Norbert Scholl, Gott, der die das große Unbekannte. Staunens-Wertes und Frag-Würdiges, Grünewald 2020, 192 Seiten.
Schon die unkonventionellen Titel und Untertitel wecken die Neugier auf dieses Buch und niemand wird enttäuscht. Genau genommen will der Autor niemanden darüber belehren, wer oder was Gott ist. Vielmehr führt er in eine breite Palette durchaus weltlicher Grenzerfahrungen ein, die wir gerade nicht mehr rational definieren, auf Punkt und Komma abrechnen oder den Buchhaltern unsere Gefühle überlassen können. Er schildert die Faszination der Schneekristalle und der Berge, die kosmologischen Spekulationen über den Ursprung der Welt, das Geheimnis von menschlicher Vorbestimmung, Freiheit und Verantwortung, aber auch die uns angeborene Fähigkeit zur Empathie. Besonders unerwartet und bereichernd sind die Ausführungen authentischen Seiten über die Erfahrungswelt der Musik. Erst gegen Schluss, also vor der Folie dieser überreichen Informationen, folgt eine originelle Einführung in das biblische Bild von Gott (JHWH). Ähnlich profiliert, weil dramatisch zugespitzt sind die Ausführungen zu Jesus von Nazareth, der in den vergangenen Jahrzehnten gerade Agnostiker und Atheisten faszinierte.
Aus drei Gründen halte ich das Buch für außerordentlich gelungen. Erstens ist Seite für Seite angefüllt von genauen Sachinformationen, die der Autor auf dem neuesten Stand präsentiert, immer noch etwas genauer und noch treffender illustriert, als es den global informierten Lesern präsent ist. Diesen breiten Wissenshorizont muss sich der Autor durch jahrzehntelange Neugier erarbeitet haben, sonst könnte er darüber nicht so souverän verfügen. Zweitens werden von der ersten Seite an die Lesenden nicht belehrt, sondern in Gespräche verwickelt, zum Mitdenken angeregt und dazu ermuntert, eigene Lösungen zu finden. Eine angeregtere Lernatmosphäre könnte ich mir nicht denken. Auch diese Kunst muss sich der Autor sich systematisch angeeignet haben. Drittens sind diesem Buch deshalb alle abstrakt intellektuellen Frontstellungen und moralistischen Verkrampfungen fern, die sich bei Büchern zur Gottesfrage oft einstellen. Damit beweist der Autor: Auch heute kann die Gottesfrage noch als entspanntes, selbstverständliches und interessantes Thema in die öffentliche Diskussion eingeführt werden.
Erst im letzten Kapitel kommt das Thema „Gott“ direkt zur Sprache. Die vorbereitenden Fragen (Was sind Materie, Energie, Leben, alles nur Zufall?) werden eingesammelt. Sie können Gottes Existenz nicht beweisen, aber sie lassen einen wachen Geist auch nicht los. Der Autor endet mit einer klugen Metapher: Gott lässt sich wenn man ihn denn akzeptiert, begreifen als der Horizont unseres Daseins. Das Buch spricht einen breiten, für ungewohnte Gedankengänge offenen Leserkreis an.