Ist uns Gott verloren gegangen, welches Leben teilen wir?

In diesen Stunden geht der Katholikentag 2022 zu Ende. Er war wie immer bunt und vielfältig, obwohl er weniger Menschen zusammenführte als erwartet. Er hat versucht, ein wunderbares Motto zu entfalten: Leben teilen. In mancher Veranstaltung mag das gelungen sein, doch an mehr als an einer Stelle war darüber zu klagen, dass auf unserer Erde das Leben eben nicht immer geteilt, sondern geneidet, klein gehalten, abgewürgt und vernichtet wird, in und außerhalb der Kirchen. Der milliardenschwere Kyrill I., Amtsinhaber des Dritten Rom, das mit dem Anspruch auftritt, die unverkürzte Wahrheit des gesamten Christentums zu vertreten, stürzt im Augenblick seine Mitkirchen in Schimpf und Schande. Exkommunikation wäre angesagt, aber nur wenige wagen es, offen gegen ihn eine christliche Stimme zu erheben und zu protestieren gegen seine Verteufelung einer Botschaft, die dem Leben dienen soll.

Dies geschieht in einer Epoche, die uns in unserem Kulturkreis unverblümter denn je mit der Gottesfrage konfrontiert: Gibt es Gott? Warum ist Gott in unserer Öffentlichkeit verlorengegangen? In der vergangenen Wochen haben Sie sich – direkt und indirekt – diese Frage in einer Ausstellung über D. Bonhoeffer stellen lassen. Mit hoher Sensibilität hat er sie ja schon früh kommen sehen und durch sein Schicksal erhielt diese Frage besondere Dringlichkeit. Zusammen mit Ihnen möchte ich ihr in dieser Stunde nachgehen.

Ist Gott verloren gegangen? Der Gottesverlust, den wir heute beklagen, hat verschiedene Stufen. Wir sollten versuchen, sie alle im Blick zu halten und ihre inneren Zusammenhänge ernst zu nehmen. Nur dann können wir in verschiedenen Situationen unterschiedlich, weil sachgemäß reagieren. Denn so pauschal die Frage nach Gott auch klingt, in der Regel stecken hinter ihr ganz verschiedene Erfahrungen, auch Biographien, unverdaute Ereignisse. Mit diesem Ziel möchte ich einfach erzählen, welche Entwicklungen mir in den vergangenen Jahrzehnten begegnet sind. Dass ich allerdings nicht mit einer Katastrophengeschichte enden werde, das kündige ich jetzt schon an, bevor Sie diesen Gottesdienst schon frühzeitig und enttäuscht verlassen.

1. Gottesverlust der Empörung und bleibenden Enttäuschung

Die aktuellen ukrainischen Kriegsereignisse erinnern mich an meine Kindheit; 1945 wurde ich acht Jahre alt, seitdem klangen die Grauen des zweiten Weltkriegs nach. 1947 berichtete mein Vater einmal empört von Wolfgang Borcherts Schauspiel „Draußen vor der Tür“. Er zitierte: „Wo warst du da eigentlich, als die Bomben brüllten, lieber Gott? Oder warst du lieb, als von meinem Spähtrupp elf Mann fehlten?“ Erst später begriff ich den Schrecken der religiösen Verlassenheit, die sich da aussprach. Ein Gott, der uns im Stich gelassen hat? Es war ein Gottesverlust der Empörung, der damals viele überkam, selbst im geschlossen katholischen Dorf meiner Kindheit. Eltern und Ehefrauen gefallener Soldaten brachen im Elend mit ihrer Kirche und ich spürte noch lange den verdeckten Riss, der seitdem durchs Dorf ging. Selbst der hoch geachtete Pfarrer konnte keinen Trost mehr spenden. Erst später wurde mir klar, dass sich auch Theologen ein Leben lang mit dieser Verlusterfahrung auseinandersetzen, Johann-Baptist Metz etwa und Jürgen Moltmann; D. Bonhoeffer hätte wohl auch dazu gehört, der schon Jahre zuvor das Problem auf uns zukommen sah.

Schlimmer noch, diese Gottesempörung wurde in vielen Familien zur bleibenden Erinnerung und verständlichen Tradition. Fortan galten sie als unkirchlich und gottlos, wurden als Kommunisten und Atheisten geschmäht. Im Gegenzug wandelte sich ihre Wut zur Verhärtung und bleibenden Enttäuschung. Und wiederum wurde mir erst später deutlich: Schon ein Großteil der früheren Gottes- und Religionskritik war aus Enttäuschung geboren. Doch die Kirchen haben auch dies nicht durchschaut, stattdessen umso eifriger Gottes Macht und Herrlichkeit verkündet. Welch ein Missverständnis! Ich weiß nicht, wie viel ukrainische Frauen und Männer in unseren Tagen dem Gott ihrer Kindheit abschwören, weil der russische Zerstörungsfeldzug mit scheinchristlichen Motiven legitimiert wird. Umso mehr Respekt verdienen die wenigen russisch orthodoxen Theologen und Popen, die ihrem Papst des Dritten Rom widersprechen, sowie die ukrainisch-orthodoxe Kirche die sich inzwischen von Moskau getrennt hat.

2. Gottesverlust der Resignation und des wachsenden Vergessens

Doch die Geschichte des Gottesverlustes ging bei uns weiter. In zahllosen Gesprächen und Auseinandersetzungen erlebte ich in den späteren Jahrzehnten, wie diese leidenschaftliche Empörung über Gott allmählich verblasste. Der Gottesverlust, in der folgenden Generation schon zur Gewohnheit geronnen, hatte ja auch seine bequemen Seiten. Die Erinnerung an einen herausfordernden Gott störte nicht mehr. Heinrich Böll schrieb 1955 die bitterböse Satire über „Dr. Murkes gesammeltes Schweigen“. Er nahm jene medialen Kulturträger aufs Korn, die den Namen „Gott“ lieber vermieden. Also sprachen sie verschwommen und verquast von „jenem höheren Wesen, das wir verehren“, ohne einen konkreten Bezug zu unserem Leben herzustellen. Für weitergehende Lebensfragen boten sich im aufblühenden Wirtschaftswunder ja Ersatzstoffe, Lückenfüller an: Wohlstand, technische Errungenschaften, faszinierende politische Utopien, später eine raffinierte Unterhaltungselektronik. Das war eine schleichende, aber wirksame Entwicklung. Immer öfter ließen sich die kommenden Generationen von Scheitern, den quälenden Sinnfragen und den vielen Toden ablenken, die auch sie verarbeiten mussten.

Natürlich gelang dieser Maschinerie der Ablenkung nie die Vollendung. Ein unterschwelliger Grundton blieb virulent. Noch heute füllen sich bei Katastrophen die Kirchen, Bachpassionen sind zur Erhaltung des inneren Gleichgewichts nach wie vor beliebt und – für mich noch auffälliger – bei gesellschaftlichen und politischen Katastrophen wird nach den Schuldigen gefragt, als seien die Medien der liebe Gott, sei es nach dem 8. September im Ahrtal oder bei der aktuellen Neigung, eine jahrzehntelange Friedenspolitik als böswillige Ursache für Putins Irrsinn darzustellen. Auch ohne Gott können wir mit ungelösten Fragen nicht umgehen. Viele unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger stecken wohl in dieser moralisierenden Phase fest.

3. Gottesverlust der Banalisierung

So sind wir, religiös oder nicht, in ein Dilemma geraten. Einerseits konnte die Gottesfrage nicht verstummen, andererseits konnte sie den komplexen Sinnproblemen nicht mehr standhalten. Die technische Welteroberung und eine wachsende Unübersichtlichkeit erschwerten die Situation. 1950 nannten sich noch gute 96% der Deutschen christlich, 1990 waren es 72% und 2022 haben wir die magische Grenze von 50% unterschritten. Wir stellten deshalb auf Verteidigung um und begannen, die Existenz Gottes auf einfache Fragen herunterzubrechen. Wir vereinfachten unsere Bilder von Gott; sie mussten ja plausibel, die Gottesdienste zu reißenden Events werden und wir ließen den innerkirchlichen Streit ausgeklügelter Werbetechniken zu: der Messias zeigt sich hier oder dort, unverhohlener denn je: im katholischen Triumphalismus, im evangelikalen Buchstabenglauben, bald auch in der stärkenden Yoga-Übung oder in esoterischen Heilsbotschaften, möglichst mit Verschwörungsverdacht. Wir kennen unsere Freundinnen und Freunde, die sich auf diese Suchbewegungen eingespurt haben, vielleicht gehören wir selbst dazu.

Auch diese Entwicklung hatte sich vor Jahrhunderten angebahnt. Unsere Kirchen wurden ja allmählich zu kulturellen Fremdkörpern und stellten Alleinstellungsmerkmale heraus. Für die einen wurde Gott zur großen Stütze der Innerlichkeit, für die anderen zum politischen Triumphsignal. „Gott mit uns“ stand im zweiten Weltkrieg auf den Koppelschlössern. Und als katholische Jungen schwangen wir begeistert die Fahnen für Christus und sangen: „Christus mein König,/ nur dir allein/ schwör ich in Liebe lilienrein/ bis in den Tod die Treue.“

Auf diese Banalisierung und Verfügbarkeit der Gottesbilder hat schon D. Bonhoeffer in seiner untrüglichen Intuition reagiert: „Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht.“ Wir können das Geheimnis des Göttlichen ebenso wenig absichern wie den Frieden und ich schaue immer irritiert nach Rom, wenn die Heiligsprechung eines frommen Menschen mal wieder mit einem Heilungswunder unterfüttert wird. Viele religiös eifrige Gruppierungen stehen heute in dieser Banalisierungs- und Verkitschungs­gefahr, die in frommen Fernsehkanälen tagtäglich mit Händen zu greifen ist.

4. Gottesverlust der Entfernung

Wen soll das noch interessieren, der/die mitten im Leben steht? So wurde es in der Öffentlichkeit schließlich still um Gott. Auch diesem Katholikentag wird die Trauer vieler seiner Besucher folgen, die morgen wieder in einen gottlosen Alltag eintauchen müssen.

Doch auch an diesem Punkt hat sich etwas gewandelt. Zwar verkommen die banalen Gottesbilder für die einen zu einem nichtssagenden Nichts; ihr Geheimnis hat sich, wie es scheint, in Luft aufgelöst. Doch für andere erwuchs daraus ein gereinigtes, aber schwieriges Gottesbild. Wir kennen die Formeln für diese kostbare, doch auch irritierende Erfahrung. Karl Barth nennt Gott den „ganz Anderen“ und befreit ihn von den Schlacken einer engstirnigen Bürgerlichkeit. Wie aber sollen wir mit dem „ganz Anderen“ umgehen? Der Stuttgarter Philosoph W. Weischedel spricht in äußerster Nüchternheit vom „Vonwoher unserer Fraglichkeit“, dabei macht er deutlich, dass wir alle uns selbst eine Frage sind. Doch bleibt von Gott nicht mehr übrig als ein Horizont, der sich unsichtbar um die Wirklichkeit herum legt und den ich gerade nicht mehr sehen kann. Andere entdecken das göttliche Geheimnis in der Überraschung, aber auch in dem großen „Mangel“ oder in der „Unterbrechung“, wenn also etwas wie ein Blitz in mein Leben fährt (M. de Certeau). Selbst das Wort „Gott“ zeigt sich als ungenügend. „Gott“ ist, wie Tillich sagt, nur das Symbol für den wirklichen Gott, weil Gott und sein Geheimnis immer größer sind als unsere Sprache.

Aber bitte, fragen Sie vielleicht gelangweilt zurück: Wer außer einigen Religionsvirtuosen kann mit solchen Abstraktionen, mit solchen ausgedorrten Bildern etwas anfangen? Was soll denn diese Gottesferne in einer orientierungslosen Gesellschaft noch ausrichten? Sind wir nicht in eine anonyme, nichtssagende Leere und Weite gefallen, stürzen wir nicht in einen dunklen, orientierungslosen Raum, wie es schon Nietzsche sagt, in eine Atmosphäre der unerträglichen Beliebigkeit und Langeweile, die allenfalls noch mit Sehnsucht und einem Erschauern über die Frage gefüllt ist, was denn jenseits aller Horizonte überhaupt noch sein sollte? Ist es nicht verständlich, dass in einer so entleerten Situation neue „Wahrheiten“, neue Messiasse und neue Verschwörungstheorien auftauchen? Und schließlich: Fällt dieses Dunkel nicht mit dem Problem zusammen, dass wir uns selbst undurchsichtig, zum Rätsel geworden sind?

Allerdings, wenn wir religionssoziologischen Studien trauen, kann diese Ferne auch anders erfahren werden; an ihr ist gerade nichts mehr banal. Nichts, was diese Weiten füllt oder leer lässt, ist noch selbstverständlich, sondern höchst erstaunlich, das sagen uns Mikro- und die Kosmophysik ebenso wie die Psychologie und die Anthropologie. Niemand von uns hat sein/ihr Zentrum einfach in sich. Jede Ich-Erfüllung braucht einen zweiten Brennpunkt, wie eine Ellipse oder gar wie eine Parabel, deren zweiter Brennpunkt ins Unendliche verlagert ist. So zeigt sich das göttliche Geheimnis eben in Erfahrungen des Verlusts, die uns demütig machen.

Deshalb vermuten wir jenseits des Horizonts Tiefen, in denen unsere Hoffnungen und Visionen verankert sind. Augustinus spricht von der Unruhe des Herzens, Johannes vom Kreuz von der Nacht der Sinne, der Buddhismus vom Nirwana, jenem Unbestimmbaren also, in dem alles ins Eine zusammen kommt. Das also scheint mir das neue Fluidum der Gottesfrage in einer säkularisierten, religionsanonymen Gesellschaft zu sein.

Doch noch einmal: Angesichts dieser Situation erschrecke ich dennoch, wenn ich das Wort von D. Bonhoeffer höre, wir müssten „vor Gott leben, als ob es Gott nicht gäbe“. Sollen wir die Not zur seltsamen Tugend machen, die Gottferne zur beglückenden Frömmigkeit umstilisieren? Ist dieser paradoxe Satz nicht eine neue Ideologie von Übergescheiten, die uns auch noch unseren Gottesverlust schönreden wollen?

5. Gottes verborgene Nähe: Das Leben teilen

Ich meine, dass uns das Motto des zu Ende gehenden Katholikentags eine Antwort gibt, aus der schon D. Bonhoeffer gelebt hat: Gott mag uns fern erscheinen, er mag wie Gottes Reich verborgen sein, doch das gegenwärtige Leben von Menschen und Welt ist reine Gegenwart. „Das Reich ist da!“ Aus dieser Erfahrung lebt unsere säkulare Welt, auch Jesus von Nazareth. Wenn er nach Gottes Reich gefragt wird, hält er keine Vorträge über die Größe Gottes, sondern er erzählt Geschichten, Gleichnisse von Beziehungen, vom Verlieren und Finden, von Streit und Versöhnung, von Arbeitsleistung und Arbeitslohn und auf die Frage, was das wichtigste Gebot sei, gibt er eine bemerkenswerte Doppelantwort: „Du sollst den Herrn, Deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, mit ganzer Hingabe und mit deinem ganzen Verstand“, und: „Liebe deine Mitmenschen wie dich selbst“ (vgl. Lk 10, 27).

Vielleicht wird das Revolutionäre dieser Doppelantwort meist übersehen. Wir lesen sie gerne als die Summierung zweier Gebote, die natürlich mit der Gottesliebe beginnt und der die Liebe zu den Mitmenschen – als moralische Verpflichtung ‑ zu folgen hat. Aber Jesus zählt die Gebote nicht auf, sondern identifiziert sie miteinander: für uns wird das Gebot der Gottesliebe in der Nächstenliebe Wirklichkeit. Diesen geheimnisvollen, ganz anderen, so verborgenen Gott liebt, wer die Menschen liebt. So einfach und so schwer ist das. Gottes Reich beginnt damit, dass wir uns (auch und zunächst) den Menschen zuwenden „von ganzem Herzen, mit ganzer Hingabe und mit dem ganzen Verstand“. Das göttliche Geheimnis, ist gerade nicht jenseits im Himmel, sondern hier in unserer Solidarität zuhause, so fragmentarisch diese auch bleiben mag. Gott geschieht als Ja zu den Mitmenschen. Sein Geheimnis ist in den Beziehungen gegenwärtig, in denen wir unser Leben teilen.

So können wir der Wirklichkeit Gottes nur näher kommen, wenn und soweit wir uns abstrichlos auf die Wirklichkeit unserer Welt, auf unsere Gesellschaft und all ihre Fragen einlassen. Leben teilen heißt alles teilen, dessen unsere Mitmenschen bedürfen, was auch zu ihrem Leben gehört: unsere Lebensbedingungen, unsere Sprache und Art der Verständigung, unser Land, Ressourcen, Hoffnungen und Enttäuschungen, der gegenseitige Respekt, die Lust auf Freiheit und Autonomie. Gott geschieht, wenn sich unser Egoismus in der Lust auf Gemeinschaft auflöst. Gleich ob wir Gott dabei nennen oder nicht, wir sollten den Namen „Gott“ (dieses von Menschen gemachte Wort) dann sogar verschweigen, wenn er unsere Gemeinschaft und Gemeinsamkeiten stört. Sonst plappern wir wie die Heiden.

„Was ihr den Geringsten meiner Geschwister getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40) Genau das ist die große Vision Jesu vom Gottesreich: das Leben vorbehaltlos gerade mit jenen zu teilen, denen man es geraubt oder nie wirklich gegeben hat. Man braucht dazu kein gläubiger Mensch zu sein und die Berufung auf „Gott“ spielt dabei keine Rolle. Vor Gott leben heißt nicht, ihn/sie als solchen zu erfahren, sondern ganz in den Strom dieses Lebens einzutauchen, mit all seinen Brüchen, Herausforderungen und Sehnsüchten, die uns von aller Banalität abhalten, weil sie nicht banal sind. Nur so offenbart sich uns ein Leben in einer „Fülle“, zu der auch die Wüste und der Durst, die Grenze und der Tod gehören. Da gilt es nichts festzuhalten, sondern nur zuzulassen, auch wenn das Meer geschlossen bleibt oder sich spaltet, das Wasser hinter Granitwänden der Wüste versperrt ist oder aus dem Felsen sprüht. In der Lesung, die wir vorher hörten, war gleich zweimal davon die Rede, dass sich die frühe Gemeinde zum „Brotbrechen“ und zum „Mahlhalten“ traf. Damit kann nicht einfach eine liturgische Abendmahlsfeier mit Auserwählten gemeint sein. Nein, man hat sich schlicht getroffen, um gemeinsam zu essen und zu trinken, wie es schon Jesus tat. Schon in der profanen Mitte eines jeden gemeinsamen Essens und Trinkens steht das Leben, in dem sich Gott schon immer verbirgt.

So können wir vor Gott ohne Gott leben, als ob es ihn nicht gäbe, weil Gott und sein Geheimnis im Leben der Welt ohnehin schon gegenwärtig sind. Gerade deshalb können wir auch nicht ausschließen, dass das umfassende Geheimnis Gottes dann doch irgendwann „wie der Blitz bis zum Westen hin leuchtet, wenn es im Osten aufflammt“. Ich bin davon überzeugt: Viele von uns haben dieses Licht gerade in einer säkularisierten Welt schon erfahren und sie können glaubwürdig dafür sorgen, dass Gott nicht nur in aller Verborgenheit vollzogen wird. Er kann und sollte auch als offene Menschheitserinnerung wach bleiben: Wir bleiben eben dennoch, gerade in säkularisierten Zeiten, von guten Mächten wunderbar geborgen.

Predigttext: Mt 24, 23-28: „Glaubt ihnen nicht!“

23 Wenn dann jemand zu euch sagt:
Seht, hier ist der Messias!,
oder: Da ist er!, so glaubt es nicht!
24 Denn es wird mancher falsche Messias und mancher falsche Prophet auftreten,
und sie werden große Zeichen und Wunder tun,
um, wenn möglich, auch die Auserwählten irrezuführen.
25 Denkt daran: Ich habe es euch vorausgesagt.
26 Wenn sie also zu euch sagen: Seht, er ist draußen in der Wüste!, so geht nicht hinaus;
und wenn sie sagen: Seht, er ist im Haus!, so glaubt es nicht.
27 Denn wie der Blitz bis zum Westen hin leuchtet, wenn er im Osten aufflammt,
so wird es bei der Ankunft des Menschensohnes sein.
28 Überall wo ein Aas ist, da sammeln sich die Geier.

Predigt vom 29.05.2022 in der
Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde, Stuttgart-Weilimdorf

Letzte Änderung: 7. Juni 2022