Unter dem Titel „Die kirchliche Trinitätslehre ist überholt“ veröffentlichte Publik-Forum (10/2023) meine Reaktion auf die Beiträge, die Joachim Negel zur christlichen Lehre vom dreifaltigen Gott geschrieben hatte. Diese Beiträge, meine Antwort sowie eine Replik von Joachim Negel sind in www.publik-forum.de dokumentiert. Angesichts der gravierenden Missverständnisse, die Negel meiner Antwort entgegenbringt, soll eine nochmalige Antwort meinen eigenen Standpunkt genauer klären. Die entscheidenden Inhalte sind auch ohne Kenntnis der vorhergehenden Debatte verständlich.
Sechs Tage nach meiner Geburt wurde ich im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft und ich habe versucht, mein Leben nach diesem biblischen Dreiklang zu gestalten. Dass Kollege Negel mir vorhält, ich verabschiede mich vom „innersten Kern des neutestamentlichen Glaubensbekenntnisses“ und ich beerdige eine „bald 2000-jährige, überaus reiche Denk- und Frömmigkeitstradition“, das halte ich, gelinde gesagt, für übergriffig. Doch auch vom Kirchenvolk scheint er keine gute Meinung zu haben. So klagt er, Worte wie Gnade, Erlösung oder Menschwerdung Gottes würden kaum mehr verstanden; nach den Gründen dieses Sprachverlustes fragt er nicht. Hans Küng, der ein Leben lang den irrationalen Lehrstrategien von Bischöfen und Päpsten widerstand, bezichtigt er kaltblütig eines Rationalismus, der (oh Schreck!) auch mich in den Abgrund gezogen hat. Seit etwa 10 Jahren dachte ich, wir hätten die Zeiten der Glaubensbelehrer überstanden. Vielleicht ließ sich Negel vom Titel meines Beitrags irreführen. Wirklich gelesen und verstanden hat er ihn wohl nicht.
Die bekannte Anfrage
Was war geschehen? In Publik-Forum vom 26. Mai 2023 habe ich mich kritisch mit J. Negels vorangehenden Texten zur Dreifaltigkeit auseinandergesetzt. Mir ging es gerade nicht um die Abschaffung eines Glaubensguts, sondern um die befreiende Öffnung der vielfachen, spirituell reichen triadischen Gottesreden, die heute zumal im Gespräch mit der Mystik, der Spiritualität und anderer Religionen neues Interesse finden. Zu befreien, so mein Vorschlag, ist der Trinitätsgedanke von seiner offiziell dogmatisierten, spätantik ontologischen Engführung[1], die sich im Lauf der Jahrhunderte wie ein Panzer um die dreifache Fülle von Erfahrungen, Bildern, Symbolen und Überlegungen gelegt hat.
Gemeint ist die dogmatische, d.h. verbindliche, gesetzes- und strafbewehrte Festlegung auf einen Gott mit einem Wesen und drei Hypostasen bzw. Personen, auf einen Christus, vor allen Zeiten gezeugt, mit zwei Naturen (wobei die göttliche Hypostase die menschliche Natur „enhypostatisch“ aufgenommen hat) sowie auf einen Geist, der vom Vater (eventuell auch vom Sohn) ausgeht. Kaiser und Hierarchen haben die hochkomplizierte Theorie zwischen 325 (Chalkedon) und 675 (Toledo) entwickelt und zum Reichgesetz erhoben.
Dabei maße ich mir über die damaligen Entscheidungen kein Urteil an, begegne ihnen hingegen mit Respekt. Doch scheint es mir selbstverständlich und Zeichen gerade für diesen Respekt, dass wir uns nach rund anderthalb Jahrtausenden über die Grenzen des damaligen Weltwissens Rechenschaft ablegen. Wir sollten für unsere heutigen Glaubens- und Welterfahrungen mit ihren unerwarteten Problemzonen eine neue offizielle Sprache finden. Dazu ermutigt mich auch die Tatsache, dass (wie K. Rahner einmal sagte) Jesus von dem spätantiken Trinitätskonstrukt wohl nichts verstanden hätte.
Zur offiziellen Trinitätsdoktrin verwies ich auf drei aktuelle Problemzonen, die den christlichen Glauben irgendwann sprengen könnten, falls wir ihn nicht neu ausformulieren: (1) die dramatische, philosophisch definitorische Umdeutung der ursprünglich jüdischen Jesustitel, z.B. „Sohn Gottes“, (2) die Inkulturation biblischer Aussagen und des biblischen Heilsverständnisses in griechisch-philosophische Denkwelten, die der Erzählung von Geschichten und Ereignissen fernstehen, (3) der Absolutheitsanspruch gegenüber anderen Religionen, den die klassische Trinitätslehre noch heute ausstrahlt, da es auf Erden nur einen wahren Gottessohn geben kann.
Auf den ersten Punkt hat Negel eine Teilantwort gegeben, den Rest blieb er schuldig. Offensichtlich gibt es für ihn nur einen einzigen Wahrheitsboten der Welt, der Gott „wesensgleich“, also der einzige in seinem Wesen Gottgleiche ist und alle anderen Religionen zu „defizitären“ Heilsveranstaltungen degradiert, wie J. Ratzinger es 2000 zum Ausdruck brachte. Aus genuin christlichen Gründen scheint mir dieser Absolutismus nicht haltbar.
Breite Verunsicherung
In der Tat lassen wir uns von unterschiedlichen Erkenntnisinteressen leiten. Negel betrachtet den Trinitätsgedanken als einen Feuerstein, aus dem sich jederzeit Funken schlagen lassen. Das will ich ihm nicht verwehren, doch warne ich davor, den Feuerstein in einem altertümlichen Pulverturm zu zünden, in dem die Munition offen herumliegt. Schlimmer noch: auch Negel weist daraufhin, dass aus den Konzilsdefinitionen von damals heute überhaupt kein Feuer mehr zu schlagen ist. Dank veränderter Kontexte ist das spätantike Pulver taub geworden und es wäre die Aufgabe einer zeitgemäßen Theologie, den Faktor Kontextualität mit seiner emanzipatorischen Potenz nicht nur auf gegenwärtige Kulturen anzuwenden, sondern auch auf die Abfolge von geschichtliche Perioden, den Wechsel von Paradigmen. Selbst die Botschaft Jesu und die Botschaften der Schrift sind kontextuell zu analysieren und faktisch geschieht das täglich.
Deshalb ist der aktuelle Sprach- und Impulsverlust in Sachen Trinitätsdogma kaum den seinsvergessenen Gegenwartschristen anzulasten, sondern einer Theologie und einer Verkündigung, die kulturelle Umbrüche schlicht ignoriert und von epochalen Umwälzungen nichts wissen will. Was Negel etwa mit seiner Moltmann-Anekdote gegen mich einbringt, sollte er erst einmal auf sich anwenden; er ist es doch, der das genannte Problem abblendet. Doch angenommen, Moltmanns StudentInnen hätten dessen eigene Trinitätslehre dargelegt, dann hätte der interessierte Moscheevorsteher sie wohl kaum verstanden, sondern wäre dem Schwindel der Begriffe erlegen.
Konkret: Moltmann konfrontiert uns mit Begriffen wie immanente und ökonomische Trinität, Zeugung und Geburt des Sohnes, innertrinitarische Prozessionen, Wesen, Prosopon (Persona) und Hypostase, Ausgang des Geistes vom Vater und Empfang seiner Gestalt vom Sohn, Perichorese und Modalität, Seinsweise und distinkte Subsistenzweise, Modalismus und subsistierende Relationen., klerikaler Monotheismus und trinitarische Reichslehre (J. Moltmann, Trinität und Reich Gottes. Zur Gotteslehre, München 1980). Das sind keine religiösen Sprach-, sondern überdeterminierte Reflexionsspiele.
Will Negel uns unter diesen Vorgaben auf ein repetitionspflichtiges Dogma früherer Jahrhunderte und auf deren spätantiken Bildungskanon verpflichten? Dazu höre ich nichts. Ist nach anderthalb Jahrtausenden eine bescheidene Neubesinnung zu viel verlangt? Offensichtlich hat auch er zu diesem spätantik-hellenistischen Überbau keine intensive Beziehung.
Mit seinen vielen Verweisen auf andere triadische Dimensionen unserer Glaubenserfahrungen rennt Negel offene Türen ein, ebenso mit manchen exegetischen Hinweisen. Bisweilen meint er jedoch, das spätere Trinitätssystem habe sich geradezu harmonisch und bruchlos aus den biblischen Schriften heraus von selbst entwickelt. Negel spricht gewinnend vom „persongewordenen Zusagewort Gottes“, von Jesu „Vertrautheit mit seinem himmlischen Vater“ vom „Ebenbild des unsichtbaren Gottes“ und davon, dass den Vater sieht, wer Jesus gesehen hat. Doch er verschweigt, dass diese Bilder den Übergang zu einer philosophischen Wesensdefinition nicht rechtfertigen. Der Übergang von biblischen Hoheitstiteln zur ontologischen Wesensgleichheit bezeichnet einen qualitativen Schritt, der sich aus seinen Vorgängerkonzepten nicht begründen lässt. Im Gegenteil, die vielen gewinnenden triadischen und christologischen Umschreibungen, Metaphern und Erzählungen werden von den dogmatischen Definitionen gedeckelt, eingeschnürt und auf ein philosophisches Konstrukt reduziert.
Da mag Negel den Gregor von Nazianz noch so sehr als „feinfühligen Ausleger des alttestamentlichen Hoheliedes“ und Hugo von Sankt Victor als „Vorläufer des dialogischen Personalismus“ preisen, der spätantiken Entfremdung durch die konziliaren Rahmenformeln tut das keinen Abbruch. Auch Negel müsste klar sein, dass diese hochamtlichen Definitionen der Gott, Jesus und Geist gewidmeten Sprachvielfalt keinen schützenden Raum gewähren, sie also nicht zur Geltung kommen lassen.
Dabei nehme ich an, dass Negel auch für Gottesdienstbesucher und loyale KatholikInnen schreibt, die sich dem Trinitätsdogma durchaus noch verbunden fühlen. Nicht ich, sondern Negel also ist es, der diese Verunsicherung fahrlässig wuchern lässt. Dass wir nicht mehr unter der Fürsorge eines byzantinischen Pantokrators, sondern in einer intensiv globalisierten, massiv technisierten und kybernetischen Welt leben, das ist nicht die Schuld einiger als rationalistisch beschimpfter Theologen, sondern der Gang der Geschichte, auf den wir zu reagieren haben.
Kampfwort Enthellenisierung
Offensichtlich steht Negel in J. Ratzingers Tradition, der mit großer Virtuosität die „Enthellenisierung“ zur Wurzel aller Gegenwartshäresie erhoben hat. Auch K. Rahner hat bei seiner Theorie vom „anonymen Christen“ wohl übersehen: Mit trickreichen Wortspielen gewinnt man keine neuen Kirchenmitglieder, sondern vertreibt eher die noch Verbliebenen, weil man die Suche nach einer zeitgemäßen Sprachwelt verwehrt. Ferner erinnert mich Negel an den höchst irrationalen Rundumschlag, zu dem Karl Lehmann 2006 im Namen der deutschen Bischofskonferenz ausholte. Er sagte der „Postmoderne“ den Kampf mit der Behauptung an, in ihr spiele die Wahrheitsfrage keine Rolle. Zwar zitierte er nur einen oder zwei französische Philosophen, doch faktisch haute er die gesamte Gegenwart in die Pfanne, flunkerte von Esoterik und Spaßgesellschaft, um dieser das Trinitätskonzept aus vergangenen Zeiten als Rettung anzubieten. Die pluralistische Religionstheologie wird ihm zum Feindbild, die dogmatisch verbürgte und verfremdete Trinitätslehre zur einzigen Rettung.
Gibt es Auswege? Mit Recht veweist Negel auf die Basisformel des Ökumenischen Weltrats, die ich selbst schon erwähnt hatte. Sie bekennt „den Herrn Jesus als Gott[!] und Heiland“, was von Anfang an exegetische Bedenken hervorrief. Doch die Basisformel erklärt zugleich, dass dieses Bekenntnis „gemäß der Schrift“ zu geschehen habe. Genau diesen Interpretationsfilter schlage ich vor, der sich im gegenwärtigen Kulturbruch als ein Glücksfall erweist. Er bringt nämlich Erzählungen, Bilder, poetische Texte, bedeutungsoffene archaische Symbole zur Geltung, die für uns eine neue Unmittelbarkeit entwickeln können. Die Vorbehalte also, die gegen die dogmatische Überdeterminierung eingebracht werden, erweisen sich als Dienst an der elementaren Jesusbotschaft, die noch nicht mit der Last der Besserwisser, Definierer und Verurteiler zu kämpfen hatte, sondern die Energie derer befeuerte, die sich – zusammen mit Anderen – auf den Weg der Wahrheitssuche machten.
Dass auch die Schriftzeugnisse behutsam und bisweilen mit rationaler Distanz zu untersuchen sind, steht auf einem weiteren Blatt; auch daran hat Negel nicht gedacht. Es sind die kaum beachteten antijüdischen Frontstellungen, die den damaligen jüdisch-christlichen Konflikten geschuldet sind. Wenn etwa Johannes erklärt, die Juden hätten den Teufel zum Vater (Joh 8,44), dann hat er eine Schwelle der Geschwisterlichkeit überschritten. Oder wenn die im Judentum verfügbaren Hoheitstitel ausschließlich auf Jesus angewandt, er also der Sohn bzw. Knecht Gottes, das Wort Gottes, der Messias/Christus oder Menschensohn wird. Ein vergleichbare Suggestion geht von den prophetischen Handlungen aus, die in ihrer Summe nur noch in Jesus entdeckt werden: Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf, Armen wird die frohe Botschaft verkündet (Mt 11.15). Das ist keine tendenzfreie Rede mehr.
Auch über diesen frühen Drang zum christlichen Heilsmonopol ist endlich offen zu reden. Er hat bis heute seine Auswirkungen und zeugt sich fort in der aktuellen Unfähigkeit der katholischen Kirche, grundlegende Reformen anzupacken. Ihre Halsstarrigkeit hat nicht nur strukturelle, sondern handfeste dogmatische Gründe, über die wir endlich offen reden sollten. Denn das offizielle Trinitätsbekenntnis mit seinen geschichtsfernen Systemkomponenten ist ein ausgesprochen machtförmiges Produkt, der Prototyp aller Theologie „von oben“. Joachim Negel hat es sich damit zu einfach gemacht. Denn reformfähig wird nur eine Kirche, die „von unten“ denkt, dadurch wieder unterscheidbar wird und nicht so tut, als könne sie frühere Brüche folgenlos tabuisieren oder harmoniefreudig übertünchen.