Rom enthüllt sein autoritäres Gesicht

Der Heilige Stuhl hat geschrieben. Rein technisch ist das natürlich nicht möglich, denn von schreibenden Stühlen weiß nicht einmal die Märchenwelt. Doch wer kennt sich in der atavistischen Rhetorik der vatikanischen Diplomaten- und Behördensprache schon aus? Laut offizieller Definition handelt es sich um ein Völkerrechtssubjekt, das gleichermaßen für drei Institutionen steht, die treue Katholik*innen gerne zusammendenken: (1) den Bischof (der auf diesem Thron sitzt) mit dem Bistum von Rom, (2) den Papst mit der römischen Gesamtkirche sowie (3) den Vatikanstaat, der immer noch die Tiara im Wappen trägt. Natürlich haben auch die Bistümer ihre Stühle, die man „bischöflich“ nennt; auch von ihrer Existenz und Bedeutung weiß man wenig. Im deutschen Rechtsraum gelten sie in erster Linie als Träger des Vermögens, über das ein Bischof – über Kirchensteuern und staatliche Zuwendungen hinaus – „zur Erfüllung seiner Aufgaben“ verfügt. Wie sehr sich diese Stühle jeder Transparenz entziehen, hat uns 2013 der Limburger Tebartz van Elst vor Augen geführt. Viele Bischöfe können bis heute die unter ihren Stühlen gehorteten Reichtümer nicht einmal global beziffern.

Seit einigen Tagen zieht der Heilige Stuhl Roms das Interesse auf sich. Wenn man dem Briefkopf seines ominösen Schreibens vom 24.07.2022 glauben will, hat dieses Möbelstück ‑ es steht in der Lateranbasilika so leer wie der Thron Karls des Großen im Aachener Dom ‑ den Synodalen Weg zwar massiv in die Schranken gewiesen, aber seinen Sitz sozusagen leer gelassen, indem er jede Unterschrift und mündliche Erklärung verweigerte. Dieser Vorgang führt zu ebenso massiven Irritationen. Zwar weiß man auch in Rom, dass dieser Stuhl nicht schreiben kann, aber er steht einem Repräsentanten zur Verfügung, der ihn einmal in Besitz genommen hat, in diesem Fall Papst Franziskus. Auch die Präfekten oder Präsidenten hoch autorisierter päpstlicher Behörden könnten mit Autorität ein Stuhldokument unterzeichnen. Jedenfalls gehörte es schon immer zum guten kurialen Stil, dass solche Dokumente von den Personen signiert sind, die sie unmittelbar verantworten. Vor wem sollten sie, die Allsorgenden, sich jetzt plötzlich verstecken?

Was also ist der Grund dieses respektlosen Stilbruchs? Ist denn der römische Stuhl zu einem Robot mutiert, der selbständig seine Verlautbarungen generiert, nachdem er Denzinger und Codex bis auf Punkt und Komma in sich verrechnen kann? Natürlich steckt hinter dem Inhalt eine Gruppe von einflussreichen Kardinälen und Bischöfen (inner- und außerhalb des Vatikans), die seit geraumer Zeit schon ihr denunziatorisches Spiel treiben und dem Papst ihre subjektiven Geschehensversionen einflüstern; so gesehen geht es noch immer wie in einem absolutistischen Staatswesen zu. Einige Stimmen sind wohlbekannt, andere werden von Insidern vermutet oder lassen sich mit Plagiatsvergleichen aufspüren, von wieder anderen weiß man, wie nahe sie dem Papst stehen. Warum gibt es unter ihnen nicht wenigstens eine Person, die für diese hinterhältige Aktion ihren Namen hergibt?

Die Schrecken vor und die Verachtung gegenüber den deutschen Ereignissen müssen tief eingedrungen sein und die Art der Reaktion ist bezeichnend. Auch scheint der konkrete Gehalt kritisierter Positionen nicht zu interessieren, denn der Stuhl reduziert alles auf ein Autoritätsproblem, auf Befehl und Gehorsam: Seid ihr für oder gegen mich? Der Synodale Weg in Deutschland, so der Stuhl, sei „nicht befugt, die Bischöfe und die Gläubigen zur Annahme neuer Formen der Leitung und neuer Ausrichtungen der Lehre und der Moral zu verpflichten.“ Herr im Hause sind also wir. Dabei möchten die reformorientierten Glaubensgeschwister in Deutschland doch nur ins Gespräch kommen und Auswege aus der Kirchenmisere aufzeigen.

Deshalb verdient dieses Schriftstück keine Beachtung, solange keine Unterschrift nachgereicht ist. Nach allen Regeln einer geschwisterlichen Kommunikation haben sich Autor bzw. Autoren des Textes durch ihr Verhalten vorerst diskreditiert. Dass Papst Franziskus dem Schreiben zugestimmt hat, ist nicht auszuschließen, denn auch er hat sich vor einigen Wochen in verdeckt-ironischer Weise über den Synodalen Weg geäußert. Es gebe schon eine gute Evangelische Kirche, meinte er, wir bräuchten keine zweite. Diese böse Ironie hat das Papstamt nicht nötig, es sei denn, es möchte selbst mit Ironie behandelt werden und seine Autorität ruinieren. Papst Franziskus wähnt sich fortschrittlich, indem er das entscheidende Drittel der Synodalität einfach kassiert: zuhören und begegnen ja, mitentscheiden nein. So wird Solidarität zur scheppernden Münze und den Betroffenen, die sich mit ihrem Herzblut an der Reform einer zerbrechenden Kirche engagieren, wird jetzt auch das Recht der Begegnung verweigert.

Allerdings gibt dieser Eklat auch jenen zu denken, die den Synodalen Weg voranbringen und mit erstaunlichem Selbstbewusstsein an der Erstellung der einschlägigen Papiere arbeiten, denn man kann sich über die angemessene theologische Qualität etwa des schon vorliegenden Orientierungs- und des schon weit gediehenen Amtspapiers streiten. Das Orientierungspapier ergeht sich in Allgemeinheiten auf Grundkursniveau und das Amtspapier kommt über Vorschläge zur Symptombehandlung der Machtfrage nicht hinaus; auf die traditionellen Argumente der Gegenseite geht es nicht ein. Die Bischöfe sollten von den Reformkräften auch hören dürfen, warum ihre Traditionsargumente eben nicht überzeugen und wie oft diese schon einhellig widerlegt wurden. Immanente Kritik ist noch immer die konstruktivste und sie gehört zu einem fairen Gespräch.

Allerdings würde sich dann auch zeigen: Nicht ungeschoren bleiben darüber hinaus auch traditionelle Glaubensformen. Sie galten bislang als tabu und zu ihrem Schutz wurden unter den vorhergehenden Pontifikaten gravierende Sanktionen verhängt gegen Theologinnen und Theologen, theologische Konzepte und postorale Praktiken. Johannes Paul II. und Benedikt XVI. sind als Meister ausgeklügelter Blockademaßnahmen nicht vergessen. Die Liste der Verurteilungen ist lang und es würde sich lohnen, diese Fehlentscheidungen noch einmal durchzugehen, offen zu benennen und auf Widerrufe zu drängen, denn geholfen haben die drastischen Maßnahmen von vorgestern nur wenig. Im Gegenteil, sie haben den Niedergang beschleunigt und vergiften die Atmosphäre bis heute; bloße Appelle zur Geschwisterlichkeit nützen da wenig. Ohne ausdrückliche Korrekturen und konkrete Richtigstellungen kann es keine Heilung geben.

Grundlegende Korrekturen des römisch-katholischen Menschenbilds und unserer Erlösungsideen sind ebenso fällig wie die Revision von Christus- und Gottesbildern, die bis heute von spätantikem Denken geprägt sind. Uns interessiert nämlich nicht nur, wie monokratisch unsere Bischöfe mit ihrer Macht umgehen, sondern auch, was ihre kirchliche Macht konkret bewirken will, auf welche Menschen sie trifft, ob diese Macht uns als geborene Sünder traumatisieren darf und ob es eine heilsnotwendige Sakramentenkirche gibt, hinter der das prophetische Wort verblassen muss. Wer eine solche Auseinandersetzung nicht wagt, kann auch in Sachen Missbrauch und Vertuschung nicht auf eine grundlegende Erneuerung hoffen, denn beide Wirklichkeiten gehören zusammen. Solche Überlegungen könnten auch zeigen, warum katholische und evangelische Kirchen in Sachen Relevanzverlust im selben Boot sitzen. Vielleicht würde so auch klar, warum und wozu ökumenische Gespräche unverzichtbar sind. Sie müssten endlich den Konfessionalismus beider Seiten überwinden, statt ihn bei jedem Anlass im gegenseitigen Lob immer wieder zu bestätigen.

Wie bekannt, verlassen immer mehr Gläubige die offizielle Institution der römisch-katholischen Kirchen, um ohne ihre Zwänge und Unbußfertigkeit ein glaubwürdigeres christliches Leben zu führen. So wurde der Kirchenaustritt inzwischen zu einer spirituell begründbaren und weithin beachteten Entscheidung, die eine Zusammenarbeit mit katholischen Christ*innen, selbst Gottesdienstbesuche nicht ausschließt. Sie signalisiert, was schon bei Paulus zu lesen ist: Wir stehen zu unserer Kirche, brauchen aber keine „Überapostel“, die es bei uns wieder gibt. Auch Paulus ließ sich von ihnen nicht beeindrucken (2 Kor 11,5; 12,11). Ihretwegen gibt es heute viele, die dem Anschein nach „draußen“, in Wirklichkeit aber „drinnen“ sind, wie Augustinus schon sagte. Solange die Personen auf dem Bremserstühlchen diese Dialektik nicht begreifen, sollten sie sich nicht wundern, wenn ihnen in wachsendem Maße alle Glaubwürdigkeit abhandenkommt und sie nicht mehr als Bürgen der apostolischen bzw. christlichen Botschaft anerkannt werden. Möglicherweise ist mal wieder die Zeit gekommen, um Petrus und den eingeschleusten Traditionsaposteln ins Angesicht zu widerstehen (Gal 2.11). Das ist keine Drohung, sondern gehört zu den Zeichen der Zeit. Und noch einmal: Wer ernstgenommen werden will, möge sich an die Umgangsregeln des gegenseitigen Respekts halten.

Hinweise:

1. Zum Orientierungstext des Syndalen Wegs vgl.: https://www.hjhaering.de/orientierungsloser-orientierungstext-ein-zwischenruf-zum-synodalen-weg/

2. Zum Papier des SW Macht und Gewalterenteilung in der Kirche vgl.: https://www.hjhaering.de/testfall-fuer-den-synodalen-weg-macht-und-gewaltenteilung-in-der-kirche/