Auch Himmelsstürmer können irren

Unter Gläubigen hat das Buch des bekannten englischen Evolutionsbiologen Aufsehen erregt und für Unruhe gesorgt. Angekündigt wurde es als „furiose Streitschrift wider die Religion“. In Wirklichkeit kämpft es gegen ein primitives Gottesbild, das jeder augeklärte Christ hinter sich gelassen hat. Dies lässt sich im Vergleich mit Hans Küngs „Der Anfang aller Dinge“ zeigen.

Besprechung von
Richard Dawkins, Der Gotteswahn. Aus dem Englischen von Sebastian Vogel, Berlin 2006

Welche Fehler hätte sich Richard Dawkins in seinem Bestseller „Der Gotteswahn“ ersparen können, wenn er vor Drucklegung Hans Küngs Buch „Der Anfang aller Dinge“ gelesen hätte? Die Entschiedenheit, mit der Richard Dawkins, dieser  Protagonist des  „neuen Atheismus“, auftritt, steht in seltsamem Kontrast dazu, dass er nirgendwo richtig klärt, wen oder was genau er im Visier hat, wenn er sich gegen die Religion wendet. Wendet er sich gegen die Religion der Fundamentalisten in den Südstaaten oder gegen die Religion derer, die den Irakkrieg als Kreuzzug betrachten? Visiert Dawkins’ Religionskritik jene Abtreibungsgegner an, die zur Not einen Arzt töten oder die Kreationisten mit ihrer Sechs-Tage-Welt? Unschärfe erscheint bei Dawkins Erfolgsprogramm. Sie prägt jedenfalls sein Buch „Der Gotteswahn“ (Ullstein Verlag, F.A.Z. vom 10. September 2007), das auch hierzulande seit Monaten einen Spitzenplatz auf der Bestsellerliste behauptet.

Was ist von theologischer Seite zu Dawkins’ Woodoo-Theologie zu sagen? Nach breitem theologischen Konsens braucht sich ein aufgeklärter Gottesglaube nicht vor dem naturwissenschaftlichen Wissensstand zu fürchten. Die beste Antwort auf Dawkins bietet nach meinem Dafürhalten das Buch von Hans Küng „ Der Anfang aller Dinge“ (Piper Verlag, 2005), das auf neuestem Wissensstand eine Grundsatzreflexion über das Verhältnis von Naturwissenschaft und Religion bietet. Küng strebt eine Übersicht über den Gesprächsstand an, trägt seine Argumente jedoch ohne Polemik, mit Respekt und gebotener Selbstkritik vor. Statt hier den Dschungelkrieg um Schnellschüsse, absurde Unterstellungen und isolierte Anekdoten fortzuführen, versuche ich lieber, entlang der Küng’schen Argumentation zur Versachlichung des Themas beizutragen.

Was Dawkins ausblendet: Zwischen Theologie und Naturwissenschaften finden schon seit Jahrzehnten sinnvolle Gespräche statt. Die Zeiten, da wir uns gegenseitig als Idioten oder als halsstarrige Leugner verteufelten, sind vorbei. Scharfmacherei findet in der Sache keinen Halt. Der gegenseitige Respekt bezieht sich auf Kosmologie und Evolutionstheorie, auf die Frage nach dem Beginn der Menschheit sowie des menschlichen Geistes, schließlich auf die Frage nach einem verantwortbaren Gottesbild. Nach aller Erfahrung kann die Theologie den Mainstream der naturwissenschaftlichen Ergebnisse akzeptieren und als Bereicherung empfinden. Das gilt sogar für manche naturwissenschaftliche Passagen von Dawkins’ Buch.

Natürlich schließt ein solches Gespräch für die Theologie Lernprozesse ein, wie sie etwa Küng ausführlich analysiert, Dawkins aber gar nicht erst zur Kenntnis nimmt. Wie schon die Affäre Galilei zeigte, haben sich religiöse, immer kulturgebundene Weltbilder naturwissenschaftlichen Ergebnissen zu beugen. Niemand sollte bestreiten, dass solche Lernprozesse Theologie und Religion bereichern und interessanter machen. Wir wissen heute mehr von den Wundern von Weltall, Leben und Erkennen als jede Generation zuvor. Deshalb kann man auch von Dawkins dort lernen, wo er überraschende Details etwa der biogenetischen Evolutionstheorie darlegt. Aber mit seiner Absicht, damit den Sinn eines Gottesglaubens zu ruinieren, erreicht er das Gegenteil. Allerdings lernten religiöse Großorganisationen immer erst dazu, nachdem sie wieder eine Schlacht verloren hatten.

Ohne Gespür für Rätselhaftes

Dawkins beansprucht, als Evolutionsgenetiker die Welt in all ihren Bezügen erklären zu können. Damit nimmt er einen Faden aus dem 19. Jahrhundert auf, aus einer Zeit, in der im Geiste des Monismus die wildesten Weltanschauungskämpfe gediehen. Aber auch Dawkins kann nicht alles beantworten. Evolutionsgenetiker verstehen sich auf die Simulation kosmologischer und infraatomarer Modelle. Ihre Aufgabe ist es, die grammatische Struktur der Wirklichkeit zu untersuchen. Aber sie berühren noch nicht die Sinnstruktur von Kosmos, Erde, Leben oder Mensch: Was liegt eigentlich hinter dem Beginn der ersten Quantenfluktuation oder dem Urknall? Warum überhaupt gibt es etwas, das nicht im Nichts geblieben ist, wie Leibniz fragt? Wie kommt es, dass wir die Wirklichkeit annehmen oder ablehnen, verschiedene Antworten auf diese Frage entwickeln können? Wie können wir den Sinn benennen, der in dieser Wirklichkeit ruht, die – wundersamer Weise – zu einer menschlichen Wirklichkeit geworden ist?

Wie Küng ausführt, sind Descartes und Pascal, Leibniz und Nietzsche, Feuerbach und Freud Meister solch bohrenden Fragens. Gewiss, keine Sinnfrage kann eine kosmologische oder darwinistische Theorie widerlegen, aber sie lässt sich auch nicht auf ein Urknall- oder Evolutionsmodell reduzieren. Über den Schnittpunkt zwischen Grammatik- und Sinnfragen wird immer wieder zu debattieren sein. Für diese Doppelstruktur von Erklären und Verstehen zeigt Dawkins kein Gespür.

Besonders deutlich wird dieser Mangel bei der Frage nach den Wurzeln der Religion. Natürlich sind dabei auch Aspekte der Evolutionstheorie zu besprechen. Aber Dawkins ist unfähig, auch nur einen Abschnitt anderen Dimensionen des menschlichen Lebens zu widmen. Will er menschliches Erkennen wirklich auf die Funktion von Synapsen oder Kultur auf ein Überlebenstraining reduzieren? Will er das Geheimnis von Shakespeare mit dem Hinweis auf egoistische Gene beantworten? So fällt ihm für die Religion nur noch das Schlagwort „ Nebenprodukt von etwas anderem“ ein, das zum Nichtsnutz oder zur Selbstvernichtung prädestiniert ist, so wie die Motte in die brennende Kerze fliegen muss. Diese Unfähigkeit, die großen Rätsel der Welt wahrzunehmen, ist unverständlich und verstört.

Wie ein Buchhalter stürzt er sich auf einige Skandalgeschichten der hebräischen Bibel. Missmutig nivelliert er die jesuanische Nächstenliebe auf jüdischen Volksegoismus. Die Evangelien präsentiert er als zusammengereimte Zweckgeschichten und den Kern des Neuen Testaments sieht er in der Erbsünde (von der dort nichts zu lesen ist). Kein Wort zur dramatischen Entwicklung des Eingottglaubens, zu Israels Prophetismus, zu dieser messianischen, ethisch höchst anspruchsvollen Heils- und Hochreligion. Kein Wort zu den gewaltigen Leistungen der historisch-kritischen Exegese seit 150 Jahren, nicht einmal ein Wort zur Gestalt Jesu und seiner Nachwirkung bis in die Gegenwart. Gerade hier, wenn es um die Bibel geht, zeigen sich die  Scheuklappen des Autors, dem außer der Biogenetik alle Denkkategorien verschlossen sind.

Gott ist kein Superapparat

Religion als Kinderei, Rechthaberei und rassistische Borniertheit, als Quelle der Gewalt: Diese Aspekte durchziehen das ganze Buch. Dabei unterschlägt Dawkins, dass die schärfsten Kritiker von Christentum, Judentum und Islam aus den eigenen Reihen kommen. Keine real existierende Religion und kein real existierender Atheismus (den Dawkins als Lebenshaltung begreift) ist besser als die Menschen, die sich ihnen verschrieben haben. Dass die Bezähmung menschlicher Bosheit den Religionen oft misslingt, ist ein Skandal; über die Gründe dafür hätten wir vom Evolutionstheoretiker nähere Aufschlüsse erwartet. Dabei hätte er darlegen können, wie viel ethische Kraft zumal von den monotheistischen Religionen nach wie vor ausgeht. Dass sich ein ethisches Bewusstsein auch ohne Religion erklären lässt, würde ein Theologe wie etwa Hans Küng nie bestreiten. Doch gerade er weist auch darauf hin, dass diesem Ethos von den Weltreligionen her enorme Energieströme zufließen, bis hin zu einem global gesprächsfähigen Weltethos, das heute wichtiger ist denn je. Zur Förderung des Weltfriedens hätten human denkende Streiter gerne auf Dawkins’ Unterstützung zurückgegriffen.

Bleibt allerdings das um sich greifende Urärgernis, ein verbissener Fundamentalismus. Gegen die Intention der eigenen Glaubenszeugnisse gerichtet zerstört er, was ihm in den Weg kommt. Physisch bombt er die Welt in hemmungslose Gewalt zurück. Geistig verbreitet er ein gewaltbereites Denken, das den Freiheits- und Wahrheitswillen der Menschen missachtet. Vieles in Dawkins’ „Gotteswahn“ kann man als Kampf gegen dieses Phänomen verstehen. Umso enttäuschender, dass er sich nicht als Verbündeter im gemeinsamen Interesse versteht. Man kann den Kreationismus als Modifikation dieses Fundamentalismus begreifen, auch wenn er sich nicht gewalttätig äußert. Aber wer den Grand Cañon als von Gott gesprengte Abflussrinne für das Wasser der Sintflut begreift, hat vom Schöpfungsbericht nichts begriffen. Und Gott?

Dawkins schildert das überwältigende Naturerlebnis eines von ihm hochgeachteten Lehrers, der Priester wurde. Auch von sich selbst, so Dawkins, hätte er ein solches Erlebnis schildern können. Warum aber machte ihn diese Erfahrung nicht zum Gläubigen, sondern zum Atheisten? Weil er, so die Antwort, Gott als einen übernatürlichen Schöpfer, eine Art Supermenschen definiert, den Gläubige für anbetungswürdig halten. Gottes Schöpfertum versteht er als einen empirisch kausalen Akt am Weltbeginn, sein Handeln als gelegentlichen Eingriff in die Natur, getrieben von höchst menschlichen Gefühlen. Welch merkwürdige Koalition mit dem Gott der Fundamentalisten und anderer, für die der Glaube ein verantwortliches Denken ausschließt.

Deshalb sollte deutlich sein: Der Eine Gott – philosophisch oder theologisch begriffen – bleibt ein Geheimnis, kein Supermensch und Apparat, der (wie Dawkins suggeriert) die Komplexität einer Boeing übersteigen muss, keine übernatürliche Entität von dingartiger Natur. Wie Küng und andere eindrücklich darlegen, erschließt sich Gott nur dem Vorschuss einer vorbehaltlosen Vertrauenshaltung, also einer inneren, verstehenden Rationalität. Deshalb lässt sich der Glaube niemandem aufzwingen. In der Sprache der Bibel, die Dawkins als Kulturgut schätzt, sieht nur Gott ins Herz der Menschen.

Erschienen in der FAZ v. 11. Januar 2008

Letzte Änderung: 30. Juli 2017