Bei seinem Reformvorhaben lässt sich der Synodale Weg (SW) von vier Kernfragen leiten lassen. Er debattiert über Art und Verteilung kirchlicher Macht, die angemessene Lebensform der Priester, ein Leben in gelingenden Beziehungen sowie über FRAUEN IN DIENSTEN UND ÄMTERN IN DER KIRCHE. Es ist gut, dass das letzte, beinahe vergessene Thema noch hinzugefügt wurde, denn es signalisiert kein bloßes Zusatzproblem. Es verleiblicht sich prominent in der Machtfrage, prägt das Grundverständnis der priesterlichen Existenz massiv mit und unterwirft die Frage gelingender Beziehungen einem unverzichtbaren Wirklichkeitstest. Schließlich kulminiert es aktuell in der viele bewegenden Frage: Warum, in Gottes Namen, soll den Frauen der Zugang zu den zentralen kirchlichen Ämtern nicht nur verboten, sondern auch prinzipiell unmöglich sein? Später wird sich zeigen, warum diese Frage falsch gestellt ist.[1] Zu diskutieren ist die Frage, ob nicht die vorherrschenden Heiligkeitsmodelle einer gründlichen Korrektur bedürfen.
Textaufbau
„Weder Mann noch Frau“ – Zum Ausschluss der Frauen aus den kirchlichen Kernfunktionen
1. Warum der Ausschluss von Frauen?
1.1 Eine komplexe Frauenangst
1.2 Vielfältige Motive
2. Formen der Heiligkeit
2.1 Sakrale Überhöhung der Ämter?
2.2 Prophetische Heiligkeit
2.3 Imperiale Unantastbarkeit
2.4 Kultische Reinheit
2.5 Übereignung an die Kirche
Exkurs: Die Verhärtungen des Trienter Konzils
3. Erinnerung an die Geschichte Jesu
3.1 Zeit des Umbruchs
3.2 Neue Gestaltungsregeln
3.3 Die Schlüsselfrage
Text
1. Warum der Ausschluss von Frauen?
1.1 Eine komplexe Frauenangst
Gewiss, gemäß offizieller Tradition war der Ausschluss von Frauen aus den Kernämtern allgemein und nahezu diskussionslos akzeptiert. Inzwischen haben sich jedoch schwerwiegende biblische und historische, ethische und kulturtheoretische, anthropologische und spezifisch theologische Zweifel angehäuft. Im westlichen Kulturraum wurde dieses Frauenverdikt zum römisch-katholischen Sonderproblem und die internen Fronten sind verhärteter denn je. Spaltungsängste werden hochgespielt und das Ende der katholischen Identität wird prophezeit. Mit dem enttäuschenden Brief von Papst Franziskus zur Amazonien-Synode ist ein weiterer Hoffnungsfunke erloschen[2], womit der SW umgehen muss. Seit der Reformation stand das katholische Amtssystem nie massiver unter Kritik.
Doch unsere Kirchenleitungen tun noch immer so, als hätte es Luther und Calvin, eine wissenschaftlich verantwortete Schriftexegese und kirchengeschichtliche Forschungen nie gegeben. Viele meinen noch immer, unsere Gemeinden würden durch mangelnden Glauben und nicht durch eine engstirnige Priesterpolitik zerstört. Dabei ist der verbotene Zugang von Frauen zum Bischofs-, Priester- und Diakonenamt nur die Spitze eines Eisbergs, an dem im Augenblick die öffentliche Glaubwürdigkeit der Purpurträger zerschellt. Die aktuellen Sexual- und Vertuschungsskandale werden noch immer auf das moralische Versagen Einzelner reduziert. Man bemüht die Folgen der Aufklärung, die Unmoral der 1968er Jahre oder ganz allgemein die verstärkten Verführungen des Teufels. Dabei kann niemand mehr leugnen, dass diese Skandale durch etablierte Kirchenstrukturen stark begünstigt wurden. Woher kommt diese Verblendung und warum fällt es so schwer, die klerikal männerbündische Festung zu sprengen?[3]
Ich möchte hier einigen Gründen nachgehen, die entscheidend zum Ausschluss von Frauen aus der klerikalen Gralsburg geführt haben. Unbestritten, die Gesamtentwicklung von gut 1900 Jahren ist äußerst komplex und lässt sich hier nur vereinfachend zusammenfassen. Doch lassen sich einige Linien erkennen, die mehr von zeitbedingten Vorstellungen als von der ursprünglichen Botschaft bestimmt sind.
Unbestrittenen ist heute, dass die frühchristlichen Gemeinde- bzw. Kirchenstrukturen aus den gesellschaftlichen Kontexten herausgewachsen sind. Gemäß den ersten Kapiteln der Apostelgeschichte waren es Gemeinschaften von Gleichen, die sich vom Geist geführt wussten. Die Paulusbriefe bestätigen diesen Ansatz und illustrieren eine erste Kontur herausragender Funktionen, die er „Charismen“ nennt (1 Kor 12,31). Einziges Kriterium ihrer Legitimität ist der Dienst, den sie faktisch für die Gemeinden leisten (1 Kor 13). Dass diese ‑ je nach kultureller Umgebung – auf die bewährten Leitungsfunktionen anderer Religionsgemeinschaften bzw. profaner Vereine zurückgreifen (Diakon/innen, Vorsteher/innen, Presbyter/innen, Episkop/innen) zeigt, dass man in der werdenden Kirchenstruktur kein Alleinstellungsmerkmal suchte, ausgenommen vielleicht die Tatsache, dass man zwischen Juden und Griechen, Freien und Sklaven ebenso wenig einen Unterschied sah, wie zwischen Männern und Frauen (Gal 3,28). Deshalb kann man nicht oft genug darauf hinweisen, was von Hierarchen immer wieder verdrängt wird: Es gab Frauen von kirchenleitendem, kirchengründendem und apostolischem Rang, und sie waren nicht die Ausnahme. Man denke an Maria Magdalena, die in den Evangelien gegenwärtige „Apostolin der Apostel“, an die vielen in Röm 16 genannten Frauen (die Gemeindeleiterinnen Phöbe und Priska, die von Paulus hochgeschätzten Mitarbeiterinnen Maria, Tryphäna und Tryphosa und Persis, nicht zu vergessen die angesehene Apostolin Junia sowie Nympha (Kol 4,15)). Schon angesichts dieser hochoffiziellen Liste ist es absurd, Frauen heute die Ordination zu verwehren.
Dass Frauen im Laufe des 2. Jahrhunderts aus den Gemeindeleitungen verschwinden, hat wohl weniger mit dem Heiligen Geist als mit dem damaligen Zeitgeist zu tun, denn – von Ausnahmen abgesehen – standen Frauen keine öffentlichen Funktionen zu. Dieser Zusammenhang ist ebenso bekannt wie die frappanten Ausnahmen, die sich vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert noch halten konnten. Hubert Wolf zeichnet die erstaunliche, geradezu bischöfliche Machtstellung nach, die die hochadeligen Äbtissinnen machtvoller Klöster innehatten.[4] Dennoch hat sich bis heute gegen die allgemeine Integration von Frauen in die kirchlichen Kernämter ein unreflektierter Widerstand entwickelt, der schlicht die gesellschaftlichen Standards reproduzierte. Hinzu kam eine hochemotionale Empfindlichkeit, die sich rational kaum untermauern lässt. Dazu gehören gerade die neuerlich von Kirchenleitungen geäußerte Berufung auf „tiefere“ oder „spirituelle“ Gründe, auf das „Wesen“[?] der Frau, auf theologisch überhöhte, oft ironisch klingende Gedankenkonstrukte wie die Lobpreisung der weiblichen Würde[5].
Der Schleier des Irrationalen, der sich über solche Aussagen wölbt, macht skeptisch. Welche Blockaden bestimmen dieses klassische Ordinationsverbot wirklich? Welche Kontexte und versteckten Motive bleiben dabei unausgesprochen? Warum werden inhaltliche und formale Plattitüden phantasielos wiederholt, die etwa besagen, die Kirche sehe sich durch Jesus nicht zur Frauenordination ermächtigt oder die beiden Vorgängerpäpste hätten diese Lehrposition als unfehlbar bekräftigt? Warum konnte sich ausgerechnet Papst Franziskus in Querida Amazonia vom 12.02.2020 nicht einmal dazu entschließen, die Thematik als diskussionswürdig zuzulassen? Was trieb ihn zur ironisch und verletzend wirkenden Bemerkung an, man wolle nicht „auf eine Klerikalisierung der Frauen hinlenken und den großen Wert dessen, was sie schon gegeben haben, schmälern als auch auf subtile Weise zu einer Verarmung ihres unverzichtbaren Beitrags führen.“ (Nr. 100) Fehlt den Kirchenleitungen inzwischen selbst ein elementares Gespür für den Respekt, der sie vor solchen verzerrenden Bemerkungen zurückschrecken lässt?
1.2 Vielfältige Motive
Emotional ist die Gesamtsituation verfahren und in allen Kulturräumen blockiert; der Sprachverlust gegenüber den selbstbewusst auftretenden Frauen ist erschreckend und die Unfähigkeit der Kirchenleitungen zu einer konstruktiven Diskussion deutet darauf hin, dass die eigentlichen Gründe für das umfassende Nein überhaupt nicht mehr besprechbar, also verdrängt sind. Offensichtlich ist diese Verweigerung eng mit einem Frauenbild verknüpft, das in der christlichen Tradition seit dem 4. Jahrhundert emotional weiterwuchern, sich vertiefen und ausweiten konnte. Es dominierte eben nicht das Bild der freien, für den Sturz aller Herrschaften kämpfenden Frau, die wir im Magnifikat erfahren. Vielmehr dominierten
(1) … das patriarchal geprägte Bild einer Frau, die im Raum des Privaten zu Hause ist, dem Mann für seine Aufgaben zur Verfügung steht und ihm den Rücken freihält, damit er Welt und Kirche gestalten kann.
(2) … das biologisch unzutreffende Bild von der empfangenden, dienenden und sich hingebenden Frau, die ein Leben gebärt, das der Mann in sie gesät hat, also geradezu das Gegensymbol bildet zum lebenspendenden und Heil verleihenden Christus selbst.
(3) … das archaische Urbild des männlichen Erlösers, obwohl doch das Credo sagt, dass Christus Mensch geworden ist.
(4) … das augustinische Bild von der verführerischen Eva, die alles Böse in die Welt brachte und bis heute eine heilig/unheilige Heilsangst erzeugt.
(5) … die daraus folgende unversöhnte Spannung zwischen dieser sündigen Frau und der jungfräulichen Maria, die jeder Frau mit sinnlicher Zuneigung und sexuellen Beziehungen um inneren Vorwurf werden muss.
(6) … der existentielle Konflikt zahlloser pflichtzölibatärer Menschen, für die jede Zuneigung zu einer Frau nicht zur Glückserwartung, sondern zur Sündenfalle wird.
Es reicht also nicht, sich zu einem folgenlosen Lob über die Würde der Frau aufzuraffen, die Fehler der Vergangenheit global zu bedauern, die misogynen Traditionselemente etwas milder zu interpretieren, woraufhin man Frauen im Rahmen des Klerikalismus etwas bessere Funktionen zuweist. Es bedarf eines fundamentalen Paradigmenwechsels, der die archaische Frauenverachtung in all ihren Motiven ausdrücklich korrigiert, die Frauen für dieses massive Unrecht um Vergebung bittet, auf dieser Grundlage die Gottebenbildlichkeit aller Menschen zu einer glaubwürdigen Handlungsbasis macht und endlich einen Friedensschluss der Geschlechter in die Wege leitet. Nur dann wird das Mannsein als Zugangsbedingung zu kirchlichen Funktionen und Ämtern konsequent verschwinden. Diese spirituelle, inhaltliche und strukturelle Neuorientierung ist Aufgabe der gegenwärtigen Generation und wir tun gut daran, uns endlich dem Werk jener selbstbewussten Frauen anzuschließen, die schon seit Jahrzehnten an der Utopie der Geschlechtergleichheit arbeiten.
2. Formen der Heiligkeit
2.1 Sakrale Überhöhung der Ämter?
Bei diesen Überlegungen sei nur einer der vielen Aspekte herausgegriffen, die seit dem Siegeszug des Christentums in der Spätantike bis heute eine konstruktive Geschlechtergerechtigkeit blockiert haben. Da ist die Überhöhung der Leitungsämter, die spätestens seit dem 4. Jahrhundert eine autoritäre Schlagseite übernehmen. Nach allgemeiner Auskunft werden sie sakralisiert, gelten ihre Funktionen und Aufgaben ausdrücklich als heilig und deshalb als unantastbar, sind die Amtsträger mehr und mehr unberührbar. Die Frauen aber konnten diese Heiligkeit nicht repräsentieren.
Ganz überzeugend scheint mir diese Erklärung nicht. Was heißt es, die kirchlichen Ämter seien erst später sakralisiert worden? Qualifiziert nicht schon Paulus die Angehörigen der Gemeinden von Rom, Korinth oder Philippi als Heilige und Geheiligte? Stehen aus christlicher Perspektive nicht alle, die getauft sind, in einem qualifizierten Bezug zu Gott, der sie heiligt? Das Problem scheint mir also nicht zu sein, dass die Ämter später sakralisiert werden. Vielmehr haben sich die Inhalte und Vorstellungen dessen geändert, was als heilig gilt. Ich möchte hier vier unterschiedliche Konzepte nennen, die im katholischen Raum eine Rolle spielen. Im Folgenden spreche ich von einer prophetischen, imperialen, kultischen und kirchenfixierten Heiligkeit.
2.2 Prophetische Heiligkeit
Jesus war Prophet und lebte aus prophetischen Traditionen. Diese wollen nicht einfach zerstören, was unterdrückt, zur kraftlosen Gewohnheit verkümmert und dem Tode geweiht ist, sondern auch Zukunft eröffnen, das Heilige also in Gerechtigkeit, Versöhnung und Freiheit erneuern. Das Kriterium dieses Heiligen zeigt sich deshalb nicht in Erhabenheit und unerreichbarer Hoheit, sondern in einem menschenwürdigen Leben selbst. Deshalb erträgt die Prophetie keine Selbstgerechtigkeit. Jesus entlarvt die regelorientierten Religionsführer als heuchlerisch, weil ideologisch verblendet. Er spricht von den blinden Blindenführern (Mt 15,14) und fordert für den neuen Wein neue Schläuche (Mt 9,17). Selbst die Kernrituale eines altehrwürdigen Glaubens können überflüssig werden: „Lass deine Gabe vor dem Altar liegen, geh und versöhne dich zuerst …“ (Mt 5,23). Der Vorhang des Tempels zerreißt (Mk 15,38), die Alten beginnen zu träumen (Joel 3,2; vgl. Apg 1,17), das Messianische erscheint als reine Zukunft, als das Leben schlechthin. Die ersten Jüngerinnen und Jünger versuchen sich in diesem neuen Beginn. Zwar verharren sie einmütig noch Tag für Tag im Tempel, aber das Brot des Neubeginns brechen sie in ihren (profanen) Häusern. Dort halten sie miteinander Mahl im Jubel und in der Einfalt des Herzens. Dort loben sie Gott und sind beim Volk beliebt (vgl. Apg 2,46f). Eine Epoche der zukunftsoffenen, auf Welt und Gerechtigkeit bezogenen Heiligkeit bricht an.
Aus den spärlichen, oft schwer zu entziffernden Informationen des Anfangs sticht ein erster origineller Bericht des Paulus heraus, der eine wichtige Orientierung bietet (1 Kor 12). Es geht um die ersten elementaren Aktivitäten der Gemeinden: Apostel gibt es da, Propheten und Lehrer, aber auch Wundertätige und Heilende, solche die einfach mithelfen und andere, die vorangehen können, die in Zungen reden und die jedes ekstatische Reden zu übersetzen wissen. Dann folgt das berühmte „Hohelied der Liebe“ (1 Kor 13), das diese Tätigkeiten keiner speziell heiligenden Legitimation, sondern schlicht dem einen Kriterium der Liebe, also des Helfens und Unterstützens unterstellt. Schließlich zeigt sich, dass es damals schon schwierig war, die unterschiedlichen Begabungen unter einen Hut zur bringen (1 Kor 14). Nichts aber wird autoritär geregelt, sondern der Diskussion der Gemeinde überlassen. Paulus selbst scheint keine Partei zu ergreifen für die Zungenredner, sondern für das prophetische Reden. Nach ihm deutet es die Wirklichkeit nicht ekstatisch, sondern „mit Verstand“, sodass es auch „Ungläubige und Unkundige“ verstehen können. Prophetie hat also mit einem nüchternen Umgang und einer verständlichen Deutung der Wirklichkeit zu tun. Diese Passagen müssten allen einen Stich ins Herz versetzen, die sich gerne hinter hochkirchlichen Lehr-, Leitungs- und Ordnungsmodellen verstecken und darüber klagen, dass sie niemand mehr verstehen will.
Viele Exegeten weisen auf eine auffallende Eigenart hin: Paulus und andere neutestamentliche Texte umschreiben die neu entstehenden Gemeindefunktionen gerade nicht mit sakralen, sondern mit eher technischen Begriffen; die aus dem politischen oder profanen Vereinswesen übernommen sind. Feiert die urchristliche Gemeindeordnung also profane Triumphe, wie man oft lesen kann? Diese Folgerung wäre übertrieben, denn schließlich wissen sich diese Gemeinden vom Heiligen Geist geleitet und Christus ist in ihrer Erinnerung gegenwärtig. Aber offensichtlich haben sich gegenüber dem jüdischen Tempel- und Priesterbild die Kriterien des Heiligen verschoben. Jetzt geht es um eine Heiligkeit, die aus den traditionellen tempel- und staatsreligiösen Kriterien ausbricht. Und es ist völlig klar: Weil es im Kern um ein gerechtes und versöhntes Zusammenleben geht, können Sozial-, Ethno- und Genderkriterien keine Rolle mehr spielen, wie im Galaterbrief zu lesen ist.
Diese prophetische Heiligkeit bemisst sich also nicht an vorgegebenen Maßstäben des religiös Sakralen, sondern – durchaus religionskritisch – an den elementaren Kriterien eines guten Zusammenlebens und geht davon aus, dass auch Frauen Menschen sind. Diese Heiligkeit ist ganz angekommen beim Menschsein der Menschen, bei der Sorge um ihre Nöte, gemäß den Seligpreisungen bei der Hoffnung auf eine menschliche Zukunft. Vermutlich kommt auch der Synodale Weg keinen Schritt weiter, wenn er sich diese normative Ursprungssituation nicht neu erarbeitet und die aktuelle Kirchenstruktur nicht neu an Hand dieser Grundsätze vermisst.
2.3 Imperiale Unantastbarkeit
Die historische Entwicklung
Im Laufe des 4. Jahrhunderts setzen sich einschneidende Änderungen durch, deren Folgen für die kirchliche Rolle der Frauen einschneidend sind. Bekannt sind die staatspolitischen Umwälzungen unter den Kaisern Konstantin (293-337) und Theodosius (379-395); sie lassen sich mit den Schlagworten Staats- und Volkskirche umreißen. Doch die gesellschaftlichen und kulturellen Einzelfaktoren können wir im Detail noch immer nicht befriedigend rekonstruieren, die zum großen kulturellen und sozialen Durchbruch der christlichen Kirche führten und den Untergang der antiken Religionswelt beschleunigten. Unbestritten scheint aber zu sein, dass sich die aufstrebenden Kirchen schon im 3. Jahrhundert dem imperialen Ordnungsgefüge und seinen Verhaltensregeln immer mehr angeglichen haben. So entstanden (bischöfliche) Stadtkirchen. Einerseits hielten sie an einem synodalen Gemeinschaftsprinzip und an eisernen Wahlregeln fest, andererseits entwickelten sie ein Netz von gegenseitiger Über- und Unterordnung und glichen sich den Abhängigkeiten der staatlichen Provinzverwaltung an. Die alten Strukturen von Patriarchaten, Erzbistümern und untergeordneten Bistümern sind bis heute erkennbar. Das Reichsgefüge wird auch für die Kirche zu einem leitenden Ordnungsfaktor.
Wie wir ebenfalls wissen, ebnete sich die ursprüngliche prophetische Sprengkraft des „neuen Weges“ ein. Christ sein hieß jetzt nicht mehr, in apokalyptischer Glut auf die Zukunft des Gottesreichs hinzuarbeiten. Allmählich galt es, die hiesige Welt nach verträglichen Vorstellungen zu gestalten und zu ermutigen zu einer verlässlichen Bürgerschaft im aktuellen Großraum des römischen Imperiums und angrenzender Herrschaftsgebiete. Diese staatstragende Haltung wurde vom Staat reichlich honoriert. Die Kirchenleitungen werden staatlich besoldet und mit staatlichen Privilegien, das Bischofsamt wird mit kaiserlichen Ehren, u.a. dem imperialen Purpur ausgestattet.
Die Folgen
Kommen wir jetzt zur Kernthematik zurück, denn diese Entwicklungen haben für die Stellung der Frau in der Kirche desaströse Folgen. Jetzt werden Frauen in dem Maße, in dem sich die christlichen Stadtgemeinden dem öffentlichen Leben anpassen, unsichtbar, aus kirchenamtlichen Funktionen verdrängt. Könnten wir diese Entwicklung, einmal erkannt, heute nicht mit einem Federstrich wieder rückgängig machen? Dieser Versuch würde übersehen, dass sich damals auch das Amtsverständnis grundlegend geändert hat, denn die Träger des neuen staatskirchlichen Systems haben das gesamte öffentliche Ordnungsgefüge internalisiert.
Unter Theodosius werden Bischöfe zu Reichsfunktionären, übernehmen also eine kaiserlich sakrale Funktion. Jetzt endlich sind die Kriterien einer prophetischen Heiligkeit auch offiziell verschwunden, denn die neue imperiale Sakralität der Purpurträger hat mit der jesuanischen Prophetie nur noch wenig gemein. Sie speist sich nicht mehr aus einem apokalyptischen Erneuerungswillen oder aus der Durchbruchserfahrung zu einer neuen rettenden Zukunft. Jetzt gilt es, die machtpolitisch etablierte Herrschaft zu akzeptieren und deren gesellschaftliche Überlegenheit als gottgewollt zu bejahen. Jetzt strahlt der Bischof Ordnung, Stabilität und Macht aus. Er residiert in seiner hoheitlichen Basilika und thront auf seinem bischöflichen Sitz, genießt also die unantastbare Würde einer letzten Unnahbarkeit. Selbst das Bild Jesu Christi wird in diese Zwangsjacke eingebunden; der byzantinischen Würde gemäß wird er zum Pantokrator.[6]
Die Tragweite dieser Wende lässt sich kaum überschätzen. Schon seit dem 3. Jahrhundert drängt, wie schon gesagt, ein patriarchales Weltverständnis Bedeutung und Funktionen von Frauen zurück. In dem Maße, als byzantinisch sakrale Machtverhältnisse jetzt auch die Kirchenstrukturen prägen, wird das Verschwinden der Frauen irreversibel. Im Raum der machtvollen Erhabenheit und des autoritären Gestaltens haben sie nichts zu suchen. Wir können von einer ersten Form der Demütigung, ihrer politischen Entmächtigung sprechen. Im neuen gesellschaftlichen, partiarchal orientierten Kosmos haben sie faktisch ihren Ort verloren, im imperial-religiösen Raum verlieren sie ihre Rolle prinzipiell. Denn nur das Mannsein kann diese religiöse Herrschaft symbolisieren, zu der die prophetische Botschaft kein Gegengewicht mehr bildet. Heute ist von den Bischöfen keine Bekehrung zu erwarten, wenn sie nicht bereit sind, diese Katastrophe im christlichen Menschenbild zu verstehen.
2.4 Kultische Reinheit
Die historische Entwicklung
Über die frühe Rolle der Presbyter/innen ist wenig bekannt. Im 1./2. Jahrhundert gab es noch presbyteriale Gemeindeordnungen, darunter auch im bischofsfreien Rom. Später feierten sie die Gottesdienste als Kollegium zusammen mit dem Bischof. Im 5. Jahrhundert (die Bischöfe agierten schon in kaiserlicher Würde) entsteht eine neue, später folgenreiche Entwicklung: Bisweilen wird von Presbytern berichtet, die außerhalb des Stadtgebiets kirchliche Aufgaben übernahmen; dazu gehörte auch die Feier der Eucharistie. Wichtiger noch ist eine Entwicklung in nördlicheren Gebieten: Beim allmählichen Zusammenbruch des weströmischen Reichs und Übergang ins frühe Mittelalter nahm die Bedeutung der Presbyter zu. Im wachsenden System von außerstädtischen Gemeinden (etwa der „Eigenkirchen“, über die der Adel verfügte) wachsen ihm neue Funktionen zu. Er wird von seiner bischöflich übertragenen Erlaubnis bzw. Vollmacht her definiert, die Eucharistie zu feiern (also „die Messe zu lesen“), zu predigen und die Beichte zu hören. Die sakramental heilsvermittelnde Tätigkeit rückt in den Mittelpunkt.
Der kollegiale Presbyter wird jetzt zum individuell agierenden Priester (sacerdos, sacerdote, prêtre, prete, priest) und er wird in dem Maße zum Kultdiener, als man die Eucharistie als ein kultisches „Messopfer“ versteht; die Theologie spricht später vom „unblutig wiederholten“ Kreuzesopfer Christi, von der unendlichen Sühne für unsere Sünden und der heilbringenden Gnade, die der Priester gegenwärtig setzt. In unvermittelter Direktheit hält er Gott selbst in Händen. Damit hat sich auch das Konzept der Gemeindeleitung verschoben und zugleich reduziert. Jetzt konzentriert sie sich auf eine kultisch-sakramentale Funktion. Der Heilsakt der Messe, die Taufe und die sakramentale Sündenvergebung überrunden die Bedeutung des ursprünglich prophetischen Wortes und der solidarischen Haltung.
Die Folgen
So kommt zum Ideal der unberührbaren imperialen Erhabenheit die kultische Reinheit als zweites klassisches Heiligkeitsmodell hinzu. Es greift, durch und durch moralisch geprägt, auf eine andere archaische Erfahrung zurück: die körperliche Reinheit und Unberührtheit, in der sich Gott zeigen soll. Dieser Aspekt gewinnt an Gewicht, und je häufiger im Wochenrhythmus die Priester die Messe lesen, umso beständiger hat der nächtliche Beischlaf zu unterbleiben, wird also das priesterliche Lebensideal in die Nähe des mönchischen gerückt. Zugleich entfaltet dieses Reinheitsideal eine spirituelle Kraft, die auch andere christliche Lebensvollzüge durchdringt.
Jüdische und heidnische Reinheitstraditionen, die Jesus überwunden hatte, leben wieder auf. Eine kultische Opfermentalität wird wiedererweckt und belebt in den Frauen wieder die Eva, das Tor zum inneren Unheil. Der Priester wird zur Kern- und Gegenfigur eines christlichen Heilserwerbs, die den Frauen eine kontinuierliche Opfer- und Sühnerolle aufzwingt, weil ihretwegen der Tod zu allen Menschen gelangte (Rom 5,12). So haben die Frauen nicht nur dem kultischen Altar, sondern in heilsrelevanten Zeiten auch dem Kultdiener fern zu bleiben. Diese Fixierung führt die Frauen in eine zweite Form der Demütigung, der Entheiligung und damit eines grundsätzlichen Misstrauens gegenüber ihrer Sexualität und damit ihrem weiblichen Wesen.
2.5 Übereignung an die Kirche
Die historische Entwicklung
Die neue Kult- und Opfermentalität setzt, wie schon angedeutet, die Ehen von Priestern in eine Dauerspannung, die zum Nachteil kultunfähiger Partnerinnen auszutragen ist. Im 11./12. Jahrhundert erhält dieser Dauerkonflikt eine neue Steigerung. Es ist die Epoche der Gregorianischen Reformen, die von Gregor VII. (1073-1085) eingeleitet wurden. Die Trennung von den Kirchen des Ostens ist vollzogen. Die westliche, unter Roms Patriarchat agierende Kirche gelangt zu einem nie dagewesenen Selbstbewusstsein und setzt gegenüber den „weltlichen“ Mächten eine bislang unerhörte politische Überlegenheit und Unabhängigkeit durch. Das synodale Element, das auf gemeinschaftlichen Entscheidungen begründet ist, erleidet massive Einschränkungen, „der Papst wird von niemandem gerichtet.“ Das Papsttum stilisiert sich zur sakralen Monarchie hoch. Das altkirchliche Ideal der imperialen Unantastbarkeit lebt ohne Einschränkungen wieder auf, wird spirituell vom Ideal der kultischen Reinheit befeuert und in die Ansprüche eines selbstherrlichen, juristisch definierten Kirchenbildes integriert.
Auch der Umgang mit den Sakramenten und die Bedeutung der Sakramentenspender (= Priester) werden diesem absoluten Regime unterworfen. Jetzt werden sie kraft ihrer Ordination zu „geweihten“ Personen. Sie sind ganz dem Bischof übereignet, der rigoros auch die materiellen, meist auf Pfründenbesitz begründeten Interessen seiner Kirche zu verteidigen hat. So wird das priesterliche Reinheitsideal für materielle Interessen instrumentalisiert. Spätestens das 2. Laterankonzil (1193) setzt den Zölibat als Bedingung für die priesterliche Lebensform durch; ab sofort sind die Ehen von Priestern ungültig, obwohl vermutlich die Mehrzahl der Priester noch lange in festen Beziehungen lebte.[7]
Trotz dieser Widerstände setzt sich das römische Regime durch und in konfessionellen Zeiten wird der Zölibat endgültig zum spirituellen Alleinstellungsmerkmal des Katholizismus; der Priester gehört allein noch Gott und seiner Kirche. Genau besehen hat sich in dieser lang andauernden, noch nicht abgeschlossenen Epoche das kultische Heiligkeitsmodell erhalten, aber jetzt wird es in kirchlichen Strukturen und durch sie unmittelbar durch ihre klerikalen Amtsträger realisiert. Dieser existentielle Herrschaftsanspruch der Kirche über ihr klerikales Personal und deren vorbehaltlose Identifikation mit dieser Institution wirken als ein entscheidender Motor zur wachsenden Selbstsakralisierung der katholischen Kirche. In der Neuzeit wirkt sie ungebrochen weiter, bis sie 1870 in der Definition der päpstlichen Unfehlbarkeit kulminiert. Die römisch-katholische Kirche hat sich jetzt zum Maß ihrer eigenen Heiligkeit und Wahrheit gemacht. Die Folgen dieses heiligen Narzissmus sind bis heute zu spüren.
Die Folgen
Auch diese Informationen über den Weg zum Pflichtzölibat haben für die spirituelle Stellung der Frauen desaströse Folgen. Nach wie vor gelten sie als die störenden Gegenpole zur kultischen Reinheit. Jetzt aber erhält dieser Konflikt eine existentiell unversöhnliche Note. Ich weise nur auf die bleibende Überforderung hin, die die naturwidrige Zölibatspflicht an sich der Klasse der Priester (nicht der Ordensleute) auferlegt. Kaum reflektiert sind die Folgen für das Bild und die Rolle der Frauen, die in das Netz dieser Konflikte geraten oder mit allen Kräften versuchen, es zu vermeiden. Im Konfliktfall bleiben (früher wie heute) einem zölibatären Priester nur zwei Auswege: Entweder er übertritt das sexuelle Berührungsverbot, dies auch mit allen Folgen für seine Partnerin, die mit sozialen Sanktionen und existentieller Not bestraft wird. Oder er flüchtet sich in innere Ersatzreaktionen mit allen destruktiven Folgen, die für Psyche und Lebensstil eintreten können. Dazu gehörten eine irrationale Selbstüberhöhung bzw. Sublimierung der eigenen Verzichtserfahrungen und ein verhärteter, weil täglich in Sieg oder Scheitern bestätigter Frauenhass, der seinerseits eine versöhnte Beziehung zu Frauen stört. Man muss sich klarmachen, dass sich dieser Krieg über Jahrhunderte hin auf zahllosen Kampfplätzen wiederholte, sich in der priesterlichen Spiritualität verstetigte und regelmäßig mit der psychischen oder physischen Niederlage der Frauen endete.
Dies alles führte und führt zum katastrophalen Nachteil der Frauen, denn aus offizieller Perspektive verführen sie nicht nur zu schwersten privaten Sünden der sexuellen Intimität, sondern auch zur Untreue der Priester gegenüber ihrem kirchlichen Auftrag. Konstitutiv bedrohen sie also das innere System, sozusagen den ganzen Heilsmechanismus einer sakramental ausgerichteten Kirche. Umgekehrt kann die Kirche den ständig nagenden Verzicht ihrer Priester nur dadurch ausgleichen, dass sie deren klerikale Stellung maßlos überhöht und die weibliche Gefährdung immer mehr dämonisiert. Diese Tragödie wurde schon zahllos beschrieben.
Diese priesterliche Selbstsakralisierung findet ihren klassischen Ausdruck, vielleicht auch Höhepunkt bei Jean-Marie Vianney (1786-1859), dem von Benedikt XVI. zutiefst verehrten „Pfarrer von Ars“, der darüber jubelt, dass der Priester Gott „in den Tabernakel setzen“ kann.[8] Sie lässt sich illustrieren mit einem Priesterlied, das vor 70 Jahren in unseren Gemeinden noch gesungen wurde: „Ein Priesterherz ist Jesu Herz, das Opferlamm für unsre Sünden, sucht überall in Sorg´ und Schmerz die müden Schäflein aufzufinden.“[9] In diesen ideologischen Tiefen bleibt für Frauen auch nicht mehr der geringste Anknüpfungspunkt, denn als Ideal katholischer Existenz gilt jetzt nicht mehr die „Nachfolge Christi“, die sich immer wieder auf den prophetischen Geist Jesu berufen könnte, sondern die „kirchliche Gesinnung“, die sich kritiklos am Willen der hierarchischen Kirche orientiert: „Was meinen Augen weiß erscheint, halte ich für schwarz, wenn die hierarchische Kirche so entscheidet.“[10] In diesem System hat sich das Grundmodell einer androzentrischen und misogynen Kirchenfrömmigkeit ad absurdum geführt.
Gegenwärtig zeigen sich die Folgen dieser entweltlichten und kirchenzentrierten Spiritualität in den sprachlichen Fehlleistungen vieler Hierarchen, wenn sie etwa mit abgegriffenen Floskeln versuchen, sich am Wert des Zölibats festzuhalten. Gegen alle historische Vernunft befördern die einen den Zölibat zur Lebensform Jesu, andere preisen ihn als angemessene Form der Nachfolge, wieder andere appellieren an eine „tiefe“ Spiritualität, die heute verloren gehe, oder sie flüchten sich in die pseudotheologische Behauptung, Frau und Mann würden sich ihrem Wesen nach unterscheiden. Alle diese Argumente enthalten ein Element der klerikalen Selbstüberhebung, die den Grundgedanken der Gleichheit vor Gott leugnet und an einem qualitativen Unterschied zwischen Klerikern und „Laien“ festhält.
Unausgesprochen leben diese mentalen Vorurteile aus einer zur Lebensform gewordenen Verachtung von Frauen und aus einer inneren Abwehr gegen sie, weil sie „wesenhaft“ dem heiligen Handeln der Priester entgegenstehen. Je irrealer sich dieser Ausgrenzungsversuch darstellt, weil zahllose Frauen in den Haushalten von Priestern, in ihrer Kommunikation mit der Gemeinde, in der Mithilfe bei Verwaltung und geistlicher Gemeindearbeit unverzichtbar sind. Umso erniedrigender ist die Demütigung aller Christinnen, die bei dieser Arbeit erleben müssen, dass die Kirchenleitungen sie konsequent vom geistlichen Kerngeschäft der Seelsorge fernhalten. Die Verabsolutierung und der beschriebene geistliche Narzissmus der hierarchischen Kirche führt die Frauen in eine dritte Form der Demütigung, ihrer kirchlichen Anonymisierung und der Verleugnung ihrer unentbehrlichen kirchlichen Präsenz.
Exkurs: Die Verhärtungen des Trienter Konzils (1545-1563)
Aus den Beschlüssen des Trienter Konzils – insbesondere den Dekreten zum „Messopfer“ (1562), zur Ordination (1563) und zum Kommunionempfang (1565) ‑ hat sich im Blick auf die Heiligkeit für die kirchliche Stellung der Frauen keine neue Situation ergeben. Gegenüber den reformatorischen Ansätzen wird das Alte wiederholt zur definitiven „das ist richtig so!“ hochstilisiert, die bekannten Fragen werden konsequent systematisiert und gemäß der dogmatisch rationalistischen Formelsprache präzisiert. Dies weckt noch stärker als zuvor den Eindruck, dass alle Regelungen einem unverrückbaren, übergeschichtlich universalen göttlichen Willen entsprechen. Faktisch bleiben die Frauen von den sakralen Ämtern ausgeschlossen, weil es schon immer schon war, wie man unreflektiert voraussetzt. Formal sind die Beschlüsse zu akzeptieren, weil das Konzil, damals noch die höchste kirchliche Instanz, die so wollte. Der Ausschluss von Frauen aus sakralen Ämtern scheint den Konzilsteilnehmern so klar zu sein, dass man darüber kein Wort verliert; im konziliaren Diskurs sind sie schlicht inexistent.
So lässt sich seit Trient eine innere Verhärtung der misogynen Regelungen feststellen. Die formale Gültigkeit der Festlegungen wird jetzt von der kirchlichen Autorität abgeleitet und das gesamte Glaubenssystem entwickelt sich von einer umfassenden Tradition zu einem antiprotestantischen Marker. Das gilt auch für die Position der Frau; jetzt führt schon die katholische Identität an sich zu ihrem Ausschluss aus der Sphäre der Ämter; sie werden wehrlose denn je. Man mag das bis in die 1960er Jahre noch ertragen haben. Seitdem sich aber in den Kirchen der Reformation Wege zum Pastorenamt von Frauen eröffneten und sie mit Erfolg begangen wurden, hat sich unter katholischen Frauen die Erfahrung der Diskriminierung noch einmal verschärft. Die seitdem nie aufgelöste antiprotestantische und antimodernistische ‑ Verhärtung hatte alle Öffnungsperspektiven verbaut. Diese von Blockaden besessene Haltung zeigt sich in den letzten päpstlichen Verlautbarungen von Johannes Paul II. (Ordinatio Sacerdotalis, 1994) und Benedikt XVI. (2012) zum kategorischen Ordinationsverbot der Frauen.
3. Erinnerung an die Geschichte Jesu
3.1 Zeit des Umbruchs
In ihrer langen Geschichte hat die römisch-katholische Kirche große menschliche, staats- und gesellschaftspolitische Leistungen vollbracht. Deshalb ist auch über die hohen Preise zu reden, die sie dafür bezahlt hat. Einer der Hauptpreise lautet: die Diskriminierung, Demütigung und der Ausschluss von Frauen aus dem kirchlichen Kerngeschehen, damit sie die imperialen, kultischen und narzisstischen Heiligkeitsideale nicht ins Wanken bringen. Durch die Epochen hin hat sich das Gift dieser pervertierten Heiligkeitsmodelle in das klerikale Selbstverständnis eingefressen, so sehr, dass ihm jedes Unrechtsbewusstsein abhanden gekommen ist.
Dagegen muss heute die öffentliche Wirkung des hierarchischen Standardverhaltens klar sein: Jede goldene Mitra und jeder glänzende Bischofsstab, jedes stolz getragene Pallium, jede pharaonisch präsentierte Segnung des Volkes und jeder in Gruppen auftretende Pulk von Purpurträgern, jede feierlich vorgetragene Volksbelehrung und jede wohlfeile Säkularisierungskritik verbreiten Signale unangemessener Macht und Selbstbestätigung, der Ungleichheit und Besserwisserei. Nichts gegen einen bescheidenen und menschennahen Gottesdienst im Fernsehen. Doch im Empfinden vieler Menschen sprechen die hochfeierlich zelebrierten, mit Weihrauch und kunstvoller Musik gewürzten Pontifikalämter aus unseren Hohen Domen dem messianischen Auftrag Jesu Hohn. Denn diese präsentiert tiefe Widersprüche. Sie propagiert nach außen Geschwisterlichkeit und menschliche Solidarität; sie will sich für die Armen und Benachteiligten einsetzen und daran messen lassen, ob und wie konsequent sie Jesus von Nazareth nachfolgt. Zugleich aber praktiziert sie nach innen autoritär-hierarchische Verhältnisse, eine unberührbar hoheitliche Gottesmacht und eine körperferne Heilspraxis. Sie gewinnt nicht die Kraft, den eigenen Klerikalismus mit all seinen Auswüchsen zu zähmen. Noch immer verteidigt sie den konsequenten Ausschluss der Frauen als eine ihrer unaufgebbaren Kernbotschaften. Das ist ein Skandal, denn damit straft sie ihre täglich bekräftigte Botschaft von Frieden und Gerechtigkeit Lügen. Sie ist zum Sakrament eines autoritären Zusammenlebens geworden.
Dabei wäre bei entsprechender Bekehrungsbereitschaft ein Neubeginn möglich, denn auch innerhalb der eigenen Kirche nehmen die Fragen und Selbstzweifel überhand. Hans Joas hat gezeigt, dass sich das Heilige auch im Rahmen von anderen Kategorien erspüren lässt, als die kirchliche Tradition es nahelegt.[11] Wer das Heilige (so meine Folgerung) nur in Kategorien der Macht und kultischer Erlösungspraxis sucht, kann mit einer säkularen Gesellschaft keinen Frieden finden. Wer aber das moderne Bewusstsein der Menschenrechte, die Solidarität mit den Benachteiligten und den Kampf um eine gerechte Welt als die Heraufkunft einer neuen Heiligkeitsnorm begreift, kann neue Hoffnung schöpfen und Christen können diese Entwicklung als Erinnerung an die prophetische Lebenspraxis Jesu deuten. Die ständige Warnung vor dem „Zeitgeist“ braucht uns nicht zu erschrecken, auch wenn es die Unterscheidung der Geister erfordert. Denn dieser Zeitgeist enthält wertvolle Schätze.
3.2 Neue Gestaltungsregeln
Angesichts des schon Gesagten schlage ich für die Kirche der Zukunft folgende Gestaltungsprinzipien vor:
(1) Primär und vorgängig zu allen Gestaltungsregeln gilt: In einer Epoche des religiösen Umbruchs kehrt die Gemeinschaft der Glaubenden zum prophetischen Geist Jesu zurück. Dieser geht allen Strukturregeln voraus und lässt sich durch keine andere, auch keine imperiale, kultische oder narzisstische Heiligkeitsregel ersetzen. Diese Prophetie kennt keinen Unterschied zwischen verschiedenen Kulturen, sozialen Ständen oder geschlechtlicher Identität.
(2) Primärer Vollzugsort des christlichen Lebens sind die christlichen Gemeinden (von Anfang an „Kirche“ genannt), die kraft des solidarischen Einsatzes ihrer Mitglieder den entscheidenden Raum christlicher Heiligkeit bildet. Im Licht ihrer jesuanischen Erinnerung haben sie zu politisch-autoritären und zu kultischen Heiligkeitsidealen ebenso Distanz zu halten wie der Versuchung, sich selbst als die Vorhut des Gottesreichs zu sakralisieren. Ihre Gottesdienste sind so zu gestalten, dass sie eine vorbehaltlose Gemeinschaft aller Mitfeiernden schaffen, einen Raum des gegenseitigen Verstehens und der ständigen Versöhnung bilden.
(3) Gemäß dem paulinischen Gemeindemodell bemessen sich alle Ämter und Funktionen innerhalb der Gemeinde nicht gemäß einer sexuellen oder kultischen Wesensbestimmung, sondern funktional nach dem Guten, das sie für die Gemeinde und die sie umgebende Allgemeinheit bedeuten. Die stabilen Ämter werden in eigener Vollmacht, wenn auch in Wahrung der gesamtkirchlichen Einheit durch die Gemeinde besetzt. Es ist darauf zu achten, dass die Präsenz unterschiedlicher Geschlechter, Veranlagungen und Lebenserfahrungen dem Wohl einer Gemeinde nur nützen kann.
(4) Die Person oder das Team, das eine Gemeinde leitet, hat auch das Recht und die Pflicht, die Gemeinde zu Gottesdiensten zusammenzurufen und die Gottesdienste zu leiten. Zu dieser Funktion bedarf es keiner zusätzlichen priesterlichen Beauftragung. Aus biblischen und theologischen Gründen sollte die Rede von „Weiheämtern“ aufgegeben werden. Schon damit wird vielfältigen, archaisch-misogynen Blockaden der Boden entzogen.
(5) Wie die Funktion des Priester aus ihrer kultischen, so ist die des Bischofs aus ihrer hoheitlich-imperialen Isolierung herauszuholen. Jesuanisch gesehen gibt es auch keine hoheitlichen Lehrämter. Damit entfallen auch sachfremde Blockaden gegen die Besetzung von höheren Leitungsämtern durch Frauen.
Vermutlich hat dieser Vorschlag eine polarisierende Wirkung. Zwar formuliert er das jesuanisch Selbstverständlichste, aber er weicht von einer langen Gewohnheit ab, verletzt also die gängigen Prinzipien des katholischen Ordnungsdenkens. Um diese Blockaden zu überwinden, bedarf es einer intensiven Besinnung, in deren Zentrum die Fragen nach dem Kern (1) christlicher Botschaft, einer (2) verantwortlich-prophetischen Gegenwartsanalyse und (3) christlichen Handelns stehen. Möglicherweise gelingt der römisch-katholischen Kirche nur dann die erforderliche tiefgreifende Erneuerung, wenn sie ihre umfassende Fehlentscheidung aus dem Jahr 1870 in aller Form korrigiert, der zufolge alle ihre Grundentscheidungen fehlerfrei und unfehlbar gewesen sind. Schließlich hat dieser Unfehlbarkeitsanspruch seinen Ursprung nicht in der Botschaft des Evangeliums, sondern in dessen imperial-autoritärer Verformung.
3.3 Die Schlüsselfrage
Dass die Frage nach Frauen und Diensten in den Ämtern der Kirche zu diesen prinzipiellen Überlegungen geführt haben, verwundert nicht. Dies zeigt nur, welche grundlegenden und weittragenden Fehlentscheidungen der frauenfeindlichen Grundordnung der römisch-katholischen Kirche zugrunde liegen. Die Frage nach der Präsenz der Frauen in der römisch-katholischen Kirche lässt sich nicht mehr aufschieben und zwingt zu zeitnahen Entscheidungen:
– Da dieser Irrweg theologisch umfassend aufgearbeitet ist und in einem zeitgemäßen Menschenrechtsbewusstsein seine Entsprechung findet,
– da sich die Kirchenleitungen diesen neuen Erkenntnissen noch immer hartnäckig verweigern,
– da zugleich zahllose engagierte Frauen seit Jahrzehnten erfolglos ihre Beschwerden vorgebracht haben,
– da auch der spirituelle Notstand in anderen Kulturen zu keiner Selbstkorrektur führt,
– da sich diese Verhärtung trotz eines dramatischen Relevanzverlusts der Kirchen auch in unserem Kulturkreis abspielt,
steht den in unserer Kirche aktiven Frauen das Recht zu, dem herrschenden Kirchenregiment ihre Loyalität aufzukündigen, die Bildung eigener Gemeinschaften voranzutreiben und unter der Leitung von Frauen ihre Gottesdienste zu feiern.
Man täusche sich nicht: Die Alternative zu diesem konstruktiven Widerstand ist kein friedensbereiter Kirchengehorsam, sondern der stille Exodus zahlloser Frauen und Männer, weil sie dieses Unrecht nicht mehr ertragen. Deshalb sind die Kirchenleitungen, nicht die besorgten Kritikerinnen zu fragen, ob sie eine weitere massive Schwächung, wenn nicht gar eine Spaltung der Kirche provozieren wollen. Die Stellung der Frauen in der römisch-katholischen Kirche muss zur Testfrage werden, an der sich jede weitere Rechtfertigung des SW entscheidet. Sollten die Kirchenleitungen (etwa im Sinne von Kardinal Woelki) zum Urteil gelangen, ein entsprechender Positionswechsel rühre an die dogmatisch-unfehlbaren Grundlagen der römisch-katholischen Kirche, müsste dieser Grundsatzstreit, wie schon gesagt, nicht zugunsten eines unfehlbaren Lehramts, sondern zugunsten der jesuanischen Botschaft entschieden werden.
Anmerkungen
[1] Vgl. dazu auch: Konstruktive Gemeindeleitung oder sakraler Opferdienst? Zur Sanierung einer pervertierten Amtspraxis, in: Wir sind Kirche Österreich, zeitung nr 102 (Juni 2019), S. 13f; einzusehen über: http://www.wir-sind-kirche.at/zeitung/ausgabe-nr-102-juni-2019-vermisst-zuletzt-vor–jahrhunderten-kirchlichen-aemtern-gesehen.
[2] Querida Amazonia. Nachsynodales Apostolisches Schreiben von Papst Franziskus an das Volk Gottes und an alle Menschen guten Willens v. 02.02.2020.
[3] https://www.hjhaering.de/was-ist-klerikalismus/
[4] Hubert Wolf, Krypta. Unterdrückte Traditionen der Kirchengeschichte, München 2015, 45-59: Bischöfinnen. Frauen mit Vollmacht.
[5] Wegweisend wurde das Apostolische Schreiben Mulieris Dignitatem [Die Würde der Frau] von Papst Johannes Paul II. vom 15. August 1988.
[6] Der Wandel der Heiligkeitsmodelle ließe sich auch am Wandel der leitenden Christusbilder illustrieren. Zunächst war es die (1) erzählte Jesusgeschichte, dann (2) der hoheitlich göttliche Logos und Pantokrator bzw. siegreich am Kreuz hängende Christus. Es folgte (3) der für unsere Sünden leidende Schmerzensmann, schließlich (4) Christus der König, der von der Kirche in alle Welt getragen wird.
[7] Hubert Wolf, Zölibat. 16 Thesen, München 2019, v.a. 55-61.
[8] Entlarvend für dieses sakralisierte Priesterbild: Schreiben von Papst Benedikt XVI. zum Beginn des Priesterjahres anlässlich der 150. Jahrestages des „Dies Natalis“ [Todes] von Johannes Maria Vianney, 16.06.2009. Es zeigt, wie virulent in der katholischen Kirche noch heute der spirituelle Absolutismus ist, den die antimodernistische und wissenschaftsfeindliche Kirche des 19. Jahrhundert ausgebildet hat.
[9] „Ein Priesterherz ist Jesu Herz, das Opferlamm für unsre Sünden, sucht überall in Sorg´ und Schmerz die müden Schäflein aufzufinden. Es fühlet nur die fremden Leiden, es nimmt für sich der Menschen Schmerz und gibt dafür des Himmelsfreuden. Und Seelen nur sind sein Begehren! Für Seelen litt es Tod und Schmerz, für Seelen will´s die Lieb verzehren. O heilig Herz für immerdar, mach ihre Herzen zum Altar! Und lasse sie, wie Du so rein, Dir allzeit heilige Priester sein!“ (Der Text stammt vom späteren Augsburger Bischof J. Kumpfmüller, gest. 1946)
[10] Ignatius von Loyola, Regel 13 über die kirchliche Gesinnung: „Wir müssen, um in allem sicher zu gehen, stets festhalten: was meinen Augen weiß erscheint, halte ich für schwarz, wenn die hierarchische Kirche so entscheidet, im festen Glauben, dass in Christus, unserem Herrn, dem Bräutigam, und in der Kirche, seiner Braut, derselbe Geist wohnt, der uns zum Heil unserer Seelen leitet und lenkt; denn durch denselben Geist, unseren Herrn, der die zehn Gebote gab, wird auch unsere heilige Mutter, die Kirche, gelenkt und geleitet.“
[11] Hans Joas, Die Macht des Heiligen. Eine Alternative zur Geschichte der Entzauberung, Berlin 2017.