Stark wie der Tod? Wie die Kirchen Ostern feiern

Den kirchlichen Verlustängsten zum Trotz bleiben die jährlichen Osterfeste am Leben, auch in unserer säkularisierten Gesellschaft. Im Laufe der Jahrhunderte wurden sie zu einem reichhaltigen Nährboden für zahllose kirchliche und säkulare, kollektive und private Bräuche, vom Osterfeuer und Gang zum Friedhof über den Osterspaziergang und den Osterurlaub, der Suche von Eiern und Schokoladehasen bis hin zu Osterbesuchen und dem Osternest bei Oma und Opa, die mit Geschenken nicht geizen. Seit einigen Jahren belebt die Kommerz die Sache nach Kräften. Ostern bewirkt den drittgrößten Umsatz im Jahr. Lego und Playmobil bieten sich für die Jüngeren an, Inlineskater, Skateboards und Eisenbahnen für die Heranwachsenden; Smartphone und Joystick sind Dauerbrenner. So bleibt Ostern allen im Gedächtnis und zusammen mit Weihnachten lebt dieses Fest munter weiter. Doch weitgehend hat es sich von seinen christlichen Wurzeln gelöst. Der Religiostät verleiht es keinen Vitalitätsschub mehr, vielmehr werden die christlichen Zutaten zunehmend ausgespült; für viele Kinder ist Ostern schon zum Hasenfest degeneriert. Die kirchlichen Meinungsführer kritisieren diese Entwicklung als Säkularisierung und fragen sich zu selten, wie groß denn ihr selbstverschuldeter Anteil an diesem inneren Zerfall ist. Dürfen sie mit eisernem Besen kehren und ihren bekennenden Anhängern solche verweltlichten Bräuche, den Osterhasen und das Biskuit-Lamm, den Osterausflug oder die Osterparty verbieten?

An sich spricht nichts dafür, dies zu tun, denn auch die kommerziellen Auswüchse sind nur die Folge eines breiten kulturellen und weltanschaulichen Reichtums, der sich mit dem Osterfest herausgebildet hat; wir können sie ruhig sich selbst überlassen und darauf setzen, dass mündige Menschen und Familien ihren Lebensstil selbst zu steuern wissen. Viel bemerkenswerter sind die vielfältigen (zugegeben, oft verdeckten) Analogien, die sich zu einem bejahten Leben, Zusammenleben und Zukunftsvertrauen einstellen, zu Kinderglück, gegenseitiger Vergebung und einem kreativen Umgang mit Schmerz und Tod, zu Fruchtbarkeit und Frühling, zur Vertreibung des Winters und zur aufsteigenden Sonne. Goethes Osterspaziergang halte ich noch immer für einen schönen Text, da er einem erfüllten Lebensgefühl Ausdruck verleiht: „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche durch des Frühlings holden belebenden Blick.“ Er strahlt Welt- und Lebensvertrauen aus. Was daran sollte unchristlich sein? Doch viele dieser Codes haben sich verselbständigt. Sie leben aus ihrer eigenen Plausibilität und die Frage bricht auf, ob dafür eine Kirche oder ein christlicher Glaube noch notwendig sind. Was ist gegen pure Lebensfreude zu sagen? Wie also ist die Osterbotschaft in ihrem Ursprung, der christlichen Erinnerung verankert und welcher unverwechselbar christliche Impuls steckt in ihr? Was ist ihr spezifischer Kontext, der dem christlichen Glauben Aktualität verleiht, also neues Leben einhauchen kann? Um eine Antwort zu finden, tut ein Szenenwechsel not.

Beginnen wir mit der Gegenwart

Seit über einem Jahr tobt in der Ukraine ein barbarischer Krieg. Markiert er, wie Olaf Scholz sagte, eine Zeitenwende? Viele von uns hat diese Ankündigung überzeugt. Zwar ist die Geschichte der Menschheit von Elend gezeichnet, solange es sie gibt. Sie hat Tausende von Kriegen und Abertausende von Morden gesehen, Millionen von unmenschlichen Verbrechen und Milliarden von Schicksalsschlägen, die wir als zutiefst ungerecht empfinden. Dennoch treffen uns auch die jüngsten großen und maßlosen Katastrophen, die wir uns für aufgeklärt und geschichtsbewusst halten, immer wieder so, als ob sie unerhört wären, also neu und einzigartig und so furchtbar, dass sie die Grundfesten des menschlichen Zusammenlebens endgültig zerstören. Dass dieses Unerwartete und Unzulässige dennoch immer neu geschieht, ruiniert auf die Dauer unser gesamtes Weltvertrauen: „Wenn einer jemanden tötet, … so ist es, als hätte er alle Menschen getötet“, schreibt der Koran in seiner Sure über die Ermordung Abels (5,32).

Dennoch setzen die Gewalt- und Kriegsgeschichten, diese Schlächterinnen der Menschheit, ihr Werk ungestört fort; offensichtlich lernt die Menschheit nichts dazu. Und oft hat man den Eindruck, selbst der Holocaust habe nichts bewirkt. Schon in der Antike haben Zyniker den Krieg zum Vater aller Dinge erklärt. Putin sieht in ihm den Neubeginn seiner (vom orthodoxen Patriarchen Moskaus gestützten) „russischen Welt“, die ihm zugleich „russischen Frieden“ bedeutet, einen Frieden, der offensichtlich nach dem Vorbild des römischen Friedens (der pax romana) funktionieren soll, da sich Moskau doch als das Dritte Rom versteht.

Haben solche Gewaltgeschichten vielleicht recht, weil sie immer wieder ihr Recht bekommen, sind sie schon längst widerlegt oder bleiben die Rechnungen immer wieder offen? Müssen wir uns also alternativ für die Lebens- oder die Todeslogik des Zusammenlebens entscheiden, also zu Vertrauenden oder zu brutalen Nihilisten werden? Oder bleibt dazwischen, wie Paulus sagt, nur noch ein widerständiges Hoffen gegen alle Hoffnung?

Wir können dieser Frage nicht in seliger Osterfreude ausweichen oder sie für schon beantwortet halten, denn das Blut Tausender von Getöteten schreit erneut zum Himmel, verbunden mit der Hoffnung, dass es eine letzte Rettung gebe, die Mörder also nicht für immer triumphieren werden. Dieser alles erschütternde Schrei nach Gerechtigkeit, der die Grundfesten unserer Welt in Frage stellt, hat mit Abel begonnen und ist seitdem nie verstummt; er ist aktueller denn je. Irgendwann muss es also eine Erfüllung geben.

Umgekehrt, so unser archaisches Gedächtnis, hat die Sintflut die Welt schon einmal an den Abgrund ihrer Existenz geführt und warum sollte sich das nicht wiederholen, wenn wir demnächst im Klima- oder Atomfeuer verbrennen? Auch heute bricht sich dieser Schrei der Verzweiflung Bahn aus Millionen von Opfern, die in unserem Jahrzehnt Verachtung und Vertreibung, schwere Krankheit, bittere Armut und ein frühes Sterben ertragen müssen. Ihre Trauer und ihre Wut sind unbeschreiblich.

Deshalb sollte, wer aus unseren biblischen Wurzeln lernen will, nicht vergessen: Der Kernauftrag und der ursprüngliche Sinn des christlichen Osterfestes sind es nicht einfach, allgemeine Lebensfreude zu verbreiten, sondern diesem Schrei der Ungezählten eine Stimme zu leihen. Die Ostererfahrungen sind aus apokalyptischen Welterfahrungen entstanden und damit aktuell. Sie gingen der christlichen Osterbotschaft voraus und leben bis heute von ihr. Auferstehung war in der Geschichte Israels schon vor Jesu Tod das Lebensthema schlechthin. Es kulminierte schon während der Verbannung nach Babylon im prophetischen Bild des Hesekiel (Kap. 37). Er sah ein Gelände, übersät mit den vertrockneten Gebeinen der Vertriebenen, die durch Gottes Geist wieder zu Sehnen, Fleisch und Leben kamen, um nach Israel zurückzukehren. Diese Totenlager mit ihren Skeletten kennt jede Epoche, auch die Gegenwart.

Um diese Rettung aus dem Tode ging und geht es im Kern auch an Ostern. Deshalb sollte sich dieses Fest nicht in der Suche nach Ostereiern oder einem leeren Grab erschöpfen, auch nicht in abstrakter Bekundung von Lebensfreude oder in begeisterten Predigten über den Sieg und die Schönheit des Lebens. Aus welcher Kraft können diese Ersatzreaktionen, doch ständig widerlegt, denn leben? Oft sind sie zu vertröstenden Opiaten degeneriert, weil sie ihre Bodenhaftung verloren haben. Zentral geht es an Ostern darum, machtvoll zu träumen vom großen Aufstand der Menschheit für ein befreites Leben und den Kampf dafür auf sich zu nehmen, sich durch eigenes Handeln in diesen Einsatz verwickeln zu lassen. Ostern ist ursprünglich das trotzige Fest der Verarmten und Leidenden, der zu früh Gestorbenen und Ermordeten, ein Fest der Solidarität mit ihnen, geleitet von der Überzeugung, dass unser Zusammenhalt so stark ist wie, vielleicht noch stärker sein kann als der Tod.

Übersteigt diese aktive Utopie unsere Kräfte? Erinnern wir uns an die Szenerie der Passionsberichte, die auch in den Kirchen am Ostersonntag schon verdrängt sind: Beim Tod Jesu herrscht die Stimmung eines Weltuntergangs, den das alte Israel gerade nicht als Weltende, sondern  als Zeitenwende versteht; es geht unheimlich zu. Die Erde bebt und die Sonne verfinstert sich, der Vorhang des Tempels zerreißt und Felsen spalten sich auf; kein Stein bleibt auf dem anderen. Gräber werden geöffnet und Verstorbene suchen die Heilige Stadt heim. Ausgerechnet der Gekreuzigte ist aber „nicht hier“. Er lässt sich in die Unterwelt hinabstoßen, um dort für einen Tag bei den Gefangenen zu sein, bevor er sie am dritten Tag im Triumphzug nach oben führt. Doch zweite Tag (Karsamstag genannt), an dem nichts zu geschehen scheint, ist die Stunde des großen unsichtbaren, uns unzugänglichen Ortswechsels und einer Migration, eines Neubeginns. Instinktiv begreifen wir: Nur in diesem Auszug aus aller alten Sicherheit, nur in diesem völligen Zusammenbruch kann das geschändete Leben wieder aufblühen, neues Leben entstehen. Die Erfahrung der Auferstehung bleibt in eine Weltkatastrophe eingefügt, aus der sie ihre unerklärlich paradoxe Kraft schöpft. Da ist noch keine erhabene Stimmung. Nichts ist überwunden, denn alles bleibt noch auf seine entscheidende Probe gestellt.

Was damals geschah

Soweit möglich, rekonstruiert der belgische Theologe Edward Schillebeeckx in seinem Jesusbuch (1973) diesen Zusammenhang aus der Sicht der Jünger. Offensichtlich treffen sie sich nach ihrem Versagen zum ersten Mal wieder in Galiläa (Joh 20, 19-23); die Initiative geht von Petrus aus. Diese Zusammenkunft wird zur großen Stunde ihrer Begnadung, wohlgemerkt nicht nach, sondern noch in der Katstrophe. Sie erfahren, von der Außenwelt noch unbemerkt, ihren Meister in ihrer Mitte und werden von seiner Gegenwart überwältigt. Sein Tod, so ihre Entdeckung, hat ihre Kommunikation mit ihm nicht zerstört; er lebt. Die bald entstandenen weiteren, von den Evangelisten gesammelten Berichte gipfeln im Symbol vom geöffneten Grab, in dessen Dunkel – in schärfstem Kontrast – das Licht des Lebens einbricht. Jetzt ist der Stachel, die unangreifbare Macht des Todes besiegt.

Zugleich erinnert Schillebeeckx an ein Problem, das wir in der Regel übersehen. Etwas abstrakt spricht er von der „Doppeldeutigkeit der Ostererfahrung“. Einfacher gesagt: Niemand kann die Auferstehung Jesu einfach beschreiben oder definieren, weil niemand dabei war; die Auferstehungserfahrung selbst wird nirgendwo genannt. Nur bei Matthäus blitzt Jesu Gestalt im Grab kurz auf und zum Siegel seiner Auferstehung wird jahrhundertelang der Abwesende, also das geöffnete Grab mit den schlafenden Wächtern. So erscheint Jesus nirgendwo im Glanz göttlicher Herrlichkeit, wie es im 16. Jahrhundert dann der Isenheimer Altar nahelegt. Dieser wird zum irreführenden Leitbild einer ganzen Epoche.

Doch zuvor schon sind alle Osterberichte in biblische Zeichen und Symbole, in menschliche Geschichten gehüllt. Anderes wäre auch nicht möglich, denn dieses systemsprengende, im Verborgenen stattfindende, nicht objektivierbare Geschehen lässt sich nur indirekt entschlüsseln und ausdeuten. Von Anfang an ist es schon im „Sarkophag des Wortes“ (P. Chatelion-Counet) gefangen, denn die konkreten Worte, in denen ich das Unnennbare zu formulieren versuche, grenzen es auch ein, lenken meine Vorstellungen auf bestimme Spuren und schließen dadurch andere aus, sodass zu diesem begrenzenden Wort immer auch das Schweigen gehört.

Am nächsten kommt ihm wohl der ursprüngliche Schluss des Matthäusevangeliums, der geradezu vom Gegenteil spricht: „Da verließen sie das Grab und flohen; denn Schrecken und Entsetzen hatte sie gepackt. Und sie sagten niemandem etwas davon; denn sie fürchteten sich sehr.“ Nach Johannes wussten sie nur aus der Schrift, also nicht aus eigener Anschauung, dass er auferstanden war. Später erklärt Johannes, aus Furcht vor den Juden hätten die Jünger die Türen verschlossen. Maria von Magdala konnte ihren Meister gerade nicht festhalten. Auch nach Jesu Himmelfahrt verharrten sie einmütig, sozusagen stumm, im Obergemach (Apg 1,13) und erst an Pfingsten lösten sich ihre Zungen.

So triumphal österlich war dieser strahlende Ostermorgen also nicht, auch die Frauen gingen bei Dunkelheit zum Grab. Dass Jesus bei der wohl ersten Begegnung in die Mitte seiner Jünger trat, zu ihnen sagte: „Der Friede sei mit euch!“ und ihnen die Vergebung der Sünden zusprach, das ist – genau gesagt – schon die erste greifbare Folge seiner Auferstehung, eine anschaulich gemachte Darstellung, eine in Sprache gefasste Präsentation des unaussprechbaren Geschehens selbst. Genau dies gilt auch für alle anderen Osterberichte, etwa vom weggerollten Stein und von den Männern oder dem Engel in der Grabeshöhle, von den Emmausjüngern, die ihn in einer höchst verschlüsselten Botschaft beim Brotbrechen erkennen, von Maria aus Magdala die einem Gärtner begegnet, oder vom höchst misstrauischen Thomas, der (in massiver Verfremdung der Ereignisse) seine Hand in die Seite Jesu legt.

Gewiss, es sind höchst eindrucksvolle und prall gefüllte Geschichten, die aller Beachtung wert sind, in eine berührende Sprache aufgenommen, im Laufe der Jahrhunderte künstlerisch dargestellt und theologisch ausgedeutet wurden. Doch zwangläufig lenken sie ebenso vom Kerngeschehen ab, wie sie es zur Sprache bringen. Sie alle verführen nämlich zur Frage, wie es denn wirklich gewesen ist, was denn Jesus wirklich gesagt und getan hat, ob besser von Auferstehung oder von Auferweckung zu sprechen sei. Sprache kann Überzeugungen ersetzen. Sie macht es möglich, die Ur-Gegenwart der Auferweckung – ein streng überzeitliches, immer gegenwärtiges Geschehen – in die Vergangenheit des damaligen Ereignisses zurückzudrängen. Schließlich verbleiben alle Berichte und Bekenntnisse in der Vergangenheitsform, obwohl sie Gegenwart meinen; sie verbleiben im Prägemal schon bestehender Projektionen.

Auch bei Paulus zeigt sich diese Ambivalenz. Zwar gilt ihm Christus als Urbild und Anführer des über allen Tod erhabenen Lebens. Allen ist er – sozusagen aus eigener Initiative – erschienen. Doch Paulus kann diese Verhältnisse auch umkehren und Christus zum nachfolgenden Siegel und Beleg des endgültigen menschlichen Lebens erklären: „Wenn Tote nicht auferweckt werden, ist auch Christus nicht auferweckt worden.“ (1 Kor 15, 16) Das ist ein explosiver, alles in Frage stellender Satz, denn offensichtlich lässt sich seine Auferstehung nur als Abbild unserer Auferstehung denken. Anders gesagt: Offensichtlich kann zur Ostererfahrung selbst nicht durchdringen, wer nicht unseren solidarischen Kampf um die Vernichtung des Todes aushält, in Schrecken und Entsetzen durchsteht.

Ein Faktenprotokoll?

In der späteren Geschichte des Christentums mutierten diese zerbrechlichen, in sich gespaltenen Erzählungen zu überreflektierten Protokollen eines Geschehensablaufs. Sie wollten präzise Objektivität vortäuschen und die Auferweckung Jesu von unseren existentiellen Hintergründen trennen, um sie von ihrer Zerbrechlichkeit zu befreien. Jetzt formuliert man (etwa in den Glaubensbekenntnissen) eine universal gültige Aussage, die von der persönlichen Situation unabhängig ist. Das kommt den Herrschenden und Etablierten der Welt zugute, die sich in diesem Siegesgeschehen sonnen können, und glättet den gewaltigen Stachel des Scheiterns, des gewaltsamen und ungerechten Todes ab. Zudem verleiht der Opfer- und Sühnegedanke dem Tod Jesu eine weniger raue Plausibilität, weil er dem Tod einen Sieg des ausgleichenden Handels zuspricht.

Seitdem bauen zahllose Osterpredigten auf diesem Denkschema auf und möchten kraft dieser Strategie die unvermeidlichen Zweifel der Hörenden einhegen. Das ursprüngliche, von Überwältigung und Überraschung getragene Bekenntnis zum Auferstandenen wird zur trotzigen Behauptung: ‚Keine Frage, Ihr Zweifler, ihr ungläubigen Thomasse, der Herr ist wahrhaft auferstanden und wir können dies garantieren!‘ So tönt es selbstbewusst von Rom bis Moskau, von den Südstaaten der USA bis zu den Philippinen. Von Südafrika bis nach Finnland. Dabei müsste doch dieses auftrumpfende „wahrhaft“ zumindest ersetzt werden durch ein vorsichtigeres „eigentlich“, das zum Nachdenken einlädt, die bleibenden Zweifel ernstnimmt und diejenigen respektiert, die den Kampf noch nicht ausgekämpft haben: Eigentlich, so meine Hoffnung, sind wir mit ihm auferstanden.

Bischof Genn (Münster) geht in seiner Osterpredigt von 2023 noch einen Schritt weiter. Er spricht gar vom österlichen Jubel und entdeckt in ihm „eine radikale Relativierung all der Mächte der Tötenden und des vielfältigen Todes.“ Wie bitte? Welcher Jubel relativiert denn die Raketeneinschläge in ukrainischen Städten, die Verbrechen der Kinderschänder und die brutale, oft tödliche Einkerkerung von Protestierenden in Russland, Belarus oder im Iran? Dieser Osterjubel widerlegt sich schon, bevor er ganz ausgesprochen ist. Bischof Marx (München) wurde da wenigstens konkreter, indem er einige Bedingungen für den Realitätsgehalt der Osterfreude nannte: Barmherzigkeit, Friede und Versöhnung, den Aufstand gegen Egoismus und Verzweiflung, gegen Gewalt, Aggression, Krieg und Hass. Er war wenigstens auf der richtigen Spur.

Kerngeschehen und kulturelle Diffusion

Es ist nicht zu leugnen und warum sollte man sich nicht darüber freuen: Im Verlauf von zwei Jahrtausenden ist der Osterimpuls in breite kulturelle Schichten eingedrungen, notwendigerweise auch in seinen zahllosen Ausläufern verflacht. Doch immer noch stärkt er Lebensvertrauen und weckt er allgemeine Zuversicht. Er belebt unauslöschbare Analogien in der aufgehenden Sonne und im aufbrechenden Frühling, im liturgischen Spiel der Lichter, in zahlreichen Ostergesängen, in bürgerlicher Daseinsfreude, im Beschenken der Kinder und der Begegnung von Familien. Doch wenn es dabei bleibt, werden die Kirchen und ihre Botschaft irrelevant, denn diese Erinnerung hat ihre vitale Verankerung in der apokalyptischen Katastrophenerfahrung verloren, von der sie einst ausgegangen ist. Wir müssen neu lernen, dass Jesus (primär und elementar) in den Geschlagenen und Verzweifelten, in ihrem Untergang und in ihrer erhofften Rettung gegenwärtig ist. Wir müssen in diese Schrecken eintauchen, es bei den Gescheiterten aushalten, uns mit Orten des Todes konfrontieren lassen.

Nutzlos scheinen mir, wie schon gesagt, alle österlichen Beteuerungen, wenn sie nur die zur These geronnene Behauptung wiederholen, der Herr sei doch auferstanden. Denn die Verzweifelten möchten erfahren, wie er den Tod hier und jetzt für sie überwindet. Wir sollten die Katastrophe des Karfreitags nach drei Tagen nicht schon wieder verdrängen, denn vorläufig gehören die beiden zusammen. Auch an Ostern müssen die Kirchen den Ausgestoßenen dienen, ihre prachtvollen Hochämter zu Essenstafeln für Bedürftige erweitern oder gar durch sie ersetzen. Schon Johannes hat das Gedächtnismahl Jesu mit dem Bericht von der Fußwaschung ausgetauscht. Stark wie der Tod macht keine glanzvolle episkopale oder päpstliche Liturgie, sondern nur die Kraft derer, die den Mut haben, sich gegen den Tod auf die Seite der Todgeweihten zu stellen.

Einer, der es begriffen hat

In der vergangenen Osterwoche verstarb der französische Bischof Jacques Gaillot, ehemals Leiter der französischen Diözese Évreux, der sich mit Leidenschaft in der Öffentlichkeit gegen Aufrüstung, für Friedensaktivisten, Eingewanderte und politisch Verfolgte einsetzte, innerhalb der Kirche für Homosexuelle und Geschiedene sowie gegen den Pflichtzölibat  kämpfte. Er schrieb Bücher wie „Die Welt schreit, die Kirche flüstert“ oder „Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts.“ Auf politischen Druck hin degradierte ihn Rom 1995 zum Titularbischof der nordafrikanischen Diözese Partenia, die seit etwa 1.400 Jahren im Wüstensand verschwunden und in Rom als Diözese „in den Gebieten der Ungläubigen“ registriert ist. Doch was das machtgierige Rom damals als Hohn initiierte und zu Gaillots Karriere-Ende führen sollte, das wandelte der Geschmähte in ein zutiefst christliches Zeugnis der Nähe zu den Gedemütigten um. Im Internet erweckte er Partenia auf als „Diözese ohne Grenzen“, in dem sich die Ortlosen finden konnten. Er kümmerte sich um die Zögernden und Fragenden u.a. mit Hilfe seiner Website partenia.org., die er von seiner Klosterzelle in Paris aus versorgte und die wohl auch jetzt nicht verschwinden wird.

So übersetzte er in authentischer Weise die jesuanische Botschaft für solche, die ihren Weltuntergang zu ertragen hatten. Er bot ihnen kein abstrakt theologisches Wissen und keinen Osterjubel an, sondern eine neue Zukunft, kein Opium für eine wohlsituierte Alltagsroutine, sondern Gemeinschaft und Gespräch, nach Möglichkeit Unterstützung, eine elementare Kraft zur Realitätsbewältigung in den Gräbern ihres gescheiterten Lebens. Für seine Osterbotschaft musste man nicht fürchten, denn bei ihm konnte man wissen, auf wessen Seite er steht.

Solange wir das bei anderen kirchlichen Vertretern, Institution oder Gemeinden nicht so genau wissen und solange diese sich noch um kirchliche Vorrechte und den Schutz des eigenen Ansehens, um die Wahrung der kirchlichen Würde streiten, kann (aus ursprünglich christlicher Sicht) von der ersehnten Zeitenwende und einer Rückkehr zur Kernbotschaft des Osterfestes noch keine Rede sein. Die Vorhänge ihrer Tempel werden allesamt zerreißen.