Eine unappetitliche Geschichte Zum Konflikt eines afrikanischen Priesters mit deutschen katholischen Behörden.

Woche um Woche häufen sich in der katholischen Kirche Berichte über sexuelle Verfehlungen und Vertuschungen. Täter sind Priester, Bischöfe und Kardinäle, eingeschlossen die beiden letzten Päpste. Dabei schockieren auch die Schandtaten höchster Repräsentanten nicht mehr, angefangen vom Wiener Kardinal Groër (1995 zurückgetreten) bis hin zu seinem Kardinalskollegen in Washington McCarrick (2019 laisiert). Was uns aktuell in Atem hält, ist die Unfähigkeit von deutschen Bischöfen, offen zu ihren Verfehlungen zu stehen, ihr Versagen zuzugeben und gegebenenfalls ihren Rücktritt anzubieten, was sie dies in vergleichbaren Fällen von Politikern selbstverständlich erwarten würden. Vor wenigen Tagen ließ der Kölner Kardinal Woelki ein ihm unangenehmes Gutachten in seinen Büros verschwinden. Daniel Deckers sprach von einem „ruchlosen Kardinal“, der Jesuit B. Hagenkord im Blick auf den jüngsten Skandalreport über McCarrick von einer „Kleriker-unter-sich-Haltung“; Wir sind Kirche schließlich prangerte neben der sexuellen auch die geistliche Gewalt an, die offensichtlich immer noch zum Alltag bischöflicher Behörden und von vielen Ordensleitungen gehört; Doris Reisinger hat sie ausführlich analysiert.

Viele, die es mit diesen geistlichen Eliten zu tun haben, machen damit ihre bitteren Erfahrungen. Doch die Herren halten umso entschlossener zusammen, als ihnen Wellen von Misstrauen und Autoritätsverlust entgegenschlagen. Erneut verbarrikadieren sie sich in einer Sonderwelt, die wie eine Echokammer ihr Handeln bestätigt und die sie kirchenrechtlich für abgesichert halten. Die Grundregeln eines fairen und menschenrechtlich korrekten Umgangs mit Untergebenen sind da weniger wichtig. Dies alles hat in hochklerikalen Kreisen zu einer inneren Deformation und unmerklichen Machtkorruption geführt. Die Folgen werden nur selten bekannt, willkürliche Gewalt wird auch auf anderen Gebieten ausgeübt.

Vor einigen Monaten fiel mir ein besonders infamer Brief in die Hände. Ursprünglich wurde er wohl an die Generalvikare der deutschen (zumindest süddeutschen) Diözesen sowie an die Provinzleitungen von Orden und Kongregationen verschickt. Einerseits sollte er geheim bleiben, denn nur so konnte er seine Wirkung entfalten. Andererseits war durch eine gezielte Auswahl weiterer Adressaten dafür gesorgt, dass auch die Umgebung des Delinquenten ohne Zeitverzug das Wichtigste erfuhr. Was macht diesen Brief so brisant?

Dringend warnt der Briefschreiber seine Kollegen davor, sich auf einen afrikanischen Ordenspriester (nennen wir ihn D.P.) einzulassen, sollte er zwecks Anstellung an ihre Türen klopfen. Zur Begründung fuhr der Gefechtserfahrene gleich neun schwere Geschütze auf: D.P. sei von einer Diözese „unehrenhaft entlassen“ worden (1), er habe keinen Kontakt mit dem hiesigen Provinzial seines Ordens (2), sondern sich verselbständigt und sei als „freischaffender Künstler“ unterwegs (3). Er habe „sehr merkwürdige (nicht-gläubige) Ansichten“ (4) und pflege ein „herrisches Auftreten“, was von einem „alten Provinzial“ bestätigt werde (5). Überhaupt sei er nicht rechtmäßig in Deutschland (6), sondern lebe außerhalb jeder Einbindung in seinen Orden (7) und wolle weder in seine afrikanische (8) noch in die süddeutsche Ordensprovinz (9) „zurückkehren“. Ein anderer afrikanischer Priester, dem der Brief postwendend und vertrauensvoll zugespielt wurde, verkündete am nächstfolgenden Sonntag dessen Inhalt vor afrikanischen Gottesdienstbesucher/innen und fügte ergänzend hinzu, D.P. sei aus der kirchlichen Gemeinschaft ausgetreten. Bis heute muss D.P. die verheerenden Nachwirkungen dieses Rufmords ertragen.

Ist der so Angeprangerte nun wirklich ein arroganter Missachter der kirchlichen Ordnung, gar ein Häretiker? Diesen Eindruck hat der Brief zweifellos erreicht. Man muss aber schon sehr naiv sein, um auf die Anschuldigungen in ihrer Summe hereinzufallen. Ein wenig Insiderwissen genügt, um die Anschuldigungen wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen zu lassen. Schon die Formel von einer unehrenhaften Entlassung (1) ist rechtlich und verwaltungstechnisch nichtssagend und durch nichts zu begründen. Sie dient nur der Diskriminierung und spiegelt die Tatsache wider, dass D.P. in einer Stimmung des Unfriedens gekündigt wurde. Nichtssagend ist die phantasievolle Rede vom „freischaffenden Künstler“ (3); vermutlich agiert D.P. dem ordnungsliebenden Ordensoberen viel zu eigenständig.

Die Behauptungen, P.D. habe mit seinem afrikanischen Provinzial keinen Kontakt (2, 7), ist nachweislich falsch, ebenso die Behauptung, er sei nicht rechtmäßig in Deutschland (6). Deshalb ist auch die Unterstellung einer verweigerten „Rückkehr“ in seine Heimatprovinz (8) blanker Unsinn, weil er sie nie verlassen und auch in letzter Zeit wiederholt besucht hat. Immerhin hatte ihm sein Provinzial vor zwei Jahren ein Sabbatical in Deutschland zugesagt und die offizielle Zustimmung zur diözesanen Anstellung gegeben. Bestreitbar ist die Behauptung eines Kontaktdefizits mit dem süddeutschen Provinzial (9). Die Hintergrundgeschichte, die D.P. dazu berichtet, klingt da ganz anders. Den Vorwurf von D.P.s „herrischem Auftreten“ (5) bleibt erstaunlich vage, vielleicht verwechselt der Obere „herrisch“ mit „eigenständig“ oder „selbstbewusst“, was man ausländischen Gästen nicht so gerne nachsieht.

Den Höhepunkt der Verleumdungen bildet der Hinweis auf „merkwürdige (nicht-gläubige) Ansichten“ (4). Spätestens dieses Gerücht vernichtet für römisch-katholische Ohren die Ehre und das Ansehen des Geschmähten endgültig. Dabei hat der selbstbewusste Oberzensor wohl nie einen Blick in die 680-seitige theologische Dissertation des als abtrünnig Beschimpften geworfen; sie hätte ihn schnell eines Besseren belehrt. Oder verfügt der Herr Provinzial nur über beschränkte theologische Kenntnisse? Das wollen wir doch nicht hoffen.

Die ordensgesteuerte Kampagne war wohl gut abgesprochen. Etwa zweieinhalb Monate war P.D. bis Ende Februar vergangenen Jahres in einer Pfarrgemeinde für pastorale Aufgaben angestellt. Ohne Vorwarnung hat man ihn kurzfristig in das zuständige Ordinariat einbestellt. Dort wurde ihm in aller Kürze seine fristlose Entlassung mitgeteilt, eine nähere Auskunft zu den Gründen seiner Entlassung aber kategorisch verweigert. Beim Weggehen teilte man ihm noch mit, aus Gründen des Datenschutzes dürfe er Dritte nicht über diese Vorgänge informieren; in Unkenntnis der deutschen Rechtslage hat sich der Verängstigte lange daran gehalten. Umso ungestörter schob der Ordensobere den angemahnten Datenschutz beiseite und verschickte seinen Aufräumbrief, der seine neunfache Wirkung erzielte. Seitdem ist P.D., übrigens deutscher Staatsbürger, schwer gezeichnet und in seiner Ehre zutiefst gedemütigt. In kirchlichen Kreisen kann er sich nicht mehr blicken lassen.

Ich weiß, dass Personalien eine sensible Behandlung erfordern, deshalb äußere ich mich hier nicht zu Details; auch die andere Seite ist zu hören. Zuvor lassen sich die Vorgänge nicht definitiv beurteilen. Doch in jedem Fall gebietet es der simple Respekt vor P.D., dass man ihm die Vorwürfe darlegt und ihm eine Widerrede gestattet. Solange alles mit moderndem Schweigen verdeckt wird, erlaube ich mir, im Brief des Ordensoberen eine unehrenhafte, strategisch geplante Verleumdung zu erkennen. Möge der Herr Provinzial doch seine Vorwürfe belegen und sein Vorgehen rechtfertigen.

Es kommt noch schlimmer, denn vor eineinhalb Jahren wurde D.P. schon zum zweiten Mal Opfer einer fristlosen Entlassung. Beim ersten Mal nannten die Akteure recht dürftige Gründe. Sie suchten ihn zu besänftigen, das Ganze schlage sich ja nur in einem Geheimdekret nieder, doch schnell waren die internen Gerüchtemaschinen befeuert. Neuerdings heißt es dort, P.D. sei ein „fugitivus“ (ein aus dem Sklavenrecht übernommener Begriff). Doch die Wiederholung des Geschehens wird für viele zum Anlass, sich von P.D. erst recht zu distanzieren. Wenn zudem die Gründe offiziell verschwiegen werden, vermutet man Schlimmstes. So steht P.D. von vornherein auf verlorenem Posten.

Dabei fällt mir schon auf, dass deutsche Mitbrüder P.D. beide Male im Regen stehen ließen, und ich bin mir sicher: Gegen einen deutschen Priester wären die Ordinariate weit behutsamer vorgegangen, denn eine „unehrenhafte“ Kündigung im Stile von P.D. hätte zu einer Solidarisierung seiner Mitbrüder geführt. Offensichtlich wird einem afrikanischen Mitbruder diese Solidarität nicht zuteil. Ich frage nach den Gründen.

Angst vor den hohen Herren kann es nicht sein, denn wohlbestallte Pfarrer und aktive Seelsorger/innen sind heute unabkömmlicher denn je. Ich fürchte eher, dass das Schicksal eines afrikanischen Ordensmannes niemanden so stark interessiert. Soll er doch nach Afrika zurück! Deshalb habe ich mich bei Bekannten umgehört, die sich im pastoralen Dienst auskennen, und meine Fragen ergaben Erstaunliches: Auf die Frage nach Erfahrungen mit ausländischen Priestern hörte ich ausschließlich Berichte darüber, wie unterqualifiziert und schwierig sie oft seien. Ferner sind lustige und traurige Anekdoten über das Ungeschick dieser Mitpriester im Umlauf, Wandergeschichten eben, deren Herkunft kaum mehr rekonstruierbar ist. Man berichtete mir sogar von einem afrikanischen Priester, der in Frankfurt seine Mädchen auf die Straße schickte. Von Kulturschocks, psychischen Zusammenbrüchen und seelischen Vereinsamungen hörte ich nichts. Nur an den Bericht eines kirchlich engagierten Freundes (eines „Laien“) erinnere ich mich, der sich mit Empathie eines vereinsamenden Geistlichen annahm.

Was ist da los? Gibt es unter bestimmten Klerikern vielleicht so etwas, das man in der profanen Welt einen unbewussten oder naiven, letztlich aber unsensiblen und überheblichen Rassismus nennen würde? Aber nein, der ordnungsliebende Ordensobere weist jeden Rassismus-Vorwurf weit von sich und zählt auf, mit wie vielen Ordensbrüdern anderer Nationen er in gutem Kontakt stehe. Dieses Argument besagt aber nicht viel, dann nämlich dürfte es in deutschen Städten oder Schulen ja kaum Rassismus geben. Kurz: Diese Blindheit gibt zu denken und erinnert mich an den Ausspruch des Trierer Bischof Mussinghoff: „Ich fühlte mich überfordert ‑ vor allem mit Opfergesprächen.“ Ich fahre fort: „… vor allem beim Umgang mit Unterlegenen, die mich unangenehm verunsichern“.

Vielleicht gibt es aber auch andere Berichte, die mich bestätigen oder widerlegen könnten; für Reaktionen wäre ich dankbar. In keinem Fall kann dieser entehrende Umgang mit ausländischen Priestern hingenommen werden. Er ist öffentlich anzuprangern; sonst erzielen wir keinen Fortschritt. Lieber heute als morgen sollte der genannte Ordensobere sein Fehlverhalten einsehen und als Bruder auf D.P. zugehen, statt gekonnt seine nationalen und internationalen Kontakte auszuspielen. Er sollte auch wissen: Als Alternative bleibt nur die Offenlegung einer langen und wenig ruhmreichen Geschichte von Familiengeheimnissen, ordensinternen Rivalitäten und unseliger Komplizenschaft. Es gibt ja nicht nur den puren Rassismus, der anderen an die Kehle geht. Viel gefährlicher ist ein Rassismus des stillen Rufmords, der sich mit weiteren, vielleicht narzisstischen, sexistischen oder herrschsüchtigen Motiven verbindet und noch die Inquisition zu Hilfe ruft. Endverlierer wären bei der Offenlegung dieser komplexen Geschichte nicht P.D., sondern die ordnungsbeflissenen Herren in Deutschland und vielleicht anderswo, die sich verantwortlich fühlen für ihre Kirchen, genauer gesagt: für den guten Ruf und die sauberen Fassaden ihrer Orden und Diözesen. Wie sehr dieser Schuss nach hinten losgehen kann, haben wir bei den Missbrauchsaffären erlebt.