an sein Leben konkret auf eine menschenfreundliche Kirche in der Gegenwart zu beziehen.

4. Schluss: Gegen eine Spirale nach unten

Am 31.03.22 haben sich die Bischöfe Bayerns in Regensburg über die Situation der römisch-katholischen Kirche in ihrem Bundesland beraten. Das Ergebnis war ernüchternd: Seit dem Münchner Gutachten im Januar seien die Kirchenaustrittszahlen sprunghaft angestiegen. Kardinal Marx erklärte: „Das tut weh, wir haben noch keine Lösung – sind aber auf der Suche nach Rezepten[!], wie wir die Kirche langfristig attraktiver machen können. Fakt ist: Die Kirche muss sich ändern, wir sind in einer großen Umbruchsituation. Vor allem die Themen Sexualmoral und Macht in der Kirche sind hier wichtige Transformations-Punkte“. Mit seiner Diagnose einer großen Umbruchsituation hat er recht, doch mit seiner Suche nach „Rezepten“ greift er entschieden zu kurz. Zwar spielen im aktuellen Problemknäuel die Problempunkte Sexualmoral und Macht in der katholischen Kirche eine große Rolle, aber die Wurzeln ihrer aktuellen Selbstauflösung in unserem Kulturkreis liegen weit tiefer.

Weiter oben ging ich der Frage nach: Gibt es eine kirchliche Grundentscheidung, einen spirituellen Brennpunkt, der das aktuelle Netzwerk aus innerkirchlichen Fehlentwicklungen, destruktiver Menschenverachtung und ihren katastrophalen Folgen erklären kann? Meine Antwort lautet: Der akute Knoten des Unheils, der alle Einzelsymptome erklärt und gegenseitig stabilisiert, wurde mit der kirchlichen Erbsündenlehre geschnürt. Sie ist die mächtige Garantin eines negativen Menschenbildes, das auf einem autoritären Gottes- und Christusbild aufbaut und durch die Rechtfertigungslehre nur bedingt ausgeglichen werden kann, weil sie die Menschen durch das Trauma göttlicher Verdammung schickt. Die Wurzeln dieser kirchlichen Menschenverachtung führen uns zurück auf eine dualistische Verehrung des reinen Geistes, die sich seit dem 4. Jahrhundert mit einem machtbesetzten Gottes- und Christusbild verschwisterte und zu einem universalen, in jeder Eucharistie neu belebte Sühne- und Opfermythus führte.

An dieser Diagnose mögen Zweifel aufkommen, denn viele engagierte Katholikinnen und Katholiken könnten W. Pflaums Erfahrung beipflichten, dass in ihrer religiösen Erziehung kein negatives Menschenbild mehr sein Unwesen trieb; die kirchliche Lehre von der Erbsünde hat sie nicht mehr berührt; bei einem Großteil der christlichen Bevölkerung hat sie sich in Luft aufgelöst.

Doch das ist nur die halbe Wahrheit, denn in den offiziellen Gottesdiensten, Messtexten und in zahllosen Predigten schwelt noch immer eine massive Diskrepanz zum offiziellen Erlösungsverständnis, zu den zentralen Chiffren von Sündersein, Schuld vor Gott, Sühnetod Jesu und priesterliche Messopferpraxis, zu einer sündenvergebenden, vor der Hölle bewahrenden Taufe sowie einer gewünschten Beichtform, die noch immer ein habituelles Sündenbewusstsein perpetuiert. Die Therapeutin Stefanie Stahl nennt Glaubenssäze „die Programmiersprache unseres Selbstwertgefühls“. Sie drücken aus, was ich im tiefsten Inneren von mir halte, auch wenn ich mir dessen nicht bewusst bin.[21] Diese psychologische Definition ist auch auf die Grundgestimmtheit „Erbsünde“ anwendbar. Pflaum nennt sie, wie ich zeigte, aus denselben Gründen das „Meta-Böse“, weil sie eine überragend steuernde Funktion hat.

Dieser im christlichen „Glaubensgut“ hochoffizielle Lehrsatz von der Erbsünde setzt ja nach wie vor voraus, dass ich in erster Linie Sünder bin und bleibe. Heil und Höllenvermeidung sind ohne ein „übernatürliches“ Sonderhandeln Gottes nicht zu haben. Am Lebensende wird über mein ewiges Leben oder meinen ewigen Tod entschieden und nach wie vor ist diese Grundangst allgegenwärtig in zahllosen liturgischen und pastoralen Symbolen, Gebeten und Formeln und im Gottesbild vieler Menschen. Als Grund für ihren „Unglauben“ sagte mir vor kurzem eine Frau, die meinte, auf der Höhe unserer säkularisierten Zeit zu sein: „Ich habe mit diesem Gott abgeschlossen, der die halbe Menschheit in die Hölle schickt. Sage da noch jemand, diese Frau sei säkularisiert!

Diese offizielle, immer wieder präsentierte und gefeierte Gegenwelt führt zu lähmenden Widersprüchen, die aber kaum thematisiert werden. Genau dies führt zu einer diffusen und unreflektierten Entfremdung und einer instinktiven Abwehr des offiziellen Glaubenskonstrukts. Sie spielt einem vielschichtigen Säkularisierungsprozess in die Hände, den die Kirchenleitungen dann trotzig als simplen Glaubensverlust und schuldhaften Unglauben interpretieren. Nachdem sie das vergangene negative Menschenbild glücklich überwunden haben, wird ihnen in neuer Weise ein schlechtes Gewissen eingeimpft.

Deshalb ist zu fragen: Warum wird dieser Paradigmenwechsel konsequent ignoriert, in Predigten verschwiegen und warum belässt man es bei den gefährlichen alten liturgischen Formeln? Fürchtete und fürchtet man hierarchische Sanktionen oder die Beunruhigung von Gläubigen? Warum stellen sich die meisten Gemeindeleiter noch immer als seelen-rettende Priester dar und haben sich hoffnungslos an diese fragwürdige und unbiblische Identität gebunden?

Verantwortung dafür trägt auch die Theologie. Gewiss, nach dem 2. Vatikanum haben viele der wortführenden Theologinnen und Theologen die niederdrückende, neuscholastisch präsentierte Schlüsseltheorie aufgegeben, doch in der Regel zogen sie keine klaren Konsequenzen. Vornehm verschwiegen sie die fällige Kritik. Stattdessen entwickelte man undurchdringliche Theoriegebäude[22], um die kirchliche Unfehlbarkeitsgarantie instandzuhalten. Karl Rahner der ob seiner menschenfreundlichen Visionen allgemein gerühmt wird, betrachtete die Unfehlbarkeitskritik dennoch als tödliche Bedrohung des Glaubens.[23] Mit diesem Zwiespalt verursachte er mehr Frustrationen, als ihm lieb sein konnte.

Die Folge konnte nur eine diffuse, aber weit verbreitete und gründliche Entfremdung von der Glaubensbotschaft sein. Viele Menschen waren diesem Prozess der Verunsicherung hilflos ausgeliefert, sie suchten ihre Orientierung anderswo. Inzwischen hat diese Entfremdung eine massenhafte Dimension erreicht; die Implosion der Kirche hat begonnen.

Umso wichtiger ist es, die notwendigen Abgrenzungen endlich klar zu thematisieren. Jesus war kein von Gott vorherbestimmtes Opferlamm, sondern im Namen Gottes Vorkämpfer für eine menschenfreundliche Weltorientierung. Er nahm die Menschen mit ihren Verwundungen an, stiftete Gemeinschaft und trug für ihre Heilung Sorge. Es ist an der Zeit, dass wir uns konsequent und aktiv von den übermächtigen Leitlinien der traditionellen Erlösungslehre befreien. Eine Kirche, die Zukunft haben will, muss diesen dogmatischen Preis bezahlen. Die Bischöfe aber finden nur aus ihrer Misere heraus, wenn sie sich dem beschriebenen Paradigmenwechsel offen und selbstkritisch stellen. Gegebenenfalls sollten sie zurücktreten, um im Namen Gottes einem menschenfreundlichen Denken Raum zu geben. Unsere Glaubensgemeinschaften brauchen keine Meisterköche mit speziellen Rezepten, sondern eine neue Ausrichtung an der Jesusgeschichte, von denen es wunderbare, weil zeitgemäße, heilsame Auslegungen gibt.

Anmerkungen

[1] Die breiteste wissenschaftliche erhobene Informationsbasis bildet die sog. MHG-Studie vom Sept. 2018; sie wurde erarbeitet durch WissenschaftlerInnen aus Mannheim, Heidelberg und Gießen. Sie wurde veröffentlich unter dem Titel: Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz.

[2] Das Beispiel diene das Gutachten der Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl: Sexueller Missbrauch Minderjähriger und erwachsener Schutzbefohlener durch Kleriker sowie hauptamtliche Bedienstete im Bereich der Erzdiözese München und Freising von 1945-2019. Verantwortlichkeiten, systemische Ursachen, Konequenzen und Empfehlungen.

[3] Doris Reisinger, Nicht mehr ich: Die wahre Geschichte einer jungen Ordensfrau; München 2016, dies., Spiritueller Missbrauch in der katholischen Kirche, Freiburg 2019.

[4] So am Marienportal der Kathedrale Notre Dame in Paris, Sockelpartie des Mittelpfeilers.

[5] Daniel Bogner, Ihr macht uns die Kirche kaputt …: … Doch das lassen wir nicht zu!, Freiburg 2019.

[6] Mathias Wirth (Hg.), Sexualisierte Gewalt in kirchlichen Kontexten, Berlin 2021. S. auch M. Striet (Hg.), Unheilige Theologie, Freiburg 2019; Küng thematisierte schon 1971 die Sakralisierung des Presbyteramtes in: Wozu Priester? (Eine Hilfe), Zürich 1971 (SW 4, 95-155).

[7] https://www.hjhaering.de/was-ist-klerikalismus/.

[8] H. Häring, Die Macht des Bösen. Das Erbe Augustins, Zürich-Gütersloh 1979; Kurt Flasch (Hg.); Logik des Schreckens. Augustinus von Hippo – die Gnadenlehre von 397 (Lateinisch-Deutsch), Mainz 21995.

[9] Anselm von Canterbury, Cur Deus homo = Warum Gott Mensch geworden, übers. v. F. S. Schmitt, Darmstadt 1986.

[10] Georges Duby, Frauen im 12. Jahrhundert, Frankfurt 1999 (Buch III, Die Sünden der Frauen). Von besonderem Interesse ist das Beichtbuch des Burchard von Worms (965-1025), das eine lange Tradition einer Beichtliteratur begründet. Sie ist vornehmlich an den (perversen) Verfehlungen von Frauen in Sachen Sexualität interessiert.

[11] Das 2. Vatikanische Konzil erklärt noch in ungeschmälertem Selbstbewusstsein, die Kirche sei „in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (Kirchenkonstitution Nr. 1).

[12] Vom Glaubenspräfekt Kardinal J. Ratzinger im August 2000 unterzeichnete Erklärung Dominus Iesus, über die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche, Nr. 22.

[13] Michael Pflaum, Für eine trauma-existentiale Theologie. Missbrauch und Kirche mit Traumatherapien betrachtet, BoD Norderstedt 22021, ISBN: 9783751984546.

[14] Im Inhaltsverzeichnis werden genannt die Polyvagaltheorie, die Traumatheorien von Peter A. Levine und Pat Ogden, die IFS [Familien-System]-Theorie und Modell der Spiral Dynamics.

[15] Ich denke an Kernbegriffe wie Sünde und Unheil, Sühne und Opfertod Jesu, den Glaubenssatz von der „unblutige Wiederholung“ von Christi Opfertod in der Eucharistie, an Rechtfertigung und Erlösung, Schuldbekenntnis und Genugtuung.

[16] Ethel L. Behrendt, Gottes Ehre Gerechtigkeit. Das veruntreute biblische Wort, München 2008, dies., Die Gnade Gottes. Wie die Kirchen sie entwertet und GOTT unkenntlich gemacht haben, München 2016; H. Häring, “Der Gerechte bleibt wegen seiner Treue am Leben.“ (Hb 2,4). Neue Kontroversen zur reformatorischen Rechtfertigungslehre, in: R. Bendel, J. Nolte (Hg.), Befreite Erinnerung, Band 2: Region – Religion – Identität: Schlesische Prägungen, Berlin 2017, 163-180.

[17] Michel Foucault; Der Wille zum Wissen [Bd 1 von Sexualität und Wahrheit], Frankfurt 101998.

[18] Eine überschlägige Chronologie des Missbrauchsskandale in der römisch-katholischen Kirche bietet: https://www.sueddeutsche.de/politik/vatikan-katholische-kirche-missbrauchsskandal-chronik-1.4339949. Für Deutschland s.: https://de.wikipedia.org/wiki/Sexueller_Missbrauch_in_der_r%C3%B6misch-katholischen_Kirche_in_Deutschland.

[19] Diese Definition von Peter A. Levine (Vom Trauma befreien. Wie Sie seelische und körperliche Blockaden lösen, München 2015. S. 10) wird von Pflaum zweimal zitiert.

[20] Emanzipatorisch werden alle Theologien genannt, die in kritischer, insbesondere in ideologiekritischer Absicht ihr theologisches Denken an der Überwindung unterdrückender und ausschließender kultureller, politischer und gesellschaftlicher Verhältnisse ausrichten. Dazu gehören u.a. politische, feministische Theologien, sowie die verschiedensten Formen von Befreiungs- und kontextueller Theologie.

[21] Ich zitiere aus dem Interview mit St. Stahl: „Im Grunde haben wir einen Knall, ja!“ (SW-Presse v. 13. April 2022).

[22] Vgl. dazu: Karl-Heinz Weger, Theologie der Erbsünde. Mit einem Exkurs „Erbsünde und Monogenismus von Karl Rahner, Freiburg 1970; Art. Erbsünde, Erbsündenlehre (versch. Autoren), in: LThK 3, Freiburg 31995, 743-749

[23] „Sie, Herr Küng, mögen dies konservativ, traditionalistisch oder spießbürgerlich nennen, aber ich muss Ihnen sagen: Durch Ihr Buch ‚Unfehlbar?‘ fühle ich mich in meinem katholischen Glauben tödlich bedroht.“ (Hans Küng, Umstrittene Wahrheit, München 2007, 213

Letzte Änderung: 22. Mai 2022