Sie haben sich angestrengt, kollegial zusammengearbeitet, anspruchsvolle Papiere geschrieben und diese sorgfältig redigiert, mit unterschiedlichsten Interessen abgestimmt und sich von Halbsatz zu Halbsatz durchgearbeitet. Mit dem bischöflichen Vetorecht hatten sie sich schon zu Beginn des Großprojekts auf eine überholte Autoritätsstruktur, eine Selbstdemütigung gar, eingelassen und wohl übersehen, wie rom- und amtsabhängig die deutschen Bischöfe in Wirklichkeit sind. Die „normalen“ Mitglieder des Synodalen Wegs nahmen die Hypothek wohl nur auf sich, weil sie dieses Zugeständnis als eine letzte Vorleistung gegenüber den Purpurträgern verstanden, um endlich den Übergang in eine neue Epoche zu schaffen. Diesen Vertrauensvorschuss hat ihnen am 08. September mehr als ein Drittel der Bischöfe nicht gedankt. Die tiefe Erschütterung und die Tränen der Enttäuschten dokumentierten erneut den abgrundtiefen Riss, der unsere Kirche durchzieht und sich nahezu täglich vergrößert. Ungerührt blieb eine bischöfliche Minderheit beim Programm einer Zwei-Stände-Gesellschaft, weil sie es so einmal gelernt hat und sie ihr Nutznießer ist. Eine Nachhut, die sich leider als Vorhut versteht, zeigte, wo der Hammer hängt.
1. Die Ideologie einer Machtkirche
Was meist höflich verschwiegen wird, hat sich erneut offenbart. Die drohenden Trommelwirbel der Hardliner aus Rom und anderswo hatten das Ereignis schon angekündigt. Man sollte sich darüber nicht wundern, denn schon lange (wenn auch schleichend) ließ diese Kirche ihre Wahrheit zu einer amtsgelenkten Ideologie verkommen. Erste Ansätze gehen ins 4. Jahrhundert zurück, als byzantinisch-kaiserliche Interessen die kirchlichen Autoritäten und Lehrinhalte hoheitlich überformten. Nach der ersten Jahrtausendwende wurde diese Ideologie offiziell legitimiert, als man im Westen anfing, Glaubenslehre und Kirchenrecht unlösbar miteinander zu verquicken. Die Ablehnung reformatorischer Ideen vor 500 Jahren machte die Machtideologie dann zum römischen Alleinstellungsmerkmal und 1870 wurde das römische Wahrheitsregime ungeniert als leitendes Ideologiemodell präsent. Der Verbindlichkeitsgrad einer Lehre machte inhaltliche Begründungen vollends überflüssig, denn fortan genügte es zu erklären, man glaube, was der Papst glaubt und zu glauben vorschreibt. Für Rom war das Wahrheitsmanagement zum bequemen Interessenmonopol geschrumpft.
Zwar ließ sich die Diskussion über diese Entwicklung nie ganz beenden, doch in den 1970er Jahren führte die nachkonziliare Unruhe zu einer neuen Verhärtung. Am 07.01.1980 sorgten die 21 Unterschriften der in Westdeutschland residierenden Bischöfe für einen neuen Schlussstrich. Ihr Argument für die perfekt Unmündigen lautete: „Für den Glauben und die Theologie ist es entscheidend, dass jeder weiß, worauf er sich im Gott geschuldeten Gehorsam des Glaubens verlassen kann und muss.“ Eine zwiespältige Wirkung blieb nicht aus, doch man konnte diese Diskussion nicht mehr hören.
Unbestritten, heute lässt die einst geschlossene Abwehrfront bedenkliche Risse erkennen, doch noch immer wagt es kein Bischof (auch kein ökumenisch gesinnter), diese Mutter aller Papstideologien offen in Zweifel zu ziehen. Gewiss, die meisten sind wohl zu versteckten Kompromissen bereit, auch das zeigen die synodalen Abstimmungen. Doch einige Hardliner bleiben konsequent, weil sie sich im Besitz der absoluten Wahrheit wähnen. Dennoch ist der Umgang mit ihnen extrem schwierig, denn ihre Lehramtsideologie ist gegen ihre Glaubensgeschwister und deren Lebenswelten perfekt abgeschirmt. Ihr Glaube lebt aus einer Überwelt (einer „Übernatur“), der sich alles andere, bitteschön, zu beugen hat.
So erklären sich auch die vielfachen kleinen Fehlreaktionen, die man beim Synodalen Weg beobachten kann. Die strammen Unfehlbarkeitsgläubigen fühlen sich (so ihre kurzen Debattenbeiträge) oft missverstanden, argumentieren selbstbezogen, weil meistens ihr Amt im Zentrum steht. Sie verfallen in sachfremde Polemik, bezweifeln den guten Willen Andersdenkender oder klagen über Oberflächlichkeit, Zeitgeist und Glaubensverlust. Den Heiligen Geist indessen nehmen sie als Blanko-Behauptung für sich in Anspruch. Neuerdings hörte man auch ein jammerndes „Ihr mögt mich nicht!“; mir kamen die Tränen. Ein Bischof aus Bayern erklärte sich sogar bereit, zu „gehen, wenn Ihr das wollt.“ Bisweilen wiegeln sie ab, weil ihnen – außer der Behauptung, das sei die Lehre der Kirche ‑ klare Argumente fehlen. Also heißt es, die neuen Ideen, so etwa die Synodalität, seien „theologisch“ noch nicht ausdiskutiert, man müsse erst die offiziellen und für verbindlich gehaltenen Papiere lesen oder sich der Gesamtheit der Kirche unterstellen. Doch eines ist immer klar: die Diskriminierung von Frauen, Randgruppen und Zweifelnden, die Nöte der anders Denkenden oder Empfindenden können und dürfen ihre überweltlichen Positionen nicht beeinflussen. Über die brutalen Folgen macht man sich keine Gedanken. Dostojewskis Großinquisitor lässt grüßen.
2. Die Glaubenswelt der Bischöfe
In der Aussprache, die dem Debakel folgte, hat eine größere Anzahl der ablehnenden Bischöfe ihr irritierendes Verhalten erklärt. Zu respektieren ist die persönliche Offenheit vieler Äußerungen, obwohl manchen selbst dazu der Mut fehlte; dann war das Internet blockiert. Dabei fielen zwei Reaktionsweisen auf.
Einige erklärten, sie hätten in den letzten Monaten, z.T. bei Begegnungen mit Frauen, „vieles gelernt“, doch hätten sie sich „noch nicht“ zu einem klaren Urteil durchgerungen. Faktisch baten sie um eine Schonfrist. Das klingt sympathisch. Ich frage aber zurück, wie lange diese Herrn denn noch lernen wollen. Wusste man nicht schon Monate zuvor, dass irgendwann diese Entscheidung ansteht? Welche Mitglieder eines Gemeinderats, einer Regierung oder eines Parlaments könnten sich diesen Luxus leisten? Zudem: Mit welcher Theologie wurden denn diese lernenden Lehrherren in ihrer Studienzeit ausgerüstet? Im Prinzip sind die diskutierten Kernprobleme doch seit Jahrzehnten bekannt. Man konnte sich im Für und Wider mit ihnen vertraut machen, sie schrittweise verstehen, in breitere Diskurse einbetten und mit dem eigenen Menschenbild in eine konstruktive Beziehung setzen. Offensichtlich wurden zu viele Bischöfe in perfekten Dunkelkammern ausgebildet, in denen keine Wirklichkeit, sondern nur Selbsterhaltungspflege stattfand. Oder schlimmer noch: unter dem Regime der beiden Vorgängerpäpste beschäftigte man sich wohl nur mit Positionen, die diese ihrerseits schon in ihrem Studium gelernt und zur Weitergabe genehmigt hatten. Unter einigen gelten, wie zu hören war, noch Romano Guardini (1885-1968) und Hans U. Balthasar (1905-1988) als das non plus ultra ihrer Weltkenntnis.
Wohlgemerkt, hier geht es nur um eine bischöfliche Minderheit. Doch ihr reduzierter Bewusstseinsstand möchte eine ganze Kirche blockieren und bisweilen hat sie damit Erfolg. Dies scheint mir unerträglich und einer bischöflichen Funktion unwürdig zu sein. Schlimmer noch, einige lassen sich ausdrücklich von der Rechenfrage leiten, welchen lehramtlichen Rang genau ein päpstliches Dokument hat. Etwas höher oder weniger hoch? Vielleicht kann Künstliche Intelligenz weiterhelfen? Darf man nur leise oder kann man schon etwas lauter diskutieren? Das mag dem verkürzten Problembewusstsein mancher Kirchenrechtler entsprechen, doch mit einem problembewussten und weltkundigen Denken hat das nichts zu tun, schließlich sind die Gültigkeitsfragen von Dogma, Lehramt und Unfehlbarkeit seit gut 50, wenn nicht gar seit 70 Jahren heftigsten Diskussionen unterworfen. Wenn die zögerlichen, sich enthaltenden Bischöfe davon unberührt sind, provoziert auch dies Fragen nach ihrem intellektuellen Qualitätsstand.
Tief reichte auch die Verstörung, die der eucharistische Alleingang einiger Geweihten vor Beginn des Tagesprogramms verursachte. Sie feierten gesondert ihre eigene Eucharistie. Die große Mehrheit empfand diesen Alleingang zumindest als geschmacklos, weil er in dieser kritischen Stunde das gemeinsame Bekenntnis zur kirchlichen, auch zur gegenseitigen Einheit beschädigte. Doch ausgerechnet Bischof Bätzing verteidigte die kritisierten Mitbischöfe, indem er auf das „priesterliche“ Geschehen einer Eucharistiefeier verwies. Wie war das zu verstehen? Offensichtlich scheint auch ihm die persönliche Amtshandlung eines Opferpriesters wichtiger zu sein als die gemeinsame Feier, in der nicht jeder persönlich seinen eigenen Opferrritus ausagieren kann, sondern sich in eine Gemeinschaft fügen muss. Ist eine gemeinsame Eucharistiefeier also weniger wert als zehn Einzel-Verwandlungen? Ich dachte immer, dieses Problem hätte Karl Rahner schon im Jahr 1949 mit Die vielen Messen und das eine Opfer ein für allemal geklärt. In Bätzings Reaktion steckt für mich genauso viel Unverstand wie im kritisierten Abstimmungsverhalten, denn für diese Auto-Zelebranten ist die übernatürlich sakramentale, klerikal betriebene Magie wichtiger als die erfahrbare Glaubensgemeinschaft.
Aber für mein Gefühl kam es noch schlimmer: Auf den Vorschlag, statt einer Eucharistiefeier einen Wort-Gottesdienst zu halten, erklärte Bätzing, jetzt sei „nicht die Zeit zu predigen“, sondern die Zeit, Christus gegenwärtig sein zu lassen. Offensichtlich gilt eine Predigt immer noch als das verzichtbare Nebenprodukt einer christlichen Zusammenkunft. Dass Christus zunächst in seinem Wort gegenwärtig sei, ist offensichtlich noch nicht bis nach Limburg durchgedrungen. Dabei hätte gerade an diesem Tag ein prophetisches Wort an die wahren Dimensionen erinnern können, deretwegen man zusammengekommen ist. So wurde mir erneut klar, wie hohl im Rahmen dieser Kirchenpraxis die katholische Beschwörung der sakramentalen Vollzüge klingt. Die Bischöfe haben noch einen weiten Weg zu gehen, bis sie den Glaubensstand ihrer Schutzbefohlenen erreichen.
3. Die Grenzen der synodalen Theologie
Nicht zu unterschätzen ist die Leistung der Theologinnen des SW, die bei der Erstellung der umstrittenen Dokumente eine Schlüsselrolle spielten (auch Bischöfe arbeiteten voll Inspiration mit). Zu Recht wurden sie dafür gepriesen. Etwas euphorisch fand man, in Deutschland gebe es die beste und fortschrittlichste Theologie der Welt. Doch Vorsicht, mir geht sie zu konfliktscheu und harmonisch ans Werk, als ob wir schon an der Himmelstür stünden. Dafür ist die Kirchenrealität zu machtbesetzt, weltlich und friedlos. Gewiss, die vorliegenden Grundtexte des SW sind von einer hochrangigen theologischen Expertise getragen, ebenso von einer hohen Rationalität und Wahrhaftigkeit. Doch welchen Charakter haben sie genau? Natürlich sind auch sie interessengeleitet und von kirchenpolitischen Absichten getragen. Lassen sie das selbstkritisch erkennen? Haben sie den Charakter von Fachgutachten, Memoranden, theologischen Entwürfen oder visionären Entwürfen? Repräsentieren sie ein Glaubenszeugnis oder ein Aktionsprogramm? Lassen sie erkennen, von welchen Denkrichtungen sie bestimmt sind und welche möglichen Linien sie eher schwächen? Hat man wichtige ökumenische Aspekte nicht zu Unrecht ausgeblendet? Warum erweckt man den Eindruck, als lebe die aktuelle Theologie nur von den Impulsen eines vor bald 60 Jahren veranstalteten Konzils, das eben auch Unklarheiten und spaltende Wirkungen hinterließ, also der Korrekturen bedarf? Warum wird auf Anmerkungen zu orientierender und weiterführender Literatur verzichtet und damit eine Untugend der lehramtlichen Dokumente übernommen?
Ich hätte mir gewünscht, dass die Auseinandersetzung mit konkurrierenden Positionen genauer zur Sprache kommt. Denn nicht nur die Reaktionären unter uns fragen sich, warum frühere Positionen gerade jetzt obsolet geworden sind, nachdem sie viele Epochen lang galten. Warum stimmen die alten Argumente nicht mehr? Wie kann man die innerkirchlichen Umbrüche verstehen und integrieren? Wissenschaftliche Theologie lebt auch davon, dass sie ihre Gegenpositionen aufgreift, sozusagen stark macht, deren Motive und Begründungen entziffert und fair diskutiert. Nur so kann man sie wirksam widerlegen. Gewiss, diese Schritte zurück sind mühsam, vielleicht lästig und reißen alte Wunden auf. Aber sie gehören ebenfalls zu unserer Kirche – gerade dann, wenn wir eine gesamtkirchliche Wirkung erzielen wollen.
Denn so eindeutig ist auf dem SW die Gesamtlage eben nicht: es gibt auch von kritischer Gegenseite veröffentlichte theologische Ausführungen, insbesondere von den Bischöfen Voderholzer und Oster, aber auch von den Theologinnen Hanna Barbara Gerl-Falkovitz und Marianne Schlosser.[1] Nachdem niemand auf sie antwortete, kann man auch die Frustration der Konservativen verstehen. Ich meine, dass beide Seiten gesprächs- und diskussionsfreudiger werden müssen. Theologie lebte schon immer von Auseinandersetzungen, kehren wir endlich wieder zu einer offenen Konfliktkultur zurück.
Das gilt auch für die bekennende konservative Seite. In der nachfolgenden Aussprache erklärte etwa Bischof Oster, das Sexualpapier gehe aus von „einem anderen Menschenbild, als wir es grundsätzlich haben“. Das mag stimmen, doch er hätte erklären müssen, was er mit „wir“ und was er mit „grundsätzlich“ meint. Mit „wir“ meinte er wohl die römisch-katholische Kirche insgesamt, doch verstanden wird er eben als Vertreter einer aus der Zeit gefallenen Minderheit. Faktisch trat er für die offizielle Glaubenslehre ein, doch diese hat schon lange ihre Überzeugungskraft verloren. Mit „grundsätzlich“ meinte er wohl den unerschütterlichen kirchlichen Glaubensbestand der Kirche, doch wahrgenommen wird nur eine verhärtete und besserwisserische Meinung, die alle Kontaktfähigkeit verloren hat.
Diese Diskrepanzen sind dramatisch. Warum hat sie niemand erkannt und schon im Vorfeld zum Austrag gebracht? Es gehört auch zum Stiften des Friedens und zur Eröffnung einer neuen Zukunft, offen auf solche Streitpunkte zuzugehen.
4. Ursachen und Symptome
Der SW ist in seiner Art ein neues Experiment und vermutlich hat man bei seiner Vorbereitung das Ausmaß der Differenzen unterschätzt, wenn nicht gar verdrängt. Bis jetzt arbeitete er wohl einige Takte zu schnell und zu euphorisch, ohne die hartnäckige Polarisierungen offen ins Visier zu nehmen.[2] Schnell wollte man die zermürbenden Streitigkeiten früherer Epochen hinter sich lassen und innerkirchliche Einheit demonstrieren. Dieses Schnellverfahren muss sich rächen.
Auch aus einem anderen Grund halte ich das bisherige Vorgehen für brüchig. Eine nachhaltige Reform setzt voraus, dass nicht nur die Symptome, sondern die entscheidenden Gründe der Kirchenlähmung besprochen werden. Deshalb wäre es an der Zeit für eine Grundlagendebatte, z.B. über das Menschenbild der katholischen Kirche. Wie bekannt, wurde die jesuanische Grundbotschaft nicht nur in andere Kulturen übertragen, sondern auch wiederholt von dunklen, möglicherweise giftigen Beigaben infiziert. Dies hat den jesuanischen Impulsen nicht gut getan. Darüber wäre offen und streitig zu diskutieren, nicht nur mit Bischof Oster und den Jüngern von Ex-Papst Josef Ratzinger, sondern auch mit den evangelischen Kirchen und ihren theologischen Vertretern. Weiter hilft da kein selbstgerechter Tagesstreit über die Frage, wer denn (so Bischof Oster) die Glaubenssicherheit ins Wanken bringt. Es geht vielmehr um ziemlich konkrete Inhalte unseres Menschen- und Christusbildes, der Heilslehre und eines Gottesbildes, das einem unerhörten Kulturwandel unterliegt.
Muss der SW nicht zu einer Dauerinstitution werden? Das ist eine gute Idee, falls das Wort und die Predigt endlich wieder ihren ersten Platz vor dem Sakrament erhalten.
Anmerkungen
[1] https://www.hjhaering.de/wider-das-destruktive-menschenbild-der-roemisch-katholischen-kirche-warum-eine-neue-sexualmoral-nicht-ausreicht/
[2] https://www. hjhaering.de/orientierungsloser-orientierungstext-ein-zwischenruf-zum-synodalen-weg/