Gefangen in der Dauerkrise

Die Kritik des belgischen Bischofs Johan Bonny an der kirchlichen Haltung zu Ehe und Familie ist richtig. Doch sie bleibt auf halbem Weg stehen

Viele reformwillige Katholiken begrüßen die detaillierte und unerschrockene Kritik des Antwerpener Bischofs Johan Bonny an den römisch-katholischen Positionen zu Ehe, Familie und Sexualität (Publik-Forum 17/2014). Am meisten scheint ihn zu beschäftigen, dass die Bischöfe der Weltkirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil alle Kraft zur gegenseitigen Kommunikation verloren haben. Damals, so Bonny, hätten sie alle noch zusammengearbeitet und mit hohem Konsens ihre Dokumente verabschiedet. Dann sei es ‑ wenigstens in Sachen Ehe- und Sexuallehre ‑ bergab gegangen.

Bonnys Argumentation sollte nicht auf halbem Wege stehen bleiben. Wer zu wirklich verantwortungsvollen Reformvorschlägen kommen will, darf nicht die Grundlagenfehler wiederholen, die die katholische Kirche seit fünfzig Jahren in der Dauerkrise halten. Das Zweite Vatikanische Konzil war eben nicht ein Ort der gelungenen Kommunikation. Zu unerbittlich herrschte noch der dogmatische Fundamentalismus, der sich 1870 in einem Konzil ohne alle Freiheit etabliert hatte und nie angemessen korrigiert wurde. Dieser Fundamentalismus missachtet in entscheidenden Punkten die Geschichte der Kirche wie die Botschaft der Schrift. Die kirchliche Lehre trägt noch immer die Aura einer unveränderlichen Wahrheit. Der Fundamentalismus täuscht auch dort eine überzeitliche Gültigkeit vor, wo die kulturellen Einflüsse von Antike, Mittelalter und einer autoritär orientierten Neuzeit unverkennbar sind. Bonny deutet diese Mängel vorsichtig an, zieht daraus aber keine Konsequenzen.

Gewiss, der breite Konsultationsprozess zur Vorbereitung der Familiensynode, den Papst Franziskus eingeleitet hat, kann eine neue Dialogkultur in Gang bringen. Geradezu revolutionär waren die Einbeziehung der Kirchenbasis im Herbst 2013 sowie die offizielle Berichterstattung. Aber auch dieser offene Schritt verdrängt noch immer die Kernfrage: Welche theologischen Prinzipien haben zu diesem Desaster geführt?

Schon vor fünfzig Jahren wiesen die Besten unter den katholischen Theologinnen und Theologen daraufhin, dass die Schrift ‑ insbesondere das Neue Testament ‑ endlich wieder vorurteilsfrei und nach den Vorgaben wissenschaftlicher Redlichkeit zu lesen ist. In der jetzt beginnenden Diskussion ist das kaum geschehen.

Vergessen wir nicht: Zur von Bonny gerühmten Einhelligkeit des Konzils gehört auch der verheerende, aber von 99,87 Prozent der Konzilsväter akzeptierte Satz: »Der Papst als höchster Hirte der Kirche kann seine Vollmacht jederzeit nach Gutdünken ausüben, wie es von seinem Amt her gefordert wird.« Unter solchen Prämissen wird auch bei den kommenden Bischofssynoden keine unvoreingenommene Kommunikation in Gang kommen. Am Ende werden sich die Reformwilligen geschlagen geben, weil auch sie gegen eine als unfehlbar qualifizierte Tradition nicht ankommen werden. Denn wer die Sakramentalität und Unauflöslichkeit der Ehe hinterfragt oder den Beziehungscharakter der Sexualität betont, hat aus römischer Sicht den vorgeschriebenen Konsens verlassen.

Bischofskonferenzen geben inzwischen zu, dass die kirchliche Lehre weder von den Inhalten her noch in der Form verständlich ist und ebenso wenig gelebt wird. Dies erweckt den Eindruck, eine verständlichere Verkündigung könne die aktuellen Probleme lösen. Es hat aber keinen Sinn, falsche Positionen verständlich darzulegen. Dafür hat auch Bischof Bonny bislang keine Lösung vorgelegt.

Zum Schluss seiner Überlegungen weist der Bischof darauf hin, dass die bevorstehende Diskussion endlich Theologie, Wissenschaften und den »Glaubenssinn« des Volkes einbeziehen müsse. Ich meine, sie müssten ganz neu von unten wachsen. Vielleicht bedarf es dazu erst einer Besinnung, die tiefer als die normalen Selbstbestätigungen reicht. Ich schlage deshalb vor, dass die Bischofssynode mit einer Erinnerung an jene Theologinnen und Theologen beginnt, die sich in den vergangenen Jahrzehnten in verantwortlicher Weise um eine grundlegende Neuorientierung in Sachen Ehe, Familie und Sexualität bemüht haben. Viele hat das römische Lehramt demütigenden Sanktionen unterzogen, wenn nicht gar sie aus ihrer Kirche hinausgedrängt. Ohne die demütige Rückbesinnung auf frühere Fehler wird eine Erneuerung nicht möglich sein.

(Publik-Forum 18/26. Sept. 2014, 35)