Heiligsprechungen im Hundertmaß

Das Guinessbuch der Rekorde lässt grüßen

Wer hat die meisten Heiligen kreiert? Unter Insidern galt die Antwort als unbestritten. Johannes Paul II. hat nicht nur eine Inflation der Selig- und Heiligsprechungen ausgelöst, sondern er darf dafür auch ins Guinessbuch der Rekorde. Mit 1338 Selig- und 482 Heiligsprechungen, also mit insgesamt 1820 Kanonisierungen hat er einen einsamen Rekord erzielt.

War dies ein bewundernswerter Rekord oder einer, der nur ein überholtes Denken beweist? Wie man diese Frage auch beantworten mag, seit einigen Wochen schwirrt eine verwirrende Gegenmeldung durch die Medien. Man konzentriert sich auf die Heiligsprechungen allein und kann zeigen, dass der bekannte Rekordhalter ins Hintertreffen gerät. Ausgerechnet der neue Papst, für den doch aller Karneval vorbei ist, soll den polnischen Superpapst übertreffen, denn Franziskus hat zusammen mit Antonio Primaldo auf einen Schlag rund 800 Gefährten (vielleicht waren es sogar mehr) zu Heiligen erklärt und damit alle seine Vorgänger, auch Johannes Paul II. in den Schatten gestellt.

Doch ist der Fall komplizierter, denn der eigentliche Akteur dieser Heiligenvermehrung war Benedikt XVI. und die mindestens 800 Heiligen, um die es geht, haben eine lange Vorgeschichte. Es sind die Märtyrer von Otranto (Apulien). Sie wurden – so berichten fromme Quellen – 1480 von muslimischen Aggressoren umgebracht. Der Anführer, stehend enthauptet, brach nach seiner Enthauptung nicht zusammen, obwohl der Henker versuchte, ihn umzuwerfen. Darauf warf der Henker sein Schwert weg und wurde Christ. Warum die anderen dann ohne Henker getötet wurden, ist nicht so ganz klar. 13 Monate später wurden die Toten auf einem offenen Feld entdeckt. Obwohl sie 13 Monate Sonne, Wind und Wetter ausgesetzt waren, blieben ihre Leiber ohne Spuren der Verwesung und, in die Kathedrale gebracht, tauchten sie diese in „wundersames Licht“.

Bald darauf wurden die Opfer schon an mehreren Orten Italiens und selbst in Spanien verehrt; im Volk galten sie als Heilige. Man betrachte nur die Apsis der Rosenkranzkapelle der Kathedrale von Otranto mit ihren Totenköpfen und Gebeinen. Die Opfer wurden zum Wandschmuck verarbeitet.

Doch blieb auch Rom nicht untätig. 58 Jahre später, also 1539 wurde die offizielle Seligsprechung eingeleitet und 1771, nach weiteren 232 Jahren, durch Clemens XIV. vollzogen. Die Mühlen der Kirche mahlten damals noch langsam.

Alles klar? Nein, denn inzwischen zettelt die Geschichtswissenschaft schwere Zweifel an. Man vermutet Legendenbildung und weist darauf hin, dass viele Schädel Spuren militärischer Kämpfe zeigen; so kampflos sind die Unterlegenen während des osmanischen Feldzugs also nicht in den Tod gegangen. War es eine Trotzreaktion, als Johannes Paul II. 1980 diesen Ort in Apulien zum 500-jährigen Gedenken der Ereignisse besuchte und zum Gebet für die verfolgten Christen im kommunistischen Albanien aufrief?

Unbeeindruckt von diesen Zweifeln blieb auch Benedikt XVI. und man weiß nicht recht, warum er ausgerechnet in einer Epoche des interreligiösen Dialogs erneut aktiv geworden ist. Am 6. Juli 2007 erkannte er den Tod der Tapferen als Martyrium an, denn diese seien von den Muslimen aus „Hass gegen den Glauben“ umgebracht wurden. Am 20. Dezember 2012 unterzeichnete er offiziell und verbindlich das Dekret zu ihrer Heiligsprechung. Am 11. Februar 2013, am Tag, da er seinen Rücktritt bekanntgab, kündigte der scheidende Papst die beschlossene Heiligsprechung vor dem Konsistorium der Kardinäle an und hinterließ damit seinem Nachfolger ein unangenehmes Erbe. Im Grunde war ja alles geregelt. Am 12. Mai 2013, wenige Wochen nach seinem Amtsantritt, blieb Papst Franziskus nur noch übrig, als oberster Notar der Kirche die vor seiner Zeit gefassten Beschlüsse auszuführen. Eine Weigerung dieses Aktes hätte einen Skandal bedeutet.

Also sollte man die über 800 heiligen Männer aufs Konto des Vorgängers schreiben und damit hätte Benedikt XVI. den Wojtyła-Papst in Sachen Heiligsprechung tatsächlich übertroffen. Übrigens, der Frauen und Kinder, die ebenfalls starben, und der anderen, die gemäß der Legende gedemütigt und größtenteils als Sklav/innen verkauft wurden, hat bislang noch niemand gedacht. Wenn es den vergangenen Päpsten, die doch so viel von Ehe und Familie redeten, wirklich um die Familie ginge, hätte man dies bei diesen Märtyrern nicht übersehen dürfen. Frauen wurden Ehre und Existenz genommen, Familien wurden zerstört und wir überlegen, wem dieser zweifelhafte Kanonisierungsrekord zuzurechnen ist.

ersch. in: Wir-sind-Kirche am 5. Mai 2014