„Sie werden mich nicht verstehen“ – Bischof Kohlgraf hat sein Thema noch nicht gefunden.

Er ist freundlich und offen, lächelt ausgeglichen und was er in den letzten Jahren geschrieben hat, lässt viele hoffen. Musterzitate aus seinen letzten Büchern sind im Umlauf. Kirchliches Amt bedeute Beziehungsarbeit, Kommunikation und Hinhören, Diakonie sei ein Lebensvollzug der Kirche und es gelte, andere Leute nie für dümmer oder unmoralischer zu halten als sich selbst. Das sind Programmpunkte, die man gerne hört. So verfolgte ich mit positiven Erwartungen das von Philipp Engel moderierte Gespräch zwischen Peter Kohlgraf, dem designierten Bischof von Mainz, und zwei reformorientierten Katholikinnen und einem Mann mit evangelischer Sozialisation[1].

Das Gespräch war nicht spektakulär und weckte in vielem den sympathischen Eindruck eines suchenden Menschen, der seine Lösungen noch nicht vor sich herträgt. Allerdings klang mir vieles noch vage. Der Befragte verpasste die Chance, plakative Fragen zurechtzurücken oder zu vertiefen. Und schließlich beschlich mich eine schwer definierbare Ratlosigkeit, die mir liberale Kirchenleiter schon oft bereitet haben. Bei aller präsentierten Offenheit verbleiben sie streng im System, das die Kirchenleitung seit Jahrzehnten schon definiert und mit harten Bandagen durchgesetzt hat. Letztlich ist auch Kohlgraf in sie eingebunden. Dies sei zunächst an fünf Beobachtungen gezeigt.

I. Die Überraschung: Unverzeihliche Defizite

(1) Standardsprache weltfern:
Im Gespräch wurde die kirchliche Standardsprache als langweilig und weltfern charakterisiert. Welch interessantes Einstiegsthema! Doch Kohlgraf beließ es in subjektiver Befindlichkeit. Der eine mag’s traditionell, wie er meinte, der andere jugendbewegt, wie eine Teilnehmerin beipflichtete. Doch er fragte nicht weiter, wie die liturgische Standardsprache zur jesuanischen Botschaft, zum Autonomiebewusstsein oder zum wissenschaftlichen Weltverständnis der Gegenwart passt. Wie autoritär sind die in der Standardsprache verpackten Gottesbilder, wie fixieren sie Erlösung und Sakrament als Mythos, wie patriarchal wird das christliche Heilsverständnis noch immer verschlüsselt? Unsere Sprache hat uns alle ja schon im Griff, bevor wir überhaupt zum Denken kommen und durch Hubertus Halbfas sind solche Aspekte zum Gemeingut zumindest der Religionspädagogik [2]. Leider wurde die Chance verpasst, diese Thematik aus ihrer subjektiven und ergebnisarmen Beliebigkeit herauszuholen.

(2) In Genderfragen naiv:
Auch die Naivität in Genderfragen hat mich erstaunt. Kohlgraf erklärte, nur Männer könnten Priester werden, weil Jesus ein Mann gewesen sei, und mühelos führten die Gesprächspartnerinnen dieses Argument ad absurdum, da das göttliche Wort laut Glaubensbekenntnis nicht Mann, sondern Mensch geworden ist. Offensichtlich prägt den neuen Bischof noch immer das Denken von Johannes Chrysostomus, der vor über 1½ Jahrtausenden gestorben ist[3]. Hat Kohlgraf zu diesen Fragen je ein evangelisch-theologisches Buch gelesen und warum kennt er keine anderen Diskurse? Nach meinem Dafürhalten sollte ein solches Defizit einem mitteleuropäischen Bischof nicht passieren. Nebenbei, es gibt schon zahlreiche katholische Bischöfinnen und Priesterinnen, auch wenn Rom sie nicht anerkennt.

(3) Priestertum unreflektiert:
Unterdeterminiert schien mir auch Kohlgrafs Theologie vom Priestertum. Vorgeschlagen wurde, beim aktuellen Priestermangel die Eucharistiefeier notfalls in die Hände der Gemeinden zu legen. Kohlgraf konterte mit dem unsäglichen Vorwurf, so würden das Priestertum, alle Sakramentalität und das Wesen der katholischen Kirche ausgehöhlt. Dabei müsste er doch wissen: Historisch und inhaltlich geht die Gemeindeleitung seiner sakralisierten Priestervariante voraus. Darüber müsste man diskutieren. Wer zudem meint, die Gültigkeit der Eucharistie hänge von einer geheimnisvollen Wandlungsvollmacht ab, nimmt weder die Schriftzeugnisse noch die geschichtlichen Entwicklungen ernst.

(4) Wahrheit autoritär:
Letztlich entpuppte sich Kohlgrafs Verständnis von Wahrheit als autoritär. Er „weiß“, wie er wiederholt erklärte, dass sich am Ordinationsverbot von Frauen auch in Zukunft nichts ändern wird, deshalb hält er die Diskussion darüber für vertane Zeit; für engagierte Frauen klang das nicht unbedingt höflich. Dabei begründete er seine Position weder mit biblischen noch mit anthropologischen Gründen, sondern mit einer 2000-jährigen Tradition und mit autoritären Argumenten: Auch Papst Franziskus habe das so entschieden und kommende Päpste würden das nicht anders entscheiden. Angesichts der differenzierten Forschungslage in Theologie- und Kirchengeschichte klang das doch etwas einfach und abgenutzt.

Man erinnere sich an das katholisch beliebte, ewig missbrauchte Traditionsargument: Bis 1870 war man davon überzeugt, der Kirchenstaat könne nicht untergehen, weil es ihn schon so lange gab. Vor 100 Jahren arbeiteten die christlichen Royalisten noch mit der Behauptung, Könige habe es schon immer gegeben. Und vor 60 Jahren hörten wir noch, gemäß aller Tradition sei der Mann „befehlsbefähigt“ und die Frau „gehorsamsgeeignet“, seien Mannesgehorsam und Frauenbefehl also gefährlich[4]. Bald lösten sich diese Argumente ins Nichts auf, aber ihre Korrektur wurde nie thematisiert. Im Gegenteil, 1870 definierte sich die römisch-katholische Kirche in der Panik eines dennoch endenden Kirchenstaats mit unfehlbarer Gewissheit als eine absolute Monarchie. Und dabei ist es geblieben. Offensichtlich ist es die im 2. Vatikanum ausgeweitete Unfehlbarkeitsideologie, auf Grund derer Kohlgraf die Diskussion der Frauenordination für sinnlos hält.

Im Eifer dieser Diskussion verstieg sich Kohlgraf zu der fatalen Behauptung: „Wir werden uns nicht verstehen, weil wir von unterschiedlichen Voraussetzungen ausgehen.“ Das sagte er, wohlgemerkt zu einer kirchlich hoch engagierten Frau, an deren Loyalität zur katholischen Kirche kein Zweifel bestehen kann. Und das sagte derselbe Mann, der noch vor zwei Jahren mit der Aussage punktete: „Halte andere Leute nie für dümmer als dich selbst.“[5] Was nun, warum sollte eine intelligente Frau nicht fähig sein, Kohlgrafs Voraussetzungen zu verstehen? Offensichtlich kommt seine kirchliche Wahrheit noch immer aus einer übernatürlichen Welt, die eben in Gehorsam zu akzeptieren ist. So gesehen hält der Bischof den Satz des Theologen Kohlgraf nicht widerspruchsfrei aufrecht.

(5) Unangemessene Rhetorik:
Gelegentlich blitzten die Folgen dieser autoritären Theologie in Kohlgrafs Rhetorik auf, die dann zu Vereinfachung und populistischen Attituden neigte. So möchte Kohlgraf nicht mit der roten Sonne von Capri beerdigt werden. Geschenkt, Herr Bischof, dafür plädierten auch die Gesprächsteilnehmer nicht. So nebenbei kritisierte er den Ritus brennender Räucherstäbchen als untauglich zur Vorbereitung auf den Tod, gab also eine östlich orientierte Spiritualität der Lächerlichkeit preis; ich hielt das für unangemessen. Trotz der komplexen Diskussionslage qualifizierte er die Forderung nach Frauenordination als leichtfertig, stattdessen sollte er über die Leichtfertigkeit nachdenken, mit der er die Frage zahlloser Katholikinnen vom Tisch wischte. Die Frage „Wozu Kirche?“ schmetterte Kohlgraf mit der Bemerkung ab: „Wir[?] haben eine gute Botschaft“. Dabei zog niemand unter den Beteiligten die hohe Qualität der christlichen Botschaft in Zweifel. Er hätte auf den Kern der Frage antworten müssen: Bringt die römisch-katholische Kirche die jesuanische Botschaft überhaupt noch glaubwürdig zur Geltung? Auf diese Frage hätte er nicht so einfach antworten können.

II. Die Entdeckung: In viel Watte verpackt

Diese Schwächen, innerhalb von 30 Minuten manifestiert, machen mich nachdenklich. Legt der neue Bischof konsequent Zeugnis von einem dialogischen und kommunikativen Amtsverständnis ab, für das er gerühmt wird? Ein Blick auf das römisch-hierarchische System hilft, Kohlgraf richtig einzuordnen, denn er gleicht seinen älteren Amtskollegen mehr, als den Hoffenden bewusst sein mag. Er wird mit viel Sympathie empfangen und baut diese Zustimmung zielstrebig aus. Man kann darüber streiten, denn dazu gehörten eine öffentliche Wohnungsbesichtigung und eine professionelle Einführung in die sattsam bekannte und doch wohl obsolete bischöfliche Repräsentationskunde: Brustkreuz, Ring, Stab, Wappen und Wappenspruch. Ich finde diese Schau der feudalen Hoheitszeichen für einen bekennenden Freund der Armen, der er sein will, peinlich.

Doch konziliaren Vorsätzen und dem vielgerühmten Katakombenpakt zum Trotz hat sich die römisch-katholische Kirche seit 1980 neu mit ihrem alten Gepränge versöhnt. Immer nachdrücklicher mauserte sich der Vatikan zum Meister der Medien. Weltjugendtage und Papstreisen wurden zu medialen Großereignissen und Kardinalsernennungen zu einem Farbenrausch, der es mit jedem Fernseh-Event aufnehmen kann. Dies geschah nicht aus Eitelkeit, sondern aus dem Wunsch heraus, weltnah zu wirken. Die kirchliche Botschaft wird mit höchster Freundlichkeit und Menschennähe umgeben und von Papst Franziskus hat dieses Vorgehen nicht viel verstanden, weil es Taktik bleibt. Nach außen wird relativiert, was an autoritäres Verhalten und dogmatische Enge erinnern könnte.

Auch Kohlgraf charakterisiert das Bischofsamt ja als Beziehungsarbeit, Kommunikation und Hinhören. Er plädierte dafür, dass die Bischöfe ihre Macht mit den „Laien“ teilen, aber den Fragen nach einer Strukturreform wich er aus, denn das römisch-katholische Lehr- und Leitungsamt ist eben höchst monokratisch strukturiert, ein wirkliches Hinhören und eine echte Kommunikation sind ausgeschlossen. Zur Auslegung der Schrift werden kirchentreue Schablonen von früher zu Hilfe genommen. Geschichte und Geschichtlichkeit gelten als hochmoderne Errungenschaften der Theologie, doch die Widersprüche, die in ihr stecken, werden fleißig ignoriert. So wird am Wattepaket von Menschennähe und Offenheit eifrig gewoben.

In ihm verborgen bleibt jedoch des Pudels harter Kern. Gemeint ist damit nicht die Botschaft Jesu, sondern die eiserne Doktrin des römisch-katholischen Systems, ein dogmatisches Lehrgebilde, das jeder Diskussion entzogen wird. Dazu gehören eine metaphysisch verbildete Gottes- und Christuslehre, ein antireformatorisches und kirchlich vereinnahmtes Bild von den Sakramenten sowie das Amts- und Strukturverständnis einer autoritätsverliebten Kirche. Besonders skandalös wirkt im Reformationsjubiläum 2017 auf mich die Überheblichkeit, mit der man trotz vielfacher Konsenserklärungen bis heute die reformatorischen Auslegungen von Schrift und Glauben ignoriert. Interessieren müsste das den 32. Nachfolger des Albrecht von Brandenburg, dessen fiskalisierte Heilsökonomie uns vor 500 Jahren die Kirchenspaltung beschert hat. Vielleicht wird sich dazu der neue Bischof noch äußern.

III. Unvermeidliche Konsequenzen

Allen Reformbemühungen muss deshalb klar sein: Nach wie vor verteidigt die real existierende römisch-katholische Hierarchie, diese Männergesellschaft erster Güte, ihre inneren vorgestrigen Bastionen. Das gilt, wie dieses Gespräch zeigte, auch für den neuen Bischof. Alle Kritiker werden schnell mit dem Verdacht des Ausverkaufs belegt. Die Klasse selbsternannter Glaubenshüter sorgt dafür, dass reformorientierte Kräfte als negative Kirchenkritiker und Glaubenszweifler gezeichnet bleiben.

Allerdings geriet Kohlgrafs Argumentation an einem Punkt ins Stottern. Als er sich auf die 74.000 Gläubigen berief, die in seinem Bistum sonntags noch den Gottesdienst besuchen, blieb der Einwand unbeantwortet, dass 6.000 Gläubige jährlich seine Kirche verlassen. Er vergaß auch die 666.000 Gläubigen, die nach seiner Rechnung nicht mehr zur Kirche gehen. Beide Zahlen müssten ihn in höchste Unruhe versetzen, denn die meisten dieser Abtrünnigen zeugen nicht leichtfertig gegen den Glauben, sondern gegen die real existierende Kirche.

Die Diskussion um deren Zukunft hat ihre harte Phase noch vor sich; dann werden halbherzige Dialogansagen im Feuer verbrennen. Schon jetzt nannte Siegfried Fleiner, ein hoch angesehener und hochbetagter Priester, die Bischöfe „einen Haufen Feiglinge“. Damit wollte er niemanden kränken, aber unmissverständlich ihr Versagen benennen. Bischof Kohlgraf konnte er noch nicht gemeint haben. Umso interessanter wird die Frage sein, ob auch er mit seinen Kollegen mitschwimmt, immer wieder vertröstet und die Widersprüche verdrängt. Die Reformgruppen aber sollten neben den desaströsen Folgen dieses Missmanagements auch dessen ideologische Gründe anprangern, lauter als bisher. Zuviel steht auf dem Spiel.

Anmerkungen

[1] SWR vom 22.08.20117, Engel fragt den neuen Bischof.

[2] H. Halbfas, Der Glaube, erschlossen und kommentiert, Düsseldorf 2010.

[3] Peter Kohlgraf, Die Ekklesiologie des Epheserbriefs in der Auslegung durch Johannes Chrysostomus. Eine Untersuchung zur Wirkungsgeschichte paulinischer Theologie, Bonn 2001, 313-315.

[4] Albert Ziegler, Das natürliche Entscheidungsrecht des Mannes in Ehe und Familie . Ein Beitrag zur Gleichberechtigung von Mann und Frau, Heidelberg/Löwen 1958, 264-269.

[5] W. Kohlgraf, Nur eine dienende Kirche dient der Welt. Yves Congars Beitrag für eine glaubwürdige Kirche, Ostfildern 22015, 51.